
Auch in katholischen Gotteshäusern hat der Bauhausstil Spuren hinterlassen – Ortsbesuche in Leipzig und Berlin. Von Benedikt Vallendar.
Leipzig – Zugegeben: Vieles von dem, was das Weimarer Bauhaus einst propagierte, würde die katholische Kirche wohl ablehnen. Den totalen Laizismus etwa und das Ausklammern religiöser Traditionen ebenso wie die Ablehnung von Hierarchien, weshalb die vor hundert Jahren begründete Bauhausschule selbst in der DDR lange Zeit verpönt war.
Und doch hat sich die Bauweise katholischer Gotteshäuser in Ostdeutschland wie andernorts, ob gewollt oder ungewollt, in vielerlei Hinsicht von den Avantgardisten des Bauhauses um Walter Gropius, Mies van der Rohe und Oskar Schlemmer inspirieren lassen. „Vor allem dem Grundgedanken des Bauhauses, an den Bedürfnissen des Menschen orientierte Dinge, Bauten und Alltagsgegenstände herzustellen, wohnt etwas höchst katholisches inne“, meint der Kölner Architekt und Unternehmer Jan Gutermuth, der in der Bundesrepublik als Experte für religiöses Bauen gilt. Der 41-Jährige, selbst Katholik, gewann vor wenigen Jahren die Ausschreibung für den Neubau der türkischen Botschaft in Berlin-Tiergarten, einem Bauwerk, bei dem das muslimische Element eine besondere Note erhält, obgleich sich die Türkei offiziell noch immer als laizistisch versteht.
Lebensbejahende Strukturen
Womit wir wieder beim Bauhaus wären: Wer in Ostdeutschland eine im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert errichtete Kirche betritt, findet dort nicht selten Bauelemente, die in direkter oder indirekter Linie auf eben dieses zurückgehen. Jüngstes Beispiel ist die 2015 in Leipzig eröffnete Kirche Sankt Trinitatis, bei der sich die Planer maßgeblich von den Ideen des Bauhauses haben leiten lassen. Vieles erinnert an dem Leipziger Kirchenneubau innen wie außen an das berühmte „Haus am Horn“ in Weimar, den Prototypen aller Bauhausarchitektur schlechthin. 1923 wurde es im Rahmen einer Leistungsschau der Weltöffentlichkeit vorgestellt, um zu verdeutlichen, was mit „Bauhausstil“ gemeint war. „Sankt Trinitatis ist ein Abbild dessen, was das Bauhaus verkörpert, Offenheit, Lebensbejahung und klare Strukturen“, sagt die Potsdamer Historikerin Jenny Krämer, die sich mit Kirchenneubauten in Ostdeutschland beschäftigt hat. „Vor allem der auffällige Gebetsraum mit seinen offenen Decken und dem natürlichen Lichteinfall sei typisch für das Bauhaus gewesen“, sagt Krämer; ebenso die lineare und lang gezogene Silhouette, der schlichte Kirchenturm und der Einbau großformatiger Glasflächen im Innenhof. „Nach Fertigstellung der Kirche gab es teils massive Kritik“, erinnert sich die Expertin. Den Kritikern fehlte vor allem das Sakrale, Erhabene und Gediegen-Geheimnisvolle, das katholische Gotteshäuser seit dem Mittelalter auszeichnet.

Keine Antipoden
Hinzu kam, dass sich Sankt Trinitatis in exponierter Innenstadtlage befindet, ein Blickfang für alle ist, die Leipzig verlassen oder die Stadt zum ersten Mal besuchen. „Müssen wir uns wirklich in allem dem Zeitgeist anpassen?!?“, fragten sich 2015 nicht wenige, die bis heute ihre liebe Not mit dem roten Kirchenneubau im Nonnenmühlweg haben. „Dabei haben die Kirchenarchitekten der Moderne durchaus überlegt, wie sich kirchlicher Sendungsauftrag und die Erfordernisse modernen Bauens unter einen Hut bringen lassen“, sagt Krämer. Das Weimarer Bauhaus und die katholische Kirche als Antipoden einer gegensätzlichen Geisteshaltung hinzustellen, hält die Historikerin, die selbst aus einer katholischen Familie im Rheinland stammt, für falsch. „Der dem heiligen Augustinus zugeschriebene Grundsatz `ecclesia semper reformanda` zeigt sich in der katholischen Kirche wohl am augenscheinlichsten in ihrer Architektur, bei der Errichtung sakraler Neubauten“, sagt Krämer. Auch wenn sich Bauhäusler gern liberal, alternativ und gar sozialistisch gaben, haben sie doch weit in die westlichen Gesellschaften hineingewirkt, wovor sich auch die katholische Kirche nicht verschließen konnte.
Historisch unbelastet
Der Hauch von „links“, der das Weimarer Bauhaus von Anbeginn umgab, war besonders den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge, so dass sie die Schule kurzerhand verboten und viele ihrer Dozenten und Schüler in die Emigration zwangen. Nicht ausgeschlossen ist, dass genau dieser Umstand die SED zum Nachdenken gebracht hat und sie ihre Haltung zur Bauhausarchitektur revidierte. Eine Gelegenheit ergab sich in Berlin, genauer gesagt in der katholischen Pfarrei Von der Verklärung des Herrn im Stadtteil Marzahn. Inmitten trostlos wirkender Trabantensiedlungen leben dort, nach Angaben des Online-Lexikons Wikipedia, aktuell rund 2.200 Gläubige in ihrem Einzugsbereich. Was nur wenige wissen: Das modernistische und ebenfalls an den Bauhausstil erinnernde Gotteshaus wurde mit finanzieller Hilfe der DDR-Regierung errichtet. Als im Oktober 1987 Richtfest gefeiert wurde, war vom Bauhaus zwar offiziell keine Rede, gleichwohl niemand die gedankliche Vorarbeit aus dem fernen Weimar bestreiten wollte und konnte. „Die SED hatte gegenüber den Kirchen in den achtziger Jahren einen moderateren Kurs eingeschlagen“, sagt Historikerin Krämer. Hintergrund war die, offiziell nie thematisierte Selbstverbrennung des evangelischen Pfarrers Oskar Brüsewitz am 18. August 1976 vor der Michaeliskirche in Zeitz (Sachsen-Anhalt), infolge derer es zur Annäherung zwischen Staat und Kirchen kam, darunter das denkwürdige Treffen zwischen Bischof Albrecht Schönherr und Erich Honecker am 6. März 1978 in Ost-Berlin. Und da die SED, aus ideologischen Gründen, alles Bürgerliche ablehnte, blieb als Alternative eigentlich nur der unbelastete Bauhausstil, dessen sich die Parteiarchitekten bedienten und dem sich ihre Nachfolger bis heute nicht versagt haben.
