Die multimedialen Endlosschleifen haben, jenseits analoger Übertragungswege, längst jeden Menschen mit dem Corona-Fieber infiziert. Dieser Tage scheinen kollektive Archetypen Amok zu laufen. Unsere individuellen Entscheidungen werden pausenlos hintertrieben. Entfernt erinnert alles an den Furor der schwarzen Pest. Griff das damals grassierende Bakterium auch gründlich durch, nahm es sich doch viel mehr Zeit damit, denn es gab viel weniger Menschen, die viel weiter auseinander lebten und jenseits der begleitenden Mundpropaganda fanden sich kaum nennenswerte kommunikative Verstärker, die ohnehin mit dem sakral fundierten Kanon korrespondierten. Der ist mittlerweile durch andere, nicht minder fragwürdige Entsprechungen ersetzt worden. So ausdauernd und unermüdlich wir uns auch mit Corona beschäftigen: Der begleitende Irrsinn sagt viel mehr über uns und unsere Gesellschaft aus als über den Erreger selbst, der die Gemüter so erhitzt. Als echtes Virus ist es darauf ´programmiert´, das störanfällige System zu ´befallen´. Die Updates wechseln im Sekundentakt und nützen vorerst wenig. Auch wenn es unseren Stolz beleidigt: Das ´Geschäftsmodell´ simpler Viren ist viel raffinierter als die im Ansatz scheiternden Preisaufschläge, mit denen wir uns aus dem ´Knebelvertrag´ heraus kaufen wollen.
Der Mensch hat sich daran gewöhnt, sämtliche Lebensbereiche unter den Auspizien eigener Zwecksetzungen und Nutzenkategorien zu betrachten. Das tut Covid-19 auch. Es ´wütet´ auf eine Art und Weise, wie dies zuletzt nur eine Spezies vermochte, deren Population auf wahnwitzige 7 Milliarden Einzellebewesen angewachsen ist. Wir selbst haben uns also, entwicklungsgeschichtliche Maßstäbe vorausgesetzt, wie Viren und Bazillen vermehrt. Wir sind folglich, weil Menschen geblieben, insgesamt anfälliger geworden, und merken das in den entsprechenden Situationen auch ziemlich schnell: und trotzdem viel zu spät. Gewöhnt daran, in künstlichen, selbstherrlich selektierenden oder ausgreifenden Lebenswelten zu existieren, geraten dieselben umgehend ihrerseits in Unordnung, schleicht sich eine Urform des Lebens ein, ohne die es Leben in der heute geronnenen Form gar nicht gäbe. Unendlich klein in ihrer Erscheinung, ist die Bedeutung dieser rätselhaften proto-biologischen Erscheinungen unendlich groß gewesen in der bis heute abgelaufenen Zeitspanne irdischer Evolution, die gleichsam endlos anmutet.
Viren sind per se nichts Schlechtes. Ganz im Gegenteil. Immerhin acht Prozent unseres Genoms stammen ursprünglich von ihnen ab. Des Genoms, wohlgemerkt! Unter Experten besteht gar kein Zweifel daran, dass die winzig kleinen Biester, deren Größe zwischen unvorstellbaren 22 bis 330 Nanometern variiert, das Immunsystem gestärkt und damit eben auch unser Überleben gefördert haben. An der Aktivierung der Immun-Gene sind Viren verlässlich beteiligt gewesen. Derzeit forscht man daran, welche konkreten Bereiche des Stoffwechsels nachhaltig von ihnen gefördert werden. Mehr noch: Die in den ´Anfangstagen´ organischer Evolution unentbehrlich gewordenen Proteine sind durch Viren maßgeblich ´aufgepäppelt´ worden. David Enard von der Stanford University konnte zeigen, dass sie mit tausenden von Säugetier-Proteinen interagieren. Viren haben der Entwicklung des Lebens auf die Sprünge geholfen und damit unerhört beschleunigt. Proteine, die mit den Erregern in Kontakt kommen, verändern sich dreimal schneller und stärker als die meisten anderen. Heute wird vermutet, dass die viralen Kleinstkörper für rund 30 Prozent aller Aminosäure-Veränderungen im urzeitlichen Anteil des menschlichen Proteoms verantwortlich sind. Diese Art des ´Wettrüstens´ zwischen Viren und Säugetieren zeigt sich in einer erstaunlich großen Zahl von Proteinen. Soll heißen: Viren sind, trotz Ebola, Aids oder neuerdings Corona, eben keine wirklichen Fremdkörper, man muss sie, will man das Spiel der Evolution umfassend begreifen, im wechselseitigen Zusammenhang betrachten und als Urformen des Lebens, als Bausteine desselben würdigen. Sie waren für die Entwicklung dieses Lebens mindestens so wichtig wie andere prägende Umwelteinflüsse, als deren wichtigstes bis gestern noch das Klima gehandelt wurde, nach dem vorerst keiner mehr blökt. Fraglich bleibt, ob man die für den Entwicklungsgang so unentbehrlichen Winzlinge als echte Vorläufer zellulärer Einheiten einstufen kann oder ob sie eher ´übrig geblieben´ Gene von Lebensformen darstellen, die sich ihrerseits aus anderen Lebewesen herauslösten, eine Art Auswurf sozusagen von vollständig bestehenden Organismen. Dann hätten sie in der Tat eine ´Funktion´, dann besteht darin sozusagen ihre ´Hauptaufgabe´, wie denn die seltsam Maschinen ähnliche Erscheinung sämtlicher Viren schnell an derlei Zusammenhänge denken lässt. Es scheint, als habe die Natur in den Uranfängen lebensbildender Maßnahmen auf ein ´Konstrukt´ zurückgegriffen, dessen Spielarten unabhängig – aber nicht losgelöst – von den sich bildenden Formen dafür Sorge trugen, das diese unbedingt erhalten blieben. Setzt man diesem Konstrukt allzu präventiv zu, wie das die moderne Medizin vermag, wird es umso trickreicher antworten, bis zur Boshaftigkeit, wie AIDS und Ebola gezeigt haben. Immer weniger gelingt es dann dem eigenen Körper, auf die neuen Varianten mit eigener Kraft zu antworten. Man stelle sich in diesem Zusammenhang ein Virus vor, das über die schnelle Durchschlagskraft von Covid-19 verfügt und gleichzeitig in Form des HIV ständig dieselbe wechselt…
Viren kamen und kommen uns wie Lästigkeiten vor, die so unerwünscht wie unerwartet auftauchen und stören, also ganz schnell wieder zu verschwinden haben, indem man sie ausmerzt oder mittels Impfung einhegt. Das ist auf eine sehr entlarvende Art und Weise anthropozentrisch gedacht. Es zeigt, wie wenig wir uns wirklich mit dem Grundlagen und Zusammenhängen unserer Existenz auseinandersetzen, wie sehr wir alles sofort und ohne Umwege auf uns selbst beziehen – und alles abziehen, was dabei noch stört. Viren sind mehr als die Panik, die ein bestimmter Typus nun auslöst. Sie haben die Organismen durch eine Art Symbiose Äonen lang geprägt und sie werden niemals aus einer Welt zu schaffen sein, die von unserer Spezies beinahe exponentiell bevölkert und bis in die letzten Winkel hinein für sich beansprucht wird. Nicht gerade zum Nutzen einer Vielfalt, die nur noch entlang eigener Bedürfnisse und Ansprüche von uns wahrgenommen wird.
Man wird wohl, spätestens gegen Ende des nächsten Jahres, einen wirksamen Impfstoff gegen Covid-19 entwickelt haben. Wir dürften bis dahin noch so einiges erleben, in immer kürzeren Abständen, und wir werden uns wundern und nicht aufhören zu fluchen. Das störrische Virus verändert uns und die Gesellschaft, in der wir leben. Freilich: Nachhaltig, ob der vielen Opfer und Kollateralschäden? Es bleibt fraglich, ob das am Ende wirklich so kommen wird. Erinnert: Nach der Bankenkrise war vor der Bankenkrise. Fest steht: Es werden weitere Krisen folgen. Die Anfälligkeit ist Hausgemacht. Es liegt an uns, ob wir mit den Entwicklungen Schritt halten und entsprechend einige Gänge zurück schalten oder weiterhin so lange beschleunigen und überholen, bis wir die Karre damit endgültig vom Weg abgebracht und gegen die lange Wand gefahren haben.