Teil 3 der Reihe: Freddie Mercury – Der Zauber des Profanen

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IV.

Ob man die Altvorderen nun zu Vorläufern oder Geistesverwandte in ´Sachen´ Kunst erklärt (ohne unseren ´Spätling´ damit zum bloßen Epigonen zu degradieren): auch deren Wirken sorgte, wie wir noch sehen werden, schon zu Lebzeiten für Furore und zeitigte den entsprechenden Klatsch. Trefflich verpackt und sorgsam inszeniert, gaben ihre Extravaganzen Anlass zu Klatsch und Tratsch. 

Wie bereits erwähnt, ähnelten nicht wenige dieser Paradiesvögel unserem Helden auch äußerlich sehr. Es kann gar kein Zufall sein, das jene berühmt gewordene Abbildung des George Gordon Noel Byron, die den Rast, – und Ruhelosen in albanischer Tracht zeigt, frappierende Ähnlichkeit mit dem Verwandlungskünstler Mercury aufweist. Byrons etwas hochmütiger, vornehm distanzierter und in Ansätzen ironischer Blick gleicht dem der Bühnenprimadonna beinahe en Detail. Die physiognomischen Entsprechungen verblüffen: als wenn´s der Sänger höchstpersönlich sei! Man bekommt, anderes Beispiel, einen gewissen Eindruck davon, wie Mercurys Erscheinung wohl dem vielgeschmähten Alter entsprochen hätte, betrachtet man sich erhaltene Aufnahmen des Operngenies Puccini. Die mimischen Korrespondenzen – über bloße Ähnlichkeiten hinaus – treffen sich wirklich im Typischen. Vor allem der betont elitäre, ein wenig spöttische Ausdruck des verwöhnten Genießers zeigt einen reiflich in die Jahre gekommenen, ziemlich müde und verlebt wirkenden, dennoch kindlich gelösten Herrn von Welt, den weiland Freddie sicher ähnlich überzeugend abgegeben hätte, wäre ihm dies beschieden gewesen. Vor allem aber PuccinisAuffassung, genauer: Verständnis von Kunst und Kultur kommt dem des modernen Unterhaltungskünstlers erstaunlich nahe, auch wenn das Genre des Italieners die große Oper war, wo jener ´nur´ auf Rock und Pop setzte. Den treffsicheren Theaterdonner beherrschten beide, auf unnachahmliche Weise.

Der Opernexperte Hans Renner (1901-1971) hat in seinem Standardwerk ´Geschichte der Musik´ dem Genius Puccinis in knappen, aber zeitlos gültigen Worten ein würdiges Denkmal gesetzt. In der Tosca, so Renner, neigte der Komponist zu brutal realistischen Effekten, beherrschte aber gleichzeitig die Kunst des Belcanto. “Er wies der Opernmusik keine neuen Wege, doch er nützte seine Möglichkeiten mit untrüglichem Instinkt für Wirkung, und er war vertrauter mit den Geheimnissen des Erfolges als irgendeiner der Zeitgenossen.“ Ferner: „Musikdramatische Entwicklungen gibt es in seinen Opern kaum, ihre Spannungen entspringen stets dem Augenblick, der Episode, und sie erfüllen sich in ihr.“ Fazit: „Stets ist das Stimmungshafte, Atmosphärische der Handlungen überzeugend dargestellt.“ Ergänzend dazu noch einmal Byron, lapidar und unmissverständlich:“ Das Ziel der Kunst ist es, einfach eine Stimmung zu erzeugen.“ Wir werden, ausgehend von einzelnen Nummern aus Mercurys Feder, noch sehen, wie sehr dieses Credo jenseits des vielzitierten Lebensstils auch seinem künstlerischen Selbstverständnis entsprach, denn es deckte sich mit einer Auffassung von der Wirklichkeit, die aus dem Natürlichen das Seltene, sehr Kostbare schöpft und mittels kühner Kunstgriffe in verführerische, kurzlebige Klangkaskaden überführt, die einzig den Augenblick krönen, dem sie als unschuldige Momente entspringen. Beide, der Sänger und der Komponist, hatten auch ein untrügliches Gespür für das Erhabene, Hehre – Hochherrschaftliche. Mercury entging der Theatralik, der Kitschsoße immer nur um Haaresbreite. Der Opernkönner vermied instinktsicher das allzu hohle, aufgesetzte Pathos, indem er auf gute, ausgewogene Durchmischung setzte. Mitunter ging er in die Falle. Wie Mercury. Oft tapsten beide nur knapp dran vorbei. Für Freddie spricht immerhin, dass er die inhaltlich und musikalisch ausufernden Exzesse des auch Bühnentechnisch immer bombastischer auftrumpfenden Artrock vermied. Deren endlose thematische Hydren, von klassizistischen Girlanden umhangen, Mythenschwer umnebelt, Klangträchtig überbuttert, vor Bildungsbürgerlichem Ballast berstend, hätten Queen in ein gärendes Monster verwandelt. Freddie und Co. wählten den vornehmen, den bekömmlichen Weg. Selten ging in die Länge, was in der Würze der Kürze alle Sinne band. Dezenter, wiewohl nicht minder auftrumpfend, hielten die Queens sparsamer Hof als etliche derer, die zeitgleich einen nicht minder großen Aufwand betrieben. Ähnlich hoben sich auch Puccinis Werke vom mehligen Mythenbrei Wagners ab, und die melodramatischen Momente kamen in seinen Opern ohne Teutonentratsch und plumpen, antisemitisch verschmutzten Tugendterror aus. Wagner´s Wotanphantasien, vor Metaphern und Beschwörungen schier platzend, so umständlich gestreckt wie unnötig überladen, triefend vor Pathos und giftgarem Ressentiment, Bierernst bis zum umkippen, schwerfällig und ´schwitzend´, wie Nietzsche fand: wirkten im Vergleich zur selbst im Theatralischen leicht und locker tönenden Variante des kultivierten Italieners geradezu vulgär und abgeschmackt. Die Bühnenmonstren des Bayreuther Schattenkönigs ächzen unter symbolischem Ballast wie aus den Nüstern dampfende, mühselig ackernde Ochsengespanne, denen man einen halben Hausrat auf den Rücken gespannt hat. Thematisch überhob sich der Deutsche vollends und bis zur Lächerlichkeit. Seine überkandidelten Sagenlandschaften, von chromatischen Fieberdelirien und Akkordnebeln nahezu erstickt, bevölkern Gestalten, die im wirklichen Leben allenfalls als Karikaturen in Erscheinung treten. Derlei umständliche Verrenkungen, derer sich auch der Artrock schnell schuldig machte, kennzeichnen das Betrügerische an Wagners Kunst und begründeten dennoch seinen weltweiten Ruhm.

Anders Puccini. Überfrachtungen solcher Art hätten unfehlbar seine an lyrischen Verzückungen reichen ´Momentaufnahmen´ verdorben, deren kostbarste Augenblicke in den klassisch gewordenen Arien sinnenfroh und Gedankenverlorenen, ganz der unmittelbaren Stimmung verhafteten bleiben. Sie umwittern ´Situationen´, die ganz aus sich selbst wirken und einen unnachahmlichen Zauber entfalten. Sie bedürfen, wie billig, keiner weltanschaulichen Begründung und sind profan in einem sehr einnehmenden, verwirrenden vieldeutigen Sinne; das adelt seine Musik und ihre Gestalten. Wagner kam ganz ohne aus: ihm geriet jeder Mensch zur Monstranz. Bei Puccini waltet im kleinen, Unscheinbaren das Wunder, auch wenn die Werke selbst, der Operntradition entsprechend, groß und prächtig angelegt bleiben.

Beiden, Mercury und Puccini, eignete die Liebe zum feinen Detail, auch und gerade im Unscheinbaren. Das kostbare Kleinod zählt, wie der Moment also solcher. In ihm allein kann und soll sich das Eigentliche, Wesentliche entfalten. Wer wollte ihnen da vorwerfen, Erfolg gehabt zu haben? Puccini wusste auf Anhieb zu gefallen; ohne lästige Umwege. So traf er direkt, und immer ins Herz. Und wirkte überzeugend nicht bloß in den Arien, die der große Luciano Pavarotti einem weltweiten Publikum öffnete und damit auch vermachte. Was überlebt denn von einer ganzen Oper die Zeiten und Stürme? Es sind die simpel anmutenden, in Wahrheit rätselhaft gestrickten, unglaublich bezwingenden Melodien, die entzückenden harmonischen Phrasen, deren Wirkung auf den Hörer verglichen werden darf mit einem Nachtigallengesang, der wie sich wie eine Katze anschleicht und schon beim ersten aufmerken das Gemüt verzückt. Hören sie sich, ein Beispiel, das ´Recondita armonia´ an. Die Weise tastet sich mit solcher Eleganz und Leichtigkeit an den Hörer heran, als schwebe sie auf einem dünnen, lautlos wallenden Wolkenteppich. Unaufdringlich und ergreifend im weiteren Vollzug, aber kraftvoll und sinnlich lodernd zugleich, vergisst man darüber dass man darüber fast die laufende Handlung. Vergleichen sie auch das einmal mit den ´Aufmärschen´ des Deutschnationalen Wagner, der damit gleich alles platt walzt. Wer meint, hier ginge es darum, einen Klassiker gegen den anderen auszuspielen, hat nicht verstanden: noch heute und überhaupt zu allen Zeiten kontrastiert, auch und gerade in der modernen Unterhaltungsmusik, das Umständliche, Aufgesetzte, das gestelzt und gepresst Daherkommende zum genial Einfachen, das seine Inspiration einfach wirklichem Erleben, echtem Empfinden verdankt. Zeitlos gültig bleibt daher die große Melodie selbst wo sie schmachtet und schmeichelt. Freddie hat uns deren einige hinterlassen; daneben verblassen auch die Nieten, die er zog.

Puccini war Kosmopolit durch und durch. Er kam in seiner Kunst ganz ohne Phrasen aus, mit denen Wagner nur so um sich schmiss. Im eigenen Gebaren betont leger und weltmännisch, wiewohl recht elitär gestimmt, genügte er passenderweise auch der durch den Impressionismus neu entfachten, in erfrischender Transparenz leuchtenden Artistik, die der Franzose Ravel in seiner Instrumentalmusik schnell auf die Spitze trieb. Bei Puccini gerät dieselbe zum unbekümmerten, frivolen Spiel. L´art pour l´art hat man das mal genannt. Und um auch dies noch einmal zu betonen: der Opernkomponist war, wie Mercury, von Anfang an enorm erfolgreich, und er schämte sich dessen nie. Dem Kommerz neigte er aus Instinkt, nicht aus Berechnung zu. Der Jubel der Bewunderer brachte ihn nie in Verlegenheit. Sein Zeitgenosse, der unnachahmliche Richard Strauß, schwelgte ungleich verschwenderischer im üppigen Farbenrausch, aber auch ihn focht das Geschwiemel eifersüchtiger Traditonalisten oder unruhiger Neuerer nicht an. Um hochfahrende, sagen wir ruhig: gefallsüchtige Effekte waren weder Strauß noch Puccini je verlegen, doch auch die Rauschzustände, die sie mittels raffinierter Instrumentierung entfachten, verreckten nicht in den Kulissen oberflächlicher, wahlloser Ornamentik, obschon ersterer mit seiner Alpensymphonie nicht mehr sehr weit davon entfernt war.

Wahrscheinlich konnten sich solche Geister nur noch in der Nähe einer zur letzten Empfängnis gereiften und darob langsam welkenden, unmerklich verblassenden Epoche entfalten: dem um die Jahrhundertwende noch einmal prächtig auftrumpfenden, ungemein vital und urwüchsig dem eigenen Untergang widerstrebenden KuK. Man hat dieser Verfallsdekade posthum eine notorische Dekadenz nachgesagt, an der sie angeblich unfehlbar zugrunde ging. Sicher siechte da etwas. Ebenso sicher sog dieses Etwas aus süsser Fäulnis noch einmal feinste, kostbare Säfte heraus, wie denn festgehalten werden muss, das diese aus anfangs aus reichen Schlemmertöpfen kräftig und unbekümmert schöpfende Epoche insgesamt viel besser war als ihr später Ruf nahe legt. Sie trieb noch einmal die schönsten, herrlichsten Blüten aus einem überreifen, sich neigenden Kelch. Verwirrend vielfältig, ja extrem divergierend, zwischen Tradition und Moderne, Spätromantik und Jugendstil pendelnd, äußerlich noch in ganz und gar glänzender Verfassung, jauchzte sich diese proto-europäische Nation als lebendige Gestalt langsam in den eigenen Tod, denn sie taumelte bereits auf die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts zu, die damals keiner kommen sah. Im Schatten unheilvoll heran drohender Ereignisse entfalteten sich Kunst und Musik in letzten, kräftigen Zügen, reich an Nuancen, Stilbildend und Maßgebend in einem nicht bloß formalen Sinne. Wenn es tatsächlich eine Art Verfall war, der den Verlauf bestimmte, dann vollzog sich dieser in schwüler, überreizter, feinnerviger Atmosphäre, und umso vorzüglicher gedieh noch mal ein rauschendes Gemisch, das der Erschlaffung die letzten Weihen verpasste. Selten fuhren gewitzte Altvordere und tollkühne Neuerer reichere Ernte ein als jene, die in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts noch einmal den späten Glanz einer ergrauten Epoche zum Leuchten brachten. Sicher hat es auch damals etliche gegeben, die den Verfall des guten Geschmacks – im Wien der Jahrhundertwende notorisch – beklagten. Vom Niedergang angestammter Sitten und Gebräuche war schon zuzeiten des Rock´n Roll die aufgebrachte oder entsetzte Rede gewesen. Im Zuge der Beatlemania setzte sich der Zeter fort. Dann kamen Gammler und Hippies, Studenten und Ökos an die Reihe. Vor allem in den ausufernden, auf Provokation zielenden Happenings und beim Protest auf der Straße geriet zum Skandal, was als Anspruch anmaßend wirkte. Das galt auch und gerade für die populäre Unterhaltungsmusik jener Jahre, dem Aussehen ihrer Protagonisten und ihrem Auftreten insgesamt. Nichts Neues unter der Sonne. Um die Jahrhundertwende, mehr noch in den letzten Jahren vor Ausbruch des ersten Weltkrieges, waren es vor allem junge Künstler, deren Werke unerhört provozierten; nicht einzig Strawinskys Le sacre du Printemps erhitzte die Gemüter. Auch mancherlei schrullige Esoterik machte sich in diesen Jahren breit; seltsame Vögel breiteten sich in den Brutstätten des Nonkonformismus aus. Den unnachahmlichen Klimt hielt man für einen Zottelbärtigen Lüstling, wie denn die Sünde den ins Hintertreffen geratenen Tugendwächtlingen allerorten aufzulauern schien. Der große Krieg beendete vorläufig den schrägen Reigen, bevor ihn die wilden Zwanziger für sich zurück entdeckten.

Die Swinging Sixties kann man sich, wie oben angedeutet, ohne den Mitte der Fünfziger auftrumpfenden Rock´n Roll nicht denken. Auch der folgte einem verheerenden Krieg. Die weitere Entwicklung moderner Unterhaltungsmusik, die nun längst en Vogue geworden ist, unterbrach keine weitere Urkatastrophe mehr. Mehr denn je steht hier Banales neben Beachtlichem, das Monströse neben dem wieder Einfachen, mit viel Retro und viel Schrott. Im Grunde war, ein Beispiel, auch der feingliedrige Jugendstil bereits Kopie: abgekupfert vom Rokoko, der nicht minder kurz in Erscheinung trat, bevor sich die Kunstwelt wieder strengere Zügel auferlegte.

Es ähneln sich also die Zeiten und ihre Typen. Wer derlei Betrachtung für banal, für abwegig oder bloß konstruiert hält, hat noch nicht begriffen, dass es hier eher um Nuancen geht, die in den großen Vergleichen zu kurz kommen und den sattsam bekannten Klischees zuarbeiten. Der Hinweis auf Entsprechungen im Kleinen hingegen: lohnt immer. Und bleibt auch weiterhin reizvoll, wie ich finde. Damit soll nichts gleichgesetzt werden. Die Verwandtschaft zählt, der organische Zusammenhang, dessen geheime Verbindungen niemand kennt. Man vergleiche etwa die Arie Nessum Dorma aus der Oper Tosca mit dem Queen-Klassiker Who wants to live forever. Das Lied stammt gar nicht von Mercury, aber es erhält erst durch seinen verspäteten, zunächst schmachtend und dann immer entschiedener vorgetragenen Einsatz die atmosphärische Dichte, vor allem: Kolorit. Beiden, der Arie wie der Ballade, haftet etwas verhalten Feierliches, Hymnenhaft Verklärtes an. Melancholie und stilles Sehnen strömen so fein und innig, so zart und beredt ineinander, dass man beides gar nicht mehr voneinander trennen kann. Einfühlsam bis in die letzte seelische Pore, schmeicheln beide Weisen der Trauer des Gemüts, die jeder kennt. Wie sehr sich die um Jahrzehnte auseinander liegenden Themen doch in Punkto Stimmung und Effekt, vom ganzen Aufbau her ähneln. Hier entfaltet sich ein Lyrismus lodernder, melodramatischer Art, der einzigartig ist. Die hier wie dort dunkel drängende Traurigkeit bereitet unmerklich, ohne Brüche, eine alle Divergenzen einende Entrückung vor, im Ergebnis Erlösung, die den Hörer sehnsüchtig verklärt, beinahe beglückt, und das Leben selbst tönt, noch aus tiefer, geschwollener Brust erbebend, einzig um seiner selbst. Auch ist diese Eingebung ein recht überzeugendes Beispiel dafür, wie im Laufe fruchtbarer Zusammenarbeit die ´Partner´ so instinktiv wie intensiv, fast telepathisch ertasten, was zum jeweils anderen wirklich ´passt´ – was diesen und sein Innerstes anspricht und entsprechend motiviert. Die Seele eines Bruders im Geiste passend zum Klingen zu bringen! May meets Mercury meets May, könnte man sagen.

Freddie kam dann noch einmal relativ spät über die hochverehrte Montserrat Caballé direkt zur Oper, deren Essenzen er mit seiner Kunst schon früh auf fast schwärmerische, ´verliebte´ Art umworben, mitunter rauschhaft beschworen hatte. Aber er blieb sich treu, nahm das alles nicht über Gebühr ernst und machte seine Späßchen. „Ich schreib gern einen netten Song mit einer guten Melodie, das ist alles, und gleich weiter, den nächsten.“ Der mochte so überladen und triefend ausfallen wie deren etliche seiner Vorgänger, eines aber durfte aus ihm nie werden: ein Lied von Bono oder Lennon. „Ich glaube nicht, dass ich die Veranlagung habe, tiefschürfende Botschaften zu schreiben. Für mich ist ein Queen-Song lediglich etwas, was man sich anhört und dann wegwirft – wie ein Tempo-Taschentuch. Ich gehe ins Kino und vergesse für anderthalb Stunden meine Probleme. Ich bin nicht hier, um zu verkünden: ändere dein Leben, hör einen Queen-Song. Ich will das Leben der Leute nicht ändern.“ Mit Aussagen wie diesen nahm Freddie gern die mittlerweile sämtliche Lebensbereiche bestimmende, kaum absehbare Cancel-Culture auf´s Korn. Auch der übertriebene Impetus, intellektuell zu brillieren, ging ihm ab. „Ich hasse es,“ erklärte er,“ meine Songs dem Volk zu analysieren. Wenn Leute mich noch fragen, worum sich Bohemian Rhapsody dreht, dann sage ich: Ich weiß es nicht.“ Schärfer formuliert: „Meine Songs sind wie Bic-Rasierapparate. Zum Vergnügen, für modernen Konsum. Man hört ihn sich an, mag ihn, und geht dann zum nächsten.“ Wegwerf-Pop. Der jeden bloßen ´Botschafter-Rock´ locker überlebt, weil er an keine Zeitläufe gebunden ist und folglich auch nicht den wahllos wechselnden Konjunkturen aufgesetzter Geschmacksurteile zu gehorchen hat. Er wogt auf jeder vom Gemüt und vom Kalkül getragenen Welle locker mit, ohne allzu schnell, also: schwerfällig auf Grund gehen zu müssen. Er zeugt eben von der sehnlichst beschworenen Leichtigkeit eines Seins, das daneben noch immer jeden einzelnen von uns zu Boden drückt, allen Hanswurstiaden zum Trotz, die nur eine Tragik kaschieren, die hinter jedem Schicksal ungebrochen lauert. Ob Freddie im Alter doch noch zu den Missionaren übergelaufen wäre? Was wäre wenn.

Es gab und gibt eine Auffassung von Kunst, die der Tiefe, als einer im Bodenlosen sich verlierenden, ´im Grunde´ trügerischen, letzthin ins Leere laufenden Transzendenz misstraut und den Hang zur handfesten, nicht minder rätselhaften Oberfläche kultiviert. Mag auch alles aus dunklen Verliesen dorthin drängen: erst in der schöpferischen Durchdringung mit den Vorboten des Diesseits offenbart sich das Wunder. Dies zu fühlen, es zu fassen und zu greifen, mit Haut und Haaren, aller Sinne trächtig: adelt das Sein. Jene, die sich einer solchen ´Philosophie´ verpflichtet fühlen, feiern das Fest der Diesseitigkeit auch dann noch aus vollem Herzen, wenn sich die Stacheln des Lebens tief ins eigene, lüsterne Fleisch bohren. Der von Nietzsche freudig bejahte Zustand des Dionysischen, in Abgrenzung zur Blutleere Apolls, fand und findet sich immer dann bestätigt, wenn auch der äußere Rahmen stimmt, womit noch nicht entschieden sei, ob es sich um vorgefundene oder erzwungene Verhältnisse handelt, deren Wirkungsmacht variiert und allzu oft im Wechselspiel bei frischer Laune gehalten wird.

Im Grunde knüpft eine solche ´Lebensart´ an verschüttete Traditionen der Antike an. Deren Menschen, ihre Heroen voran, erschienen einer dünnblütigen Gelehrtenkaste des neunzehnten Jahrhunderts nahezu überlebensgroß: Wesen von harmonischer Klarheit und Transparenz im Denken und im Fühlen, unübertroffen in der formbildenden, großmeisterlichen Gestaltungskraft, deren souveräner Geist dem Quell reinsten Wassers entsprach. Diese Idealisierung entsprach dem seinerzeit gängigen, vor allem in deutschen Landen üppig blühenden Zeitgeist, der in den Bildungstempeln der Epoche hausierte und Generationen von Akademikern beeinflusste, die sich entsetzt den Gegenläufen der Epoche, gipfelnd in der industriellen Revolution, entwanden und umso verstörter auf die soziale Revolution reagierten, die damit einherging. Die aristokratische Abwehrbewegung fand ihren überzeugendsten Ausdruck in der Romantik. Ihre Anhänger sahen im Hellenismus alles verwirklicht, was die neue Zeit verdarb; einer Gesellschaft, in der Politik und öffentliches Leben, Kunst und Körperpflege der Reinheit und Schönheit entsprachen, die in ihren eigenen Köpfen spukte. ´Stronger than life´ hatte der alte, ewig junge Grieche zu sein: robust und ´körperkultig´, edel und von unbezähmbarer Energie, dazu formstreng in der Gesinnung, frei von lästigem Zwiespalt und innerer Bedrängnis. Winckelmanns Winkelzügen erlag nicht einzig der stickstaubige Herr Professor. Zu den Epigonen muss man unbedingt auch die verwöhnten Jünglinge des im neunzehnten Jahrhunderts mächtig aufstrebenden Bürgertums zählten, doch die schöpften, im Unterschied zu ihren Lichtgestalten, nur mehr aus trüben, langsam versiegenden Quellen. Im Weltschmerz, den der Dichter Byron lebte wie kein zweiter, bäumte sich das elitäre Gewissen noch einmal wider alle Tendenzen auf und lebte seinen Lusttraum bis zur Neige. Vom Ekel befallen, der zwischen Überdruss und Langeweile wuchs, fieberte der Adelsnachwuchs seinem eigenen Untergang entgegen. Freilich: konnten die sich das auch leisten. Der Überfluss, wie immer ungerecht verteilt, fiel ihnen als großzügiges Erbteil in den empfänglichen Schoss, und sie zehrten davon bis zuletzt. Aufschlussreich, das auch all jene, die sich darob den dunklen Seiten des Seins widmeten, gleichsam ohne metaphysischen Ballast auskamen und dabei nicht minder wollüstig zu Werke gingen. Genannt seien Rimbaud und Baudelaire, Poe und auch noch H. P. Lovecraft. Ihr Ansatz setzte ganz bewusst auf den Augenschein, allen dunklen Trieben zum Trotz. Der literarische Satanismus des 19. Jahrhunderts verbindet sich einmal mehr mit dem Namen Byrons, aber der kühne Aristokrat machte wohlweislich keine Weltanschauung daraus, er bedurfte weit eher, so steht zu vermuten, des aufreizenden Kitzels als Ausgleich oder Ansporn, eben: um sich nicht langweilen zu müssen. So entsprach, paradoxerweise,  diese Art Teufelskult dem künstlich gestreckten, schwülen Frohsinn, der neckisch und närrisch zugleich die damals schon als klassisch empfundenen Buffa prägte. Die komische Oper strotzte nur so vor ´teuflischen´ Motiven, als da waren im Überfluss Habsucht, Gier, dumpfe Begehrlichkeit und tödlich verletzter Stolz. Laut Nietzsche sind das allesamt echte Tugenden, sträflich unter Generalverdacht gestellt, und ihrer schämen sich, so der große Menschenkenner, nur solche, die durch zu viel falsch verstandene Moral korrumpiert worden sind. Insofern bewunderte der Philosoph die Preziosen eines Jaques Offenbach, dessen Kunst er in einem Brief an Peter Gast, datiert vom 21. März 1888, kurz vor Ausbruch des Wahnsinns, nahezu überschwänglich feierte. Diese „Form übermütigster Bouffonierie“ blieb an Mozart geschult, der erst im Angesicht des Todes ernst, ja schwermütig werden wollte, und in den Opern Rossinis ist der Trübsinn geradezu unter Todesstrafe verboten. „Ich gebe zu, dreimal in meinem Leben geweint zu haben,“ gestand der Schöpfer von rund vierzig Opern, deren eine einzige ihn schließlich überleben sollte.“ Das war, als meine erste Oper durchfiel, als ich Paganini die Violine spielen hörte und als bei einem Bootspicknick ein getrüffelter Truthahn über Bord fiel.“ Solche Geister, die aus Instinkt der grüblerischen Schwermut, der dumpfen Sinnsuche entraten und den eigenen inneren Widersprüchen so elegant wie feinsinnig aus dem Wege gehen (oder ihnen von der Klinge springen), feiern lieber den schönen Schein, der die Sinne betäubt: und sie wissen prächtig, ja pompös auszustaffieren, was sie dieser Chimäre als Kulisse andienen. Sie wissen: dass Schürfen in der Tiefe bringt uns nicht den vermeintlichen Goldadern näher, man stößt nur zunehmend auf festeres, gröberes Gestein, jenseits der ohnehin dumpfen Scholle; und hat am Ende nichts gefasst. Nur oben, unter freien Himmeln, heischt man seinen Teil, bevor die kühle Erde den klammen, langsam erkaltenden Leib verschlingt. Wer diese Weltsicht für naiv hält ist es sicher selber.

Einer, der die entsprechende zweifellos auf die Spitze trieb war Oscar Wilde, über denEgon Friedell notierte: „Es hat gewiss wenige Dichter gegeben, die die Hässlichkeit so tief und leidenschaftlich gehasst haben wie er…seine Liebe zu tausenderlei kostbaren, feinen und unnützen Dingen war außerordentlich, er wird nicht satt, sie zu beschreiben.“ Und:“ Er liebte auch zweifellos das Laster. Er liebte es als Künstler.“ Wie Freddie. Vermutlich trug auch der vollendete Ironiker ein Ideal zur Schau, unter dessen Zwiespalt er heimlich litt. Sein Meisterwerk, der Dorian Grey, kündet in notorischer Besessenheit davon. Was aber zählt, ist einstweilen nur die überzeugende, die treffsichere Attitüde. Mercury spielte zeitlebens mit ihr, denn ihn faszinierte wieder und wieder nur der äußere, ihn ständig bis auf´s Blut reizende Schein. “Ich liebe Leder. Ich würde mich eher als schwarzen Panther mögen.“ Das klingt albern, und so war´s auch ganz ernsthaft gemeint. Aus einer solchen putzigen Laune heraus entstand ferner der Bandname, nebst begleitendem Logo. „Vor Jahren dachte ich mir den Namen Queen aus. Es ist nur ein Name, aber er ist offensichtlich sehr königlich und er klingt prächtig. Es ist ein starker Name, sehr universell und unmittelbar. Er hat großes visuelles Potential und war für alle möglichen Interpretationen zu gebrauchen. Ich war mir sicher schwuler Auslegungen bewusst, aber das war nur ein Gesicht davon.“ Passt also schon alles.

Queen waren, das kam schon zur Sprache, ein sehr vielseitiges künstlerisches Kollektiv, das zahlreiche stilistische Gegensätze glaubwürdig zu einen verstand. Die vier Bandmitglieder funktionierten als Team, und das bestand im Handwerklichen aus gleichwertigen Partnern. Auch und gerade die Eigenkompositionen beweisen es, wie wir am Beispiel Radio Gaga oder Who wants to live forever sahen. Vermutlich ist es auch dieser binnenspezifischen Dynamik zu danken, das sich die zunächst auf klassischen Hardrock fixierte Band im Kielwasser des Glam rasch in ein Massenkompatibles, ganze Stadien füllendes XXL-Chamäleon verwandelte: buntscheckig und dennoch gewisser Eigenheiten verpflichtet, die den Queen-Sound trotz aller Vielschichtigkeit dauerhaft prägten. Ihre Musik blieb leidenschaftlich und wohltönend, berauschend, Harmonie-selig und immer auch triumphalistisch; letzteres auf manchmal etwas peinliche Weise, denn der dominierende, Harmonien im endlosen Dutzend mengende Singsang des Meisters, wiewohl elegant gebogen, verteilte sich auf zig Gesangsspuren (schon in der Bohemian Rhapsody sollen es sage und schreibe über siebzig gewesen sein). Nicht kleckern, sondern klotzen – war immer wieder die Devise. Noch die harmlosesten Lieder wurden mittels dezenter ´Aufmotze´ solcherart veredelt, fast verhunzt, doch darf an dieser Stelle daran erinnert werden, dass nicht einzig die von Mercury fabrizierten Chöre das Fass zum überlaufen brachten, denn der von May kultivierte, chromatisch ausufernde Wohlklang der Gitarre, mittels passender Effekte in Raumgreifende Kaskaden überführt, rührte nicht minder an den Grundfesten eines klassischen Popsongs: ein fertiger Queen Song kann dieser erst in dem Moment sein, wo ihm die nötige Prise Bombast eingepfeffert worden ist. Mays unvergleichlicher Spielwitz, diskret oder direkt, verschnörkelt oder straight, machte den Queen Sound wirklich unverwechselbar, eben: klassisch. Der Gitarrist geizte so wenig mit Protz und Prahl wie sein Sänger, und weil er insgesamt eben doch eher dem Hardrock zuneigte, konnte ein entsprechender (und wohl auch entscheidender) Konsumentenkreis dauerhaft eingebunden werden. Freddies melodramatischen Überspitzungen, oft in Fanfarenhaftes Getöse ausfransend, begegnete May nahezu treffsicher mit den entsprechenden Krachern oder Kitzlern. Beispiel We will rock you. Die erfrischende, jäh wieder verklingende Brachialgewalt einer kurzen Klampfe erlöst im wirklich rechten Moment die triebgesteuerte Monotonie aus Chor und spartanischem Grundrhythmus, zu dem auch das etwas aufdringliche Klatschen zählt. Das Lied wirkt insgesamt sehr körperlich. Hardrock und Heavy Metal kamen und kommen kaum ohne das Pathos kraftstrotzender Körperlichkeit aus. One vision, Hammer to fall oder Sheer heart attack: diese Songs tönen noch immer, als tropfe der Schweiß von den Muskeln. Geradliniger Rock, konterkarierend oder vermittelnd, hat so manchen Queen Song vor einer nervtötenden Zerreisprobe bewahrt und damit auch gerettet.

Zu viel Schmacht kann schnell nerven. Allzu leicht schlägt noch das innigste Schwelgen in ein armseliges Schwiemeln um. In der gekonnten Variante vermittelten Queen dem Fan ein Gefühl von Allmacht, die der täglichen Tristesse für den Moment den Garaus machte. Und Freddie, auf den Wellen ekstatischer, unmittelbarer Zustimmung wogend, ließ sich von diesem Wechselspiel immerzu mitreißen, aufpeitschen – ´begatten´. Gleichzeitig ging es, trotz aller Entfesselung, in den Konzerten der Queens immer sehr feierlich zu. Jedes einzelne Lied zehrte von dieser Monstranz. Beispiel Bicycle Race: unüberhörbar von Mercury verfasst, gemahnt der Reigen eher an edle Gelage oder hehre Prozessionen als an nackte Weiber auf Fahrädern. Das Erhabene kreuzt sich deutlich mit dem Banalen. Ein typischer Queen-Song kennt immerhin keine Längen. Und keine Langeweile. Eher geht er dir auf den Sack, aber immer mit ziemlich Zucker im Arsch.

An dieser Stelle lohnt, auf einzelne, wirkliche beachtliche Eigenkompositionen des Sängers einzugehen. Das kann, den gebotenen Rahmen berücksichtigend, nur recht willkürlich und vorsichtig ´tastend´ geschehen, mag aber in der losen Schau wiederum das Typische, Kennzeichnende seiner Kunst veranschaulichen. Mit einer Handvoll eigener Songs hat sich Freddie ins kollektive Bewusstsein einer dankbaren, vornehmlich aus Angehörigen der Arbeiterklasse bestehenden Gefolgschaft ´eingeschmeichelt´. Die wussten mit seinen kultivierten Tagträumereien immer mehr anzufangen als das verbliebene intellektuelle Bürgertum, dem der Sinn weniger nach beglückender Zerstreuung lag. Mercury eroberte die Herzen seiner Fans im Sturm. Von Seiten der Kritik wurde er, billigerweise, immer nur auf das Klischee korrespondierender Banalitäten reduziert, die seine Kunst zierten, ohne dieselben im Ganzen zu umfassen. In eine solche Falle gehen viele. Den Rest erledigt dann schon das Ressentiment.

Freddies erster wirklicher Geniestreich trägt den etwas irreführenden Titel Killer Queen. Das Stück schaffte es bis auf Rang Zwei der Billbordcharts und markierte den endgültigen Durchbruch der Könige des Rock. Hier trumpfte erstmals und recht unverhohlen die morbide, darum nicht minder sinnenfrohe Grandezza eines kichernden Charmeurs auf. Auf Inhalt und Bedeutung der Nummer angesprochen erklärte dieser:„Es ist über ein erstklassiges Callgirl. Ich versuche damit auszudrücken, dass auch elegante Menschen Nutten sein können. Darum geht es in diesem Lied, obwohl ich es vorziehe, dass die Leute es auf ihre Weise interpretieren – daraus herauslesen, was sie wollen.“ Ganz Freddie, diese Antwort. Natürlich verbarg sich der Sänger selbst hinter der verruchten Kokotte und natürlich blieb ihm ganz gleich, was die Leute davon hielten oder nicht; Hauptsache, ihnen gefiel was sie hörten. Das Lied gefällt auch heute noch. Im Grunde ist es kein Popsong, mehr ein beschwingter Chanson. Die spielerische Unverbindlichkeit gerät hier, in Gestalt einer reizend beschriebenen und dabei unmerklich verklärten Edelhure zum umfassenden, verführerisch aufreizenden, betörend unkomplizierten, Lebensgefühl, das jedoch keineswegs der kultivierten Extravaganzen enträt. So eingängig und lässig ´swingend´ kam unser Held selten herüber. Das im Grunde ganz simpel gestrickte und erfrischend beiläufig vorgetragene Liedchen entbehrt jeder Problematik, hat weder Ecken noch Kanten, ist gerundet und gesalbt wie ein Luxusbonbongleicht in seinen harmonischen Bewegungen einer bunt flimmernden, frech zischelnden Schlange. Nahtlos und ohne Mühe gleitend die Läufe ineinander, als schwämme ein Aal durch prickeln perlendes Schampusgewässer. Das Lied scheint überhaupt nach Parfüm zu riechen und wirkt wie die geschmackvolle Begleitlitanei zu einer nie ganz ernst gemeinten Laufstegposse. Im denkbar ehrlichsten Sinne ist hier alles artifiziell, gekünstelt, gelackt und geledert, gepudert und gestelzt, manieriert bis in die letzte, filigran gestickte Seidenspitze. Kokett und genießerisch tänzelt das Thema zwischen Refrain und Strophe hin und her. Freddie startet den Song mit einem lässigen Schnipsen. Der Rest, so scheint es, läuft von ganz allein: tapst wie ein quirliges Luxushündchen auf goldenem Teppich, mit Seidenpfötchen besohlt, eine niedliche Glocke um den flauschigen Hals. Die geschmeidig schmachtende, schwül-erotische Salonmusik scheint, gibt man sich ihrem lässigen Charme ganz hin, weder Anfang noch Ende zu kennen. Sie bleibt eben, das ist der Punkt, dem kostbaren Moment verhaftet; sie feiert ihn und findet nichts dabei. Der formschöne Mumpitz mutet nicht nur albern an, er ist es auch. Und diese Albernheit bezwingt. Feist und knackig tönt dazu der Backgroundbeat. Das mit viel Puderzucker veredelte Luxusgewölk wandelt sich so unmerklich zum Gassenhauer. Ein passendes Zitat könnte wiederum von Byron stammen: „Alle Leute sind entweder charmant oder langweilig. Ich ergreife Partei für die Charmanten.“(aus: Lady Windermere´s Fächer). Abschließender Gedanke: könnte die eingängige, hoffnungslos angeschwulte Tirade heute noch zum Chartkracher mutieren? Wie viele Klicks bekäme sie im Netz verpasst?

Mercury versuchte wiederholt, an die frühe, feucht-erotische Leichtigkeit von Killer Queen anzuknüpfen. Was ihm aber nie wieder so überzeugend gelang. In manchem ähnlich swingt das herrliche The Miracle. Mit bestrickender Leichtigkeit, ohne Brüche oder umständliche Wechsel vermählen sich hier einmal mehr die divergierenden, einander keck umspülenden Elemente. Freddie kam ganz ohne gespreizte, großspurige Gebärden aus. Eine nahezu luftige, licht ausufernder Eleganz, die alles überstrahlt, kennzeichnet den Song, der keinen Augenblick dekadent gerät, vielmehr sehr stolz und würdevoll anmutet, wiewohl der lockere Beat wie ein freundlicher Schluckauf pulst. Sogar eine Art Botschaft birgt das Stück: alles Wirkliche ist herrlich, vom Kleinsten bis zum Größten und umgekehrt, nichts ist vor dem anderen ausgezeichnet und alles kommt ohne justierende Transzendenz aus. Schroffer formuliert: sperrt die Augen auf, tumbes Pack: es ist alles da, zum greifen nahe, alle Wunder der Welt. Du kannst und du sollst ihnen auf Augenhöhe begegnen. The Miracle ist ein einziger Lobgesang auf Diesseitigkeit und Daseinsfreude. Mittels bloßer Erwähnung werden die immer gleichen, immer alltäglichen Erscheinungen ´heiliggesprochen´. Die legeren Gesten des ´Sängerknaben´ erlösen und verseligen ein Sein, das erst in der Begegnung mit Menschen aus Fleisch und Blut zum Leben erwacht und jeden verzaubert, der sich dem Fatum fügt. Von umständlichen Verrenkungen befreit, erlöst sich so das Leben selbst. Darauf ist unser Held, jenseits der Karriere, immer aus gewesen: einfach los lassen und unbekümmert durchstarten. Das insgesamt recht simpel gestrickte Lied gleicht einem Lächeln: wissend und unschuldig zugleich. Die rockige, sicher von Brian May beigesteuerte Zulage, den Schluss einleitend, mischt das immerzu schwebende, eine gewisse Gemütlichkeit verströmende Hauptthema dezent auf. So wird der sinnliche Tagtraum in die gelebte Wirklichkeit übertragen. Deacons Bass wuppt passend wie in einem schrägen Walzer, von Mays Tiraden keck ´umjault´; die Beschwörungen werden handfest, und der von Mercury so schlicht und innig besungene Segen fällt nun endlich wie warmer Regen zur Erde herab. Die Kraft und die Herrlichkeit eines ausschließlich profanen Lebensgefühls zerstreut am Ende jegliche Zweifel:“ …that time will come, one day you´ll see, when we can all be friends…“

Die starke, tief empfundene, hautnah erlebte und alle Gegensätze glücklich einende Freundschaft also. Am (für seine Verhältnisse) bescheidensten und somit reinsten feierte Freddie diesen Aspekt in Friends will be friends, dasLiedhaft innig, fast schlicht daher kommt, und sicher erst dank Deacons Mitarbeit vom üblichen Schnörkel, dem allzu triefenden Ballast befreit wurde. Ganz von allein lädt das Stück zum mitsingen, mit summen, zum trällern und träumen ein. Mercurys Gassenhauer We are the champions feiert dann schon recht übergeschnappt eine Weltverbrüderung, die gewohnt majestätisch daher schreitet: erhaben und kumpelhaft zugleich. Die feste, alle Unsicherheiten und Zweifel, Widerstände und Gegenläufe brechende, ja Gegensätze einende Gemeinschaft ist ein Narkotikum, das berauscht. Dieses Gefühl der Gemeinschaft vermag, im Guten wie im Schlechten, nahezu alles. Der Einzelne wächst über sein peripheres Dasein mächtig hinaus; und bis zur Selbstaufgabe identifiziert er sich mit dem Ideal. Es besagt: du erreichst alles, was du dir vornimmst: wir schaffen es nämlich gemeinsam. Auch der Meister fiel als solcher nicht vom Himmel, wie sein trotz aller Ablenkungsmanöver vor Eigenverliebtheit triefende, nur oberflächlich Bekenntnishafte Text so unermüdlich versichert. Mit solchen Kniffen hat Mercury gern gearbeitet. Wenn er, zu Beginn dieser Monstranz, einsam am Klavier sitzt und sein ´Bekenntnis´ so nackt und rein zum Besten gibt, wie ihm das gerade noch möglich sein möchte, dann vergisst man für Momente das Lastende, Drückende täglichen Einerleis, und zwar ganz und gar: Freddies Beschwörungen adeln sogar, was zum aufbäumen animiert. Dies ist sein persönlicher ´Blut, Schweiß und Tränen´ Hymnus, der den Sekundärtugenden Fleiß und Ausdauer, Hartnäckigkeit und Durchhaltewillen selbstsicher schmeichelt und auf clevere Weise assoziiert, das wirklich jeder schaffen kann, was zeitlebens doch nur den wenigsten je gelingt oder gerät. Die Formel ist so simpel wie einleuchtend: Ich – Ihr – WIR. Das Lied ist eine Art Durchhalte-Hymne für alle geworden, denen es an entsprechendem Selbstwertgefühl, am Ego – an zähem Willen mangelt. Auch an gesellschaftlichen Voraussetzungen, an Fortune und manchem mehr. Ein Song im Grunde für Verlierer, die damit viel gewonnen haben. Ohne die üblichen, aufgeblasenen Posen konnte Mercury hier erst recht nicht auskommen, aber weil er seine Manie zu Beginn auf ungewohnt ruhige und stimmige Weise einzuleiten verstand, also: Bescheidenheit vortäuscht, konnte er den Hauptteil wie eine Erlösung feiern, und sein inniges, aufbrausendes Gemüt vermählte sich mit denen, die ihm bis hierhin wie benommen folgten und, an diesem magischen Punkt angekommen, wirklich alles glaubten. Der Refrain ist schon für das Stadion zusammen gereimt: die Arena wird zur ´Bowl of brotherhood´, die grölenden Fans mutieren zur Gemeinde verzückt und berauscht abschwitzender, seligst miteinander vereinter Seelen, die auf den Wogen eines alle Grenzen sprengenden Weltgeistes mit reiten. Surfin on the Soul of all Souls. Freddie spielt hier auf den Saiten einer Laute, die seine Fans unter Starkstrom setzt. Mit einem solchen Pathos konnten wohl nur noch die Stars von damals hausieren gehen. Deswegen funktioniert sie auch heute noch so unvermittelt. Eine narzisstische Neurose wie diese, in solche Musik gepackt, dermaßen an alle, an wirklich jeden gerichtet, wagt aber heute keiner mehr zu schüren – sicher aus Angst, sich dabei im Ansatz völlig lächerlich zu machen. Die heroische Epoche des Rock ist ohnehin längst vorbei, und Mercury war einer ihrer letzten, schillerndsten Vertreter. Bis weit in die Neunziger hat man versucht, den Geist eines melodramatisch angehauchten, auf Massenüberwältigung setzenden Pathos treffsicher zu kopieren, der unübertroffen bereits in You´ll never walk alone (Gerry and the Pacemakers) pulst und pocht. Auch und gerade im Heavy Metal verfing das Moment seligster Verbrüderung (vgl. Judas Priest: United). Der King of Pop und die Kings of Rock (Guns and Roses) versuchten sich auf je unterschiedliche, nicht immer geschmackssichere Weise am großen Gefühl für große Anlässe. In seiner ultimativen Stadionhymne sagt Freddie uns allen ganz einfach dies: ich bin der Größte, ihr seid die Größten – wir lieben uns in alle Ewigkeit, Amen.

V.

Die Liebe also. Sein Thema schlechthin. Durchgehend. Stets wiederkehrend und als solches allumfassend, All-erlösend. Zu hoch gegriffen? Gar nicht hoch genug. In seinen stärksten Momenten zelebrierte Mercury die Liebe wie eine echte, nie aufdringliche, und doch alles erschütternde, selbstherrlich wütende Naturgewalt. Nicht selten glich dieselbe einem warm abregnenden, sanft prasselnden Schauer, dem das ergreifende, mächtig ausholende Gewitter voraus stürmte: ein kathartischer Wolkenbruch, der alle Kräfte in sich barg und ballte, um sie im Siedepunkt zu befreien. Nicht immer löste sich so die Spannung. Doch blieb das mächtige Gefühl, als Prinzip. Liebeskummer war im Mindesten immer der hinreißend beklagte Weltuntergang; darunter machte er´s nicht. In der Liebe haucht und seufzt, schwelgt und schwoft Freddie wirklich bis an den Rand einer triefenden, schon etwas klebrigen Soße. Noch die harmloseste, täppische Liebelei gerät ihm zur Herzschmerzenden, feierlich umfieberten Seelenblöße; das Rendezvous wächst sich zur tastenden, innerlich glühenden, nach außen hinreißend verklickerten, kitschkackigen Märchenstunde aus. Immer eine Beglückung zeitigend, die stärker ist als alles auf der Welt. Liebe wird dann zur passenden, reich ausstaffierten Kulisse, die der zusätzlichen ´Special-Effects´ bedarf, um in ganzer Pracht glänzen zu können: als riesele Sternenstaub wie flimmernder Flitter zur Erde herab. Nur im Zusammenhang mit der Liebe konnte und wollte sich Mercury überhaupt eine Art Leiden, etwas wirklich Abgründiges, wenn man so will: das Problematische vorstellen. „Ich bin besessen von Liebe,“ erklärte er Mitte der Achtziger,“ aber ist das nicht jeder? Die meisten meiner Songs sind Liebesballaden und Dinge, die mit Traurigkeit und Folter und Schmerz zu tun haben. Es scheint, als schreibe ich eine Menge trauriger Songs, weil ich eine tragische (!) Person bin. Aber es gibt immer ein Element von Humor am Ende. In Dingen der Liebe hat man nie die Kontrolle, und ich hasse dieses Gefühl.“

Die Liebe fasste er als kraftvolle, unwiderstehliche Bejahung auf; die einzige zugleich, der er umfassend und ohne Umschweife das Recht zubilligte, ihn bis in die letzte Faser seiner bebenden Seele hinein zu verfolgen und zu beherrschen. Vielleicht zeichnet das die echte, die wirklich umfassende Hingabe aus: bis zur totalen Selbstaufgabe. Im anderen sieht sich diese Liebe weniger ergänzt, mehr jäh erfüllt: trunken in dem Wahn, einer Vollendung nachzufühlen die sich dabei unmerklich aufbraucht und hoffentlich verjüngt. Der ´Partner´ wird innig umworben, vor Verlangen schier verschlungen, und dennoch bleiben beide dem unverbindlichen Reigen verpflichtet, der zu nichts verpflichtet, aber umso zwingender in einen situativen Taumel reißt; die Liebenden bis zur Erschöpfung treibt. In Play the game gleicht dieser sympathische Größenwahn einer Beglückung, die nach keinen Gründen mehr zu fragen hat. Liebe heißt hier schon dem Titel nach: spielen, tändeln, necken und herzen, tollen und tosen, und das hat vor allem etwas mit voll ausgelebter Freiheit zu tun. Die korrespondierenden Gefühle sind so universal wie banal, körperlich erregend und knapp auf den rechten Punkt gebracht, den ultimativen G-Punkt sozusagen. Die sengende, sehnsüchtig fiebernde Seele trächtigt sich im Taumel selbst, der tatsächlich ´unter die Haut´ geht, doch ohne Kopfschmerz oder Bauchweh zu verursachen, das dämpfte nur den Überschwang. In diesem Lied verliert sich sein Schöpfer ausnahmsweise einmal nicht in maßloser Schwelgerei. Er hält sich aber auch keinen Moment lang mit der üblichen ´Beziehungskiste´ auf. Man achte darauf: derlei ´Krisen´ kommen in seinen Liedern nicht einmal als Posse vor. Denn die Sache, das Spiel: soll und muss vor allem Spaß machen, wieder und wieder. Der Rest, mag er noch so groß oder gewaltig tun, als bloße Beziehung, gleicht nur einem schnöden, faden Abfluss. Mercury stimmt also einen Tanz an, der gar nicht enden soll, und seine Worte gefallen sich in dankbarer, nie demütiger Verzückung, die fast schon wieder männlich, also auch weniger süßlich als bei ihm üblich wirkt. Die Balance stimmt. Das Allerweltsthema reizt er gerade hier auf betont feierliche Weise aus: die Liebe bekommt einen beinahe heldenhaften, stolzen Ritterschlag verpasst. Der Vortrag wird von einer simplen, vielsagenden Melodie vornehm umfächert; eine, die trotz aller Eingängigkeit nie einfältig wirkt und so großmütig und nobel tönt wie bei einer feierlichen Prozession. Hehrer Adel pocht aus stolz gereckter Brust. Brüderlich und von tiefer, nie zweifelnder Verbundenheit getragen, klingt das Hauptthema ungemein kraftvoll und bezwingend, ohne jenen verdächtigen Schwulst, der nur im Mittelteil mit der ihm eigenen Leichtigkeit auftrumpft.

Man sollte verstehen, dass die Liebe als ´Beziehungskrieg´, in Form umständlicher, grausiger Verstrickungen, in ihren Nerv tötenden, nie enden wollenden Litaneien, einem wie Freddie kaum zum Thema werden konnte. Es gibt kein einziges Lied, das er dieser thematischen Widrigkeit unterzogen hätte, und wo er den Zusammenhang andeutet, geht er nie ins Detail, weil dies dem Pathos abträglich wäre (z.B It´s a hard life). Es sind die starken Gefühle, die großen Emotionen, die er unablässig sucht und findet und immer wieder verlieren muss. Das wundersame Aufblühen, als Strotzen, Sprießen, Keimen: kommt nicht ohne Herbsttod aus. Vielleicht kann man diesen Spleen mit den Gedankenlosen Metamorphosen einer dem Licht zugeneigten Pflanze vergleichen, die im lautlosen Duft für kurz ihr Wesentliches gibt, indem sie es verschenkt – und fertig. Mitunter gleicht der Affekt auch einer Frucht, die jäh zerplatzt. Noch im Vergehen versprüht sie ihren Zauber.

Hört man Love of my life im schwülen, ´überzuckerten´ Original, fällt auf, wie echt und innig die triefende Tirade dennoch wirkt, weil ihre tastenden Liebkosungen unmerklich den Schleier des Banalen lüften und so den Moment tief empfundener Liebe ins Universelle schrauben. Derart entfaltet eine zunächst unscheinbar und beilläufig dudelnde Weise ihren ganzen Charme: kindlich und naiv, und doch nicht jungfräulich, denn wie ein unterirdischer Strom begleitet die Melancholie den sanft wogenden, zartseidenen Lauf. Irgendwie traumverloren tastet sich eine verzückte Wehklage entlang stimmiger Sentenzen, ohne einen abschließenden Höhepunkt zu erreichen; auch hier wieder vom unvermeidlichen, aber gehemmt wirkenden Pomp begleitet, der die schlichte Fassade pudert, hinter der ein blutendes Herz pocht. Hinreißender kann man sein Liebesweh gar nicht besingen. Menschen, die so leiden, erleben in einem einzigen Augenblick mehr als andere ein ganzes langes Leben lang. Auch hier eint Freddie die Gegensätze. Seine Trauer gefällt sich in seliger Verzückung, und als Sehnsucht umkreist sie in fast heiterer Manier das goldene Kalb ihrer Erlösung. So bleibt dauerhaft in der Schwebe, was als Andeutung merklich an Schwere gewinnt: wie eine mit Tränen der Trauer gefüllte Wolke. Die begleitende Unschlüssigkeit beschwört im Ergebnis nur das zum Scheitern verurteilte große Glück. Über die große, tief empfundene Traurigkeit schmachtet sich der Verfluchte zur jauchzenden Glückseligkeit empor. Der prätentiöse Schmachtfetzen könnte thematisch jedem x-beliebigen Groschenheft entnommen worden sein. Macht gar nichts. Die zögerlich und zaghaft, doch nie schleppend oder mühselig vorgetragene Ballade, den Liebeskummer wirklich auf eine einsame Spitze treibend, behandelt den Trennungsschmerz so, als handele es sich um ein irisierendes, sämtliche Potenzen aufreizendes Opiat, das ein schwindsüchtiger Jüngling wie süßen Wein in sich hinein schlürft, um selig daran zu verrecken. Beim zuhören fühlt man weniger den Schmerz, mehr eine Verzückung, die jegliche Divergenzen bannt und damit heiße Tränen löst. Um sich selbst bis zur letzten Neige zu genießen. Eine eigentümliche Transparenz umspannt die darbende und doch selig stimmende Litanei, deren Theatralik wiederum, den Zustand tiefer Tristesse unter Wehen feiernd, entfernt an jüdische Volkslieder erinnert, deren heitere Melancholie noch vom großen Schostakowitsch dankbar in Erinnerung gerufen wurde. Selbst im bereits erwähnten It´s a hard life erstickt die Wehklage an einer Art wonnigem Wohlklang, und erfrischend ´abgespeckt´ präsentiert er hier seine Effektsüchtigen Extravaganzen und Eskapaden. Sicher: der Schwulst schwurbelt immer ein wenig (und etwas mehr) mit. Das sei ihm verziehen. So einem verzeiht man im Grunde sowieso fast alles.

An der grandiosen Bohemian Rhapsody ist schon allzu viel herum gedeutelt worden. Mercury selbst gab je nach Laune ganz unterschiedliche Kommentare zum Besten. Überdies versicherte er umso glaubhafter, keinen blassen Schimmer zu haben, worum es in seinem Lied eigentlich gehen könnte. Das war wohl wirklich die ehrlichste Antwort, die einer wie er geben konnte. Sie fiel denn auch jedes Mal anders aus. Ein herrlich zwitschernder Paradiesvogel kennt sich weder mit Ornithologie noch mit den überlieferten Techniken angemessener Stimmführung aus.

Was könnte es mit dieser ´Monstrosity´, die auf knapp sechs Minuten Spielzeit kommt und dennoch zum Hit wurde, auf sich haben? Die Bezeichnung ´Rock-Oper´ gleicht schon einer begrifflichen Verlegenheit. Sie auf eine Art Musical im Kleinformat zu reduzieren will mir nicht minder einfältig vorkommen. Worum handelt es sich dann? Mercury schnürt, so scheint es, einander fast beißende stilistische Elemente in ein sehr enges Korsett, aber der Song ´schwitzt´ überhaupt nicht dabei und die Minuten vergehen wie im Fluge. Den eigenen inneren Zwiespalt, der ihn zeitlebens plagte, hat sein Schöpfer nie wieder so vielsagend beschworen wie in diesem gerundeten Stück Unterhaltung, an dessen kommerzielle Durchschlagkraft keiner außer Freddie glauben mochte. Der aus lauter Divergenzen zusammen geschmiedete Nummer-Eins-Hit hob sich überzeugend vom Gros ähnlicher, indes für´s lange Album konzipierter Ergüsse ab. Triefen tun sie alle Nase lang, aber hier löst sich doch ein guter Tropfen seltenes Öls aus den gespreizten Nüstern. Mercury legte es gar nicht darauf an, elitär, gar progressiv zu wirken. Sicher hat er auch auf dieses Lied keine großen Gedanken verschwendet, vielmehr folgte er instinktiv seinen Manen. Der große Claude Debussy versicherte gegen Ende seines Lebens, er habe einfach nur seinem Temperament freien Lauf gelassen. Das tat Freddie hier nicht minder. Der spielerische Übermut, divergierend bis zum Exzess und darüber hinaus, lässt vermuten, dass es sich hier um eine echte Eingebung im wahrsten Sinne des Wortes handelt. Die Kühnheit, mit der er weibliche und männliche, sanfte und harsche, Handfeste und vieldeutige Akzente munter gegeneinander ausspielt und darob ohne große Umstände und Ausflüchte im weiteren Vollzuge miteinander versöhnt bzw. in Deckung bringt, setzte Maßstäbe, an die der Schöpfer selbst nie wieder heranreichte. Das tat in dieser einzigartigen Form auch sonst niemand mehr, wir kennen ähnliches nur noch von Barry Ryan (Eloise). Vor allem die stimmlichen Phrasierungen, die so hauteng aneinander gerieben werden dass es knistert, berauschen förmlich. Die Art, wie Mercury auf engstem Raum emotionale Antagonismen ineinander flicht oder gleichnishaft spiegelt, wird vom begleitenden, mitunter aufbrausend, ja lärmend vorgetragene Bombast nicht erstickt. Effektheischerei mochte, etwa beim Artrock, zum dauernden Geschäft gehört haben. Am Ende zählt indes, wie stimmig die Effekte tatsächlich aufeinander abgestimmt werden. Ein vollendetes Kunstwerk erkennt man daran, dass der begleitende Aufwand als solcher gar nicht mehr bemerkt wird. Das ist hier zweifellos der Fall. Nahezu ´Kinderleicht´ wirkt, was unter unendlichen Mühen im Studio umgesetzt wurde. Freddie scheute keine Überstunden, hatte ihn einmal das Feuer gepackt.

Der erste Abschnitt wird vom Gefühl der Trauer, von einer Art Abschiedsschmerz beherrscht. Über weite Strecken eher verhaltenen vorgetragen, von heroischer Noblesse getragen, die nur selten einmal, als Abrundung einer bedeutungsschwangeren Zeile aus sich heraus geht („…but now i´ve gone and thrown it all away…“) merkt man dem Schöpfer dieser vieldeutigen Wortspiele einmal mehr die tiefe seelischer Erregung, die Leidenschaft an, die ihn zeitlebens trieb. Der vornehme Weltschmerz Byron´scher Prägung wird in tastender, zurückhaltender Manier sehr überzeugend, sehr eingängig heraufbeschworen. Im korrespondierenden Schlussteil verklingt dieser umso lyrischer, indem er sanft abgleitet und endlich stirbt, wie eine welke Blüte, die ihren Duft noch einmal in müden Zügen verhaucht: ganz dem ´Leben zum Tode´ geweiht. Ein Kreis schließt sich; noch zu Lebzeiten. Irgendwie tröstlich tönt, was im Grunde das Eingeständnis tiefer Ratlosigkeit bleibt. Der Existenz in ihrer fleischlichen, sterblichen Bestimmung so kühn wie klaglos verpflichtet, scheint der Sänger hier, obschon alles nach Abschied klingt, einen Aufbruch zu beschwören, dessen bitter-süsses Ende er schon vorausahnt. Das kaum erlösende, mehr die unerträgliche Spannung grell übertönende Mittelstück ist eine von verwirrend vielfältigen, alles zerschmetternden Fanfaren weniger getragene, eher gehetzte Hypertonie, als infantile Groteske, die den Irrwitz bis zur Unkenntlichkeit bläht, bevor das rockige Anschlussthema den verspielten Hydrentanz beendet bzw. hinfort fegt. Es kitzelt gleichzeitig den ´echten Kerl´ aus Mercury raus und gibt dem Stück Schneid, Schärfe – Zunder. Hier hat er sich ausnahmsweise einmal die Hausaufgaben vom Gitarristen abgeschaut. Im Grunde ist das Lied schon sein Vermächtnis, eine Art vorweg genommener Schwanengesang. Mehr noch, kommt in dem Dualismus aus Feinnervigkeit und forschem Dröhnen, sensibler Erschütterung und kraftstrotzender Stärke der ganze Freddie zum Vorschein. Denn er war, zeitlebens, immer beides: extrem zartfühlend, sinnlich elegant, sentimental sehnsüchtig, feminin schmachtend und schweißtreibend männlich, schwitzend vor Machissimo, brutal körperlich – ein Brett von Mann. Sowohl in seiner Glamphase als auch später in Jeans und Unterhemd, als Muskelmacker oder in Hautengen Strampelhöschen: war er dünnhäutig und kraftmeiernd zugleich. Daneben bot er viel Pomp und Pathos auf, und in der Bohemian Rhapsody kommt all das eben unvergleichlich, ich möchte meinen: nahezu perfekt zum Ausdruck.

Freddie zehrte zeitlebens vom Überschuss: von einer schier ausufernden seelischen Ergriffenheit, die sich erst mittels starker, überlebensgroßer Emotionen gültig Geltung verschafft. Manchmal benötigt die Erschütterung auch einen Ausgleich, dann tritt sie eher verdeckt in Erscheinung, in Form banaler Tändeleien, man nehme etwa das reichlich täppische Delilah, wo der Künstler einer Katze huldigt. Doch ganz gleich, welchem bloßen Anlass sich der Überschäumende thematisch widmete um seinen Gefühlen Ausdruck zu verschaffen: durchweg blieb er dem Irdischen treu. Für etwas Über-Sinnliches fehlt ihm jedes Verständnis. Das Sinnliche selbst ist ihm gefühlte, schnell zauberhafte Realität. Er muss sie nicht neu erfinden oder umständlich erklügeln, biestig erzwingen oder auf Biegen und Brechen herauf beschwören. Freddie feiert in seinen Songs, was er fühlt: unter Tränen tiefster Trauer oder Jauchzern seligsten Glücks. Wie in einem Rausch. Als ein wahrlich Getriebener, gehetzt vom Verlangen, den kostbaren Moment noch einmal zu überbieten, zu übertrumpfen, zu überwältigen – ein vielleicht letztes Mal.

Das spontane Aufwallen der Gefühle, für die Mercury lebte, streckte er oft mittels fragwürdiger, dem Song nicht immer zuträglicher Geschmacksverstärker. Zwecks Erreichung maximalen Ausdrucks blähen sich die Romantizismen, wie denn die ganze hinreißend abgeschmetterte Herz-Schmerz-Keule auch erschlägt, ja ernüchtert, holt man zu weit aus. Wessen sich der Schöpfer vielleicht schon im nächsten Song wieder schämte. Da wurde der Aufwand dann durch nicht minder mühselige Winkelzüge ersetzt. Menschen, die künstlerisch aus dem Vollen schöpfen, überheben sich leicht. Das machte aber insgesamt den Mercury-Stil aus. Und es spricht für ihn, dass er, allen Hypertrophien zum Trotz, dennoch auf dem Teppich blieb. Der mochte ein fliegender sein, aus tausendundeiner Nacht: sein ´Passagier´ blieb doch dem handfesten Himmelssturm treu, für irgendeine Esoterik jenseits des Äthers konnte sich dieser Phantast nicht erwärmen. 

Wir berühren hier einen sehr sensiblen Bereich. Da kann es leicht zu Verwechslungen kommen. Für den Sänger zählten, um es zu wiederholen, nur die Verkörperungen reiner Sinnlichkeit; als Erscheinungen, die dem klaren Augenschein entsprechen. An denen entzündete sich sein heißes Verlangen; eines, das nicht nach dem Woher oder Wohin fragt. Philosophisch gesprochen: es gibt in der Welt solcher Menschen kein ´Ding an sich´. Sie schöpfen, ganz bewusst, ´nur´ aus Illusionen, die voll und ganz der erlebten Wirklichkeit – keiner bloß erklügelten Wahrheit – entspringen. Letztere tritt nicht einmal als Fassade oder in Erscheinung. Das Fassbare, als ein mit Haut und Haaren Erlebtes und Empfundenes: zählt.  Freddies Songs wurden zu Projektionsflächen seiner Sehnsüchte und Leiden; des Überschwangs in allen nachweisbaren Facetten. Daneben galt die ´Sache´ wenig, zählte sie nicht gleichzeitig zum kostbaren Inventar. Das nur Banale, das bloß Gewöhnliche und ewig Alltägliche fasst Mercury, immer dem Erlesenen auf der Spur, nicht einmal mit der Kneifzange an. Schon vor jedem Zugriff entscheidet bei echten Gemütsmenschen der Instinkt, ob ein ´Objekt´ verzaubern kann oder nicht. Dann mag es so nichtig scheinen, wie es will: der Magier entlockt ihm Süsse oder Bitternis. Das scheint für Freddie überhaupt die Messlatte gewesen zu sein und das macht ihn in meinen Augen zum sympathischen Tagträumer: einer, der seine Inspiration eben doch aus einem unsichtbaren, immer unterirdisch strömenden Quell schöpft. Aus sich selbst. In seinen Liedern beschwor er immerzu, überwältigt vom Gefühl, den resultierenden Rausch, als bloße Entladung oder Entfaltung; oft in ehrfürchtiger Ergriffenheit befangen, dann wieder freudig erregt oder schmerzschmachtend bis zur Groteske. So lockte er, sinnbildlich gesprochen, den Geist aus der Flasche. Das geschah zum Schluss in ungewohnt milder, schon ein wenig altersmüder, sagen wir: graumelierter Manier. Etwa Made in Heaven: Von einem lockeren, luftigen Rhythmus getragen tönt der Herzschmerz hier bereits verhalten und wie in Watte verpackt. Eine herbstliche Reife strömt uns entgegen. Am besten kommt das immer noch im Original zum Ausdruck, wiewohl es im Vergleich zur späteren, ein wenig gesalbten Fassung etwas altbacken wirkt. Übrigens mutet der Titel recht irreführend an. Es ist gewiss nicht das Verlangen nach jenseitiger Erlösung oder befreiender Transzendenz gewesen, die ihn hier trieb. Weiland Richard Strauß meinte einmal, im Blick auf die umständlichen musikalischen und weltanschaulichen Anläufe seines Antipoden Gustav Mahler:“ Wovon will mich der Mann eigentlich erlösen?“ Mit ähnlichem Unverständnis wird Mercury all jenen begegnet sein, die ihn um Auskunft nach dem ´tieferen Sinn´ seiner Lieder baten. Das viele Fragen nach Sinn oder Unsinn allen Geschehens, nach Ursache, Grund oder Ziel, nach einem Plan oder irgendeiner, im Grunde austauschbaren Bestimmung: war seine Sache nie. Solchen Spekulationen entriet er gleichsam aus Instinkt. Und so ist es in diesem Song auch nicht der sakrale Überbau, den Mercury meint. Er beschwört vielmehr den zur mittäglichen Stunde am hellsten aufleuchtenden, herrlich blauen, weitgespannte Himmel. In diesem Lied erscheint derselbe wie ein freundlich schimmernder, alle Gegensätze auslöschender, Raum und Zeit versöhnender Tagtraum. Immer von ferne lockend. Doch Hautnah zu spüren, kraft einer Sonne, die kein Wölkchen trübt. Überwältigend also im unerschöpflich flutenden Glanz. Es ist, etwas genauer, der Himmel des Rokoko: satt und cremefarben, bevölkert mit nackten Putten, die sorglos herumalbern, einfach nur tanzen und spielen, und Mercury feiert eben ´nur´ diese reine Diesseitigkeit, für welche die kecken Gestalten hoch droben so putzig Pate stehen. Sein Himmel ist keine Hypothek, kein Trostpflaster der Folgsamen für später, kein Aufschub ohne Garantien, sondern eine ehrliche Einladung an die tatsächlichen, guten Mächte des Lebens. Hier. Und jetzt. Denn die Menschenkinder sollen der Erde treu bleiben, solange sie leben, dann lacht ihnen auch der Äther.

Streifen wir, passend zu diesem Stück, die erste Solo-Platte, wo er einmal ganz aus sich selbst schöpfen konnte, ohne auf das eingespielte Team Rücksicht nehmen zu müssen. Sie ist schon ein Abschied, aber das merkte man ihr, die ganz poppig und betont trendy rüber kam, damals noch nicht an. Merke: Erst mit der Zeit und ihren Launen wächst sich das kunstvolle Gebilde zu einer eigenen, nie ganz abgeschlossenen Gestalt aus, die aus den Tiefen der Vergangenheit schöpft und so dem Wandel der Zeiten entspricht.

Seinem Hang zur Albernheit, zu unverbindlichem Schabernack und zotigem Scherz lässt Freddie hier öfter freien Lauf, doch dämpft die begleitende Tragik eine allzu überkandidelte Spottlust. Das später im gängigen Disco-Style neu abgemischte und damit leider etwas zu glatt gebügelte Living on my own verdeutlicht den Zusammenhang. Obwohl das Original mit gefälligem Geklimper unterlegt ist und im sperrigen 80er Stil wuppt und jazzt, tönt die Wehklage, als geronnener Weltschmerz, so unvermittelt, so hart und direkt, das es einen, den turtelnden Wortgirlanden zum Trotz, fast körperlich schmerzt. Die Verzweiflung schlägt um in Hysterie, und ein wirres, an Sinatra erinnerndes Tamtam (Di do de di – di do de di) überspielt eine durchgehende, durch nichts zu besänftigende Verzweiflung, die den Charmeur packt und wie ein angeschossenes Reh vor sich her scheucht. Die vielen Parties betäuben nicht länger, und der pausenlose Nachschub williger Lover ermüdet bloß noch. Es hängt ihm alles nur mehr gärend zum Hals heraus. Dennoch ist die schnelle, oberflächliche Zerstreuung der einzige Weg für einen wie ihn, dem Irrwitz zu entweichen:“ Got to be some good times ahead.“ Doch Gevatter Schmerz, dem er sich auf seine Weise stellte und manch trief-trauriges Denkmal setzte (z.B in My melancholy blues) will einfach nicht weichen. Das Bewusstsein, nicht erlöst werden zu können, wächst sich zu einem erregenden Schauder aus und die begleitende, immerzu angedeutete Trauer gleicht einem sehnsüchtigen, wiewohl vergeblichen Stosseufzer. Hier scharwenzelt einer herum, der einfach die Einsamkeit nicht mehr erträgt: nirgends entrinnt er ihr. Wut und Verzweiflung wechseln einander als Affekte ab, werden unter Qualen irgendwie in Kraft umgesetzt, doch die läuft immerzu ins Leere, ins Nichts. Schrille Trompeten begleiten eine Litanei, mittels derer die verbliebenen Klagelaute wohltätig niedergewalzt werden. Living on my own – suffer all alone. Er hatte sein Dilemma klar erkannt (There must be more to life than this), wich aber nicht mehr vom einmal eingeschlagenen Wege ab. Wenn endlich alle Stricke reißen, bleibt einmal mehr die romantische Vorstellung vom einen, einzigen Moment, der alle übrigen aufwiegt und die lastende, drückende, nicht enden wollende Zeit wenigstens auf Abruf verscheucht: Love me like there´s no tomorrow. Man muss eine tiefe Ahnung von dieser Zeit und ihren Tücken haben, um den Horror nachzufühlen, der sich hinter einer so scheinbar beiläufigen Aussage tatsächlich verbirgt. Mercurys ´Glücksrittertum´ kommt hier sehr trennscharf, allzu deutlich zum Ausdruck. Als Hasardeur des Augenblicks litt er unter der Gewissheit, dass sich im Banalen, im bloßen Vollzug des Lebens die begleitende Monotonie ins Unermessliche und damit Unerträgliche streckt. Denn je tiefer man dem Rausch verbunden blieb, umso ernüchternder geriet doch der Kater. Gunther Sachs verglich das Glück mit einer freudigen Stichflamme und stellte erschrocken fest, wie furchtbar eine erstarrte Sekunde bis zur Ewigkeit sein müsse. Al Pacino zitierte einen berühmten Zirkusartisten mit den Worten:“ Da oben auf dem Seil leben wir. Der Rest ist nur warten.“ Das sei, so beteuerte der Schauspieler, auch sein Leben. Keith Richards befand auf seine alten Tage, er hätte wohl nie ein Drogenproblem entwickelt, wäre sein Leben eine einzige ununterbrochene Tournee gewesen:“ Es entsteht in der Leere nach dem Rausch, wenn die Euphorie verfliegt.“ Jim Morrison, in Interviews gern weitschweifig und Gedankenschwer, ´outete´ sich einmal als intelligenten, sensiblen Menschen „mit der Seele eines Clowns, die mich im entscheidenden Moment dazu bringt es zu vergeigen.“ Ganz ähnlich hat sich auch der Volksschauspieler Harald Juhnke einst vernehmen lassen. Er sei eine glücklich-traurige Type: einer dieser Verzweifelten, die ewig suchen und nie finden. Solche jagen allzu schnell zum Teufel, was ihnen ohnehin nie gehörte, und wie im Fieber suchen sie erneut. Er sei, so Juhnke in seiner letzten Co-Autobiografie, “ein verträumter Doppelkopf, der zufrieden ist mit dem, was er hat und sich gleichzeitig davon eingeengt fühlt. Nicht nur bis zum üblichen Unmut eingeengt, wie ihn wohl jeder und jede manchmal kennt: bis zur Atemnot eingeengt. Ein Ruheloser, der, wie soll ich sagen, am Wahnsinn der Normalität krepiert.“ Solche werden von den émotiones fortes´, den starken Gefühlen, getrieben; aber wo findet man die schon im täglichen Einerlei? Der Weltenbummler Peter Scholl-Latour fand sogar, dass sie das einzige seien, was vom Leben am Ende überhaupt bliebe. In einem Interview zu Beginn der 80er Jahre brachte er diesen Gedanken schön auf den Punkt:“ Und dann gibt es ein paar Höhepunkte, das gibt es auch in der Erotik, die gehört auch dazu. Ich glaube, aus dem kurzen Leben, das uns gegeben ist, ein Maximum an starken Erinnerungen heraus zu kristallisieren. Was ist einem als Mensch mehr gegeben?“ Love me like there´s no tomorrow: einzig der Augenblick rettet, indem er für Momente erlöst, als reine, alle Sinne spannende Gegenwart, deren Essenzen sich rasch wieder zerstreuen. Denn immer sieht sich das Außergewöhnliche vom allzu Gewöhnlichen, vom üblichen Betrieb umlagert, belästigt – bedroht. Blass und blutleer, zum verrecken beiläufig kommt und geht es daher, und das Glück der Sekunden weiß doch im nämlichen Moment nichts von dieser Galeere, deren Ketten unaufhörlich rasseln. Die intensiv empfundene Gegenwart existiert nur auf Kredit, den endlos lange Durststrecken zum Trotz, aber das Wunder der Liebe erlöst. Immer im bestimmten, doch nie vorhersehbaren Moment. Augenblicklich also. Mercury verzehrte sich nach diesen kostbaren, intensiven Momenten. Einzig für sie lebte, litt er; auf sie allein zielte all sein Tun, und aus ihnen schöpfte er, um sich über die öden Runden zu retten. Dem dauernden Warten, in all der Leere nach dem letzten Rausch, begegnete er hektisch und wie ein zum Tode Verurteilter. Je maßloser die kostbaren die wenigen Minuten oder Stunden sich gebärdeten, umso ausgleichender machte sich das Nichts in Folge breit. Dem er immer wieder, in ständig neuen Anläufen auswich. Die Tragik bestand für Freddie wohl hauptsächlich darin, dass er nichts von all dem wirklich festhalten konnte, um es im Sinne Scholl-Latours als ´starke Erinnerung´ einmal in aller Ruhe genießen zu können. Atemlos gierte er nach immer neuen, immer größeren Highlights, und er gönnte sich eben keine Pause dabei. Zur ruhigen Kontemplation, als einer gemächlichen Beschaulichkeit, die den angehäuften Reichtum zahlloser kostbarer Momente einmal innerlich auskostet, war er nicht geschaffen. Auch der um Jahre älter gewordene Gunter Sachs glich zeitlebens diesem Typus des verzweifelt Hetzenden. Kunstsinnig und dem Erhabenen zugewandt, ja das eigene Leben fortgesetzt in diesem Sinne inszenierend, nichts dem Zufall überlassend, aber immer wie von Teufelshand getrieben, kaum je schlafend, selten einmal (aus)ruhend, pausenlos jet-settend, umtriebig und nervös, und am Ende so erschrocken, ja entsetzt angesichts eines bevorstehenden Siechtums im Alters: dass auch er sein Leben schließlich wegwarf.

Mercury erschrak nicht minder, als es endgültig an der Zeit war. Davon kündet sein ungewohnt düsteres, an Led Zeppelin erinnerndes Innuendo: das wohl rätselhafteste Stück Musik, dem er je seinen eigenen Stempel aufdrückte. Hier kündigt sich eine letzte, sehr männliche Reife an. Mercury konnte seine Ratlosigkeit, die ihn mit einem verhaltenen Schauder erfüllte, nicht länger verbergen. Umso tiefer sah er jetzt in einen Abgrund, dem er zeitlebens mit lockeren, nicht ungefährlichen Sprüngen ausgewichen war.

Der Text zu dieser sehr epischen Musik verharrt in vieldeutigen Metaphern. Ihre majestätische Wucht überwältigt. Mercury neigte nie zur Depression, er glich in seinen trüben Momenten eher dem an Gefühlen erstickenden Melancholiker, der den bitteren Schmerz tief in sich aufsog, anstatt vor seiner Gewalt zu verzagen oder zu erstarren. Er gab der Verzweiflung kein Gesicht, trug die begleitende Trauer mit sich selbst aus und presste in kostbare Preziosen, was ihr Wesentliches ausmachte. Innuendo ist ein gewaltiger, fast epochal anmutender Abgesang, das Vermächtnis eines Mannes, der weiß, das ihm nicht mehr viel Zeit bleiben wird. Hier gerät die Vision endgültig zur Allegorie, zum Schicksal in seiner faustischen, im Uferlosen versandenden Vollendung: die weiß um alle offenen Fragen, kennt keine Antworten und bietet keinen Rat. Der Weltschmerz, in Bohemian Rhapsody noch Maskenhaft umspielt, wird jetzt verräterisch enthüllt, sozusagen in nackter Reinheit dargeboten. Freddie hatte Anwandlungen solcher Art entweder kokett und tänzerisch umworben oder aber theatralisch beklagt. In diesem Stück gerät der Affekt zum melodramatischen Ereignis; überindividuell, in seiner ganzen kosmischen Wucht und Unerbittlichkeit. Schwer und schleppend schafft das Hauptthema Berge von Wolken herbei, die alles überschatten, und der kurze Mittelteil, bedrohlich eingeklemmt zwischen den mächtigen, sich bis zum Ende auswachsenden Doppelblöcken, beschwört nur mehr ängstlich den verblichenen Überschwang. Die Lebensfreude verblasst. Sie hat sich vergeudet. In diesem Stück offenbart uns Freddie an spärlicher Stelle noch einmal auf verzückte Weise sein altes, nunmehr überlebtes (nicht widerlegtes) Credo. Von einer kleinen, Operettenhaften Melodie freundlich gestimmt, tönt eine hübsche Weise, aber umso kläglicher verklingt schließlich die perlende Gitarre, verreckt das Thema, zerrinnt das schmale Bächlein. Glaube und Zuversicht werden zermalmt von den Allgewalten kosmischer Indifferenz, und seltsam verloren, ja irrlichternd tönt dieser kurze, burleske Spuk, bevor er völlig verstummt. Mit Innuendo schloss sich ein magischer Kreis, doch der ernste Abgesang nötigte seinem Meister keine ernsthaften Erklärungsversuche mehr ab; er blieb sich, nach außen, auch weiterhin treu und tat, als sei alles beim Alten. Zum Titel befragt, äußerte er nur:„ Innunendo ist ein Wort, welches ich oft beim scrabbeln gebrauche. Für Queen ist es ein perfekter Titel.“ Fertig. Auf den düsteren Text und das unheilvolle Thema ging er mit keinem Wort ein. Ganz Freddie. Zu stolz und zu kultiviert, um sich auf handelsübliche Weise zu entblößen. Der Schmerz macht vornehm und er trennt.

The show must go on, der letzte Titel auf der Platte und nach dem Ableben des Meisters als ausgekoppelte Single sogleich in neun Ländern der Erde Nummer Eins,ist die Light-Variante jenes Entsetzens, das dem Titelstück unterschwellig wie ein böser Malstrom zusetzt. Hier wird das Todgeweihte Leben noch einmal mit Macht verklärt, kaum erlöst. Fast scheint es, als habe der Sänger zuvor noch einmal Nietzsches Worten Treu und Glauben geschenkt; das nämlich der Mensch, am Unsinn allen Seins verzagend, dennoch der Erde treu bleibe:“  Whatever happens, I’ll leave it all to chance. Another heartache, another failed romance. On and on…” Die Nummer gehört zu den wenigen wirklich traurigen, schwermütigen Liedern, denen Mercury allerdings nur den Text lieh. Darin beteuert er verzweifelt, seinen Manen treu bleiben zu wollen, aber die Trauer will nicht weichen, und selbst eine kurze, pathetische Verirrung, die den durchgehenden Moll-Ton plötzlich und unerwartet durchbricht und noch einmal das Illusionäre über alles stellt, kann daran nichts mehr ändern: die Illusionen sind zerstoben und können nicht mehr aktualisiert werden, wie denn die begleitende Schwermut dadurch nur noch verstärkt und ins Unerträgliche gesteigert wird. Als das Lied im Radio rauf und runter gespielt wurde war der Heimgang des Helden noch ganz frisch; mit Händen greifbar. Das Pathos überlebte seinen Träger auf die ihm gemäße Art.

Encore

In seinen stärksten Momenten entfachte Freddie Mercury nahezu mühelos die ganz großen Gefühle, deren spielerisches Eigenleben wiederum dafür sorgte, das nie Langeweile aufkam. Am Gegensätzlichen entzündete sich hier die Spannung. Nicht selten verpuffte sie schon im Ansatz. Der Glätte und Gefälligkeit entging dieser Künstler oft nur um Haaresbreite, nicht selten aber ging er ihr auf den Leim; dann troff die Soße über. Doch wenn er, in einem einzigen Song, Trauer in Glück oder Wehmut in Überschwang verwandelte, dann geschah dies meist auf überwältigende Art und Weise: nichts stieß sich dann, denn er flocht die Divergenzen auf recht raffinierte Weise ineinander. Das seine besten Lieder wie aus einem Guss wirkten lag eben auch daran, dass ihr Schöpfer es selbst war, in all seiner Widersprüchlichkeit: ein in sich schlüssiges, tragikomisches Gesamtkunstwerk. Freddie bevorzugte die Sonnenseiten eines Lebens, das sich unbekümmert selbst genoss; seine impulsive Männlichkeit setzte dem immerzu die Krone auf. Frühlingshaft bebend, heiß vor Erwartung, vor umfänglichem Verlangen: glichen die entsprechenden Konvulsionen den Wetterwechseln im April, wenn Wolkenbrüche und Schönwetterkaskaden einander ungestüm umfangen, ja becircen, Licht und Schatten in schneller Abfolge zeitigend, darob den nahen Sommer immerzu ankündigend. Passend zum Filmklassiker könnte man wirklich sagen: er tanzte, all die Jahre, immer nur einen Sommer lang.

Das, was ihm zahlreiche Kritiker pausenlos vorwarfen, war in Wahrheit seine Stärke, ein Pfund, mit dem er wucherte: der prätentiöse, oft mit großer Gebärde angesetzte und entsprechend überschwänglich entfachte Höhenflug. Magic Mercury kam selten ohne Puderzucker, Samt und Seide aus. Überladen und geschmäcklerisch, neigten seine Kompositionen zur reinen, ein wenig gelackt wirkenden Gefälligkeit, wie sie der Salonmusik des ausgehenden 18. Jahrhunderts eignete. Das ist in der Tat eine Art Schlacke, die seinen Stücken wie klebrige Paste anhaftete. Doch streckte der Meister mittels kräftiger, urwüchsiger Ingredienzien etliche der Geschmacksverstärker; oft war es, wie wir sahen, der Shit vom Gitarristen. Vor allem die eingängig und selten einfältig klingenden Melodien seiner ´Schlachtgesänge´ untergruben die begleitende Morbidität verlässlich. Der natürliche Charme Freddies spielte, finde ich, immer eine wesentliche Rolle. Selbst simpelste Songs klangen noch in Resten subtil, aber ohne die philosophischen Pseudo-Verkündungen einer Konkurrenz, die sich auf eigene Weise wichtig nahm.

Mercurys stets wiederkehrende Themen waren: Liebe und Verbrüderung, Sex und Luxus, Exzess und ´easy Livin´, Pracht und Prunk, Stärke und Selbstbehauptung. Er hat dem Leben damit ein Denkmal ganz eigener Art gesetzt, hat ihm den Stolz und die Würde zurück gewonnen, wie er denn selbst ein überstolzer, hochsensibler Mensch gewesen ist, der es jenseits aller Stilisierung nur in der Ironie aushielt, die seine Stimmungsgewitter abseits der Bühne leidig im Zaum hielt. Dazu passen auch sämtliche Übertreibungen, derer er sich in den Augen der Nörgler schuldig machte. Er blähte mittels monströser Dutzend-Chöre, gestaffelter Harmoniebögen und Melodieseliger Akkordkompressen den Vier-Minuten-Song bis zum platzen. Manches seiner Werke erinnert an eine mächtige Sachertorte, an der man sich überfrisst – und einen Riesenfurz ablässt. Passt schon, denke ich: der Vergleich hätte ihm sicher gefallen. Das Hypertrophe kennzeichnete ein Leben lang den Unersättlichen, der sich an der eigenen Gier so liebreizend überfraß.

Ihm lag überhaupt am schmecken und schmausen. Was an feinen oder kräftigen Aromen ´in der Luft lag´, witterte er sofort, um es begierig in sich aufzusaugen, und das Vergnügen bestand überhaupt darin, diesen Essenzen nachzuspüren, denn je inniger er sie fühlte und fasste, umso kraftvoller konnte er ihr Wesentliches in seine Songs einwürzen. Er musste nicht hinter den Dingen suchen. Jenseits der Erscheinungen lauerte nur das Nichts. Er suchte überhaupt nie, er fand nur, denn es war alles schon da, lag bereit, wie zur Empfängnis, und noch im Trivialsten fand er, was er brauchte. Und traf den Nerv; nur auf den kam es ihm an. Das Gewöhnliche wusste Mercury auf außergewöhnliche Weise zu steigern. Noch die kleinste sinnliche Gebärde hob er so in den Rang des Ungewöhnlichen, Besonderen, wirklich Einzigartigen. Nicht immer rein und unverstellt, weil mit den Mitteln der Stilisierung übermäßig ´aufgeputzt´, entfaltete er ein Fest der Sinnlichkeit, das nicht der schlichten, scheuen Momente entbehrte, die ihren Schöpfer jäh verrieten.

Mit Leib und Seele gab er sich dem Gelage hin. In feinstes Linnen gehüllt, genoss der Fabelfaun die reichgedeckte Tafel. Phallisch frohlockend, nie geistig verdünnt, entriet er der Anämie jener, die nur den Klugscheiß gelten ließen. Pose und Posse lagen oft eng beieinander. Freddie genoss beides. Die Fans taten es ihm nach. Das zählte. Dazu der Meister, recht überzeugend:“ Ich bin nur eine musikalische Prostituierte, mein Lieber!“

Wie schon erwähnt, ging er mit keiner Botschaft hausieren; allenfalls der einen, frohen, allzu leicht genommenen: Lebe heute und vergiss die Sorgen der Vergangenheit. Der vielzitierte Ausspruch stammt vom hellenistischen Philosophen Epikur, dessen Lehre vom Hedonismus zu einem auf Genuss der materiellen Freuden des Daseins gerichteten Lebensprinzip erhoben wurde.  Danach lebte unser Held. Er taugte nicht zum Missionar oder Weltverbesserer, und benötigte auch kein Programm, um seinen Ehrgeiz zu blähen. Er suchte und fand sein Heil im Diesseits, auch den Schmerz, der als hinreißendes Narkotikum dazugehört. Immer Saft, – und Kraft strotzend, vor innerer Fülle fast platzend, lebte Freddie den Traum. Er protzte mit seinem Reichtum und gab sich der Verschwendung hin, wann immer ihn der Hafer stach. Ganz dem Kult des Künstlichen ergeben, hüllte sich dieser Bruder Leichtfuß in teure Gewänder, die anschließend auf dem Müll landeten. Was heute verzückte, verdarb schon tags darauf, so war das Leben, in dem er sich einrichtete. Dieses Leben kannte keine ewigen Werte, nur den der Sinnenfreude, die in ständiger Zerstreuung Zuflucht suchte und fand. Es forderte aber den ganzen Menschen, mit Haut und Haaren, und wer sich auf das Spiel einließ, der wusste: es musste sofort und ohne Abstriche kicken. Das galt im Kleinen wie im Großen. Mercury hatte ein Faible für unverbindliche Kostbarkeiten materieller Art, er widmete sich ihren Erscheinungen so Gedankenverloren wie Gefühlsintensiv; darüber umständlich nachzudenken verbat er sich. So hat er endlich viel tiefere Wahrheiten erfahren als die mühselig meuternde Gemeinde der Weltenretter. Künstliches und Natürliches schlossen sich nicht gegenseitig aus. Ihre Potenzen ergänzten einander im lebensweltlichen Vollzug.

Mercury hatte Stil. Der war nicht immer Geschmackssicher, oft arrogant und aufgeblasen: aber immer mit Schmackes dahinter. Am ehesten könnte man diesen Kunstsinn, noch einmal die Geschichte bemühend, mit dem überladenen Zuckerbäckerstil der ausgehenden KuK-Epoche vergleichen, deren Schöpfungen ein wenig den riesigen Sahnetorten gleichen, an denen sich die gehobene Gesellschaft damals überfraß. Besagte Verfallsdekade kennzeichnet ja die aufgeplusterte, spätbarocke Form, der alles aus den Nähten platzt. Freddie, ein Strich in der Landschaft, ist ein Leben lang verfressen und vernascht gewesen, er hat überhaupt eine Menge ausprobiert und das galt auch für die Musik, die ihm immer eine echte Herausforderung blieb. Wenn er, etwa im Duett mit Montserrat Caballé, ein ehrwürdiges Thema ´vergospelt´, dann mag das für geschmacklos halten wer will: tatsächlich kündet es von jener ungestümen, unersättlichen Lebensfreude, die sein einziger Antrieb bis zum Schluss blieb. Erlaubt sei, was Spaß macht – erinnerte Freddy. Queen haben Funk und Metal schon lange vor jedem Crossover miteinander ´vernietet´, und ihr Sänger hatte einen nicht unbeträchtlichen Anteil daran, dass derlei auf Kommerz getrimmte Spielereien anhielten. Er kultivierte den Mischmasch, das machte ihm Freude – das zählte.

Gegensätzliches, Widersprüchliches zeichnet im Grunde jede echte Persönlichkeit aus, und der rechte Umgang mit derlei Divergenzen macht in unserem Fall den Künstler, den Spielmann – den Star. Als Stadion-Proll hatte der zwar keinen Puderzucker mehr nötig, aber den Hermelin ließ er sich dennoch nicht nehmen. Voila: mal trat er künstlich verpuppt in Erscheinung, dann wieder körperlich befreit, subtil Artistisch oder kraftvoll Athletisch, bis zur Degeneration dekadent und endlich Herrschaftlich Hochmütig, hypertroph bis in die feinste Seidenspitze: so liebte ihn die Meute, und so hielt er sie auch weiterhin aus. Im Laufe der Zeit spielte er natürlich zunehmend kontrollierter, konventioneller – nie kleinkarierter. Seine sensible, zerbrechliche Seite zeitigte zunehmend, als Ausgleich, die stählerne, männliche Attitüde; mit mehr Härte begegnete er dann der eigenen Morbidität. Von den Tuntenhaften Extravaganzen früher Tage verabschiedete er sich mit viel engem Leder, bis dann Jeans und Schweißhemd ausreichten. Eine kurze, späte ´Anzug-Ära´ beendete der frühe Heldentod. Die  anfangs zartseidene Stimme wusste er mit viel Teer und Nikotin in eine brachiale Röhre zu überführen, das hat ihr insgesamt mehr Wucht und Würze verliehen. Er kombinierte die verspielte, unersättliche Lüsternheit eines kultivierten Lebemanns mit der großspurigen, Machohaften Gebärde eines vor Geltungssucht platzenden Emporkömmlings, und er war beides in einem und eigentlich nichts ganz und gar; ihn schauerte nur vor der Langeweile, die er, keiner bestimmten Glaubensrichtung verpflichtet, für die größte aller Todsünden hielt. So legte er sich nie wirklich fest.

Mercury war also, fassen wir es noch einmal zusammen, eine merkwürdige Mischung aus diametralen, einander auf den ersten Blick ausschließenden, ja beißenden Potenzen. Das gilt im Prinzip für uns alle, ganz sicher aber nicht in dieser Ausprägung und Schärfe. La Rochefoucauld fand, das die meisten Menschen Gassenhauern ähneln, die man nur eine kleine Weile pfeift. Doch birgt im Grunde jeder Mensch den unerschöpflichen Melos, er ist in uns allen angelegt, und wenn einer (nicht irgendwer) die Kühnheit besitzt, diesen Schatz zu heben und zu plündern, fällt am Ende auch für jeden etwas davon ab.

Das Gegensätzliche hat sich in Gestalt des Sängers auf zunehmend stimmige, überzeugende Art gefunden und ergänzt. Da war er ganz Profi. Hinter wüsten Gemütswallungen, die bis zur Leidenschaft überkochen konnten, verbarg sich als Ausgleich immer ein kühl kalkulierender Geschäftssinn. Lässigkeit und gespannte Konzentration wechselten einander je nach Laune oder Pflicht ab. Fest und in sich gesammelt, dann wieder uferlos schwelgend, präsent und sich doch allzu schnell wieder verlierend, kraftvoll und zartseiden, weiblich infantil und männlich umpanzert, stählernen Willen durchsetzend und von nervöser Unbestimmtheit fast in den Wahnsinn getrieben: war er die schillernde Persönlichkeit, an der das Heer weit weniger Berufener gern kleinkariert herummäkelt. Die sind Legion gewesen. Später verneigten sich dann alle vor seinem Genius. Queen und Freddie blieben, gleich anderen Überfliegern des Rock oder Pop, zeitlebens umstritten, sie waren Hohn und Spott ausgesetzt, und mag auch das Meiste davon nachvollziehbar und begründet gewesen sein: mochte, im Nachruhm, keiner mehr in diese Hörner tuten. In der modernen Unterhaltungsmusik schafft das Alter selbst, als Dauer: den passenden Ausgleich. Dann werden nur noch Teppiche von der Stange ausgerollt. Der Held selbst wird gepudert und in Watte gepackt. Die lausigen Allgemeinplätze, auf die man ihn seither reduziert, entsprechen dem Zeitgeist und gehen doch am ganzen Menschen vorbei, dessen Wesen komplex und vielschichtig blieb. Gestik und Körpersprache verrieten schon früh ein sehr verletzliches, leicht erregbares Gemüt. Kaum den künftigen Star. Kommilitonen vom Londoner Ealing College of Art schilderten ihn nachträglich als ruhigen, bescheidenen, vollkommen unauffälligen Typen, der allein dadurch auffiel, dass er ständig kichern musste (schon sehr schwul, das). Im Privatleben blieb Mercury auch später still und zurückhaltend; einfach nur nett. Er selbst gab offen zu, von Natur aus nervös zu sein, schnell von einem Extrem ins nächste zu fallen. Die ausgeprägte Sexualität mag daran einen ziemlichen Anteil gehabt haben. Vor seiner Zeit als Star lebte er sie noch nicht sonderlich aus. Als solcher wirkte er dann auf eine oft recht schnippische, schelmische Weise vulgär, aber nie abstoßend. Seiner obszönen, aufgeblasenen Erscheinung haftete nämlich eine fast engelhafte Sanftheit an, als zartseidener Überzug, oft kaum wahrnehmbar, und über diesen Kontrast wurde eine Spannung fühlbar, die seine unvergleichliche Bühnenpräsenz erst ermöglichte. Die vollen, nie feisten Lippen, eine fast aggressiv vorstehende Zahnreihe und das dazu passende, betont breite, ausladende Grinsen verliehen dem dürren Burschen üppige Züge, doch tat das seinem Charme keinen Abbruch, da er gleichzeitig die vornehmen, schlicht schmeichelnden Züge traf, wann immer ihm das situativ geboten schien. Er war jemand, der vor Traurigkeit heiße Tränen vergoss und in seiner Verzweiflung dennoch nie verzagte, weil dem Schmerz auch eine gewisse Heiterkeit inne wohnt, an der er sich, wie anders, berauschen konnte: einer lodernden Flamme gleich, die sich unablässig dabei verzehrt. Immer blieb Mercury der schillernden, verführerisch funkelnden Oberfläche verpflichtet, ganz und gar, tausend Tode sterbend und stets wie Phoenix aus der Asche aufsteigend, bis ihn die Kraft endlich verließ. Der australische Abenteuer Tony Pike betonte früh Freddies Menschlichkeit:“ Von ihm ging so viel Wärme aus, und er wollte von allen geliebt werden.“ Und solche Menschen neigen eben zu sentimentaler Übertreibung, die einem bloß praktisch veranlagten Menschen unsinnig erscheinen muss. Rick Sky erinnerte diesbezüglich an einen bezeichnenden Vorfall. Der Sänger hielt sich prachtvolle, goldglänzende Koi-Karpfen, und als einer von denen starb, rührte ihn das zu Tränen. Er musste heulen, weil ein Fisch tot war.

Aber das passt schon. Mercury war zeitlebens in Gefühle verstrickt, die stärker waren als alles, was sich ein durchschnittlich veranlagter Mensch nur vorstellen kann. Sie waren sein ständiger, nie stockender Antrieb. Und man kann fast sagen, dass in allem, was er tat, das Emotionale den einzigen, den wirklichen, den wahrhaftigen Hintergrund gebildet hat. Das war sein Fundament, gleichzeitig auch die Falltür. In´s Bodenlose. Von Natur aus zwiespältig, doppeldeutig, widersinnig, gab er in der Liebe ein eindeutiges Bekenntnis ab, und er lebte es so stur und verbissen wie möglich. Was wäre wohl aus ihm geworden, hätte das russische Roulette der Liebe, dem er sich bekennend selbstmörderisch hingab, nicht vor der Zeit sein Ende eingeläutet? Hätte er einfach so weiter gemacht wie bisher? Wäre aus ihm ein zweiter Rolf Eden geworden? Schlimmer noch: ein alter Sack mit Hochzeitsring am Knitterfinger? Das hat er uns gottlob erspart. Waren die letzten Schübe kreativen Aufbäumens schon der drohenden, unvermeidlichen Kapitulation vor dem Alter geschuldet, glichen sie mehr noch dem Kampf gegen eine Zeit, die ihm davon lief, die uneinholbar blieb, und doch: rannte er ihr bis an den Rand der Selbstaufgabe hinterher. 

Gerade in den letzten Jahren zog Freddie noch einmal sämtliche Register. Nach dem ersten, frischen Solo-Album tobte er weitere Extravaganzen, die nicht mehr ins Korsett der Band hinein passten, auf dem Barcelona Album aus. Mit Innuendo verabschiedete er die eigene Kunst in voller Bandbreite. Die HIV Infektion hatte sich inzwischen zum Krankheitsbild AIDS verdichtet. Aus einem Schwebezustand war nun Gewissheit geworden. Fieberhaft widmete sich der Todkranke jetzt, noch vor Abschluss des Albums, neuen Aufnahmen; sie erschienen, als wirklich letzte Lieder, auf Made in Heaven. Wenn das thematisch breitgefächerte, wiewohl kompakt produzierte Innuendo sein eigentliches ´Vermächtnis´ geworden ist, dann muss Made in Heaven, wiewohl kompositorisch fast nur noch von den anderen Queens verantwortet, als sein Schwanengesang gelten. Irgendwie merkt man dem Album auch das Alter an. Mittlerweile Anfang bis Mitte Vierzig, gingen Deacon, May und Taylor in die übliche Falle. Ihre Musik wurde nun insgesamt gefälliger; glatter. Brav bis altbacken, bieder und behäbig dümpelt das Meiste daher (vgl. hierzu recht passend die Comebackversuche der Eurythmics, A-ha oder Blondie). Abzüglich der üblichen Variationsbreite, irrlichtern die Nummern umso luftiger, leichter durch den Raum, aber irgendwie vermisst man die Reibung, das Knistern – Ungestüm und Überschwang. Wie dem auch sei: das alles wurde noch einmal beseelt vom Geist dessen, der den eigenen schon schwinden sah. Mercurys Stimme, nach wie vor der vollen Bandbreite fähig, beschwor noch einmal den alten Glanz herauf. Der ihn entfachende Vulkan verglühte endlich, langsam und unaufhörlich. Freddies Charisma hob den Dunst frischen Empfindens ein letztes Mal in frische, selige Höhen: auf ein weites, Sonnendurchglühtes Hochplateau. Danach konnte in der Tat nichts mehr kommen. Er hatte alles gegeben. Es war vollbracht.

Man würdigt einen wie Mercury am besten, misst man ihn am Menschlich-Allzumenschlichen, das sich ohnehin nie zur Gänze ausloten lässt. Das je Typische kulminiert ja im Individuellen und bestimmt die Gestalt über zahllose Affekte, die ihr sichtbarstes, deutlichstes Kennzeichen bleiben. Die suchen sich dann ihr passendes Pendant. Mercury war sich der musikalischen Traditionen vergangener Epochen vielleicht nicht immer bewusst, aber er gestaltete doch das Erbe weiter aus, und mittels Instinkt streckte er, was aus Berechnung dem verkaufsträchtigen Rahmen verhaftet blieb. Seine erlesenen und kultivierten Schrullen wiesen ihn entsprechend aus. Im Ganzen ein echtes Kind der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, kam er in seiner der reinen Diesseitigkeit verpflichteten Lebensweise kurioserweise sehr dem Anspruch der meist muffig maulenden, in endlose Diskurse verstrickten Existentialisten nahe, die das Säkulum prägten, weil sie der Unbehaustheit, den Zweifeln und Ängsten ihrer Zeitgenossen mittels passender Metaphern einen morbid mundenden Ausdruck verliehen. Ihr größter Künder, der Philosoph Sartre, sah den Menschen zur Freiheit verdammt, und Camus, der das Absurde als Chance begriff, erklärte, das Phantasie den Menschen über das hinwegtröste, was er nicht sein könne; der Humor aber entschied, was er tatsächlich sei. Danach scheint auch Mercury gelebt zu haben. Aber er tat es nicht wie ein miesepeteriger Oberschüler. Er lebte sozusagen fröhlich um die Wette: der Einsatz konnte immer nur das eigene Leben sein. Ich will diese Verwandtschaft nicht über Gebühr strapazieren, aber sie verdeutlicht immerhin, dass Divergenzen in der Lebensführung oft auf korrespondierenden Grundlagen fußen. Die unterschiedlichsten Gemüter wurzeln im nämlichen Grund. Aus verschiedenem Holz geschnitzt, drängt der Stamm doch in dieselbe Tiefe.

In seiner Arbeit stets Detailversessen, so penibel, fleißig und streng wie nur irgend möglich, war Mercury im Leben, trotz aller Inszenierungen, auf gefährliche Weise unbeschwert und unbedarft. Risiken gehörten zum Geschäft. Er wich ihnen nicht aus. Unser Held suchte immer wieder das Risiko und trotzte ihm verwegen. Der Ruhm winkte. Die Karriere zählte. Alles andere interessierte nicht. So konnte und durfte er auf selten leichtfüßige Art durch das Leben tanzen, wagemutig bis zum Exzess, den er, ratlos aus Überzeugung, umso rastloser aufsuchte. Er nahm mit, was sich bot und warf über Bord, was nicht mehr zählte, weil es längst ausgekostet war oder als bloß Ballast kaum noch zählte.

Die eigene Beisetzung inszenierte dieser Zeremonienmeister im Rückgriff auf alte, fast verschollene Traditionen, wiewohl vom sattsam bekannten Kitsch begleitet, der ihm zeitlebens lieb und teuer gewesen. Der schwere Eichensarg wurde auf sein Geheiß in hauchdünne Seide gehüllt. Berge von Blumen schmückten das Defilée. In der kleinen Kapelle jedoch richtete ein in schlichtes Weiß gekleideter zoroastrischer Priester Gebete an den Gott Ahura Mazda, der als Erlöser der Seelen verehrt wird. Der Zoroastrismus zählt weltweit nur knapp 100.000 Gläubige; ein Bruchteil dessen, was King Freddie an Gefolgschaft hinterließ. Die Anhänger dieser exklusivsten aller Weltreligionen begreifen das Leben als spannungsgeladenen Dualismus, der sich im ständigen Kampf zwischen zwei Kräften äußert: hier der wohltätige Geist Spenta Mainyu, dort sein Widerpart Angra Mainya, der Zerstörer. Mercury wurde tatsächlich beiden Potenzen gerecht. Er hat auf seiner irrwitzig anmutenden Vergnügungsreise die Lebenskerze an beiden Enden gleichzeitig in Flammen gesetzt. Vielen Menschen aber spendete er Trost und Freude, Glück und Segen. Er warf sein Leben fort und zeitigte denen, die blieben, dauernde Momente glückhaften Empfindens. Der Zwiespalt löste sich bei ihm erst auf nach schaffendem, in sich erschöpftem, vollends verausgabtem Vollzug. Bezahlt hat ihn der Künstler mit dem eigenen Tod.

Vielleicht wiegt dieser Fall am Ende tiefer, als der schöne Schein, den Freddie unaufhörlich beschwor, vermuten lässt. In Yves Bonnefoys Biografie über den Dichter Rimbaud heißt es ganz zum Schluss, dieser habe das Göttliche oft herausgefordert, aber die Antwort sei stets ein Schweigen gewesen. Maßlos in seinem tolldreisten Himmelssturm, im Innern unruhig schwelend, durch keine Erfahrung zu bändigen, rastlos forteilend, und immer weiter fort, geradewegs ins Nichts hinein, hatte sich auch der junge Rimbaud ganz den sinnlich erfahrbaren Reizen ergeben. Auch ihm fehlte die Geduld und auch der Ernst, hinter den Erscheinungen doch noch das tragende, in sich ruhende Moment wohltätigen Ausgleichs zu ertasten, ´freien Herzens und frohen Sinnens´. Das vermochte er nicht. Die Existenz des Numinosen lässt sich nicht erklügeln oder beweisen, nicht fassen denn verstehen. Farok fühlte das Göttliche im Diesseits, in Liebe und Freundschaft, in der Hingabe, in sinnlicher Verausgabung, und immer blieb das Fieber an den Moment gebunden: an den einen, unwiederbringlichen Augenblick. Dennoch: Am Ende fand auch er zum Glauben der Väter zurück, gleich dem Dichter Rimbaud.

„Sich gedulden und langweilen“, meinte letzterer einmal, sei zu einfach: „Ich pfeife auf meinen Schmerz!“ Doch lebte er ihn ganz und gar. Wie Freddie. Nicht etwa mit Wut und Empörung in der Stimme, eher von einem Lächeln begleitet, spitzbübisch und gewinnend. Leidenschaft – statt langer Weile. Herzzerreißend statt bloß heimelnd. Immer in Erregung, nie anämisch. Und ja: auch tragisch, aber bitte nicht allzu trist. Womöglich witterten beide, Dichter und Sänger, den Betrug: Das ´Übersinnliche´ bleibt unerreicht, eine bloße, blasse Hypothese, und die Beschäftigung damit läuft im Ergebnis auf Zeitverschwendung hinaus. Zeit will und muss, als etwas ewig fließendes, dauernd zerrinnendes, intensiver genutzt werden, als ein bloßes Festhalten vermag. 

Zeitlebens schwieg sich Mercury eisern über mögliche weltanschauliche Fundamente aus, die auch seiner Haltung Festigkeit verliehen hätten. Das war nicht seine Sache, das überließ er gern sekundären Geistern. Ein Ideal, wie es der Philosoph Nietzsche bei den alten Griechen als höchste Form glückhafter Diesseitigkeit entdeckt zu haben glaubte, frommte auch unserem Künstler ein Leben lang. In der Retrospektive freilich weiß man gerade damit herzlich wenig anzufangen. Immer einfältiger erledigt die auf Massenkompatibilität geeichte Berufsjournaille Persönlichkeiten, deren manische Extravaganzen sie nicht mehr begreift. Auch dem Magier Rimbaud sind schon bald nach seinem frühen Ableben Kakophonien gelehrter Stimmen nachgefolgt, die den Genius immerhin streifen, doch kaum ´unter die Haut gehen´. Wenigstens bleibt so etwas wie eine Ahnung übrig. Am nächsten kommt man einem wie Freddie nach wie vor in der unvoreingenommenen, unschuldigen Begegnung. Und ja:  in der eigenen Begeisterung, im echten, unverstellten Empfinden. Insofern wurde und wird er vom ´einfachen´ Fan besser begriffen (nicht unbedingt verstanden), als von den Vielschreibern, die entweder das Übliche voneinander abschreiben oder mit den handverlesenen Allgemeinplätzen hausieren gehen.

Mochten Menschen wie Byron, Mercury oder Rimbaud auch glauben, aus dem Nichts zu schöpfen: das ´Produkt´ offenbarte sich ihren Bewunderern als Kunst, die magisch bleibt und über jedes bloße Vakuum hinaus greift. Sie schafft Räume, spendet Trost und Zuversicht. Damit greift sie auch über jede Gegenwart hinaus: ins Überzeitliche – ins Ideelle. Und es darf fast als Naturgesetz gelten, das die Kraft der Schöpfungen wuchs, je weiter sich die Zeit dann dehnte und verausgabte. Damit einher geht ein eigentümlicher Verjüngungsprozess, den keiner versteht und alle begreifen, vollzieht er sich an Leib und Seele selbst. Die Werke der Wenigen bleiben, allen Konjunkturen zum Trotz, immer aktuell. Die allzu vielen gehen achtlos an Ihnen vorbei und entdecken sie doch im passenden Moment immer wieder neu. Deutet das nicht auf einen Widerspruch grundsätzlicher Natur hin? Freddies Lieder wirken heute alles andere als abgenutzt oder vorgestrig, sie laufen in Discotheken und beschallen dieselben Stadien, in denen er einst triumphierte und man hört sie fürderhin auf der Fahrt zur Arbeit und wieder zurück, im Original oder als Sample. Sie leben also fort – nur wieder und wieder aus dem Nichts und für ein Nichts? Nur als Berieselung im Banalen? Wie geronnen so zerronnen? Kann man dem Schöpfer zeitlos gültiger ´Evergreens´ zustimmen, wenn er meinte, sie seien bloß für den Moment geschaffen um dann bequem einfach weggeworfen zu werden? Ähnliches äußerte später auch Rimbaud, sprach man ihn, den ´Aussteiger´, noch auf seine Dichtungen an. Sie seien Spülwasser. Und so verfährt in der Tat die moderne Konsumgüterindustrie: zügig hochgespült – und ganz schnell wieder weggespült. Fertig. Wie auf dem Klosett. Mittels moderner Kommunikations, – und Unterhaltungselektronik wird das Gestaltete durch ein bloß Gemachtes ersetzt. In den Seelen und Herzen der Menschen aber, die sich den Eingebungen ihrer Helden zuwenden, lebt doch immer mehr als nur der flüchtige, geltungssüchtige Schein. Von diesem Mehr zehrt man dann. Der Moment selbst scheint also nur eine Hülle, eine Art Medium zu sein: auf etwas Unerhörtes hindeutend, das in der bloßen zeitlichen Abfolge entschwindet ohne zu verschwinden. Unmerklich verliert sich da, was doch nicht mehr verloren gehen kann. Das Nichts ist eine bloße Fiktion. Fakt ist, das die Wirklichkeit als Wahrheit unergründlich bleibt, doch ihre Schöpfungen, aus unsichtbarem Garn gestrickt, bleiben Bestandteil eines Beziehungsgefüges, das alle Zeiten miteinander verbindet; kulminierend in besagten Augenblicken, die den Zusammenhang so glücklich transzendieren, indem sie ihn tatsächlich erfahrbar machen. Damit hat er sich aus jeder Beiläufigkeit gelöst und darf so etwas wie Dauer für sich beanspruchen. Da geht nichts mehr verloren, denn das Wesentliche bleibt geborgen; mag auch der Wandel für ewigen Wechsel sorgen. Denen, die allzu früh von uns gingen, fehlte die so ängstlich verspottete Reife, das kleinlich verschmähte Alter, um zu begreifen, dass der besessen beschworene Moment, dem sie sich hingaben, nicht einzig den Reiz des Lebens ausmacht; er schenkt ihm auch, als Überdauerndes, den Sinn, der über jeden Augenblick erhaben bleibt und im eigenen Vollzug Vollendung findet. Freddies ´Nachgeburten´ sind keine reinen Abfall, – oder Wegwerfprodukte. Denn sie verwandeln unmerklich die Welt. Immerzu. Alle Momente lang, und über jeden einzelnen hinaus. Mag die süße Frucht auch rasch wieder verderben: es sind und bleiben Zyklen, die den Lauf bestimmen, und jeder neue Frühling sorgt für neues Wachstum, neue Blüte und unerhörte Pracht. Je älter der Baum, umso reifer die Frucht. Es war unserem Helden nicht mehr gegeben, dieser Einsicht teilhaftig werden zu können. Als Tatsache des Lebens bleibt sie bestehen. Sein Werk ist dafür der beste, gültigste Beweis.

Über Shanto Trdic 127 Artikel
Studium der Sport-, Sozial-, und Erziehungswissenschaften an derUniversität Bielefeld. Seit 2006 Lehrer an der Gesamtschule Stieghorst,Sekundarstufe 1. Ehemals aktives SPD - Mitglied, nach Austritt keine weiteren Partei, - oder Vereinstätigkeiten.