Triste Platte, öde Serie: Warum Klara Geywitz auf hässliche Plattenbauen wie in der DDR setzt

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Wann immer sich in den Jahrzehnten, die dem Bau der Mauer folgten, die Gelegenheit bot, das Scheitern des sozialistischen Experiments anschaulich zu dokumentieren: war auch von den hässlichen Plattenbauten der DDR die Rede. Die Unmenschlichkeit eines schlussendlich gescheiterten Systems konnte, glaubte man im Westen, nur zu deutlich entlang wuchtig in die Landschaft gerammter Betonklötze belegt werden, deren monströs anmutende Monotonie den eintönigen Alltag zu spiegeln schien, der im Widerspruch zur Freiheit stand, um dessen banale Möglichkeiten man die Menschen jenseits des Eisernen Vorhangs betrog. Die ostdeutschen Arbeiter, – und Bauernbezirke wurden in das Prinzip ´Abschreckung´ einbezogen: dort leben und wohnen zu müssen glich dem Los Verfluchter, die ohne Aussicht auf Bewährung in einer Strafkolonie gelandet waren. Der kalte Krieg arbeitete beiderseits mit Assoziationen und Stereotypen solcherlei Art. Tatsächlich uferte der urbane Stromschnitt auch hüben, bald nach dem letzten Krieg, in hochkonjunktureller Eile flächendeckend aus. Ein Umdenken seitens der Planer fand erst sehr viel später statt. Da hatte sich längst heraus gestellt, dass sowieso niemand auf Dauer in diesen trostlosen Trabantenstädten sein spießig Leben fristen mochte. Nicht in der BRD und auch nicht in der DDR. Die Not der Stunde machte anfangs zum Gebot, was sich später dann dezent verbot. Wer über die entsprechenden Mittel verfügte, verließ die Platte bald wieder. Im Osten erschwerten gewisse administrative Hürden und Beschränkungen den Abgang. Auch waren der Mobilität Grenzen gesetzt; mit einem Trabi konnte man nicht über beliebig weite Strecken pendeln.

Schon bald nach dem Ende des ersten Weltkrieges wurden die Weichen für den Wohnungsbau der Marke Platte gelegt. Das mag kein Zufall gewesen sein. Deutschland lag, nach vier entbehrungsreichen Jahren, förmlich darnieder. Sein Volk ächzte unter den in Versailles ausgehandelten Reparationen. Die Reichsmark verlor zügig an Wert. In den Metropolen tobten Straßenkämpfe. Wie denn im beschaulichen Weimar gleichsam eine kleine ´Revolution´ stattfand. Das staatlich gegründete und bis heute bestens beleumundete Bauhaus wurde in der thüringischen Landeshauptstadt von dem Architekten Walter Gropius gegründet. Er hatte sehr klare Vorstellungen davon, wie im aufdämmernden Zeitalter der Massen gebaut werden sollte. Gropius und seine ´Jünger´ boten eine Ästhetik des Verzichts. Sie zielte, entlang klarer Linien und Konturen, auf reine Zweckmäßigkeit. Dieser Richtschnur folgend wurden Gebäude konzipiert, die ohne stilisierende Zusätze, ohne jeden Luxus oder Pomp auskamen. Den bis dato geltenden Historismus geradezu verhöhnend, der sich im Anschluss an das Massensterben in den Gräben auch ideell erledigt hatte, orientierten sie sich am Erzeugnis industrieller, extrem Kostengünstiger Massenproduktion, die das 19. Jahrhundert parallel zu den Strömungen der Romantik und des Klassizismus begleitete.

Ein echter Paradigmenwechsel. Breite Allgemeinheit und alteingesessenes Architekturestablishment standen den zier, – und schnörkellosen Monolithen, die in ihrer banal anmutenden Nacktheit auf Anhieb irritierten, von Anfang an kritisch bis ablehnend, ohne echtes Verständnis gegenüber. Solche Gebäude, deren Ausdruck irgendwie leer und nichtig, kalt und abweisend wirkte, wiedersprachen dem Duktus überkommener, liebgewonnener ´Zunftideale´, die bis tief ins Mittelalter zurückreichten. Anfangs alles andere als Massenkompatibel, haftete den spröden Bauten etwas zutiefst avantgardistisches an. Dem Kreis um Gropius schlossen sich denn auch die Ultramodernen vom Schlage eines Feininger oder Kandinsky an, welch letzterer das streng geometrische Prinzip in die abstrakte Malerei überführte. Härter konnte der Bruch in der bildenden Kunst kaum ausfallen. Der begleitende Formwille gab sich kompromisslos und provozierte, passend zum Dada seiner Zeit, die akademische Elite. Gleiches galt für den aus Italien importierten Futurismus, dessen visionäre Technikgläubigkeit anmaßend und anregend zugleich wirkte. Die Vertreter dieser Richtung beschworen ein neues, rücksichtslos modernes Zeitalter herauf. Ihre Programme und Manifeste berührten sich mit denen des in etwa zeitgleich aufkommenden Faschismus. Seinen sichtbarsten Niederschlag fand der Futurismus in Monumenten wie dem Palazzo della civiltá Italiana, auch Colosseo Quadrato genannt, das in einem kurzerhand neuerrichteten Stadtviertel Roms entstand und der Verherrlichung der Bewegung diente. Die Schwarzhemden zerstörten in der ´ewigen Stadt´ eine Unzahl antiker Denkmäler, um ihren neuen städtebaulichen Vorstellungen so großzügig wie augenscheinlich genügen zu können. Eine ähnliche Flurbereinigung planten auch die Herren Hitler und Speer, welch ersterem in seinem Größenwahn sehr zupass kam, das die ´alte´ Reichshauptstadt in Trümmer sank, deren Reste also nur noch beseitigt werden mussten, um das ´neue´ Berlin, die Welthauptstadt Germania, zu realisieren. Was gerne übersehen wird: jenseits der repräsentativen Prunkbauten, die bald jedes Maß sprengten, orientierten sich die architektonischen Planer der Nazis und Faschisten durchaus an den Vorgaben der verfemten Weimarer Kunstelite, deren Umsetzung einfach praktikabler blieb. Wie auch immer: zeitigten deren Bemühungen anfangs nur wenige staatlich oder privat finanzierte Aufträge.

Das in der Tradition des Bauhauses wurzelnde Bauwerk, dessen lakonische Glätte und Einfachheit nicht verfing, galt erst nach dem zweiten von Deutschland verlorenen Krieg als fortschrittlich und ´alternativlos´. Jetzt machte man mit ihm wirklich ernst. Gewaltige Trümmerhaufen wurden in den folgenden Jahren fortgeräumt, um neue Anbauflächen zu schaffen. Bald konnten breite Teile der Bevölkerung in günstigen und angemessen komfortablen Wohnbereichen untergebracht werden. Der Trend setzte sich im europäischen Ausland fort. Auch die vielgeschmähten Banlieues französischer Großstädte,  deren Errichtung infolge massiver Wohnungsnot seinerzeit begeistert begrüßt wurde, gehen auf die Dekade zurück. Wer dachte damals schon an soziale Brennpunkte, an Ghettobildung und Bandenkriminalität – an Hoyerswerda oder Rostock. 

Als man dann in der alten Bundesrepublik vom schnelle Bauen wieder abrückte und ´menschlichere´ Bauweisen umsetzte, ging es in der ´Zone´ mit den überkommenen erst richtig los. Im Laufe der Siebziger Jahre schossen Neubaugebiete in Großplatten-Bauweise aus dem Boden, die als Bettenburgen ganze Stadtränder versiegelten. Neue Bezirke und Stadtteile, sogar komplett neue Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern entstanden. Die Wohnungen waren genormt und sie sahen überall gleich aus. Das erinnerte, nicht zu Unrecht, an einen Ameisenstaat, wie denn der ´neue sozialistische Mensch´ von den Apologeten des Wirtschaftswunders als Roboter verspottet wurde.

Die Bausünden der Vergangenheit wurden jetzt im Westen ganz dezent zu den Akten gelegt. Der schnöde Block aus Platten galt fortan als ´Markenzeichen´ der DDR. Misswirtschaft und Menschenbild bestätigten es. Die Restbestände sozialistischer ´Baukunst´, deren hinfälligste bald nach der Wende aus der Landschaft geschafft wurden, betonten und bestätigten bis zuletzt, als Ruinen, den Sieg des freiheitlich-rechtlichen Systems über das Unrechtsregime proto-sowjetischer Machart.

Was man früher drüben Platte nannte, nennt man heute hier: serielles Bauen. Das Handelsblatt spricht vom Baukastenprinzip, die engen Wohnklitschen sind jetzt ´Module´. Und wie immer, wenn etwas Fragwürdiges als ´Hit´ verkauft werden soll, während in Wahrheit nur wieder alter Wein in neue Schläuche gefüllt wird, melden sich unsere Verbandsfunktionäre (sic!) voreilig zu Wort, um ihre servilen, hofschranzigen Konsekrationen abzugeben. Peter Hübner, Präsident des Hauptverbandes der deutschen Bauindustrie, frohlockt: die Gesellschaft verändert sich, der Bau ist dabei!

Hinter den Schlagworte, – und Kampagnen-Fassaden der Lobby verbirgt sich so umständlich wie hergeholt: das Schreckgespenst echter Mangelwirtschaft. Brachte man sie früher ganz selbstverständlich mit der DDR in Verbindung, hat es nun endgültig das glücklich wiedervereinigte Großdeutschland ´erwischt´. Sie wissen schon: Corona und die Folgen. Freilich sind, im Blick auf ´Projekte´ wie die geplante Klimaneutralität, weitere Einschränkungen zu befürchten. ´Superministers´ Habeck erklärte bereits, dass wir uns so langsam vom ´Traum an das ewige Wachstum´ zu verabschieden haben. Schon wieder dieses Merkelsche WIR. Frage: Wer sind wir denn? Wen meint er damit und wer von uns hat je an den Schalthebeln einer Macht gesessen, die einen Alptraum gegen den nächsten austauscht?

Planziel Klimaneutralität; binnen zehn Jahren. Das ist die neue Utopie, und sie erinnert nur zu genau an Wahnvorstellungen realsozialistischer Erlösungsphantasien. Die Menschen, mit denen man das marxistisch-leninistische Experiment umzusetzen gedachte, waren tatsächlich solche, über deren Leben staatlicherseits ´verfügt´ wurde, bis in die letzte private Nische hinein. Der Kampf gegen den Klassenfeind ist jetzt nur noch einer gegen Virusvarianten und Wetterkapriolen, wie denn so etwas wie heroische Aufbruchsstimmung gar nicht mehr aufkommen möchte im Jahre 3 nach Corona. Bekanntlich beschränkte sich im Paradies der Werktätigen das Ethos missionarischer Erweckung auf Phrasen und Verordnungen, die von den üblichen Verdächtigen in ermüdender Regelmäßigkeit ausgegeben wurden. Ihr lakonischer Unterton, der an auswendig gelernte Katechismen aus der Kaderschule erinnerte, wirkte in Zeiten abfallender Wirtschaftskraft zunehmend provozierend: dadurch füllte sich kein Regal, schrumpfte keine Einkaufsschlange vor den total unterversorgten Läden. Die Funktionäre, vor allem jene des Politbüros, hatten gut reden. Der Dissident Milovan Djilas kennzeichnete jene Generation selbstherrlich schaltender und waltender Berufspolitiker kommunistischer Couleur als ´neue Klasse´. Ihre Vertreter setzten im Zuge endloser Amtszeiten ziemlich Fett an und zogen das Leben in ihren Datschas dem in der überkommenen Reihenhaussiedlung vor. Die Datscha lag fernab vom Arbeiter, – und Bauernklüngel, in sorgsam eingerichteten, an allerhand Privilegien geknüpften Sonderwirtschaftszonen.  

Man hat den ´Machern´ in der DDR immer wieder vorgeworfen, falsch gewirtschaftet zu haben. Am Ende fehlte es an allen Ecken und Kanten, kam es zu sogenannten Versorgungsengpässen. Die Verantwortlichen drüben focht das bis zuletzt nicht an. SIE hatten alles richtig gemacht – Schuld war der ´imperialistische´ Klassenfeind. Schuld ist heute das Schicksal, gründend im mikroskopischen Milieu. Covid19 und seine Varianten bremsen Mensch und Maus, Wirtschaft und Privatleben aus. Permanent. Etliche derer, die zum Beispiel beim Bauen vor Ort fehlten, seien 20/21 einfach ins Homeoffice verschwunden. Galt das auch für die osteuropäischen Lohnsklaven von der schnellen Einsatztruppe? Tatsächlich wurde die Produktion in der Baubranche durch enorme Preissteigerung beim Baumaterial ausgebremst. Noch zum Jahresende meldete jedes dritte Bauunternehmen eine Behinderung seiner Produktion aufgrund von Materialknappheit. Chefpropagandist Hübner formuliert es so: Nominal legten die baugewerblichen Umsätze im deutschen Bauhauptgewerbe minimal zu, preisbereinigt bedeute dies allerdings einen realen Rückgang in der Größenordnung von 6 Prozent. Soll heißen: wir waren richtig gut, nur leider viel zu schlecht. So ähnlich schummelte man sich seinerzeit auch drüben die Dinge hübsch.

Klara Geywitz, Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, kommt von drüben. 1976 in Potsdam Mitte Nord geboren, machte sie nach der ´Wende´ rasch in der SPD Karriere. Sie legt jetzt eine ähnliche ´Platte´ auf wie der Herr Hübner. Und schmeichelt, indirekt, ihrem Dienstherren, dem jenseits aller roten Linien ´planierenden´ Bundeskanzler, wenn sie vom ´Hamburger Modell´ schwärmt. Im Pergolenviertel, das ihr ´Vertrauter´ Scholz als Bürgermeister der Hansestadt plante, waren 1700 günstige Wohnungen entstanden. Die stecken in ´seriell´ entstandenen, gnadenlos aneinandergereihten, auffallend düsteren, ziemlich miefig und muffig anmutenden Wohnkästen, die mich persönlich an die Kasernenklötze meiner Bundeswehrzeit zurückerinnern; mit lauter leer gefegten Antreteplätzen ringsum. Im ostwestfälischen Espelkamp, das durch ´Umnutzung´ nach dem Krieg zu einer echten Flüchtlingsstadt wurde, erinnern noch heute die im Hauruckverfahren aus dem Boden gestampften Siedlungsbaracken an ähnliche Strukturen. Freilich sind die Ergebnisse hier ungleich gelungener geraten: mit mehr privater Einzelfläche und großzügiger Begrünung. Als Soldat habe ich noch inmitten einer von allerlei Wildtierarten bevölkerten Waldlandschaft gelebt. Im Pergolenviertel Hamburg Nord zieren nur hie und da ein paar kümmerliche Bäumchen die kafkaeske Szenerie: man hat sie wohl als frische Zöglinge, wie Gestrüpp von der Stange, passend in die spärlichen Quadratinnenflächen gestopft; nach Maß und Muster. Da fehlte halt noch was, wie denn Retorten nie ohne Retuschen auskommen.

Frau Geywitz setzt zusätzlich auf ´Genossenschaften und Betriebswohnungen´. Und ist von der ultra-kostensparenden Möglichkeit des ´neuen Bauens´ hin und weg. Beim seriellen Zuschnitt werden Teile des Gebäudes nicht mehr an Ort und Stelle errichtet, sondern in einer Produktionsstätte passend vorgefertigt. Neubauten können günstiger und schneller entstehen, wenn Module eine Typengenehmigung erhalten und dann keine weiteren Genehmigungsverfahren mehr durchlaufen werden. Wohnkästen aus der Schnellfertigung, von der Stange, für Menschen von der Stange, very Ikea-Light; entdecke die Möglichkeiten. Die Serie, so lernen wir, geht schnell und wirtschaftlich – wenn man kein Geld mehr hat. Genauer: keines mehr für´s blöde Volk.

Das sich hinter dem neuen Etikett ein abgestandenes Produkt verbirgt, soll nach Kräften kaschiert werden. Man werde, so heißt es beschwichtigend, den Häusern von außen nicht unbedingt ansehen müssen, dass sie auf Standardtypen zurück gehen. Sicher: jeder Putz lässt sich übertünchen, jeder Rembrandt bis zum erbrechen kopieren; er ist dann nur kein echter mehr. Aufschlussreich übrigens, das in ´besseren Kreisen´ vor allem darauf geachtet wird, dass hier ein ´klimaneutraler Gebäudestand´ erreicht werde. Der Rest: wird´s richten.

In summa: wird Bauen jetzt zur ´Norm´. Die lässt sich planwirtschaftlich umsetzen. Pointiert formuliert: ohne lästige Umstände flächendeckend fügen. Heraus kommen kolonnenweise in die Landschaft geparkte Wohnraumkisten, die an Waschmaschinen und Container erinnern, nur nicht an jene Blütenträume, mit denen man noch vor wenigen Jahren protzte und prahlte. Da war vom individuellen Wohnen die Rede, vom hippen Penthouse mit Wellness Oase, von der Rückkehr des Privaten mit viel Erholungsfläche im Grünen. Vorbild für die neuen Baukolosse ist aber eher die Smart City im ´gelenkten´ China, wo der Roboter der Zukunft bereits bestens ´funktioniert´.

Der Autor dieser Zeilen ist ein echtes Landei. Er kann sich´s leisten. Er sieht die Welt noch immer mit anderen Augen. Und ihm will, angesichts einer sich anbahnenden Verhässlichung wohnräumlicher Lebensbereiche, richtig schlecht werden. Womöglich wird das schon bald als reaktionär und vorgestrig, als abgelebt und ´unmodern´, eben: als gar nicht mehr zeitgemäß empfunden werden. Vielleicht regt sich aber auch so etwas wie Protest im Innern derer, die man demnächst in solche ´Wohnhöhlen´ einquartieren möchte: pünktlich zum nächsten Lockdown, zur nächsten Quarantäne.  

Über Shanto Trdic 127 Artikel
Studium der Sport-, Sozial-, und Erziehungswissenschaften an derUniversität Bielefeld. Seit 2006 Lehrer an der Gesamtschule Stieghorst,Sekundarstufe 1. Ehemals aktives SPD - Mitglied, nach Austritt keine weiteren Partei, - oder Vereinstätigkeiten.