Zum Todestag vom JIM MORRISON Mensch und Mythos – Teil 3

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I was a fool & the smartest kid in class

Orte, Gegenden und Landschaften bilden, als lebensweltliche Reservate, unverzichtbare Biotope menschlicher Sozialisation, auch und gerade in der Entwicklung heranwachsender Menschen. Das gilt nicht minder für verschrobene Einzelgänger, wie Jim früh einer wurde, weil ständig sein Bekanntenkreis wechselte. Der gesellschaftliche Rahmen, als binnenökumenisches Milieu, blieb ihm verdächtig und vertraut zugleich. Im Kontakt mit anfangs fremden, bald wohlvertrauten, und immer wieder neuen Menschen, die doch derselben Schicht angehörten und folglich berechenbar blieben: schälte sich im Laufe der Zeit ein hochproblematisches, überaus spannungsgeladenes Verhältnis heraus. Jim konterkarierte die eigene Unsicherheit mittels extremer, die anderen bewusst provozierender Verhaltensweisen. Und verkroch sich, wann immer es ging.

Vor der Karriere vollzog sich die Entwicklung des Heranwachsenden, trotz ständiger Umzüge, die der Beruf des Alten mit sich brachte, in verlässlichen, allzu üblichen Zusammenhängen, deren räumlicher Verortung oder Fixierung der Rebell gelegentlich entwich, ohne ihrem Einfluss doch im Ganzen entrinnen zu können. Man bleibt, als Kind seiner Zeit, Produkt vorgefundener Verhältnisse, die in seinem Fall denen der bürgerlichen amerikanischen Mittelklasse entsprachen. Gerade dieses Umfeld atmete den Geist angestammter Werte: im Gegenwärtigen und auf Zukünftiges hinaus. Sie wurzeln, wie wir sahen, in den Überlieferungen, die zu Handlungsanweisungen gelebter Selbstverständnisse werden und entlang eigener Erfahrungen letzthin das Persönliche mit dem Typischen vermengen.

Diese Entwicklung spielt sich, heute mehr denn je, in künstlichen Räumen ab. Ein Umstand, der gar nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Städte, die nach Morrisons Überzeugung unentrinnbar einen Kreis bilden, stehen am Anfang des eigentlichen Zivilisationsprozesses, erst in ihrem ´Gehäuse´ vollzog sich vor etlichen tausend Jahren die Abkopplung von einer bis dato zyklischen, ganzheitlichen Lebensweise. Der Mensch ´domestizierte´, wurde berechenbarer und gleichzeitig immer anfälliger für psychische Auffälligeiten unterschiedlichster Art. Ist Morrison so ein Stadtmensch gewesen? Los Angeles war sein ´Wohnzimmer´, bildete solcherart ein fast magisches Zentrum, den urbanen, wohlwärmenden Mutterbauch sozusagen. Neben dem Sunset Boulevard blieben Venice Beach und auch die nahe Wüste wesentliche Anziehungspunkte; energetische Feldkreise, in deren Bann er stand und irgendwie ´zuhause´ blieb. Noch im Aufbruch, auch und gerade im Niedergang: hielt er solchen Orten die Treue.

Amerika ist eine junge, noch irgendwie unfertige Nation geblieben. Sein Volk, vital und unstet, unruhig und zum Äußersten immer dann neigend, geht es um schnelle Entscheidungen und deren Umsetzung, bedarf dennoch der festen Bezugspunkte, der Normen und Gebote, um die vielbeschworene Freiheit irgendwie verankern zu können. Als Heimat empfinden US-Amerikaner, bei allem Lokalkolorit, das ganze weite Land. Hingegen ist Deutschen oder Franzosen, Spaniern oder Italienern Europa als ´Nation´ ein Abstraktum geblieben, sie betrachten sich immer noch in erster Linie als Bürger ihres jeweiligen Landes, weniger als ´Bürgen´ der Union. Erst in den letzten Jahrzehnten ist es, infolge sozioökonomischer Binnenmigration und Staatenflucht, zur Annäherung an das nordamerikanische Modell gekommen. Der feste, unverrückbare Standort, als eine Art dauerhaft und regional bestimmbare Heimat, ist den Amerikanern stets suspekt oder fragwürdig geblieben, wiewohl die allermeisten von ihnen gerade im unruhigen 19. Jahrhundert fest der eigenen Scholle, dem eigenen Bezirk, der eigenen Stadt verhaftet blieben. Dennoch: ein Volk von Einwanderern sind die Abenteurer und Wagevögel auch daheim geblieben. Sie sind nämlich, trotz zeitlich begrenzter Sesshaftigkeit, innerlich stets auf dem Sprung; in ständiger Bereitschaft, von neuem zu wagen. Ein Kenner des Landes und seiner Sitten, der Journalist Manfred Rowold, spricht von einem Volk moderner Nomaden. Demnach ziehen jedes Jahr rund 43 Millionen Menschen um; das sind immerhin knapp 17 % der Gesamtbevölkerung. Im internationalen Vergleich ein verhältnismäßig hoher Wert. Für US-Amerikaner zählt diese Mobilität aber zur gelebten Tradition, die niemand umständlich verkünden oder verordnen müsste. Sicher: Migration hat es in der Vergangenheit immer wieder, allerorten gegeben, in sukzessiven Schüben. Wie es Kriege, Hunger und Elend ständig gab und gibt. In den Staaten freilich berührt dieser Umstand das kollektive Gedächtnis, den archetypischen Unterbau. Der Drang, weiter zu ziehen, alles hinter sich zu lassen, um ganz neu anfangen zu können, hat einen ganz konkreten Hintergrund. Er fordert ein hohes Maß an Flexibilität, das diesem Volk mehr als allen andern zu eignen scheint. Alexis de Tocqueville bemerkte diesbezüglich in seinem großen Standardwerk (´Demokratie in Amerika´) ironisch:“ In den Vereinigten Staaten baut ein Mann ein Haus, in dem er seine alten Tage verbringen will, und er verkauft es wieder, noch ehe es ein Dach hat.“

Wie schon erwähnt wechselte die Familie Morrison ziemlich oft besagtes Dach. Der junge Jim hat folglich ganz unterschiedliche ´Heimaten´ kennengelernt, doch blieben die vorgefundenen, das heißt standesgemäßen ´Lebenswelten´ stets dieselben. Sozusagen: beharrlich in immer neue Regionen verschlagen, fand Jim sich, qua Herkunft, im engen Rahmen sehr überschaubarer künstlicher Räume wieder. Fest steht, dass in den obligatorischen Einrichtungen, die er als junger Mensch durchlief, so etwas wie ein gehobener Mittelständischer Geist herrschte. Morrison hat den begleitenden Atem zunehmend als Stickluft empfunden. Ein Teil seiner inneren Gereiztheit mag daher rühren, das ihn dieser schale Rauch stets auf´s Neue in öder Folge anwehte. Nicht das Bildungsbürgertum an sich stieß ihn ab, ganz in Gegenteil; es war mehr der institutionelle Rahmen, dessen Enge ihm bedrückte. Darum waren, wollte man es überspitzt formulieren, die vielen Wohnortwechsel irgendwann nur noch Verlegungen von einer geschlossenen Anstalt in die nächste. Häufiger als die meisten musste er sich immer wieder auf neue Klassen, neue Nachbarn und neue mögliche Freunde vorbereiten – in den ewig gleichen spießigen Zusammenhängen, deren Rituale dieselben blieben.

People are strange, when you´re a stranger, faces look ugly, when you´re alone

Fremd sein in einer immer gleichen, verräterisch festgefahrenen Umgebung: stellt hohe Anforderungen an den Fremdling selbst. Er wird misstrauisch und fühlt sich in der Begegnung mit anderen nicht wohl in seiner Haut. Er fühlt sich vor allem unsicher und von denen, die er nicht einschätzen kann, ständig beobachtet. So wird er ihnen seinerseits zunehmend undurchsichtiger und verdächtiger. Am Anfang steht immer dieselbe Frage: Wer sind diese Leute und wem ist zu trauen? Wer so fragt will zunächst nicht unnötig auffallen. Er wahrt also Distanz, was die Situation nur verschlimmert weshalb er fortan alles dran setzt, um jeden Preis aufzufallen. Trotzdem wird er, aus Gründen des Selbstschutzes, auch weiterhin Distanz wahre. Das mag in etwa Jims Situation gewesen sein. Er suchte Freunde, wie jeder Heranwachsende es tut, weil er sie wirklich braucht um sich entwickeln, um zu sich selbst kommen zu können, vor allem um sich der Peer Group gegenüber zu behaupten. Gleichzeitig war da panische Angst vor zu viel Nähe, die den sehr sensiblen, inneren Kern gefährdete. Jim mied Cliquen und konzentrierte sich auf Einzelne, auf gute Kumpel. Noch später, an den Hochschulen, hielt er es so. Dort geriet er dann allerdings in gewisse Zirkel und Kreise. Blieb ein Sonderling aber auch dort, wo selbst allerhand schräge Vögel herumflatterten.

Früh schickte sich der wurzellos gewordene Bürgersohn an, die eher fremd und abseitig anmutenden Räume einer geografisch wie gesellschaftlich vielgestaltigen Nation zu erkunden: solche zumeist, deren das gärende Mittelmaß herausfordernde, mitunter lebensfeindliche, nicht selten weitläufige Umgebung einen deutlichen Kontrast zur Enge und Beschaulichkeit der ihn hegenden Milieus bot. Außerhalb des verordneten Normgefüges lockten fremde, äußerst gefährliche Welten, die schon so etwas wie Freiheit versprachen, neugierig machten auf jene Schatten, – und Nachtseiten des Seins, die ihren eigenen, abseitigen Glanz versprechen. Jim ging dazu über, die Negerviertel und Bordellmeilen, und immer öfter auch die Straße selbst zu erkunden. Sie führte ihn schließlich weit in die Wüste hinaus.

Letzteres kann kein Zufall gewesen sein. Schon sein nach eigener Überzeugung intensivstes Erlebnis fand ja gerade dort statt. Sah oder empfand er auch hier die Verwandtschaft mit den Äußersten, den zu allen Zeiten Radikalsten, den wirklichen Empörern überlieferten Heilsgeschehens? Wüsten spielten und spielen in der Geschichte des Glaubens eine wesentliche Rolle. Hier forderte Satan den Gottessohn heraus. Hier empfingen die Heiligen ihre Eingebungen als Visionen, deren Anschaulichkeit im Symbolischen gründet. Hier entstanden letzthin deren Religionen. Askese und Affekt, Entsagung und Exzess: je inniger sie einander greifen, umso wahrscheinlicher schlägt, wie bei der Herstellung von Feuer, der geistige Funke über. In der seltsam gereinigten Biosphäre einer Wüste befällt den, der dort weilt, eine Art Fieber, das zur Erleuchtung oder in den Wahnsinn führt. Extreme und zum äußersten bereite Charaktere suchten häufig das Grenzland lebensfeindlicher Umgebungen zwecks Prüfung auf, ob im Hochgebirge oder in besagter Wüste, auch in der dunklen, auf früheste Anfänge zurückweisenden Höhlengruft. Dort künden noch heute die ersichtlich dem Jagdzauber geltenden und doch schwer deutbaren Wandmalereien von einer Begegnung mit den Mächten des Absoluten, über seine lebendigen, Gottähnlichen Erscheinungen. Hier waren es Gemeinschaftserlebnisse, wie denn Morrison häufig mit andern loszog, um die Einöde zu erkunden. Auch seine Freunde von den Doors kamen mit. Eine bis heute undurchsichtig gebliebene Begebenheit bezieht sich auf einen Trip in die Sonora Wüste, den Jim zusammen mit zwei Freunden bestritt. Sie wollten reines Mescalin aus Peyote Kakteen gewinnen.

In der staubtrockenen Umgebung von Wüsten lauert vor allem der Tod. Ein ziemlich stümperhaft in Szene gesetztes Road Movie (HWY) beschäftigte sich denn auch passend mit diesem Thema. Am Rande der Mojave Wüste gedreht, kreiste einmal mehr die ganze, nur diffus fassbare Handlung um Morrison selbst, der als Mörder den Herrn über Leben und Tod spielte. 

Doch blieben die Wüstenreisen im Grunde reine Ausbruchsversuche. Er scheint nie ernsthaft erwogen zu haben, den künstlichen Räumen der Zivilisation dauerhaft, gar abschließend zu entsagen. Das passte auch zu seiner ganzen Art, die jede Festlegung sorgsam mied. Jim hielt sich nie länger als nötig mit einer bestimmten Sache auf. Daran hielt er fest bis ganz zuletzt. Er konzentrierte sich auf Zeit, nie auf Dauer; dann aber ungemein intensiv. Tatsächlich blieb Morrison, so seltsam das klingt, zeitlebens dem Überkommenen verhaftet und irgendwie auch verpflichtet, dem Abwegigen eher spontan, im stetem Wechsel sich bietender Möglichkeiten, denen er sich dann umso bereitwilliger zur Verfügung stellte, bis der Kick verflogen, die Erfahrung irgendwie gemacht worden war. In einer wohl eher im Scherz geäußerten Bekundung, er wolle später „als Geschäftsmann im Anzug oder als Aussteiger irgendwo in Nordamerika“ weiter machen, kommt diese Haltung recht spaßig zum Ausdruck. Er könne sich, meinte er, eine solche Rolle, mit Sekretärin und eigenem Dienstzimmer, gut vorstellen. Das divergiert vorzüglich zu seinem tollkühnen Vorhaben, alles hinter sich zu lassen, und bestätigt zugleich den tieferen Kern, dessen Schmelze zur Auflösung, also: in die Katastrophe führt. Quod erat faciendum.

Wiewohl unstet und unsicher ob des vielen Hin, – und her, blieb Jims Leben insgesamt wohlbehütet und auf verlässliche Weise den in seinen Kreisen üblichen Standards unterworfen. Ein hohes Maß an standesgemäßer, strikt definierter ´Sauberkeit´, vor allem geprägt durch die heute übertrieben scheinende puritanisch-militärische Lebensführung, kennzeichnet das geistige Umfeld, in dem er aufwuchs. Die entsprechenden Regeln und Rituale wurden weniger streng, mehr bieder und beharrlich praktiziert; als feste, sehr förmliche Klammer hielten sie das Korsett einer fraglos kultivierten, im Grunde bereits abgelebten bzw. überholten Lebensführung zusammen. Kindheit und Jugend spielten sich in der kleinen Welt sogenannter ´besserer´ Orts, – und Stadtteile ab, geschirmt und gerichtet vom strengen Maß des Militärs und dem eines angestammten, gleichsam für gegeben genommenen Glaubens, den die gehobene Mittelschicht sehr ernst nahm. In der Soft Parade kommt gleich zu Beginn seine ganze Verachtung darüber in ergreifender, fast verzweifelter Manier zum Ausdruck.

Bildungsaffine Einrichtungen störten und bereicherten, nervten und halfen Jim. Trotz ständiger ´Abflüge´ auf Zeit kann man diese Zeit als insgesamt behütet und beschützt bezeichnen. Morrison bewegte sich in einem Umfeld, dessen gelegentliche Besonderheiten so gewöhnlich ausfielen wie das Banale selbst. Manches davon hielt sich, bis heute; etliches geriet schon wenige Jahre später unter Generalverdacht.  In Virginia, ein Beispiel, besuchte Jim die George Washington High School. Hier durften nur Weiße unterrichtet werden. Laut Hopkins gehörten ihr ausschließlich Kinder und Jugendliche der gehobenen angelsächsischen Mittelklasse an. Das möchte man sich heute gar nicht mehr vorstellen, damals war es ganz normal. Es gab eben, auch und gerade im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, noch kein wirklich offene Gesellschaft; die sich voneinander abgrenzenden Klassen fanden allenfalls über Ausnahmen, nie in der Regel selbst zueinander. Es ist nicht überliefert, das Jim gerade hier sein Wort erhoben hätte. Er hat sich nie einer ´Bewegung´ zur Verfügung gestellt. Seine Einstellung blieb extrem individualistisch, im Sinne Nietzsches, dessen ´Übermensch´ einzig sich selbst verantwortlich sei. Freilich: ist auch diese Konzeption Fiktion geblieben. Wie anders? Die Persönlichkeitsentwicklung eines dünnhäutigen, kompliziert veranlagten Menschen, wie Jim einer war, liefe eingedenk ständiger innerer und äußerer ´Wanderschaft´ schnell ins Leere, entbehrte sie des stabilen, vorgefertigten Rahmens, doch bedarf es dieser gängigen, wenn man so will: der tradierten Konstanz erst recht, will einer aus, – oder aufbrechen. Das gründet im Zwiespalt, der über Reibung ´anfeuert´, und dann vielleicht sogar beflügelt.

Als Ausgleich zur vorgefundenen Enge empfand Jim die Weite des Landes selbst, dass er begeistert per Anhalter bereiste. Daneben rekrutierte er, wie oben bereits angemerkt, zunehmend abseitigere, als verrucht geltende Ecken und Winkel, aber auch sie nur entlang kurzer Stippvisiten. Wesentlich lebte er als Kind und Jugendlicher in der Bildung selbst, in den Büchern, wie wir ferner sehen werden. Und, müßig es zu wiederholen: in guter, wohl geordneter Gesellschaft.

Was ließe sich über die Menschen sagen, denen er in den unterschiedlichen, kastenkonformen Lebenswelten zuzüglich der vielzitierten Tiraden und Mätzchen, die er sich ihnen gegenüber leistete, im Ganzen eher vorsichtig und tastend, abwartend und misstrauisch begegnete? Sie entwickelten sich ihrerseits in und mit den vorgefundenen Verhältnisse, blieben aber meistenteils dieselben – ein und derselbe schichtspezifische menschliche Typus sozusagen. Dazu zählten hauptsächlich Angehörige je unterschiedlichen Alters besagter gehobener Mittelschicht, deren engeres Umfeld kaum divergierte. Etliche Berufssoldaten und ihren Familien werden dabei gewesen sein. Erst mit dem Studium weitete sich der Kreis. Allesamt Sprösslinge auch sie, deren Eltern gut bezahlten Berufen nachgingen. Kaum waren gesellschaftliche Außenseiter dabei, schon eher Charaktere, die dem Mittelklasse-Rebellen selbst ähnelten, eben: Kinder einer gesellschaftlich und finanziell begünstigten, äußerst standesbewussten Schicht. Da lag es fast auf der Hand, das zu tun, was Jim aus Eitelkeit und Selbstschutz auch dauernd tat – zu provozieren. Das will immer auch heißen: Verbotenes ´aus zu probieren´. Noch als schräge Vögel und exzentrische Außenseiter waren und blieben das also Menschen, die einander ähnelnden Verhältnissen entsprangen und so auch im Kern unter ihres Gleichen, einander selbst ganz gleich blieben. Mag Jim den meisten derer, die als ´Normalos´ mit ihm zu tun hatten noch so verschroben vorgekommen sein, ob der zahlreichen Verrücktheiten, mit denen er imponieren wollte: er war und blieb doch einer von ihnen. Das galt bis zuletzt, bis Paris: eine Stadt, die als Zufluchtsort vor allem die abgerissenen Bürgersöhne, – und Töchter der Oberschicht magnetisch anzog. Es waren die Aufmüpfigen, Aufsässigen – die Ausgestoßenen dieser Kaste. Sie wurden auch dort die angeworbene Montur nicht los.

Jims Argwohn rieb sich auch an der allgemein verbreiteten Prüderie, die nicht selten Heuchelei war und blieb: zunehmend fragwürdig gewordenen Moralvorstellung nutzten sich bald in Echtzeit ab. Will heißen: die Zeit wurde allmählich reif für Empörer und Sonderlinge. Was in Jims Flegeljahren als fesche Brise begann, geriet im darauffolgenden Jahrzehnt zu einem frischen Wind, der dann als Orkan durch die angestaubten Bildungseinrichtungen fegte. Das alles begann in den Staaten, nicht hier bei uns. Die Trittbrettfahrer einer mehr herbei phantasierten denn halbwegs geplanten bourgeoisen Revolte, nahm anfangs kaum jemand ernst, denn man hielt das, was sie da trieben, für bloße Ungezogenheit, Rüpelei frecher Emporkömmlinge, von denen man glaubte, sie entstammten hauptsächlich den niederen, ungebildeten Schichten. Ähnlich verhielt es sich auch mit dem Phänomen Beat und ihren schillerndsten Exponenten. Stones und Beatles, deren kreischender oder randalierender Anhang für viel Wirbel sorgte, waren ein Fall für Ordnungsamt und Polizei, Jugendschutz und staatlicher Fürsorge, aber mit dem Jahr 1967 änderte sich alles, auch für Jim, der nicht im Traum daran gedacht hätte, einmal selbst Bestandteil dieses explodierenden Kulturspektakels zu werden.

Jims Jugend mündete Mitte der Sechziger eher zögerlich in eine Karriere als Popstar. Was brachte der bis dahin zurück gelegte Zeitraum jenseits biografisch gesicherter Abläufe, deren Eckdaten mehr oder weniger interessieren, an atmosphärischen Wechseln, an lebendigem Wandel und frischer Veränderung mit sich? Wir haben sie bis hierhin bewusst allgemein gehalten, weil in einem weiteren Kapitel noch konkreter darauf eingegangen wird. So zu fragen rührt auch weniger an Äußerlichkeiten, mehr an der inneren Dynamik korrespondierender Ereignisse: Einzelschicksale und kollektive Befindlichkeiten begegnen und befruchten einander in verwirrender Gleichzeitigkeit. Die begleitenden Pulsschläge lassen sich nachträglich kaum berechnen, weil sie inneren Rhythmen unterliegen, deren Verläufe eigenen Gesetzmäßigkeiten folgen. Manches vollzog sich eher langsam und fließend, anderes jäh und unerwartet, beinahe gewalttätig. Es bleibt unmöglich, das genaue Kräfteverhältnis zu bestimmen. Schon die 50er Jahre wurden und werden, folgen wir diesem Gedanken, allzu einseitig behandelt und entsprechend mit Klischees bedacht, die zur latenten Unruhe divergieren, die unter der reinen Oberfläche einer angeblich so idyllischen, harmlosen Nachkriegszeit bereits rumorte und das überkommene Gefüge erzittern ließ. Eine Art Beben, dessen seismografische Besonderheiten angestammte Gewissheiten und Gewohnheiten herausforderte, durchzieht, unterschwellig, das ganze Jahrzehnt. Wer dächte nicht an die ersten Krawalle randalierender, fast marodierender Rockerbanden schon zu Beginn des Jahrzehnts? Das war, man glaubt es kaum, die Generation der Kriegsheimkehrer. Hells Angels und andere entstammen dieser Linie, wohlgemerkt.

Es war vor allem auch die Zeit ziviler Auf, – und Umbrüche. Allen innovativen und lebensweltlichen Neuerungen zum Trotz behauptete das Hergekommene dennoch die ihm eigene, Wirkungsmacht, sie schien ganz ungebrochen, sozusagen: unbekümmert im Anmarsch völlig neuartiger Tendenzen. Und holte zu entsprechenden Gegenschlägen aus. Die Protagonisten des Hergebrachten waren gleichzeitig auch die eines neuen Zeitalters, und sie bedienten sich unerhörter Potenzen auf technischem Gebiet, ohne die gesellschaftlichen Konsequenzen zu bedenken, die im Zuge solcher Entwicklungen immer ´mitlaufen´ und sich erst mit Verspätung, dann umso hinreißender zeigten. Dem nachfolgenden Jahrzehnt attestiert die gängige Geschichtsschreibung den Durchbruch zu einer mitunter chaotischen Moderne, die aber schon den 2. Weltkrieg kennzeichnete, wie denn das Ende desselben die zweite Hälfte des Säkulums endgültig in ein amerikanisches Jahrhundert verwandelte. Die wilden Sechziger legten eigentlich nur noch frei, was an verwirrendem Ungestüm in den Katakomben archetypischer Erregung geisterte, wie das Phantom in der Flasche. Kaum aus dem Hals derselben geflutscht, geriet dieser neue Geist in beständige Wechselwirkung mit der übrigen Welt, die von den nachfolgenden ´chemischen Reaktionen´ umso nachhaltiger erfasst wurde.

In ihrem dynamischen Verlauf ähnelte diese Dekade der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der dort mit voller Wucht wütende Wandel, der innerhalb kürzester Zeit agrarische Lebensweisen durch urbane ersetzte, hatte sich bereits im ausgehenden 18. Jahrhundert als Projekt einer bald schrankenlos Einzug haltenden Moderne im viktorianischen England angebahnt. Nun folgte ihm das Zeitalter der Schwerindustrie, begleitet von revolutionären Massenbewegungen und, was die Staaten betrifft, schon in der zunehmend monströs anmutenden Erscheinungsweise des ersten modernen Krieges, der mit seinen riesigen Mengen an Mensch und Material schon das zukünftige Massensterben entlang der Schützengräben vorwegzunehmen schien. Es war das bürgerliche Zeitalter, in dem ´Heroen´ vom Schlage eines Krupp, Borsig oder Rockefeller die Welt von Grund auf und für immer veränderten. Und doch: war es auch gleichzeitig die Ära der Spätromantik, vor allem in der Musik, mächtig angestoßen von Richard Wagner, oder die des Symbolismus in der Kunst: allesamt ´anhängige´ kulturelle Erscheinungen einer Epoche, deren typisches Kennzeichen die Entfesselung materialistischer Energien war und blieb. So auch in den 50ern, mit seinen Atom, – und Wasserstoffbomben, dem gewaltigen Ausbau von Infrastruktur, Alltagstechnik und Freizeitmarkt. Möglich wurde all dies nicht zuletzt, weil ehedem mächtige Energien frei gesetzt worden waren, deren Potenzen man sich nun nutzbar machen konnte. Die Vereinigten Staaten besaßen diesbezüglich einen dauernden Standortvorteil. Jim wuchs ja in einer Welt auf, die trotz des imperialen Anspruchs, den ihre Oberen geltend machten, seltsam hermetisch, ja fast verriegelt wirkte. Seine Heimat war von den Verheerungen zweier Weltkriege binnengeografisch vollständig verschont geblieben. Hier herrschten, so gesehen, immer stabile Verhältnisse; sieht man von gelegentlichen konjunkturellen Turbulenzen ab, deren Druckwellen von dort aus rasch die übrige Welt erfassten.

Freilich: ruhigen Zeiten eignet stets ein hohes Maß an prosperierender Unruhe. Es ist die Ruhe vor dem Sturm. In ihr staut sich der Druck, bis hin zum kollektiven Koller, der am Ende Umwälzungen begünstigt, die in diesem Fall die westlichen Industrienationen erfassten, bevor ´der Rest´ der Welt dran glauben musste. Die USA wurden, schon während des Krieges, eine Art Epizentrum, man mag fast meinen: das Maß der Dinge selbst. Als Phänomen, dem sich bis heute sämtliche Lebensbereiche fügen, fasste die Gestalt einer praktischen, alltagstauglichen Moderne in ´Gods own Country´ mächtig Fuß, und hier wurde auch der Tritt vorgegeben, dem sich alle resultierenden Schritte weltweit unterordnen sollten, nicht im Gleichschritt, mehr in der vorgegebenen Marschrichtung. Auch und gerade übrigens in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, selbst ein Projekt der Moderne, dessen theoretische Begründung einmal mehr das Technikgläubige, allzu großspurige 19. Jahrhundert lieferte, ohne zu ahnen, dass hier ein eigener Mythos, ja fast eine Art Ersatzreligion entstand, die dem Fetisch des Kapitalismus passend gegenüberstand. Die fünfziger Jahre gebärdeten sich dementsprechend anmaßend: so im Wettrüsten oder in der Hypertrophie eins bis heute für grenzenlos gehaltenen Konsums. Da kam eine Haltung zum Ausdruck, die auf Menschen anderer Nationen unwiderstehlich wirken musste. In den Staaten brütete man die Mondlandung aus, und wurden erste Kernreaktoren aus dem Boden gestampft, die Städte wuchsen mehr in die Höhe als in ihre Breite, und mit ihnen auch das Leben aus der künstlichen Konserve, womit sich der Übergang von analogen zu digitalen Lebenswelten bereits anbahnte.

Wie täuscht doch die spießige Beschaulichkeit jener Jahre, in denen Jim aufwuchs, über den tatsächlichen globalkolossalen Verlauf hinweg, den man nicht anders als umwälzend und revolutionär bezeichnen kann! Der weltumspannende Siegeszug des American Way of Life, begleitet von der bis heute anhaltenden Ambivalenz, die ihn in verwirrender Gleichzeitig zunehmend in Frage stellte und doch ständig legitimierte, fand auch und gerade auf dem Sektor reiner Unterhaltung statt, in deren Fänge Morrison später selbst hinein geriet. Jazz und Blues wurden jetzt endlich hoffähig. Der Rock´n Roll trat wie ein Gewitter auf. In ihrem Gefolge tauchten plötzlich Gammler und Beatniks auf, deren bloße Erscheinungsform bereits Provokation war. Jim schloss sich deren Manierismen bald an. Alte Helden retteten sich dieweil in endlose Schwanengesänge, die neuen stimmten eigene Arien an. Ob Sinatra oder Buddy Holly, Hemingway oder Ferlinghetti – hier liefen die Stimmen bereits ineinander. Hier wuchs auch endlich eine überaus privilegierte Generation heran, die den verordneten Werte, – und Normen-Kanon zunehmend hinterfragte und gleichzeitig über ausreichend Zeit und Muße verfügte, eigene Lebensvorstellungen spielerisch zu erproben, die denen der Eltern widersprachen, obschon diese sie überhaupt erst ermöglicht hatten. Ohne den Fleiß der Alten hätten die Jungen kaum so bequem durchstarten können. Das durchaus ernst gemeinte, anfangs noch spaßig ausprobierte Aufbegehren, divergierte insofern auch recht ärgerliche, ein wenig überspannt und undankbar wirkende Art und Weise zu den Errungenschaften einer frühen Wohlstandsnation, die ihr erstes ´Wirtschaftswunder´ schon zu Beginn des 20 Jahrhunderts erlebte, was sich etwa darin zeigte, das bald jeder werktätige Amerikaner damals schon ein Auto vom Fließband vor der eigenen Garage stehen hatte. Davon war man im ´alten Europa´ noch um Jahrzehnte entfernt.

Althergebracht und übermütig zugleich, gebärdete sich die US-amerikanische Nation gerade in der Nachkriegszeit so selbstbewusst wie nie, und sie hatte allen Grund dazu. Sowohl im Pazifik als auch in der westlichen Hemisphäre des europäischen Kontinentes waren die Reiche des Faschismus von der geballten Kraft ihrer Militärmaschinerie hinweggefegt worden, wie einst die Monarchien den Empörern der Revolution erlagen. Amerika hatte diesen größten aller Kriege gewonnen, ging gestärkt aus ihm heraus und berauschte sich an der Unwiderstehlichkeit der eigenen Macht, die niemand mehr in Frage stellte. Die resultierende Überheblichkeit zeigte sich im öffentlichen wie auch privaten Leben jener Jahre, das zwischen Geborgenheit und Aufbruch, Selbstgefälligkeit und Sendungsbewusstsein korrelierte. Nur langsam geriet unter Generalverdacht, was als Nonplusultra galt. Gängigen Haltungen und Einstellungen änderten sich dezent und irreversibel erst mit dem Aufkommen jener ´Babyboomer´, zu denen auch Jim zählte. Der verehrte anfangs Elvis Presley und hörte später doch am liebsten die backbiederen Beach Boys.

Jim bekam das alles mit und wird sich seins gedacht haben. Freilich nutzte er seine freie Zeit hauptsächlich zum lesen. Immer häufiger Psychologie und Philosophie, daneben wuchs sein Interesse für Film und Theater. Später, wo es mehr um ihn selbst gehen soll, wird darauf noch detaillierter einzugehen sein. Hier interessiert mehr der zeitlich-räumliche Aspekt. Wiewohl Jim damals eher außen vor stand und nirgends, außer im Sport, eine aktive Rolle einnahm, haben ihn doch gewisse Kontinuitäten so gut wie die sich anbahnenden Umbrüche zutiefst geprägt. Er befand sich einer Art Wartestellung. Auf der Lauer scheint er noch nicht gelegen zu haben. Der von dem Sozialpsychologen Erich Fromm konstatierte Sozialcharakter, dessen Stärken und Schwächen den Mitgliedern ganz unterschiedlicher Gesellschaftformen Orientierung und Identität verschaffen, wird auch Morrison früh geerdet und gerichtet haben, bevor er die begleitenden Kontrollmechanismen als Zumutung und mögliche Alternativen als Befreiung empfand. Womöglich stand am Anfang noch besagter spielerischer Umgang im Vordergrund.

Schon zu Beginn der 50er Jahre sickerten, wie oben angedeutet, gewisse kulturelle Novitäten ein, denen man seitens des Establishments überwiegend mit Misstrauen, Ablehnung oder Ignoranz begegnete, während die Jugend sich, allen Rollenerwartungen zum Trotze, gerade davon immer häufiger angezogen fühlte. Anfangs waren das noch lauter Ausnahmen. Jim war einer, den Ausnahmen grundsätzlich anzogen. Er fühlte sich selbst als Ausnahme – ganz gleich, wie sehr der brave Soldier-Boy den verordneten Regeln im Alltäglichen entsprach, bis er auch damit nach und nach brach.

I´m human, but i´m no ordinary human, no, no, no

Ohne im Einzelnen noch näher auf die Ambivalenzen jener Jahre einzugehen, bleibt zu wiederholen: dass sie auch und gerade in Jims Leben eine (ge)wichtige Rolle gespielt haben mussten. Jim erfasste instinktiv das Wesentliche der Veränderungen und glich die ihn angehenden Potenzen füglich dem eigenen Wertekanon an. Das lief meistenteils über Stimmungen und Affekte, mittels derer die entsprechenden Haltungen und Gebärden justiert werden können.

Im summa: kam eine ganze Menge zusammen in dem nur oberflächlich feisten, als restaurativ und spröde empfunden Zeitabschnitt, den die 50er darstellten. Davon zehrte dann das folgende Jahrzehnt, bis hin zu den in seiner zweiten Hälfte kumulierenden, einander überschlagenden, faszinierend vielfältigen Ereignissen, die sowohl im privaten wie auch öffentlichen Bereich für Furore sorgten. Jim registrierte aufmerksam, was um ihn herum geschah. Noch unbeteiligt und mit sich beschäftigt, geriet er bald selbst in den Strudel der Ereignisse.

V.

Vor der Revolution war alles Bestreben;

nachher verwandelte sich alles in Forderung

Johann Wolfgang von Goethe

Ohne das Aufkommen einer sehr bunten, in Grunde nicht minder ´uniform´ auftretenden Jugendbewegung kann man die Umwälzungen der späten Sechziger nicht begreifen. Sie kam schneller an ihr Ende als gedacht, hinterließ aber tiefe Spuren, die als ´Fahrrinnen´ in die Zukunft wiesen, um nach und nach ´begradigt´ zu werden. Das Schicksal unseres Helden, dessen geschichtlich geronnene Gestalt am Anfang dieser Entwicklung jäh in Erscheinung tritt, scheint zu bestätigen, dass der begleitende Überschwang zum Scheitern verurteilt war. In einer kurzen Spanne vollzog und vollendete sich das Drama seines Erdenwallens: so öffentlich wie verhängnisvoll, schillernd und fragwürdig zugleich, bis zuletzt reichlich versponnen, irgendwie verloren und versteckt in seinen vitalen Bezügen. Die Band war, nach zähflüssigem Beginn, schnell in aller Munde, bald überlebensgroß, wie ein zu schnell gewachsener Riese, der mit den eigenen Schritten nicht mehr mithalten kann, endlich strauchelt und vornüber stürzt.

Ähnlich verhielt es sich mit den seinerseits für Furore sorgenden Ereignissen. Auch die überschlugen sich, und rissen manches von dem, was nicht länger wurzelfest im Boden gründete, mit sich fort. Unter der Wucht des Geschehens wurde nicht weniges auch wieder begraben. Und später dann manches und mehr zu den Akten gelegt oder irgendwie ´kompatibel´ gemacht; je nachdem. Was diese Zeit vor allem auszeichnete war weniger der Gehalt ihrer Ideen oder das Pathos begleitender Ansprüche, die von den Älteren nicht geteilt wurden; mehr die Dynamik selbst, ihr ´Drive´ – der kühne Vorwärtsdrall. Solches freilich kennzeichnete auch die Projekte des Establishments. Ihre führenden Exponenten trumpften in diesen Jahren noch einmal unerhört auf, nicht minder gereizt oder herausgefordert, was den je unterschiedlichen Impulsen zusätzlichen Schub verlieh und die alten Gewissheiten endgültig zu erledigen schien. Alt und Jung begegneten einander in Potenz und Kampfbereitschaft, was zu gewissen Annäherungen führte, wiewohl unerbittlich gerungen und gestritten wurde.

Bis heute hat man das, was in diesem Zusammenhängen gern als Zeitgeist bezeichnet wird, öde vereinheitlicht und mit den fragwürdigen, bequem konsumierbaren Codes und Begrifflichkeiten, den leicht verwertbaren Erkennungsmerkmalen versehen, ihn solcherart also nachträglich hintertrieben, um feiern oder verächtlich machen zu können, was er mit sich brachte. Von den damals Aufbegehrenden wurde nachträglich und bis heute die alleinige Deutungshoheit beansprucht, immer entlang der üblichen, austauschbaren Floskeln und Mittelwerte, die den Schwankungen jener Jahre, ihren fast fieberhaften Ausschlägen nicht wirklich gerecht werden können. Zeitzeugen neigen zu solchen Vereinfachungen, wie denn solcherart auch dezent alles aussortiert wird, was nicht mehr ins Bild passt.

Die damalige Elterngeneration kommt im Zuge dieser historischen ´Flurbereinigungen´ nur noch als Bremsfaktor in Betrachtung, nicht als Beschleuniger. Das verkleinert ihren Anteil am Geschehen ungemein, denn die entsprechenden Eliten gaben noch lange den Ton an und machten dementsprechend Geschichte. Die Aufmüpfigen befanden sich in Wahrheit an der Peripherie, und lange nicht im Zentrum des Geschehens, auch wenn sie die Altvorderen schon vor sich her trieben und dank der Massenmedien in aller Munde waren.  Bis in Trivialitäten hinein bestätigt die hier beleuchtete Dekade, das sich der anfangs herausgeforderte und nunmehr unter Beschuss genommene Mainstream zäh und unnachgiebig behauptete, wie denn seine Apologeten selten freiwillig das Feld räumten und den Ereignissen weniger erlagen, mehr taktisch auswichen oder mit allen verfügbaren, zum Teil beträchtlichen Mitteln dagegen hielten und zum Gegenangriff bliesen. Im flüchtigen Bewusstsein nachgeborener Konsumenten mögen die seinerzeit noch als anrüchig empfundenen Novitäten als ´Typizismen´ erscheinen, deren Stil, – und Genrebildende Kraft längst wieder verpufft oder als ´kalter Furz´ in den flachen Hausgebrauch übergangen ist. Doch bedarf alles bloß Neue der Divergenz, um eigene Konturen gewinnen, ja: überhaupt zu einer selbständigen Kulturerscheinung auswachsen zu können. Die entsprechend griffigen Parolen, deren öffentlichkeitswirksame Aufheizung ihnen schon seinerzeit ein Gros an Bedeutung verlieh, sind heute nichts als leere Geschosshülsen. Der beliebige Gebrauch dieser stets von neuem recycelten Müllreste bedient bis heute das Bedürfnis einfallsloser Komfortbürger, denen Zeit und Geduld fehlt, auf echte Materialsuche zu gehen, überhaupt: die Bestände zu prüfen und gegeneinander abzugleichen. Tatsächliche sozio-kulturellen Besonderheiten werden nachträglich trivialisiert oder verdeckt, überzeichnet oder klein geredet, obschon die kurze Chronik, an der auch ich nicht vorbei komme, immerhin erahnen lässt, wie sehr das Althergebrachte damals unter Druck geriet und doch die vielen öden Stellungen hielt, bis in die nächsten Restaurationen hinein. Das ist im Grunde bis heute so geblieben, weil jede Revolution ihre eigenen Kinder frisst. Allzu vorgestellte Gebärden mäßigten oder beruhigen sich ohnehin mit der Zeit, wie denn hinter der geläuterten Grimasse auch die gestern noch großspurig verkündeten Gewissheiten verleugnet oder verniedlicht werden. Nachträglich erscheint alles ganz selbstverständlich, denn Geschichte siebt mehr, als das sie sammelt; sie kündet gern und berichtet ungern. In einem kaum zu entwirrenden Durcheinander aus Halbwahrheiten, Klischees und Übertreibungen bleibt so auch die Wahrheit, wollte man sie auf das bloß Wirkliche reduzieren, ein frommer Wunsch.

So lässt sich der Übergang vom vordergründig behäbig anmutenden 50er-Jahrzehnt hin zu den ´wilden 60ern´ wohl noch am besten unter dem Eindruck einer Läuterung begreifen, die empfänglich macht. Menschen verinnerlichen nur sehr langsam, was dem Gewohnten, dem als sicher geltenden wiederspricht. Alte Gewissheiten lassen sich nicht über Nacht fortleugnen. Als echte Gewöhnungstiere verbleiben die meisten in passiver Reserve, während sie andererseits doch  unscheinbar die Seiten wechseln, von einer Obhut in die andere sozusagen, wodurch sich auch der Blick aufs Ganze dezent verändert bzw. verschiebt.

Was sich bald nach dem Ende des 2. Weltkrieges in der westlichen Welt ´zusammenbraute´ blieb lange Zeit ganz unbemerkt, denn es berührte den Lebenswandel kaum, der noch nach hergebrachter, überkommener Maßgabe funktionierte. Alles bloß Neuartige erscheint stets als Kuriosität und fristet, dient es nicht auf Anhieb dem Komfort, ein kläglich Nischendasein. Am Anfang jeder weit ausholenden, die Verhältnisse auf den Kopf stellenden Veränderung dominiert der Argwohn, das Misstrauen – die Ablehnung. Junge Menschen gehen sehr unvoreingenommener damit um. Doch bedürfen auch sie die der Vorläufe zwecks Einstimmung und Gewöhnung, vor allem: um die eigenen Reihen zu schließen. Erst in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre schien die Zeit endlich reif zu sein; machte ein anfangs verschwindend geringer Teil der Jugend wirklich ernst, wurden sich seine ´Jünger´ der eigenen Bedeutung bewusst, wie denn das Establishment bald begriff, wie man nicht wenige von denen wieder einfangen konnte. Es gibt bei allem ´Gezeitenwandel´ stets Phasen stillen Abwartens, solche der Schwangerschaft sozusagen, doch auch jene, die mehr der Eile, dem inneren Ungestüm folgen. Den Geburtswehen folgt neues Leben. Die Inkubation bläht sich in dem Maße, wie ihr der Körper verlässlich standhält.

Dem Tempo entsprach also die beharrliche Verzögerung, den Umstürzen die Festigkeit zäher Haltungen, Veranlagungen oder Verfestigungen; wie denn der Sturm an der Oberfläche, so geltungsmächtig und geschäftsmäßig er sich gebärdet, immer von neuem fegen muss, um bis in die letzten Winkel zu gelangen. Das späte 60er Jahrzehnt markierte weniger das Ende einer Epoche, mehr die Gelegenheit, im Vorgefundenen auf Verdacht neu zu leben, entlang eigener Verheißungen und Träume, die das System großzügig duldete, während es sich selbst bis zu einem gewissen Grad veränderte. Man kann sagen, dass den tradierten, den lediglich überlieferten Gewissheiten neue folgten, deren Grundfesten keineswegs so voraussetzungsfrei und selbstherrlich waren wie sich die entsprechende Programmatik las. Dem Althergebrachten konsequent abzuschwören, wagten nur wenige, wiewohl ihnen immer mehr Menschen folgten, indem sie vagen Stimmungen und Gefühlen nachgaben, nicht ohne Hemmung freilich, wie denn der Ballast, den sie bei der Gelegenheit loswurden, eher verschwindend ausfiel. Das war die eigentliche, am Ende zum zerreißen gespannte Situation, von der man glaubte, sie könne das überkommene Gefüge zum erzittern bringen. Die Alten fürchteten, die Jungen begrüßten es. Jim: lebte es. In den 50ern waren fast alle staunende Zaungäste gewesen. Jetzt rissen einige wenige den Zaun ein und eröffneten damit ein weites, noch unbestelltes Feld. Aus Abwartenden wurden Akteure auf Zeit. Weltweit und bis in den allerkleinsten Haushalt hinein veränderten sich die Einstellungen über seltsame Schwingungen, und je beharrlicher das Establishment am überkommenen Luftdruck festhielt, umso nachhaltiger vollzog sich, nach uraltem Gesetz, der atmosphärische Wandel im Ganzen. Jim fühlte sich dem Siedepunkt verpflichtet, nicht dem Geschäft des ´Vorheizens´. Aber gerade daran kamen er und die Band, wie wir noch sehen werden, nicht vorbei. 

Die ´Erweckung´ unseres Helden fand in der für ihn so kennzeichnenden Abgeschiedenheit statt. Lange Zeit eher untätig und ziellos, doch voller Visionen, verharrte er gern im Abseits, in seiner eigenen kleinen Welt, hoffend auf Initiation und Inspiration, auf alles und nichts im Grunde. Manches keimte noch in seelischen Bezirken, tief verborgen, und drängte entsprechend zögerlich ans Licht. Verhalten und abwartend wirkte Morrison jenseits des Rampenlichts, des Trubels und der Aufmerksamkeit. Auch er ein Abwartender, und einer der ganz Wenigen dann. Er nahm sich Zeit. Und endlich alles heraus. Doch immer nach gehörigem Vorlauf, wie mir scheint.

Tatsächlich divergierten Jims ´Exerzitien´ recht deutlich zu gewissen Parolen einer Gegenkultur, die noch im Unbestimmten verharrte, weil sie auf naive Weise ´offen´ blieb. Hier traf er sich mit denen, die irgendwie Ernst machten. Auch er hielt sich stets alle Möglichkeiten offen; achtete sorgsam darauf, sich nicht zu sehr vereinnahmen zu lassen. Seine ganze linkische, weil in sich gekehrte, daher verschwiegene Art rührte da her. Die für kurz überlebensgroße Erscheinung des Stars verdeckt eher, wie fein und verletzlich das Band gestrickt war, das zwischen ihm und den großen Zeitläufen gespannt blieb, bevor die ganze unwirkliche Gestalt daran zerbrach. Das geheime Innenleben dieses Menschen verriet sich nicht selten in Momenten unachtsamer Berührung, wie andererseits die nackte Tatsachenwelt umso gebieterischer den magischen Bezirk seines heiligen Kerns unterwanderte und verheerte. Diesen Zwiespalt wurde er zeitlebens nie los.

Etwas Ähnliches spielte sich auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene ab. Erinnert: Amerika galt noch immer, trotz Korea, als Weltmacht Nummer Eins. Dieser Nimbus bröckelte nun immer bedenklicher. Zu den häufigsten, so kontrovers wie leidenschaftlich kommentierten Themen jener Jahre zählte obenan der US-amerikanische Waffengang im fernen Vietnam. Nicht einzig in den USA, zunehmend auch in Europa und dem Rest der Welt stritt man über Sinn und Unsinn des militärischen Engagements, weniger entlang geostrategischer oder militärischer Expertisen, umso deutlicher aufgrund vermeintlicher oder tatsächlicher moralischer Überzeugungen, die sich auch ideologisch stützen oder zweckentfremden ließen. Vor allem beruhten sie auf einem Wandel in der Wahrnehmung selbst, auf kollektiv-psychologischen Besonderheiten. Damit war ein großes Thema angeschlagen, dessen Pathos alles Übrige ins Unrecht setzte. Lauthals und unversöhnlich, von jugendlichem Eifer angeheizt, gebärdete sich der Protest vor allem seitens der Studenten, deren männliche Exponenten jederzeit damit zu rechnen hatten, selbst einberufen zu werden. Zunehmend rücksichtsloser im Anspruch, der entsprechend unnachgiebig verkündet wurde und zum Privileg einer vom Glück begünstigten, vornehmlich akademischen Jugend zählte, geriet dieselbe hier in Konflikt mit einer anfangs patriotisch gesonnenen, dann zunehmend abwartenden und am Ende eher ratlosen Elterngeneration, die den Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Krieges instinktiv als Angriff auf heilige Werte und Normen begriff, obschon ihr selbst der Glaube an die Richtigkeit der ´guten´ Sache im Zuge zäher, nicht abreißender Verlustmeldungen abhandenkam.

So hoch freilich waren sie gar nicht. Noch der bereits erwähnte Koreakrieg, der viel härter ausgetragen wurde als jener in Vietnam und insgesamt mehr Opfer forderte, zeitigte keinerlei hitzige Debatten und generationenspezifische Grabenkämpfe. Die Zeiten hatten sich unmerklich geändert. Und weil der Aufruhr eben hauptsächlich von jungen Akademikern und Intellektuellen vorgetragen wurde, spielten sicher auch jede Menge Neid und Missgunst in die Irritation derer hinein, denen schon der reine Widerspruch an einem vorsätzlich gerechten Kriege unanständig vorkommen musste. So etwas tat man nicht, das rührte an heiligen Werten, die jeden eigenen Waffengang automatisch legitimieren. Freilich: ging man in die beiden Weltkriege nicht ohne Bedenken hinein, wer dächte, was den letzten betrifft, nicht an Lindbergh und andere Zweifler, die vor dem Waffengang im ´fernen´ Europa warnten. Dort und erst im Pazifik starben gleichsam täglich Soldaten, aber der anschließende Sieg war ein umfassender, endgültiger, ja: triumphaler. Das hatte sich den meisten derer, die nun sichtlich in die Jahre gekommen waren, fest eingebrannt. Wenn nun also Amerikaner in der Fremde für die Sache der Nation wider den Weltkommunismus kämpften und starben, hatte man doch, meinten die Alten, im Mindesten Haltung zu wahren. Die gerechtigkeitskompatiblen Hysterien der Empörer zehrten wiederum vom Befreiungskampf der zeitgleich in letzten Schüben vollzogenen Dekolonisation, pathetisch als ´Erlösung´ der dritten Welt gefeiert. Schien jetzt nicht überhaupt alles in Bewegung zu geraten, weltumspannend wie nie zuvor in der Geschichte? „Seien wir realistisch,“ riet Che Guevara,“ versuchen wir das Unmögliche.“ Hatte folglich die Utopie nicht das Recht und auch die Zeit, und mehr noch: das gute, das wirklich ehrliche und reine Gewissen auf ihrer Seite? Tatsächlich blieben jene, die den quasi religiösen Eifer mittels passender Parolen strapazierten in eigenen Vorurteilen und Wunschträumen befangen; gleich denen, die am Althergebrachten festhielten und nicht begriffen, wie abgestanden und realitätsfern sich dasselbe nunmehr ausnahm.

Seltsam, dass der Soldatensohn Morrison zu alledem so erstaunlich wenig zu sagen hatte. Auch in den Songs. Freilich: traf ihn dann, im wiederum passenden Augenblick, nur umso härter und direkter, was die ganze Nation umtrieb. Steve Harris von Electra Records erinnerte sich an den Abend, als Jim den Text zum Unknown Soldier verfasste. Er „war dann losgezogen, um sich hemmungslos zu besaufen. Es muss ihn ganz schon ausgepumpt haben.“ Man musste den Sturztrunkenen nach Hause schleppen und ins Bett stecken, weil es ihm immer wieder hochkam. Harris wandte sich an Paul Rothchild, der mit von der Partie war, und sagte:“ Schau dir das an. Hier liegt der größte Star von ganz Amerika. Schau ihn dir bloß an.“ Nicht minder angestrengt und verfehlt wirkt auch der Film, den die Doors anschließend am Strand von Venice drehten, um den Song passend zu ´untermalen´: mit einem ziemlich gleichgültig und verwahrlost wirkenden, sichtlich übernächtigten, wohl auch ziemlich angetrunkenen ´Helden´. Nach der symbolischen Erschießung pullert dem das Blut tröpfchenweise aus dem Maul, wie gärende Kodder abgestandener Gärung.

Mochte der Krieg in Vietnam die Gemüter über Amerikas Grenzen hinaus erhitzen: gleichzeitig ruhte, nach dem Ende der Kubakrise, die Konfrontation zwischen Ost und West. Sie war einer berechenbaren, auf verlässliche Absprachen gründenden, nahezu friedlichen Koexistenz gewichen. In diese geostrategisch befriedete Zeit fiel die mit unvorstellbaren Geldsummen finanzierte, schon seinerzeit glorios verklärte Raumfahrt-Hype, gipfelnd in der multitechnischen Meisterleistung jener sagenumwobenen Mondlandung, im Sommer 1969. Kurz darauf fand auch das legendäre Woodstock-Open-Air statt, als eine einzige Folge von Pannen und Fehlplanungen, die das eigenartige Gelingen des ´Events´ – keineswegs das einzige in all den Jahren – eigentümlich, fast sagenhaft bestätigten. Das ´Ereignis´ gründete im Uferlosen, allen vorgegebenen Motivreihen zum Trotz. Ursprünglich als ´Vorschuss´ für ein Aufnahmestudio gedacht, geriet das Event zum Fanal einer Unschuld, die erst der Kommerz nachträglich sichtbar machte.

Man sehe sich den Film genau an: ´richtige´ Hippies und Underdogs sind hier noch deutlich in der Minderzahl. Die meisten derer, die irgendwie zum Gelände in der ostamerikanischen Provinz durchkamen, indem sie am Ende ihre Autos stehen lassen mussten, entstammten der behüteten Mittelklasse, zwar ohne den noch wenige Jahre zuvor obligatorischen Bürstenhaarschnitt, doch insgesamt, trotz halber Matte, eher brav und bieder, noch auf dem Sprung sozusagen: im Zwielicht eigener, ergebnisoffener Biografien.

Kurz zuvor entstanden erste Aussteiger, – und Hippie-Kommunen. Die in den kalifornischen San Gabriel Mountains anno 1965 gegründete Hogfarm war eine von ihnen. Deren Mitglieder trugen durch ihr umsichtiges, friedliches Engagement viel zum Gelingen des Woodstock-Festivals bei. Doch noch im selben Jahr schritten auch die Mitglieder der Manson-Family blutig zur Tat, und in Altamont erledigten wild um sich schlagende und prügelnde Hells Angels auf eigene, recht ruppige Weise den Rest vom Traum, der gerade erst zu blühen begann. Ein Umstand, der damals sogleich gegen die aufkeimende Subkultur ins Feld geführt wurde. Heute tut das niemand mehr. In Wahrheit spielten hier Zufall und Notwendigkeit ein sehr verwirrendes Doppelspiel. Die seinerzeit noch sehr wirkungsmächtigen Lebensweltlichen Divergenzen, geografisch sehr leicht einzuordnen, spielten eine nicht unwesentliche Rolle. Bethel befand sich in Reichweite der ehrwürdigen, wenn man so will: kultivierten Ostküste, und glich einem harmlos- ländlichen Idyll, mit braven, konservativ eingestellten, im Grunde einfachen und bodenständigen Menschen, deren Hinterwäldlertum auch im Film nicht unsympathisch wirkt. Das Festival fiel in den August. Eine betäubende Wärme, mit immer wieder befreienden, erfrischenden Wolkenbrüchen, lullte die Leute ein und frischte sie stets von neuem auf. Die idyllische Wald, – und Wiesenlandschaft betörte und beruhigte zugleich. Altamont befand sich im Westen des Landes, und das Festival fand im Winter statt. Die nähere Umgebung:  öd und abgegrast, kahl und unwirtlich. Als Austragungsort diente eine devastierte, stillgelegte Rennbahn, deren gespenstisches Gerippe eher abstieß als einlud. Es lag Spannung in der Luft, von Anfang an, wie denn in diesem Teil der Staaten noch etwas lebendig geblieben war vom ´wilden Westen´, den Desperados und Wegelagerern, von den Mythen und Legenden all derer, die als Gesetzlose eigenen Gesetzen folgten, das will heißen: exekutierten. Die Hells Angels, am 17. März 1948 in Fontana, Kalifornien gegründet, entstammten dieser Tradition. In Altamont schlug der begleitende Dilettantismus in rohe Gewalt um, hier ersetzten die wie gefräßige Geier grasenden ´Aufpasser´ vom Motorradclub den alten Verbrecher-Adel, während drüben, im beschaulichen Bethel, die Tauben von der Hogfarm, gemeinsam mit geschulten Kräften des Establishment, aushalfen: ein kurzes, langes Wochenende lang. Doch nicht im Osten, eben im Westen des Landes keimte damals die vielzitierte Gegenkultur.

Deren alternative Lebensweisen sehr unterschiedlich ausfielen. Die Manson Family blieb den Weltuntergangs-Visionen ihres Stifters verpflichtet, der mit einem rassistisch motivierten Armageddon rechnete, die Friedensoptimisten von der Hogfarm hingegen huldigten einer sozio-ökologischen Selbstfindung auf Basis traditioneller Lebensweisen. Zum ihrem näheren Umfeld zählten auch die Grateful Dead. Manson machte sich an Dennis Wilson von den Beach Boys heran. Am deutlichsten tritt der Wandel hin zu einem neuen Lebensgefühl denn auch recht passend in der Pop-Musik zutage, die ihn von Anfang an begleitete oder befeuerte, je nachdem. Das alles roch nach neuer Freiheit, womit wir wieder bei den Anfängen angelangt wären: schon die Gründer der Nation liefen damit ´schwanger´, die ungeduldig wartende Jugend litt schon unter den nächsten Wehen.

Hatte in den Staaten der Rock´n Roll nur wenige Jahre nach Kriegsende tobsüchtige Begeisterung und fassungsloses Entsetzen gezeitigt, so waren die bereits erwähnten, frühen Auftritte der Stones gleichsam von Tumulten begleitet, vom Gekreische elektrisierter Massen, die zertrümmerte Stuhlreihen und gebrochenen Nasen, und dazu jede Menge Festnahmen zeitigten. Der kollektive Koller vollzog sich spontan, es musste nicht eigens inszeniert oder angestachelt werden, die Musik reichte und wirkte wie ein Verstärker. Hüben wie drüben also kam es zur Entladung, zum kollektiven Koller, zur physischen Katharsis.

Masse hin oder her: die im Ganzen recht zwiespältige Szene (siehe oben) entstand in der Vereinzelung, in kleineren und größer werdenden Grüppchen. In diesem Zirkeln probierte man aus, was als verboten galt, und alles galt der Befreiung selbst. Vom Ungestüm unbekümmerter oder tolldreister Anfänge zehrten ganze Generationen. Nicht alles konnte sich halten oder behaupten, allzu vieles ist in der abgekochten Variante längst als Dünnsuppe in den Mainstream übergegangen. Ehedem dominierte noch der spielerische, durchaus Ergebnisoffene Umgang mit dieser Freiheit. Mal gebärdete sich grell und laut, was als Provokation bewusst auf ´Anmache´ zielte, dann wieder gaben sich die Protagonisten zärtlich und versponnen, was unter den Auspizien welterlösender Utopien nicht minder anmaßend wirkte. Schon das seinerzeit als anrüchig empfundene Äußere erregte Aufsehen, stieß auf Unverständnis und polarisierte. Noch nicht den Vermarktungsstrategien gewitzter Großkonzerne angeglichen, die als Ausverkauf sämtlicher subkultureller Regungen nachträglich unabwendbar scheint, blieb der flüchtige Blüten treibende Bodensatz insgesamt unglaublich vielfältig in den zahlreichen Spielarten, welch letztere im Bereich populärer Unterhaltungsmusik bis dato nur als Beat oder Blues den Schlagern ihrer Zeit den Rang abliefen. In der Retrospektive wird all dies gern in einem Abwasch erledigt, etwa dann, wenn zum zigsten Male von den wilden Sechzigern die Rede ist, wo doch in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts schon das hysterische Kreischen aufgebrachter Mädchen langsam nachließ, nicht zuletzt, weil diese selbst langsam älter wurden, wie ihre Götterknaben es ja auch taten. Zwar gab es auf Rockkonzerten weiterhin Randale, doch mischten sich vermehrt auch solche unters Volk, die einfach nur zuhörten und vielleicht schon mittels passender Drogen ´andächtig´ wurden. Sergeant Pepper und die Folgen. Tatsächlich verschwammen die fein säuberlich gezogenen Grenzen bereits, denn in verwirrender Gleichzeitigkeit barg ab sofort die Zeit als echtes Gefäß eine Vielfalt an Ausdrucksformen und Gestaltungsmöglichkeiten, was auch zum Kennzeichen moderner, übermütiger Konsumgewohnheiten zählt. Der schnelle Wechsel der Moden, an den wir uns längst gewöhnt haben, ist einer, der in den entsprechenden Nischen und Sparten die Doppeldeutigkeit und Beliebigkeit immer wiederkehrender oder ständig divergierender Formen spiegelt, deren Möglichkeiten maximal ausgereizt und umso schneller erledigt werden. Daher das Inflationäre, bald Beliebige – schnell Austauschbare.

Früh deutete sich ein Zwiespalt an, der die abgenutzten Phrasen, mit denen man heute über damals faselt, nachträglich als reine Phantasieprodukte entlarvt. Man vergleiche etwa die Doors, Iron Butterfly oder Blue Cheer mit Sonny and Cher, Scott McKenzie oder den Mamas und Papas.  Sie alle wurden eine Zeitlang vom Establishment beargwöhnt, mit gewisser Reserve beobachtet, bevor das Unbehagen dann, was gern übersehen wird, in ein freundliches Understatement mündete. Auch seinen extremsten Exponenten gegenüber – Paradebeispiel Alice Cooper. Wer die späten Sechziger meint, der kommt so wenig am einen wie am anderen vorbei: an seinen Engeln und an den Dämonen. Die ältere Generation, soweit es sich um Angehörige des gehobenen Bürgertums handelte, nahm den Hofstaat buntzusammen gewürfelter Neulinge, deren lange Haare und knallbunte Outfits sie alle irgendwie einte und hauptsächlich den Kleinbürger in Aufruhr versetzten, in einer Mischung aus Verwunderung und zunehmend leiser werdender Verachtung immer neugieriger unter die Lupe. Was heute bewusst verdrängt wird: die Alten lehnten die Jungen nicht per se ab. Schräge Klamotten und zottelige Frisuren mochten eine Zeitlang echte Exklusivität für sich beanspruchen, doch hat man sich seitens der Erwachsenen mit denen, die so auftraten, nach zögerlichem Beginn immer unvoreingenommener, sagen wir: geduldiger und entgegenkommender auseinander gesetzt. Herausragende Exponenten wurden nun zum Gespräch gebeten, gern in die Dick Cavett Show, und man lauschte geduldig, mitunter ironisch lächelnd, ihren jeweiligen Ausführungen. Die anfänglich tiefe Kluft verwandelte sich nun eher in einen Graben, den man nicht unbedingt überschreiten musste, weil der gedankliche Austausch auch so, über alle Gräben hinweg, möglich geworden war.

Derlei Ausnahmen bestätigten, aufs Ganze gesehen, noch lange die Regel. Breite Schichten des Volkes blieben abwartend bis ablehnend, doch nicht länger betont feindselig gestimmt. Das Bildungsbürgertum schritt rüstig voran. Mick Jagger verstand es vorzüglich, einer graumelierten Elite des Establishments seine Ansichten so ruhig und locker auseinanderzusetzen, wie dies auch seiner Art jenseits der Bühne entsprach, im Privaten; wie denn die Atmosphäre herzlich und entspannt blieb. Das, was Jagger und Co. zu sagen hatten, tat eigentlich keinem weh. John Lennon, der noch für das Albumcover von Two Virgins splitternackt mit seiner großen Liebe Yoko Ono posierte, zog nun einen Schlafanzug über und enttäuschte, einmal mehr an der Seite seiner Gattin, die Erwartungen der Weltpresse, deren Organe mit einem Skandal rechneten; stattdessen dozierte der auf die Dreißig zugehende ´Noch-Beatle´ über Mittel und Wege, den Weltfrieden zu erreichen. Mitunter gereizt, weil unsicher und dementsprechend verkrampft,  bemühte sich Lennon in den Grenzen eigener Befangenheit um Seriosität, Hof halten und die Stellung gleich mit, um bei der Gelegenheit endlich ´erwachsen zu werden´. Die Fab Four waren vom Empire mit Orden versehen worden (John gab seinen bald wieder zurück) und hatten zu diesem Zeitpunkt, als Band schon am Ende, sichtlich keinen Bock mehr auf Grimassen schneiden oder Unfug treiben. Sie wollten ernst genommen werden, und hatten das unter anderem mit einer eigenen Plattenfirma (die schnell pleiteging) und einem Besuch im fernen Indien versucht, der aber statt einer Erleuchtung nur Ernüchterung zeitigte, wiewohl George Harrison immerhin seine musikalischen Fertigkeiten am Sitar erweiterte. Waren die Älteren der Hysterie um diese Band anfangs mit Kopfschütteln und Verständnislosigkeit begegnet, spielte man die Beatles bald gegen ´schmutzige´ Stones aus. Mochte der ´kleine Mann´ mit der Gegenkultur auch weiterhin Drogen, Tumulte und unverschämtes Benehmen in Verbindung bringen, signalisierte eine liberal gestimmte bürgerliche Elite doch erste Signale zur Verständigung, die auf Versöhnung aus war. Wahrscheinlich war man ernsthaft daran interessiert heraus zu finden, was diese Menschen wirklich umtrieb und woher sie die Chuzpe nahmen, Althergebrachtes so umfänglich in Frage zu stellen. Was wollten die eigentlich? Sie hatten doch schon alles. Es ging ihnen so gut wie keiner Generation zuvor. Dementsprechend ´gelehrig´, in Resten snobistisch fielen die ´Befragungen´ dann aus.

In Europa bot sich ein ähnliches Bild. Die spätere Terroristin Ulrike Meinhof wurde vom Sender Freies Berlin befragt, ´Bürgerschreck´ Rudi Dutschke diskutierte mit Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein und dem Soziologen Ralf Dahrendorf im Audimax der Universität Hamburg, während er dem Publizisten Günter Gauß seine aus heutiger Sicht arg überzogenen wirkenden, polit-affektierten Erweckungsvorstellungen nicht minder ´gläubig´ auseinander setzte. Schon in dieser Zeit entstanden erste Dokumentionen, die sich der Subkultur widmeten, auch diese nicht frei von Untertönen, oft aber auf eine Art und Weise beredt und kultiviert, wie man sich das heute gar nicht mehr vorstellen kann, weil im öffentlichen Mainstream clevere Meinungsmacher dezent die jeweils erwünschte Standards a priori festlegen – und a posteriori clever exekutieren. Mochte die Ausgrenzung unerwünschter Subjekte im täglichen Leben seinerzeit noch lange vorhalten, bot man ihnen andererseits auch Podien im öffentlichen Raum.

Die musikalischen Helden traten mittlerweile ständig im Fernsehen auf. Man kam an ihnen nicht mehr vorbei. Es war eine Zeit, in der sich auch zahlreiche Lebenswege abkoppelten und  verselbständigten. Denen, die so taten, schien nunmehr alles möglich, was im deutschsprachigen Raum vorzüglich in den spät nachgereichten Worten eines der Kaufhausbrandstifter von Frankfurt zum Ausdruck kam, der lapidar feststellte:“ Wir kamen von anderen Stern“ (so der Titel eines Interviews mit dem Aktivisten Thorwald Proll). Im Künstlerischen so gut wie im Politischen, das einen völlig neuen Stellenwert erhielt, wurde nun ernst gemacht. Entlang alter, noch dem vorangegangenen Jahrhundert entstammender Glaubenslehren, die den ganzen Menschen forderten und gleichzeitig im Kollektiv wieder abschafften, sah sich eine irgendwie gläubige Jugend zu unerhörten Konsequenzen in der eigenen Lebensführung genötigt. Wer wollte an dieser Stelle bestreiten, das auch und gerade Morrison, dessen aberwitzige Laufbahn diesbezüglich wenig zu wünschen übrig lässt, in einen solchen Zusammenhang gehört? Doch lehnte er Kollektive zeitlebens ab.

Die späten Sechziger waren auch von Gewalt und Chaos geprägt. Keine Revolution kommt ganz ohne aus. Der anfangs auf das Mittel des zivilen Ungehorsam setzenden schwarzen Bürgerrechtsbewegung entsprangen die Black Panthers, deren Militanz sich zunehmend verselbständigte. Als ´Ausschuss´ der 68er Bewegung entstand gegen Ende des Jahrzehnts auch der deutsche Linksterrorismus. Mit harmlosen Sit In´s und Happenings, in denen teilweise schon die Möglichkeiten bewaffneter Aktionen spielerisch erprobt wurden (Bsp. ´Puddingattentat´) hatten diese Leute nichts mehr zu schaffen. Das Politische gewann nun überhaupt an Schlag, – und Sprengkraft, an Bedeutung und an Vehemenz, es gebärdete sich utopisch und visionär, und kam doch auch dem Katzenjammer eigenen Unvermögens, der sich in blindem Aktionismus gefiel, nicht mehr heraus.

Die Popkultur beschwor, spätestens nach der Veröffentlichung von Sergeant Pepper, eigene Phantasiewelten. John, Paul, George und Ringo hatten das Geschrei auf ihren Konzerten gründlich satt bekommen, das endlose Touren sowieso. Was anfangs befeuerte, ermüdete nur noch. Ab sofort war Zeit im Überfluss vorhanden, während sich gleichzeitig auch die passenden Drogen einstellten. Jetzt erst geriet auch innerlich in Bewegung, was ehedem hauptsächlich physisch aus der Reserve trat. Auf dem Sektor populärer Unterhaltungsmusik waren die Fab Four nicht einzig Vorhut und Vollstrecker, mehr noch: zeigten sie mit ihren späten Alben eine verwirrende Vielzahl an Möglichkeiten auf, lange vor jeder Nischenbildung. Sie verpassten ihrem Genre einen gehörigen Schub, der weit über die bis dahin für möglich gehaltenen Grenzen hinaus schoss, tief in das nächste Jahrzehnt hinein. Das blieb nicht ohne Folgen für den Mainstream. Der seinerseits auf Pop und Rock abfärbte. In den späten Sechzigern verstärkten nun auch deren Heroen die eigenen Songs mit Streichern und Bläsern. Und wurden von der ´Gegenseite´ umworben. Das Schlagerpärchen Cindy und Bert nahm Paranoid von den düsteren Black Sabbath als Hund von Baskerville in ihr ansonsten glattgebügeltes Repertoire mit auf, die früh verstorbene Alexandra schwelgte in dunklen Wolkenmeeren und beklagte einen toten Baum. Der Schnulzenspezialist Adamo (Es geht eine Träne auf Reisen) ließ einen gehenkten Schwarzen in die Hölle fahren. Vicky Leandros wurde im deutschen Fernsehen den Hardrockern von Deep Purple anheimgestellt. Die kuriose optische ´Verbrennung´ wirkt nachträglich nahezu dadaistisch und wäre in dieser Form heute kaum noch möglich. Wie denn Jon Lord seine Band lautstark gegen das Royal Philharmonic Orchestra anfauchen ließ. Für einen kurzen Moment waren die Genre-Grenzen wirklich gesprengt, bevor die resultierenden Varianten wieder in passende Sparten aussortiert wurden. Man mag derlei ´Experimente´ rückblickend als Fußnoten werten, aber darin kommt meines Erachtens ein Kuriosum zum Ausdruck, das mit jedem weiteren Beispiel recht eindrucksvoll für sich spricht. Die sorgsame Einhegung kommerziell verwertbarer künstlerischer Ausdrucksformen, dich sich dementsprechend abrichten und ´anrichten´ ließen, nahm erst in den siebziger Jahren wieder an Fahrt auf. Eben das unterschied sie von den wenigen Jahren, um die es hier geht. Hier war alles viel intensiver und ´echtzeitiger´ als zuvor oder danach. Überall in der zivilisierten Welt war jetzt ein Aufbruch möglich geworden, schien zum greifen nahe. So empfanden das übrigens beide Seiten.

In einer Betrachtung über Jim kommen wir schon jetzt an den Drogen nicht vorbei, deren Einfluss häufig unterschätzt und auf bloße Allgemeinplätze reduziert wurde. Der psychedelische Frühling schlug in den Staaten hohe Wellen und wurde noch Jahre später im deutschen Krautrock eigentümlich fortgesponnen. LSD war die Modedroge, zunächst ein ´legal high´, also frei erhältlich. Überhaupt nahm man sich jetzt Freiheiten heraus, die ehedem als unmöglich betrachtet wurden. Befreiung hatte damals auch etwas mit Freizügigkeit zu tun. Eine, die heute zur inflationären Dauerhaltung zwecks kommerzieller Rundumzerstreuung heruntergekommen ist, damals aber wahre Entrüstung bei den Älteren auslöste, weil sie den Sturz der Ordnung zu provozieren schien. In Deutschland schwappt die Sexwelle über, die Haare wurden ab Mitte der sechziger Jahre immer länger, die Klamotten schreiend knallig, und das Leben löste sich in den Biotopen einer herrlich unbeholfen agierenden Alternativ-Ökumene für Momente aus den angestammten, verlässlich bindenden Zwängen. Die entsprechende Gründer-Stimmung hielt sich nicht lange, wirkte aber ungemein nach. Das Hergebrachte geriet jetzt wirklich unter Generalverdacht, wie die divergierenden Lebensweisen immer waghalsiger erprobt oder blindlings neu erfunden wurden. Jim sprach vom hemmungslosen ´Ego-Trip´, für den man irgendwann einmal zu zahlen hätte.

Der Trip steigerte den Rausch und beschwor einen Riesenkater. Man eckte an und geriet ins Zwielicht. Es entstanden Szenen, die als vorrausetzungslos anmutende Gegenwelten ihren Mitgliedern die Möglichkeit boten, bequem ´aussteigen´ zu können. In den entsprechenden Randbezirken gesellschaftlicher Realität geriet die alltagsübliche Wahrnehmung unter die Räder, und das bewusste Erleben und Empfinden sollte und wollte revolutioniert, sozusagen auf den Kopf gestellt werden. Solcherlei spielerisch erprobte Entwürfe freieren Lebens kontrastierten zu denen, die noch immer auf bewährte Haltungen und Handlungen setzten. Die bereits erwähnten Landkommunen wurden durch solche in den Zentren ergänzt, ja von diesen zahlenmäßig bald übertroffen, wie denn gerade dort, im urbanen Milieu, passend das Politische dominierte. Im ganzen darauffolgenden Jahrzehnt, und mit Abstrichen auch noch in den Achtzigern zehrten die zahllosen Ökobewegungen, K- Gruppen oder Spontihaufen vom Anfang; als in sich versponnene, autarke Szenen, die erst mit dem Aufkommen großer Parteien und transnationaler Organisationen (GRÜNE, Greenpeace usw.) in die Falle gingen, die ihnen das System stellte. Sie fanden so in den Fuhrpark konventioneller Verwertungsmaschinerien zurück, was von den immer weniger werdenden Puristen bis zuletzt beklagt wurde. Die Transformation kann heute als abgeschlossen gelten. Auseinandersetzungen kreisen nicht mehr um Prinzipien oder Überzeugungen, nur mehr um die ´Sache´ selbst, die keinen Aufschub duldet. In den späten Sechzigern vollzog sich hingegen eine Dialektik, die sich echten Widersprüchen rieb und unumkehrbar schien. Es war eine Zeit sichtbarer, mit bloßen Händen greifbarer Gegensätze, allen gegenseitigen Berührungen und Durchdringungen zum Trotz, die den begleitenden Antagonismus bestätigten. Hier rang man noch um echte Überzeugungen, um Werte auch, sie mochten unerhört neu oder abgestanden alt sein.

Den Epochenbruch kennzeichnet, beiderseits, eine Art Mobilmachung. Die technische Kolossal-Leistung der ersten Mondlandung auf der einen Seite, auf der anderen das in einem Meer aus Abfall endende Woodstock-Festival: beides fügte sich in eine Zeit, die dafür offenbar reif geworden war. Hier die Schlammtriefende ´Mondlandschaft´ einer eben noch mit fünfhunderttausend Jugendlichen bevölkerten, nunmehr völlig abgetrampelten Milchwiese, dort wiederum, nicht minder weit von den üblichen Verhältnissen entfernt, eine solitäre, gleichsam unwirklich und traumverloren anmutende Kraterlandschaft, die als menschenfeindliche Umgebung doch für Augenblicke zwei Menschen barg, die mit Milliarden anderen in telekommunikativer Verbindung standen. Beides irgendwie: spaced out. Das galt auch für den Krieg in Vietnam, mit seiner Materialüberladenden Kriegführung und den immer öfter im Drogennebel ´abufernden´ Einsatzfreien Stunden, denen sich die Soldaten in einer Mischung aus Fatalismus und Gleichgültigkeit hingaben. Eine sehr bezeichnende, vielzitierte Parole jener Zeit dachte sich denn auch der ´LSD-Gelehrte´ Timothy Leary aus: Turn on, tune in – drop out. Man konnte es sich aussuchen: aussteigen oder voll einsteigen, je nachdem.

Komfort und Konsum ließen sich in einem bis dato unvorstellbaren Ausmaß steigern. Die Perfektionierung des Alltäglichen mochte zu besagten Abkopplungs, –  und Befreiungsbewegungen eines Teiles der Jugend kontrastieren, doch deutete sich in diesem Systemzusammenhang deutlich an, das der Luxus unverbindlich anmutender gesellschaftlicher Gegenentwürfe womöglich erst in einem solchen Umfeld an Fahrt aufnehmen konnte. Nicht länger zwangen Not und Entbehrung zum Verzicht, den Härten des Lebens folgten die für selbstverständlich gehaltenen, gratis ein geheimsten Wohltaten. Die in diesem Augenblick auch schon wieder, ihrer überdrüssig, in Frage gestellt wurden. Das geschah nicht zuletzt, weil der konstituierende Tugendkanon noch immer von den Älteren vertreten und verteidigt wurde. Sie zu beerben, zappelte der Nachwuchs bereits unruhig in einer Art  Warteschleife.

Das Alte hielt sich also zäh und behauptete die eigenen Stellungen wacker; allen Stürmen und Barrikadenkämpfen zum Trotz. Am Beharrungsvermögen derer, die nur Undank und Unreife am Werk sahen, entzündete sich der jugendliche Protest umso verbissener. Kraft seiner Festigkeit trug gerade das vermeintlich Überholte zum Mythos besagter Gegenentwürfe bei, die eben deswegen umso deutlicher an Kontur gewannen, wiewohl sie im Ganzen unausgegoren blieben. Das verwirrende Wechselspiel fasziniert auch, ja gerade heute; wiewohl in Zeiten permissiver Beliebigkeit, die zunehmend abstumpft, schwer fällt, die resultierenden Spannungsbögen als solche passend auszumessen. Auch die atmosphärischen Aufladungen sind uns Heutigen als solche gar nicht mehr fühlbar, fassbar. Vieles von dem, was damals provozierte, hat sich mittels routinierter Praktiken bis in unsere Dekade gerettet und entbehrt, solcherart vergesellschaftet, der Kraftspendenden Euphorie, die jeden echten Anfang adelt. Man verliert seine Unschuld nur einmal im Leben, alles Übrige ist entweder Ersatzhandlung oder Kopie.

Von Amerika gingen damals noch immer die meisten jener Impulse aus, deren wuchtige Geburtswehen das Gefüge der Verhältnisse weltweit zum wackeln, und dann zum ´tanzen´ brachten. Dies gilt für die markanten, ikonenhaften Ereignisse so gut wie für den Verlauf großer, nur langsam Dämme brechender Ströme, deren sattsam herunter zitierte Marksteine echten Pegelständen gleichen. Situativ Bedeutendes behauptete sich im Dauernden, manches verflüchtigte sich allzu rasch wieder und wurde Legende. Noch einmal Woodstock und die Mondlandung. Als große, Stimmungsstarke Augenblicke, bestätigten sie einander im Gegensätzlichen, dass der Ergänzung im großen Ganzen fast von selbst bedarf. Es gab, banal gesprochen, nichts Vergleichbares. Wie von einem anderen Stern: kam beides irgendwie rüber. Woodstock erfüllte sich jenseits unzureichender Planung im Chaotischen, Spontanen, so spielerisch wie primitiv. Die Mondlandung krönte ein Planspiel sondergleichen, wie es kontrollierter und sorgfältiger, perfekter und professioneller bis dato noch nie durchexerziert worden war. Und doch war das Großereignis verdächtig trip-affin, groovy noch in den holperigen Übertagungsbildern, die so überbelichtet wie schattenhaft unwirklich, seltsam bleich und grell aufgeladen zugleich erschienen. Gigantisch wirkte auch Woodstock, durch die bloße Masse Mensch, deren durchweg jugendliche Angehörige sich in friedlicher, kaum abgesprochener Übereinkunft auf einem Acker versammelten: ausufernd, ja überbordend bis an den Rand der Milchwiese und weit darüber hinaus, doch nie in Unruhe geratend, eine kollektive Mitte haltend, die sich scheinbar von selbst einpendelte. Von dort aus lauschten sie denen, die auf einer solide gebretterten Bühne spielten und auf ein Meer von Menschen blickte, wie denn die Fernsehgemeinde mit Hochspannung die umso ferneren Klänge aus dem All in Form von Bildern serviert bekamen. Alle hielten sie den Atem an, nahmen sie an einer Ungeheuerlichkeit teil, die bis dato ihres gleichen suchte. Jenseits der Erdkruste befanden sich die Astronauten, schwerelos und dem Grenzenlosen so nahe wie niemand vor Ihnen, doch galt das auch für viele derer, die sich in Woodstock auf ihre eigene Reise begaben. Kreuzbrave Amerikaner fühlten, je näher die Landung heranrückte, sicher Ähnliches; etwas, das ihnen vermittelte, an einer besonderen ´Sache´ teilzuhaben…

Die begleitenden Vibes spiegeln seit je das Interessante als ein durchaus Typisches. Färbung, Duft und Kolorit solcher Ereignisse markieren im Grunde schon den Abfall. Danach ist dann nichts mehr  wie es war, auch wenn die elende Conditio Humana alles als groß Empfundene oder Gedachte lästerlich hintertreibt, indem es die Ereignisketten trivialisiert. Im Gegensatz und im Einvernehmen nahmen sich beide Großereignisse als das aus, was sie waren und bis heute geblieben sind: Spektakel. Mit jedem neuen Jubiläum gewinnen sie an Strahlkraft, an nostalgischer Verklärung – an mythischer Bedeutsamkeit also. Die in den je dargebotenen Formaten zügig verflacht. Sie haben also einerseits immer weniger mit den eigenen Tatsächlichkeiten zu tun, die den Inszenierungen allenfalls als Staffage dienen; andererseits ballen sich in der Retrospektive Bedeutsamkeiten und Kuriosa, die erst aus der Abstandsperspektive an Bedeutung, an Raum und Weite gewinnen. Morrison konnte schon in seinen letzten Interviews recht gelassen auf eine Zeit zurückblicken, die ihm naiv erschien: eben das machte ihre Stärken und Schwächen aus, ohne die sie gewöhnlich geblieben wäre.

Die altgewordenen Veteranen geraten meist ins Schwärmen oder ins Lästern, blicken sie auf eine nunmehr infantil anmutende, allzu kurze Dekade zurück. Sie lässt sich eben erst im Rückblick beliebig blähen und behäbig bürsten, billig bewundern oder ungläubig bestaunen, sie entzückt ob ihrer Reize, die flüchtig scheinen und doch überdauernd fortwirken. Abgehandelt werden sie gern als ´68er Prospekt´, gefüllt mit lauter Sonderangeboten, die nichts zu wünschen übrig lassen außer dem Wesentlichen selbst, das nicht zum Sparpreis eingekauft werden kann.

Now i embrace the poetry of business & become – for a time – a ´prince of industry´

Mag denen, die qua Geburt dabei waren, das Wesentliche auch im Laufe der Zeiten entglitten sein, weil der Abstand der Jahre hauptsächlich trennt und das Gewesene auf übliche Weise verklärt oder verniedlicht: die noch in Resten gefühlte Gewissheit, etwas wirklich Besonderes erlebt zu haben, bleibt und hält, was sie den Exponenten einst versprochen hatte. Ich erinnere mich an ein Interview, das der Meister des Banalen, Paul Mc Cartney, seinerzeit dem SPIEGEL gewährte. Es lohnt, einige seiner Bemerkungen ganz und im Wortlaut zu zitieren. Weit davon entfernt, im Sinne eines ´Damals war alles besser´ zu schwadronieren meinte er anno 91 im Gespräch:“ In den siebziger und achtziger Jahren ist nichts passiert, was die Menschen bewegt hat. Es gab keine neue Philosophie, keine neuen Gedanken, keine neuen Ideen. Nur Yuppies, Optionsgeschäfte an den Börsen und dieser ganze Quatsch. Nichts, was die Menschen weitergebracht hätte.“ Das eben mache den Unterschied zur schillernden Halbdekade jener späten Sechziger Jahre aus:“ Die Jugendlichen entwickelten damals zum ersten Mal ein eigenes Selbstbewusstsein und ein eigenständiges Denken: Liebe, Frieden, Meditation, Ökologie.“ Das alles klingt, in der bloßen Aufsummierung, simpel und hergeholt, stimmt aber trotzdem noch im Kleinsten: die Zeit davor zehrte vom Schwund der letzten Reste, die Zeit danach verramschte im Äußeren und auf´s Äußerste, was vom Überfluss übrig geblieben war. Dazwischen lag, gleich einer kurzen, knappen Renaissance, der Rausch der Entfesselung, die sich erst im langsamen Vollzug beruhigt und endlich verflüchtigt. Auch der vor einigen Jahren verschiedene Joe Cocker, dessen Auftritt in Woodstock tatsächlich wie ein Mythos gehandelt wird, schwärmte immer wieder in Gesprächen, wie sehr ihn gerade die späten Sechziger angerührt haben – und wie einmalig sie ihm bis zuletzt vorkamen.

Dies ist nicht der Ort, das nachgewachsene Dickicht flächendeckend aufzuforsten. In sämtlichen Bereichen menschlichen Lebens entstand ein Wald, den man bald vor lauter Bäumen nicht mehr sah. Uns interessieren mehr die seltenen Formen organischer Verbindungen, deren sämtliche rasch an der eigenen Kraft zugrunde gingen oder in versteckten Winkeln verkümmerten und den herkömmlichen, den ´gesunden´ Ablegern wichen. Im Phänomen Krautrock wuchs sich der romantische Überschwang recht passend zu einer Kuriosität allerersten Ranges aus. Deutschland, als Mutterland der Romantik, bot den passenden Nährboden, hier schoss also, sinnbildlich gesprochen, etliches an seltener Spielart ins Kraut, aber zu deutscher Sauberkeit und Gründlichkeit zählt auch der feste, peinlich umzäunte Schrebergarten. Zahlreiche divergierende Stile und Kunstrichtungen fanden immerhin kurz und intensiv zueinander, bevor die Stricke wieder rissen,  und noch in den banalsten Erscheinungsformen findet sich etwas (oder mehr) von der Gräben aufreißenden und Grenzen verschiebenden, wechselseitig befruchtenden Singularität sich mischender Säfte und Kräfte. Die begleitenden Euphorien lassen sich heute nur mehr künstlich aktivieren. Mitte der Siebziger hatte sich schon aufgebraucht, was über zahlreiche Symbiosen dennoch weiter wuchs und wurde. Schaut man sich die Urgesteine deutschen Krautrocks einmal genauer an, die Edgar Froese und Klaus Schulze, Hans Joachim Roedelius, Michael Rother oder Florian Schneider, so fällt auf, das sie drüben den kommerziellen Verlauf ihrer Karriere vorzüglich anschieben konnten, ´daheim´ aber, im nur langsam und zögerlich nachziehenden Deutschland, die wahren Genietaten vollbrachten, gleich zu Beginn. Im seinerzeit noch Bildungsbürgerlich behäbigen Deutschland war möglich, was in den Staaten rasch verflachte, sich umso länger im britischen Königreich hielt und vor allem im westlichen Teil Europas noch in kostbarer Gestaltung letzte Blüten trieb, bevor das Gewächs verdorrte. 

Die späten Sechziger versteht vielleicht am besten, wer sich nicht allzu sehr um Wahrscheinlichkeiten kümmert, die auch nur ein Produkt des Zufalls sind und bleiben. Das im Grunde atemlose Geschehen kennzeichnete ein knappes Jahrfünft, bis am Ende buchstäblich die Luft raus war und künstlicher Beatmung vorbehalten blieb, den Traum leidig am Leben zu halten. Die Strahlkraft der Frühe verebbte rasch, wie denn die stärksten Suchscheinwerfer nachträglich nur mehr grelle Schneisen in den ringsum verdunkelten, langsam erkaltenden Zusammenhang schlagen. Das Eigentümliche verflüchtigte sich, indem es  zunehmend verflachte. Galt irgendwie auch für die Doors, die zum Schluss eher den mühselig-monotonen Blues ihre Uranfänge bevorzugten und von den gewagten musikalischen Experimenten mehr und mehr abließen.

Letzteres wird häufig als Affront gewertet. Die jüngere Geschichte erteilt uns hier mancherlei Auskünfte. In Analogie zu den ´Swinging Sixties´ sorgten auch die ´wilden Zwanziger´ kurzzeitig für eine in manchem ähnliche, recht euphorisch anmutende Aufbruchsstimmung, deren kecker Überschwang im Schatten der Weltwirtschaftskrise rasch wieder verblasste. Schon in den Jahren vor dem Weltkrieg braute sich allerhand zusammen, während im Anschluss an diesen die materiellen Dürrejahre ein genreübergreifender Effekt ausbleiben musste. Freilich: werkelte, in kleinen Zirkeln, eine schmale Avantgarde unbekümmert weiter. Es waren anomale Zeiten, und dem entsprach der Epochenbruch, dem diese Leute auf künstlerischem Felde ordentlich nach halfen. Die letzte große Krise, gipfelnd in der Hyperinflation des Jahres 1923, markierte den eigentlichen Wendepunkt. Fortan ging es wieder stet bergauf. In den nun folgenden Jahren tobte sich, vornehmlich in den Metropolen, das pralle Leben aus. Nicht wenige von den Alten, die den Krieg nur als Zaungäste miterlebt hatten, empfanden das resultierende Treiben als eine Art Kulturschock. So vor allem in der Kunst. Bereits die ´Happenings´ der Dadaisten ähnelten denen der späten Sechziger auf verblüffende Art und Weise. Der nachfolgende Surrealismus ging noch einen Schritt weiter, indem er tiefer, bis in die entlegensten Traumgespinste hinein oder hinab stieg. Seine Vertreter brachen radikal mit bestehenden Normen und Gebräuchen, wie denn ihre ´Programme´ und ´Manifeste´ nahezu alles, was unser Held später in eigener Sache erklärte, vorwegnahmen. Vom automatischen Schreiben ohne gedankliche Verwirrung (André Breton) bis zur Feier des Absurden (lange vor Camus): zielte der künstlerische Ausdruck auf ´sinn-bildliche´ Entrückung zwecks Steigerung der Wahrnehmung selbst, unübertroffen geltungsscharf dargestellt in den Traumgespinsten Salvatore Dalis, deren altmeisterliche Gegenständlichkeit den Reiz des Verborgenen und Verbotenen symbolisch verdichtete und so mit dem Diesseitigen vermählte.

Wie eng die Gegensätze beieinander lagen, zeigt sich etwa darin, dass den ans Rokoko erinnernden Jugendstil nur wenige Jahre von der nüchternen Sachlichkeit des Bauhauses trennten, der im Grunde eine illegitimes, wenn man so will: fremdgezeugtes Kind des Futurismus war.

Die gesellschaftlichen Veränderungen jener Zeit, deutlich sichtbar in der Emanzipation des ´schwachen Geschlechts´, konnten von einer späteren Zeit nicht mehr ausgetilgt werden. Sie hatten in den Fabriken der Kriegsindustrie so etwas wie Morgenluft geschnuppert. Auch und gerade optisch, entlang modischer Besonderheiten, wehte fortan ein schneidend frischer Wind durch die muffigen Gassen klassizistischen Pomps. Dem entsprach ein sich steigernde Hedonismus der Städte; trotz allen Hinterhof-Elends. Nach verheerendem Weltkrieg und Jahren materieller Entbehrung, denen eine seelisch heimatlos gewordene, materiell unterversorgte und geistig verhungernde Bevölkerung entsprach, bildeten die avantgardistischen Kreise das Laboratorium der Zukunft. Sie sorgten nicht für Geborgenheit, sie stießen eher vor den Kopf, und damit mancherlei Entwicklung an, die vor allem auf Emanzipation und Befreiung zielte. Faschismus und Kommunismus vollstreckten im Politischen eigene Gewissheiten. Dem spielerischen Milieu Kunstaffiner Kreise und Zirkel entstammten damals die kaltblütigen Vollstrecker einer heiß fiebernden, revolutionären Avantgarde, deren bekannteste Exponenten bald zynisch über Leichen gingen, um ihren Phantasma gehörig Geltung zu verschaffen.

Man schaue sich diese Gestalten einer hemmungslos gläubigen, rücksichtslos richtenden Jugend nur etwas näher an. Etwa den längst in Vergessenheit geratene Karl Radek, später Mitglied des Zentralkomitees der KPDSU, dessen totalitärer Rigorismus der Oktoberrevolution die passenden Schlagworte und Parolen lieferte. Auf einer Fotografie aus dem Jahre 1920 posiert Radek wie ein heiter Hof halternder Beatnik; mit krauser Mähne und ´Lennon´ Brille schon als echter Bürgerschreck erkenntlich. Den diabolischen Blick begleitet ein weiches, fast zärtlich anmutendes Lächeln. Abzüglich der Uniform, die er trägt, mit dem Messer in der Brusttasche, ähnelt Radek auf Anhieb tatsächlich mehr den frühen Freaks und Acid Heads der amerikanischen Westküste als einem tödlich entschlossenen Politkommissar, zu dem er sich seinerzeit rasch mauserte. Koca Popovic, Millionärssohn und unter Josip Broz Tito ranghoher Partisanenführer, entstammte dem Belgrader Surrealistenkreisen und studierte an der Sorbonne Philosophie, bevor er sich der verbotenen Partei anschloss – und über Leichen ging. Letztes Beispiel: der junge, noch völlig bartlosen Trotzki. Nichts deutet auf den späteren Militaristen hin, schaut man sich die frühen Jugendbildnisse an, deren gut erhaltene Aufnahmen einen vor Idealismus und Überschwang strotzenden, ungestümen Hitzkopf mit toupiert wirkender Wallemähne abbilden. Vor allem auf der utopischen Linken und in Kreisen der extremen Rechten brüteten solcherlei schräge Vögel ihre goldenen, am Ende faulen Eier aus. Nach dem großen Krieg, der eine ganze Epoche und ihre Ordnungen unter sich begrub, verschreckte diese Generation ein im ganzen abgelebtes, brav biederes, durch und durch bürgerliches Personal, deren ergraute Eminenzen nur mehr abgelebte Allgemeinplätze liberaler Herkunft aufwärmten und damit nicht einmal ihre eigenen, müde gewordenen Anhänger von deren Öfen fortlocken konnten. Der alte Kanon, angestaubt und abgegriffen, zog nicht mehr. Seine altbacken und vorgestrig klingenden Gewissheiten verpufften bei der Jugend wie kalte Fürze.

Dabei lag ein Zeitalter hinter ihnen, das zuletzt am eigenen Fortschrittsoptimismus erstickte. weil Vital in seinen merkantilen Äußerungen, doch zunehmend hohn und Ideenlos im Innern, versackte es im Materialismus, während die frühen Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts noch unentschieden zwischen Aufklärung und Romantik oszillierten. Es war ein ganz und gar bürgerliches Zeitalter gewesen. Nun kam groß in Mode, anti-bourgeois zu sein. Die so sein wollten, machten mit den gleichsam dem vorigen Säkulum entstammenden polit-utopischen Gegenentwürfen – Nationalismus und Sozialismus, Marxismus und Kommunismus –  bitter ernst. Erst nach dem großen Weltenbrand war die Zeit dafür reif geworden. Am Vietnamkrieg entzündete sich nicht minder die Flamme einer Freiheit, die an beiden Enden des Wachses abbrannte und einmal mehr auf nämliche Ideologien setzte.

Tatsächlich setzte sich die progressive Jugend des frühen 20. Jahrhunderts schon vor dem großen Krieg vom altvorderen Personal ab, wiewohl in letzten Resten tributiös. Auf europäischem Boden bot die trügerische KuK-Epoche den passenden Bodensatz, der einen Wechsel im Anbau vertrug und umso reichere Ernte versprach. In der Kunst auf recht schrullig anmutende Art und Weise. Mit letzter, zartfühlender Eleganz schwangen sich die Reste feingliedriger Ranken aus der abgenutzten Scholle. Könner wie Gustav Klimmt, der auf dem Gipfel seiner Meisterschaft einem alternden Hippie glich und im Gewand eines Guru Hof hielt, einem altgriechischen Hellenen gleich, führte den Pinsel mit der Andacht eines Säulenheiligen, denn er vollzog und vollendete das verschnörkelte Ideal erwähnten Jugendstils, dessen heute kitschig wirkende Girlanden die Epoche künstlerisch beglichen und so verräterisch den Event-Plakaten der psychedelischen Ära ähneln.  Desgleichen muss an die in etwa zeitgleich auftauchenden und im Ganzen artverwandten Kunstwerke des eher traditionell orientierten Symbolismus erinnert werden, auch sie überkommen und meisterlich im besten Sinne, verführerisch dekadent und als trügerische Abbilder großbürgerlicher Hypertrophien die ihnen vorauseilenden oder mächtig nachholenden Revolutionen in der darstellenden Kunst konsequent konterkarierend. Noch Dali zehrte in seinem Werken recht anschaulich von den Steilvorlagen dieser Kunst. Ein letztes reaktionäres Aufbäumen bot die Bewegung der Wandervögel, deren Verwandtschaft und Nähe zu den späteren Totalitarismen nicht von ungefähr kommt. Man sieht: das alles lag ganz dicht, ganz nah beieinander.

Klassizismus und Romantik hatten sich nunmehr endgültig verausgabt und überlebt. Die jäh aufbrechende Formenvielfalt bunt abstrakter Malerei, erstmals in den verkopften Werken Wassily Kandinskys auftauchen, zeitigten einen Sturm der Entrüstung und ähnelten, abzüglich der formalen Strenge, die ihr der Meister aufnötigte, bereits den farbtrunkenen Visionen der Acid Heads. Unerhört und frech mutete an, was sich am überkommenen, weiterhin wirkungsmächtigen Kunstverständnis derer biss, die noch immer in den gußeisernen Grenzen monarchischer Erhabenheit und tradierter Strenge residierten… oder vegetierten? Eine unzufriedene und unverbrauchte, dem Ungewöhnlichen zugeneigte Schar junger, nicht selten exzentrisch auftretender Spunde verschaffte sich, nach Dekaden langer, verlässlicher Ruhe, im Anschluss an gewaltige Umbrüche, immer vernehmlicher Ausdruck und Gehör.

So ähnlich, steht zu vermuten, gärte es auch im Innern derer, die in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre den eigenen Bewusstseinswandel wie eine Erlösung empfanden, bevor sie dazu übergingen, ihren neuen Glauben öffentlich zu Markte tragen. Radikal gläubig. Und wie von Sinnen. Man begreift derlei gesellschaftliche Koinzidenz allerdings nur zum Teil, widmet man sich vornehmlich den auf Anhieb korrespondierenden, letzthin trügerischen Plakatismen. Das wird gerade im Blick auf die späten Sechziger sehr deutlich. Neben den zahllosen Aufgeregtheiten, der Hype und ihren Publikumswirksamen Druckwellen bleibt eigentümlich dies: dass sich das Allermeiste tatsächlich lange im Verborgenen abspielte, in der vordergründigen Negation also. Die Wirkungsmacht des Neuen verausgabte seine Potenzen bis an den Rand eigener Ohnmacht, meistenteils aber auf immaterieller Ebene. Sie blieb daher, auch wo sie sich von den Grenzen eigener Innerlichkeit befreite, eigenartig unsichtbar, unwirklich – abseitig. Was in den Menschen selbst vorging, wissen die Überlebenden selbst nicht mehr zu drucksen. Das Gestammel aus der Retro-Ecke gleicht eher einer späten Verlegenheit. Wir stoßen hier auf ein grundsätzliches, nahezu unlösbares Problem, das im Zusammenhang mit Jims Drogenexzessen das Unvermögen einer auf bloßen Augenschein gerichteten Historie verdeutlicht. In der oberflächlichen Verrechnung der Zeit, die auf keinen klaren Nenner gebracht werden kann, fallen zahlreiche Potenzen fast automatisch aus der Gleichung heraus: als Wahrscheinlichkeiten oder Unschärfen, denen keinerlei herkömmliche Relationen mehr entsprechen.

Ziemlich genau mit Beginn des Jahres 1967 änderte sich alles. Hat das irgendwer in dieser Form kommen sehen? Es war, als tauchte plötzlich ein gewaltige Sternschnuppe am Firmament des Pop-Himmels auf, dessen Reste sanft und sphärisch zur Erde herab rieselten. Das geschah bereits im Schatten des Ereignisses. Hatten die Beatles auf Seargent Pepper noch unerhört und geheimnisreich geklungen, tendierten die Nachfolge-Alben, trotz stilistischer Vielfalt, schon wieder zur Konvention; sie wurden griffiger, konzentrierter, Publikumsfreundlicher. Die Epigonen, deren kühnste Vertreter das Maß noch einmal auf´s Äußerste strapazierten, hielten sich nicht lange. Sie ´operierten´ bereits auf schwankendem Grund, wie denn infolge allzu feinstofflicher Verdünnung gar keine Gestalt mehr annahm, was großartig im Innern wuchs und wurde. Und folglich in den Untiefen schöpferischer Abgründe ´hängen´ blieb: ungeschaffen, ungesondert – unfasslich also in seinen letzten Bezügen. Die psychedelische Ära ähnelt solcherart der schier endlos anmutenden Epoche des Mittelalters, deren Lebenswelten uns schon im Anblick der Werke eines Hieronymus Bosch unsäglich fremd und bizarr, und doch auf teuflische Art gegenwärtig scheinen. Wir betreten hier den unsteten Boden einer auf alle Zeiten ungeschriebenen, nie abreißenden Kollektiv-menschlichen Traumgeschichte. Bosch, für den sich Jim zeitlebens intensiv interessierte, ist ohne fremde Anleitung kaum zu verstehen. Sein sinistres Werk  kann als Paradebeispiel dafür gelten, das uns Nachgeborenen einfach die passende ´Eintrittskarte´ fehlt. Der Augenschein trügt und verlockt, er verwehrt den Zugang und scheint ihn ständig herauszufordern. Dieser Meister bietet viel, und gibt kaum einen Fußbreit preis. Das es einmal Menschen gab, denen die irrwitzig anmutenden Welten seiner Wandgemälde und Altäre verständlich waren, will uns Heutigen nicht einleuchten, weil wir die entsprechenden ´Codes´ nicht mehr kennen und den daraus resultierenden Denkmustern und Vorstellungswelten nichts Wesentliches, nichts Wirkliches mehr abgewinnen werden. Morrison machte sich eine Art Sport daraus, solche ´Geheimwelten´ zu erkunden, in der Geschichte so gut wie im eigenen Kopf.

I once had al little game, I liked to crawl back in my brain

Die ausufernden, repräsentativen Alben der Zeit, denen zu Beginn der Siebziger noch einmal eine Reihe glücklicher, halbwegs ausgestalteter Platten des Art, – und Krautrock folgten, wollen weniger verstanden und können schon gar nicht zu Ende verdaut werden: mehr regen sie dazu an, vorrausetzungslos im Unbestimmten zu verweilen, sich aus sämtlichen Zusammenhängen zu stehlen. Morrison, der im Glutrausch eigener Visionen immer häufiger die Orientierung verlor, fand mit den Doors dennoch zu einer verständlicheren Form des Ausdrucks zurück.

Vom schon erwähnten Seargent Pepper, dem noch etwas früher erschienen Debüt der Doors und den ersten Alben der Pink Floyd bis zum Bombast der frühen Siebziger, dessen gültigster Abschluss das Lamb lies down on Broadway Album von Genesis bot, hart angrenzend an die sich anbahnenden Wellen von Punk und Disco: (über)spannt sich ein Bogen, der am Ende doch noch brach. Die Pfeile zielten weniger ins Leere, mehr in alle Richtungen hinaus. Eine Fülle an Eingebungen, die aus heutiger Sicht nicht selten Ungläubigkeit und Kopfschütteln verursachen, schöpfte aus dem Urgrund, wo weder Maß noch Mangel herrscht, nur reinsten Überschuss, der alle Sinne beansprucht und damit schließlich überfordert. Man höre sich Ummagumma von Pink Floyd oder Alpha Centauri von Tangerine Dream an, um die begleitende Exzentrik zu begreifen, die hier so skuril und verschroben, so unfertig und verspielt, ja dilettantisch herüber kommt, wie selten je oder überhaupt noch einmal.

Mögen auch damals im Pop Geschäft das begleitende Kalkül, die mitlaufende Berechnung, Mammon und Materialismus eine nicht mindere Rolle gespielt haben: das alles lag hier, wo die Szene sich noch in ihren eigenen Widersprüchen begriff, in verdünnter, allenthalben zäh und langsam sich verhärtender Form vor. Oder auf Eis. Die ´Macher´ blieben offen für vieles, die entsprechenden Veröffentlichungen beweisen es. Was sie enthielten war schwer in eine Masche zu fädeln, wiewohl der psychedelische Pop in den radiotauglichen Varianten bereits wie samtweicher Hillybilly daher swingte. Das Wechselspiel aus Inspiration und Berechnung, Profit und künstlerischer Freiheit, Planwirtschaft und Selbstverwaltung, Kunst und Kommerz, Eigenverwirklichung und Fremdbestimmung, symbiotisch gipfelnd im Diktat freier, wiewohl überschaubar gehaltener Entfaltung: wurde anfangs noch nicht vom reinen Zweckdenken ´dauerbegleitet´, doch immerhin schon davon infiziert, und die Tricks und Kniffe blieben seither dieselben, wiewohl man sie heute bis zum erbrechen perfektioniert hat: bis in die letzten, längst leer gefegten Nischen hinein. Das macht einen nicht unwesentlichen Unterschied aus.

Gerade an dieser Stelle sollte noch einmal daran erinnert werden, dass es die Errungenschaften der verhöhnten Elterngeneration waren, die den Überschwang überhaupt erst möglich machten. Endlich war für den verwöhnten Nachwuchs so viel an überschüssiger Zeit frei geschaufelt und passend eingehegt worden, wie die entsprechende Muße für sich beanspruchen durfte. Kopf und Herz dieser Generation blieben relativ unberührt von den allzu lästigen Existenzsorgen, die noch ihren Eltern in banger Erinnerung geblieben waren. Deren Kindheit wurde nicht unwesentlich von der Weltwirtschaftskrise geprägt. Die entsprechenden Traumata begünstigten das Entstehen von  Neurosen, die in jeder gehobenen Gesellschaft den feinen Humus zitternd überwuchern; das war schon in Freuds Wien der Fall gewesen. Dort, und nur dort konnte und musste die Psychoanalyse entstehen, der Boden war entsprechend vorbereitet, wie denn im Amerika der 60er Jahre, nach Jahrzehnten ungebrochener Prosperität und frei von Kriegen, die sich immer draußen abspielten, ein Menschentypus fällig geworden war, dessen Spätlinge Komfort und Konsum für selbstverständlich hielten. Ermüdender Existenzerhaltung ledig, war nun eine Kultivierung eigener Interessen jenseits Klassenspezifischer Gegensätze und Beschränkungen möglich geworden.

Einmal mehr wurde das konstituierende bürgerliche ´Gehege´ von den ´Frischlingen´ als Gefängnis empfunden. Gerade diese Generation verlangte deshalb nach Bewährung jenseits vereinbarter Grenzen. Die sich stauende Energien bedurften der Entladung, ihnen fehlte, infolge Sorglosigkeit, das passende Ventil. Wie denn keine Revolution, die immer von Eliten getragen und vom Volk exekutiert wird, der pathetischen Momente entbehrt, die das Unterfangen heilig sprechen. Der Rest ist bekannt. Widerstände gilt es entweder zu bremsen oder zu brechen. Macht muss sich vor allem ihrer selbst bewusst werden, sonst laufen ihre Potenzen ins Leere. Sie täten es ohnehin, liefe ihnen nicht das Hergebrachte als ein Widersprechendes fortlaufend selbst zuwider. So entsteht Gegendruck, der den eigenen nur zusätzlich erhöht. Ein Kampf ohne echte Gegner tendiert zum Masochismus. Die Gewissheit, einer revolutionär gestimmten Weltlage entsprechen zu müssen, berührte Tiefenschichten einer Persönlichkeit, die sich, in kollektiver Verrechnung, entfesseln ließ und ohne die das Jahrfünft in seiner geronnenen Form nie möglich geworden wäre. Die späten 60er waren ein Mix aus Subkultur und Kulturkampf, Parallelwelt und Welten im Zusammenstoß, aus individueller Befreiung und kollektiver Enthemmung. Auch hier hatte der Philosoph Friedrich Nietzsche schon die rechten, trefflich schneidenden Sätze geliefert. In dem Aphorismus ´Genius und idealer Staat im Widerspruch´ verweist er auf die über kurz oder lang lähmenden Folgen eines zu dauerhaften, allzu genügsamen Wohllebens, und die Notwendigkeit starker Energien, die ihrerseits den gewaltsamen Charakter der Welt als Voraussetzung zwecks Entfachung eigener Reserven benötigen.

Wiewohl reich an exaltierten, schillernd in Erscheinung tretenden Persönlichkeiten,  kulminierte der kreative Koller ohne echtes Kommando, ohne Absprachen, mehr auf ein gefühltes Zwinkern hin, und nach Gesetzen, von denen Naturgewalten getragen werden. Freilich spielt sich auch in der Natur das meiste im Verborgen ab, so unmerklich wie unfasslich. Das Seltene bildet die Ausnahme, für gewöhnlich dominiert der Durchschnitt. Für gewöhnlich, wohlgemerkt! Wir berühren hier einen problematischen Punkt, der gern übersehen wird, weil man seiner so leicht nicht ansichtig wird. Inwiefern heben oder drücken, schwächen oder stärken, begünstigen oder behindern bestimmte Zeiten ganz bestimmte Charaktere? Im schwül-dekadenten Umfeld damaliger Subkulturen gedieh offenbar, einmalig und unwiederholbar, ein gewisser Typus, der unter bereits geringfügig anderen Bedingungen entweder gar nicht oder allenfalls mager, unmerklich in Erscheinung getreten wäre. Mangels passendem Milieu sozusagen.

Trefflich brachte das etwa der gleichsam im Krautrock ´sozialisierte´ Klaus Schulze im Nachruf auf den sensiblen Florian Fricke zum Ausdruck, den heute auch keiner mehr kennt. Nur mit Seele und völliger Hingabe, so Schulze, könne man in der Musik großes vollbringen. Er nannte auch den Preis, der dafür zu entrichten bleibt:“ Es wird Energie und Lebenskraft geopfert, und das ohne Kompromisse… ich vermisse jenes bei den heutigen Musikern/Komponisten sehr – aber vielleicht wird alles heute eben oberflächlicher und angstvoller angegangen. Unsere Einstellung war sehr radikal und rücksichtslos, auch in Bezug auf unsere Gesundheit und Moral… es galt eben nur die Musik!! Mir ist heute klar, dass wir engagierte Musiker der damaligen Zeit ab einem Alter von 50 Jahren nur noch auf Kredit leben… aber was wir geschaffen haben, ist es wert, weniger Zeit auf diesem Planeten zu verbringen.“

Tatsächlich dominierten in der zweiten Hälfte der Siebziger Jahre bereits die Kalküle, vom Maß der Konventionen geleitet, deren Überschüsse kanalisiert werden konnten, doch verschwanden die unbändigen, schwer zu bändigen Antriebe und Affekte nie ganz, wovon dann Punk und New Wave zehrten. Erst in deren Dunstkreis tauchen die schrägen Außenseiter und tolldreisten Wagevögel einmal mehr auf. Freilich: um noch sehr viel schneller wieder zu in der Versenkung zu verschwinden.

Nicht wenige von denen, die in den späten sechziger Jahren hochkamen und durch kreativen Überschwang verblüfften, ähnelten in Aufstieg und Fall unserem Helden. Und jeder fiel auf recht eigene Weise. Nicht alle starben den Heldentod, etliche schleppten sich, unerkannt und verfemt, in lauter letzte Runden, ganz unter sich und ihres gleichen oder Mutterseelenallein. Schon im Ansatz, man möchte sagen: im zarten Keim, gingen sie an den eigenen Visionen zugrunde. Auf der Platten-Innenhülle des Debuts von Ash Ra Tempel findet sich ein Text, der verdient, in ganzer Länge wiedergegeben zu werden:“ „Ich sah die besten Köpfe meiner Generation vom Wahn zerstört, hungrig, hysterisch, nackt, im Morgengrauen durch Negerstraßen irrend, auf der Suche nach einer tüchtigen Spritze. Süchtige mit Engelsköpfen, lustentbrannt, nach uralter sphärischer Verbindung, zum Sterndynamo in der Maschinerie Nacht, die arm, zerfetzt, hohläugig und blau im übernatürlichen Dunkel von Armeleutewohnungen rauchend saßen, schwimmend über dem Häusermeer in Musikekstase, die unter der S-Bahn ihr Hirn dem Himmel entblößten und mohammedanische Engel, auf Mietskasernendächern erleuchtet, taumeln sahn, die durch die Universitäten gingen, mit strahlend kühle Augen, mit Träumen, mit Drogen, mit aufpeitschendem Alpdruck, Alkohol, Schwanz und endlosen Hoden.“

Danny Sugarman hat in seinen schon erwähnten Jugenderinnerungen ganz zum Schluss eine Auflistung all der Toten vorgenommen, die im nämlichen Sinne an sich selbst zugrunde gingen. Manche freilich kamen lebend wieder raus, aber an Geist und Seele verletzt; zernagt und zerrüttet. Sie überlebten sich früh, auch und gerade in ihren Bands, die ohne sie nicht scheiterten, ganz im Gegenteil oft umso kommerzieller fortkamen, nachdem das Genie selbst letzten Boden unter den Füssen verlor. Solche Leute überleben sich und ihres gleichen sozusagen schon vor der Zeit, enden im Irrsinn oder in der Isolation, im Abseits – in einer Art Nichts. Und nicht wenige eben umso schneller in der Kiste.

Diese ´Gattung´ Mensch bildet eine ganz eigene Familie, der auch Jim angehörte. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien genannt: Roky Erickson, Dany Kirwan, Arthur Lee, Syd Barrett oder Peter Green. Als ´Langzeitüberlebende´ folgten sie den Brian Jones, Al Wilson, Nick Drake, Jimi Hendrix oder Janis Joplin, um auch hier nur einige der Prominentesten erwähnt zu haben. Sie lebten und litten mit Haut und Haaren, absolut und unerschrocken, in ihrer eigenen, sehr zerbrechlichen Welt, die sich nur kurz mit der ´realen´ berührte, bevor die ihre zersprang. Den anschließenden Flauten, die man auch als Abklänge oder Untergänge bezeichnen könnte, folgten nur selten neue Anläufe, weil einfach die Kraft fehlte; und jede Inspiration. Da war nichts mehr, banal gesprochen. Auch hier walten im Grunde uralte Gesetze. Wie der frei im All schwebende Planet Erde sofort auseinanderfließen und seine ganze Gestalt einbüßen müsste, stellte man ihn auf einen harten, festen Untergrund, so lösten sich auch diese kühnen Geister im starren Gefüge reiner Geschäftigkeit langsam auf. Strebten die kühnsten Exponenten schon vorher sternförmig auseinander, fielen andere mehr kläglich in sich zusammen. Hauptsächlich der bürgerlichen Mitte entstammend, fühlten sich diese Menschen magisch von den Rändern der Gesellschaft angezogen, wo sie rasch eigene Zirkel bildeten und ihres gleichen radikalisierten.

Und die angeborene Montur doch nie ganz los wurden. Der unglückselige Bernward Vesper mag hier stellvertretend für viele gelten, denen der Versuch missriet, das Ideal eines radikal neuen Menschen vollständig am eigenen Leibe zu exekutieren. Sein autobiografischer Roman ´Die Reise´ strotzt nur so vor wirrer Metaphorik und visionärer Artistik; die begleitende Stilistik sucht ihres gleichen in der deutschsprachigen Literatur. Das Werk entzieht sich jeder herkömmlichen Zuordnung und scheitert vollständig am Unvermögen seines Verfassers, den breit ausufernden Bewusstseinsstrom auch nur ansatzweise zu kanalisieren. Vesper, fünf Jahre älter als Jim, starb nur wenige Wochen vor diesem in einer Hamburger Psychiatrie an einer Überdosis Schlaftabletten. Gleich unserem Helden hatte er bis dahin viel mit Halluzinogen experimentiert. Sein seltsames Buch wurde posthum in den Siebzigern publiziert, just in dem Jahr, als in der Bundesrepublik der deutsche Herbst tiefe Schatten warf.

Neben den Sonderlingen der gehobenen Mittelschicht machten auch echte, alles andere als bürgerlich gesittete Underdogs auf sich aufmerksam, wirkliche Außenseiter der Gesellschaft, die im schwülen Dunstkreisen Daseinspraller Diesseitigkeit zu merkwürdigen Paradiesvögeln mutierten. Auch zu echten Ungeheuern. Wer dächte da nicht an den wölfisch anmutenden, abgrundtief bösen Charlie Manson, der eine anfangs harmlose Jüngerschaft um sich scharte und anschließend zu bestialisch anmutenden Hinrichtungen animierte? Hätte ein simpler Plattenvertrag, um den man ihn betrog, zur Besänftigung oder Befriedung des unruhigen Herzens beigetragen? Ebenso gut könnte man darüber spekulieren, ob die Aufnahme eines mittellosen Postkartenzeichners (Adolf Hitler) in die Malerschule der Wiener Kunstakademie der größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts rechtzeitig vorgebeugt hätte. Manson scheiterte bei dem Versuch, ins Musikgeschäft einzusteigen. Morrison rutschte rein, weil er zuvor als Filmemacher gescheitert war.

Die Karrieren der meisten, um die es hier geht, waren von Anfang an, so unwiderstehlich sie sich dann in der bloßen Außendarstellung gebärdeten, auf haudünnem Seil gespannt. Das lag nicht zuletzt an ihnen selbst. Am hohen Adel allenthalben, der sich in passender Verkleidung tarnt. Morrison selbst hielt sich für einen Clown. Einer, der im passenden Moment alles vergeigt. Er war auch, wie wir noch reichlich sehen werden, dauernd kurz davor, komplett hinzuschmeißen. Um irgendwie abtauchen zu können. Wiewohl er mit seiner Band auf dem Höhepunkt der Karriere in Stadien auftrat, blieb er großen Menschenansammlungen zeitlebens abhold. Und sich selbst stets der Nächste. Trotzallem drängte auch er, im passenden Augenblick, aus der Isolation, deren Solipsismen ihm ein Grundbedürfnis blieben. Jim träumte vom großen Durchbruch, kraft der Besessenheit, die jeden Ehrgeiz, jedes bloße Fortkommen lächerlich erscheinen lässt. Was am Ende dabei rauskommt: kann doch nie genügen. Der hundertmal und mehr mögliche, und endlich unvermeidliche Absturz kennzeichnet denn auch den Werdegang ihm ähnlicher, authentischer Hasardeure: einmal ganz oben angekommen, verpasst ihnen der Schwindel die letzten Stiche. Keiner derer die Jim kannten, gab einer Band auch nur den Hauch einer Chance, die mit ihm gemeinsam an, – und auftrat. Du spielst in einer Band mit diesem Typen? Vergiss es.

Dazu passt, dass Menschen wie Morrison der gewöhnlichen Bemühungen entraten, die üblicherweise zum Erfolg führen. Ohne festen, füglichen Plan, fehlten ihm Ausdauer und Disziplin, Umsicht und Selbstkontrolle, und wiewohl dies zu Beginn der Karriere eine Rolle spielte und ihm von den andern auch leidig abgerungen wurde, verließ er sich doch lieber auf die Kraft des Anfangs, dessen Wucht ihn fast von selbst mit sich fortriss, bis der Druck sich erschöpfte. Jim hatte Vorsätze, aber kaum praktische. Ihn hielt die Vision in Atem, weniger das Wissen um Beharrlichkeit, ohne die jeder Sprung ins Unterhaltungsgeschäft im kalten Wasser endet. Beharrlich blieb er seinen Manen treu, sein ganzes Wesen rührt daher. Entsprechend waghalsig und unerschrocken steuerte er auf das Ziel zu, vertrauend auf die heilige Flamme, die an beiden Ende abbrannte. Sein Ingenium fixierte den rechten, sehr seltenen, nicht eigentlich machbaren, kaum möglichen Augenblick. Die Kraft der Intuition ersetzte die umständlichen An, – und Abläufe derer, die bloß abwägen und ausloten. Alles Übrige blieb daneben gleichgültig.

Jim selbst blieb, schon in der Anfangsphase, unberechenbar. Das war ein Pfund, mit dem er wuchern konnte, und gleichzeitig der meist ungedeckter Scheck. Wenn er platzte, dann meist mit einem Riesenknall. Dennoch war auch daraus Profit zu ziehen. Andernfalls wäre im Laufe der Zeit aus The End kein Meisterwerk geworden, er hätte sich die anstößigen Stellen gespart, einfach ganz drauf verzichtet, also auch auf die Drogen, unter deren Einfluss er den ödipalen Mittelteil improvisierte: das Stück wäre ein eher täppische Abschiedsliedchen geblieben und nie zur Monstranz ausgewachsen, die dann sogar – wiewohl dezent nachzensiert – auf Platte erschien. Freilich: halfen die andern aus. Mehr noch: Sie rissen einander gegenseitig mit, eine Zeitlang jedenfalls, die Tiraden des Sängers duldend oder anschiebend, von ihnen zehrend und dieselben doch zunehmend fürchtend; je nachdem. Immer schwerer fiel den Musikern dann, das Korsett einer Karriere zusammenzuhalten, die nicht nur in den Songs aus den Nähten platzte. Das Konzept verpuffte ohnehin. Entlang der Anmaßungen, die den Größenwahn zunächst rechtfertigen, lief verlässlich ins Leere, was anfangs aus dem Vollen schöpfte. Der Schöpfer selbst trug sich damit zu Grabe. 

Um möglichen Missverständnissen an dieser Stelle vorzubeugen: All jene, um die es hier in engerer Auswahl geht, hatten wohl einen Plan; auch sie kamen nie ganz ohne aus. Einen eigenen, der sehr schlüssig scheint; sieht man davon ab, das er tragisch enden muss. Statt mit Umsicht und Bedacht vorzugehen zogen sie das befruchtende, bloße Routinen ins täppische Unrecht setzende Chaos vor. Darauf lässt sich kein Dauerzustand machen, darauf kann auch nicht gebaut werden, davon kann man nur eine Weile lang fortgetragen oder weggeblasen werden. Dann wieder zurück zu finden, fällt schwer und missrät allzu oft. Wohin auch sollte diese Reise führen? Es bleibt einen Versuch wert, nunmehr gemächlicher, banal gesagt: gesünder zu arbeiten, denn dies zielt auf behutsame Entwicklung, die den kreativen Ansatz, der meist unerwartet und in Sprüngen kommt, konterkariert. Die reine, flüchtig scheinende und doch Weiten und Räume umspannende, hinreißend anmaßende Entfaltung musischer Opulenz: duldet weder Aufschub noch Korruption der Kräfte, die auf Entfesselung pochen. Wer so tut, fragt nicht nach ausgeglichenen Haushalten oder verträglichen Biorhythmen, er will vergeuden und verausgaben, verschwenden und vertun, was in ihm auf Befreiung pocht. Jim gab diesen ´Klopfzeichen´  nach, und er half ihnen auch nach, mit allen möglichen Mitteln, die zur Hand waren.

Dem entsprach seine Einstellung zur ´Sache´, zum bloßen Geschäft. Die erforderliche Ökonomie, das kluge Haushalten in den sich bietenden Verläufen: nicht sein Ding. Die sorgsame Schulung vorhandener Fähigkeiten oder Fertigkeiten, deren geduldige Abstimmung den Überschwang schmälert und zur Selbstkontrolle zwingt, zog ihn nur runter, er hielt sich damit nie lange auf. Morrison gelang nur im Verbund mit den anderen, die gärende Brache in einen blühenden Acker zu verwandeln. Von inneren Dämonen geschüttelt, fehlte ihm ein gerüttelt Maß Erdschwere, Bodenhaftung – Sesshaftigkeit. Auch die Geduld. Und wenn er anfangs beharrlich blieb, so nie im Rahmen, nur in der Anmaßung selbst. Statt an sich zu arbeiten, überreizte Morrison im Ganzen, was noch im Kleinsten, in halbgarer Ausfertigung großes versprach. Solches widersprach seiner großbürgerlichen Herkunft, deren Tugendkanon er verachtete, und bestätigte gleichzeitig den Rebell, der fast immer diesem Milieu entspringt. Jim leugnete die eigene Herkunft nicht, doch suchte er sie mit allen Mitteln abzuschütteln, loszuwerden: die kläglich irdische Erscheinung nicht ausgenommen.

Light another cigarette, learn to forget…

Statt Erfolg schwebte Jim und allen, die gleich ihm dem Absoluten zuneigten, so etwas wie Erleuchtung vor, die noch den Ruhm selbst überstrahlt, bevor sie im Schatten begleitender Banalitäten völlig erlischt. Morrison bemühte, sich selbst betreffend, den ziemlich anmaßenden Vergleich mit einem Kometen: jäh aufrauschenden und umso rascher wieder verglühend. Aber das passt schon. Er musste einfach, nach den rasch aufeinander folgenden Toden von Jimi und Janis, die Nummer Drei sein. Den andern Doors versicherte er früh, dass ihm alles viel zu langsam ging, denn es konnte gar nicht schnell genug gehen: Von der Zeugung bis zur Neige, die das eigene Ableben nicht ausschloss. Auch wenn sich Jims irdisches Ende, aus der Nähe betrachtet, viel profaner und umständlicher ausnahm, gab die einmal mehr romantische Vorstellung früher Vollendung dem letzten Vorhang echte Weihe; wahre Würde. 

Auch die zahlreichen, vor allem politisch motivierten Bewegungen jener Zeit starben den schnellen Heldentod. Jenseits der Hype, die posthum um das Jahr 68 entfacht wurde, markierte doch gerade dieses Datum die Krise, den Abfall – das Ende. Verbindet man bis heute Aufbruch und Befreiung damit, so offenbart doch bei näherem Hinsehen ein böses Erwachen den endlichen Traum. Kurz hintereinander wurden Martin Luther King und Robert Kennedy ermordet. Hoffnungsträger? Jedenfalls in den Wahrnehmungen derer, die sich einen weltumspannenden Siegeszug von ihnen versprachen. In Deutschland hatte das Attentat auf Rudi Dutschke, mehr noch als der Mord an Benno Ohnesorg ein Jahr zuvor, gleichsam zu Fall gebracht, was mehr vor Erregung wankte, statt feste Wurzeln schlagen zu können. Der naive Sturm und Drang verpuffte und gebärdete sich danach gewalttätig, unduldsam – wutschnaubend. Die Lichtgestalten verstummten oder verloren sich schwadronierend in endlosen Splitterfraktionen, deren elitäre Quarantänen weit mehr dem Anspruch auf Exklusivität entsprachen statt der behaupteten Emanzipation einer dritten Welt, die der ersten und zweiten auch weiterhin hörig blieb. Allen Rückschlägen und Restaurationen zum Trotz hatte sich etwas verändert, doch das brauchte Zeit, um Mainstream zu werden. Ohne Folgen blieb das wilde Tun und Treiben also nicht, aber von den Maximalforderungen und utopischen Avancen hielt sich nur, was fortan in den zahllosen Sekten zirkulierte. Wir nähern uns hier den Aus, – und Totgeburten militanter Empörung, die ohne den euphorischen Vorlauf nicht zu begreifen ist.

Einige wenige, im Innern so überspannt wie ehedem, hielten die Gruppenkonforme Vereinzelung nicht aus und holten zu neuen Befreiungsschlägen aus: Stichwort bewaffneter Untergrund. Gewalt, ehedem spielerisch erprobt, fand im deutschen Terror einen rabiaten, eiskalt exekutierten Ausdruck. Alles trug fortan fatale, im Grunde resignative Züge. Zwar beteuerten die unbeugsamsten unter den Bewaffneten, dass der Schritt in die Illegalität de facto Befreiung bedeutet hätte. Dieselbe mündete aber unfehlbar in der Isolation, die jedem chancenlosen Aufbegehren folgt, und der begleitende Waffengang offenbarte nur zu deutlich die Ratlosigkeit derer, denen keiner mehr folgte. Auch bei Jim knickte 68 die Kurve erstmals ein, wie wir unten weiter sehen werden. Auch ihn übermannte der Frust, die Wut – pure Verzweiflung. Er wurde nun immer öfter handgreiflich. Meist geschah dies im Vollrausch.

Mag der Traum auch geplatzt sein: Ende der Sechziger konnte keiner wissen, ob und wie es überhaupt weitergehen sollte. Ein Anfang war getan. Rock und Pop blieben keine Eintagsfliegen, ganz im Gegenteil mutierten sie in zahlloser Fülle, wie denn das ganze Selbstverständnis einer unerhört bevorzugten Generation auch weiterhin mit Konventionen brach und eigene schuf. Wir alle zehren doch bis heute von einem Nimbus, der sich als äußerst durchlässig und wandelbar erwiesen hat. So auch und gerade in der Unterhaltungsbranche, denen die Doors ihren Aufstieg verdankten. Wer rechnete denn schon damit, dass Rock und Pop auf Zeit Geltung beanspruchen würden? Die bis heute generierte stilistische Vielfalt grenzt an totaler Unübersichtlichkeit. Das war keineswegs absehbar, aber folgerichtig. Als die Sechziger zu Ende gingen, lösten sich die Beatles endgültig auf. Den Stones ging nach Let it bleed und Sticky Fingers endgültig die Inspiration aus, sie wurden langsam Mainstream, und in dieser Marktkonformen Verkleidung hielt sich das Schlachtross bis heute; Jagger sei Dank, den die nicht enden wollende Ochsentour kommerziellen Ausverkaufs auch noch mit über siebzig Jahren enorm reizt, wie´s scheint.

Wie anders Morrison. 1968, auf dem Gipfel des Erfolges angekommen, gestand er den anderen, einen Nervenzusammenbruch zu haben. Das äußerte er auch kurze Zeit später, nach einem Blick in die Zeitung vom Tage. Ihn und seinesgleichen schützten keine wärmenden, Obhut bietenden Kollektive, deren weltanschauliche Anmaßungen freilich die eifrigsten unter ihren Exponenten nicht minder konsequent exekutierten: am ´Rest´ der Zweifler vorbei. Auch Jim hatte 1968 seinen Rubikon überschritten. Jenseits dieser ´Demarkationslinie´ tat sich ein Abgrund auf.

Über Shanto Trdic 127 Artikel
Studium der Sport-, Sozial-, und Erziehungswissenschaften an derUniversität Bielefeld. Seit 2006 Lehrer an der Gesamtschule Stieghorst,Sekundarstufe 1. Ehemals aktives SPD - Mitglied, nach Austritt keine weiteren Partei, - oder Vereinstätigkeiten.