In Wien-Stadlau gibt es keine „Busengrapscher“

Peter Pilz lebt in einem Vorort von Stadlau

Goethehof in Kaisermühlen (Foto: Wiener Wohnen / Stadt Wien)
Goethehof in Kaisermühlen (Foto: Wiener Wohnen / Stadt Wien)

Der Politiker Pilz belästigte eine Frau. So wurde von Florian Klenk behauptet. Doch in Stadlau gibt es keine Busengrapscher. Impressionen aus dem Osten von Wien. Von Johannes Schütz.

Fährt man in Wien, von der Inneren Stadt kommend, in den Kreisverkehr am Praterstern, beim Riesenrad vorbei, dann zur Donau, kommt man zum Mexikoplatz mit der Franz-von-Assisi-Kirche, dessen Name daran erinnern soll, dass Mexiko das einzige Land war, das Protest einlegte, beim Völkerbund, als Österreich im Mai 1938 von Deutschland annektiert wurde.

Bis 1990 vermittelte der Mexikoplatz eine Stimmung, wie bei einer Reise durch Osteuropa, denn es war der Ort der Händler aus Russland. Dort konnte man günstig Krimsekt und Keta-Kaviar kaufen. Die Großeltern meines guten Freundes Leo lebten dort von ihrem Laden, seine Mutter ebenfalls mit einem Geschäft, gleich um die Ecke in der Lassallestraße. Leo trug eigentlich den Namen Leonid, doch wurde er von den Wienern stets und gerne mit der Abkürzung Leo angesprochen.

Leo war ein Klassenkollege in der Handelsakademie, es war eine Privatschule des Fonds der Wiener Kaufmannschaft, die eine Aufnahmeprüfung vorsah, dann die  Bezahlung von Schulgeld erwartete, inzwischen ist ihre Bezeichnung, als Beweis für die internationale Orientierung des Landes, Vienna Business School. In der Schule waren alle der Überzeugung, dass Leo ein Russe sei, denn er kam im Alter von zehn Jahren aus der Sowjetunion nach Wien, seine Muttersprache war Russisch, die deutsche Sprache musste er erst noch für sich entwickeln.

Ich aber erfuhr, dass Leo in Czernowitz geboren wurde, damit wäre er ein Ukrainer, allerdings stets mit ausgezeichneten Kontakten zu Russen. Doch liegt Czernowitz in Galizien, zweihundertachtzig Kilometer entfernt von Lemberg, das war um die Jahrhundertwende die viertgrößte Stadt der Donaumonarchie. Damit ist Leo eigentlich ein Altösterreicher, dessen Großeltern in die einstige Hauptstadt Wien zurückkehren wollten. Bekanntlich bedeutet Wien, aufgrund dieser historischen Verbundenheit, auch dem ukrainischen Literaten Jurij Andruchowytsch viel.

Im Goethehof

Gleich nach dem Mexikoplatz führt die Reichsbrücke über die Donau, in jene Bezirke, die die Wiener „Transdanubien“ nennen, nach Floridsdorf und in die Donaustadt. Diese Region war bis 1955 eine sowjetische Besatzungszone, sie galt noch in den neunziger Jahren als der Osten der Stadt, eine Art von Ost-Wien.

Biegt man nach der Reichsbrücke nach rechts ab, so führt der Weg nach Kaisermühlen, es ist einer der Vororte von Wien, wurde 1850 eingemeindet, jetzt als ein Teil der Donaustadt. Gleich zu Beginn findet man links den Goethehof, ein vorbildlicher Gemeindebau der Stadt Wien, eröffnet 1932. Eine Gedenktafel wurde neben einem Haupttor des Goethehofes angebracht, soll an die Toten des Februaraufstandes von 1934 erinnern, der Goethehof war ein Zentrum der Kämpfe gegen die Austrofaschisten des Dollfuß Regimes, dort werden jedes Jahr Blumen niedergelegt, im Februar.

An der Ecke des Goethehofes kann man noch eine Sektion der KPÖ erkennen, eine der letzten Bastionen der Kommunisten in Wien, die nicht aufgegeben werden soll.  Im Goethehof lebt auch Peter Pilz, der als Archetyp der österreichischen Grünen gelten kann. Er war 1986 als Abgeordneter dabei, gemeinsam mit Herbert Fux, als die österreichischen Grünen erstmals den Einzug ins Parlament erreichen konnten. Er gewann in der Bevölkerung an Reputation, da er Übergriffe der Polizei nicht dulden wollte. 2017 trennte er sich von den Grünen, deren Niedergang er wohl fürchten musste, kandidierte mit einer eigenen Partei. Seiner Liste Pilz gelang der Einzug ins Parlament.

Es ist bekannt, dass Peter Pilz aus seiner kleinen Gemeindewohnung im Goethehof nicht vertrieben werden möchte, die er von seiner Großmutter übernehmen konnte. Er lebt gerne dort, mit seinen Nachbarn, fühlt sich wohl, seit seiner Jugendzeit, in dem Ambiente.

Veilchen aus Stadlau

Geht man die Donau entlang weiter Richtung Osten, so erreicht man nach rund 30 Minuten den nächsten Ort, es ist Stadlau. Liedermacher Wolfgang Ambros würdigte Stadlau mit seinem Song: „Blume aus dem Gemeindebau“:

Du bist die Blume aus dem Gemeindebau
Deine Augen so blau
Wie ein Stadlauer Ziegelteich
Du Blume aus dem Gemeindebau

Und wann wer kummat und sogat
Wie wär’s, gnä′ Frau
Dann kunnt ’s leicht sein
Dass i eam niederhau
Weu du bist mei Venus aus Stadlau

„Dass ich ihn niederschlage“, das ist in Stadlau: „Kein Spaß“. Ich beobachtete in Stadlau die folgende Szene, bei einem Jahrestreffen der Veteranen des Jugendzentrums von Stadlau.  Zwei der Gäste waren inzwischen rund 30 Jahre alt. „Hallo Glatzi“ begrüßte er seinen alten Bekannten lachend, denn der hatte die Haare weitgehend bereits verloren, der Angesprochene reagierte ohne Zögern, erzürnt, wie mit der Pistole geschossen:  „Was ist, du Busengrapscher!“. Es war die letzte Warnung, bevor er zuschlägt.

In Stadlau werden „Busengrapscher“ nicht toleriert. Rasch weitergehen, das war die Lösung, die der Gewarnte sofort fand. Denn in Stadlau waren Schlägereien häufig, das war bekannt. Die Salesianer Don Bosco führen das Jugendzentrum in Stadlau, dort absolvierte ich meinen Zivildienst.

Er machte sich einen Namen

Schlägereien in Stadlau sind gefährlich, das war Pater Franz bewusst. Nach schweren Zwischenfällen musste er das Zentrum mehrfach für eine Woche sperren, auch Verbote aussprechen, die Beteiligten durften dann die Räume nicht mehr betreten, für ein Jahr, in manchen Fällen auch lebenslang.  „Keinen Fehler“, darüber war Pater Franz in Kenntnis, dennoch geriet er dann selbst in eine Schlägerei.

Es geschah rund ein halbes Jahr nach Beendigung meines Zivildienstes. Ich erfuhr von der Pastoralassistentin, dass Pater Franz schwer niedergeschlagen wurde und deshalb drei Tage im Krankenhaus verbringen musste. Ich besuchte Pater Franz. Er zündete bei solchen Gesprächen gerne eine Kerze an, auf dem Tisch, in seinem Zimmer. Er erzählte mir kurz, wie es passierte. Dann erklärte er, dass er das Jugendzentrum verlassen werde, er hätte bereits ein Gespräch geführt. Er betrachtete seine künftige Tätigkeit positiv. Pater Franz wurde Militärkaplan.

Noch während meines Zivildienstes erzählte mir ein Stadlauer, 21 Jahre alt, was für seinen weiteren Lebensweg geplant ist. Er kam bis zur Pforte, weil er mir mitteilen wollte: „Ich gehe jetzt zur Fremdenlegion, danach werde ich Söldner oder gehe sonst wohin, wo etwas los ist“.  Er hatte schon „einen Namen sich gemacht„, in Stadlau, als einer der besten Kämpfer. Bedauerlicherweise war er am Abend, als Pater Franz angegriffen wurde, in Stadlau nicht mehr im Einsatz.

Lasse ihn nicht zu

Die Jugendlichen, die ins Zentrum kamen, redeten kaum miteinander, sie standen rund um den Raum, an den Wänden gelehnt, beobachteten, gespannt, abwartend, was geschehen wird.

Noch bevor ich mit dem Zivildienst begann, wurde mir eine Episode erzählt. Ein Jugendlicher schlug seine Freundin, am Platz vor dem Zentrum, ein Bürger aus Stadlau mahnte ihn, damit aufzuhören, da ging der Jugendliche auf den Bürger zu, rapid, versetzte ihm einen Hieb, dass dessen Brille zehn Meter weit flog. Er solle nicht in fremde Angelegenheiten sich einmischen, war die Bedeutung.

Es mag sein, dass er seine Freundin schlug, das ist seine Angelegenheit. Er würde aber keinesfalls „zulassen“, dass sie von Peter Pilz belästigt wird. Der Journalist Florian Klenk behauptete, dass es Zeugen gab, für eine solche Belästigung durch Peter Pilz.

Klenk formulierte dazu:
„Seine Hände waren überall! Zuerst umklammerte er meinen Arm, mit der anderen Hand war er meinem Hals und dann an meinem Busen und Rücken. Auch sein Gesicht war viel zu nahe an mir. Das ging alles ziemlich schnell. Ich konnte mich nicht bewegen, nicht atmen, geschweige denn wehren“.
(Florian Klenk: Peter Pilz tritt zurück, Falter, 4. 11. 2017)

Was für Zeugen das seien, wollen sie in Stadlau wissen. Peter Pilz hat jedenfalls nicht die Statur von Otto Wanz, eher ist er das Gegenteil des berühmten Freistilringers. Die Kämpfer aus Stadlau denken, dass sie ein „Zniachtel“ wie Peter Pilz mit einem Finger wegdrücken, wenn er aufdringlich wird, sogar ihre Freundinnen schaffen einen Pilz weg, jederzeit.

In Stadlau gibt es keine „Busengrapscher“. Peter Pilz ist in Kenntnis.

 

Links:

Wie Klenk in Deutschland manipulierte
Tabula Rasa Magazin, 7. 9. 2023
Ein Beispiel für Auftragsjournalismus und Desinformation. Florian Klenk veröffentlichte PR für die Organisation des führenden Sachwalters von Wien. Das beweist ein konstruiertes Interview. Die Zeit brachte den Text in Deutschland.
www.tabularasamagazin.de/johannes-schuetz-wie-klenk-in-deutschland-manipulierte

 

Wie Desinformation funktioniert:
Am Beispiel der Wiener Stadtzeitung Falter
Tabula Rasa Magazin, 10. 8. 2023
Eine Debatte über die Qualität journalistischer Arbeit ist noch kein Angriff auf die Pressefreiheit. Kritische Auseinandersetzung muss möglich bleiben. Bemerkungen über das journalistische Gesamtkunstwerk von Florian Klenk.
www.tabularasamagazin.de/johannes-schuetz-wie-desinformation-funktioniert-am-beispiel-der-wiener-stadtzeitung-falter

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Über Johannes Schütz 100 Artikel
Johannes Schütz ist Medienwissenschafter und Publizist. Veröffentlichungen u. a. Tabula Rasa Magazin, The European, Huffington Post, FAZ, Der Standard (Album), Die Presse (Spectrum), Medienfachzeitschrift Extradienst. Projektleiter bei der Konzeption des Community TV Wien, das seit 2005 auf Sendung ist. Projektleiter für ein Twin-City-TV Wien-Bratislava in Kooperation mit dem Institut für Journalistik der Universität Bratislava. War Lehrbeauftragter an der Universitat Wien (Forschungsgebiete: Bibliographie, Recherchetechniken, Medienkompetenz, Community-TV). Schreibt jetzt insbesondere über die Verletzung von Grundrechten. Homepage: www.journalist.tel