Herr Merz, wohin führen Sie Deutschland?

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Deutschland nimmt laut dem internationalen Militärindex Global Firepower im Jahr 2025 den 14. Platz unter den militärisch stärksten Nationen der Welt ein. Mit rund 181.600 aktiven Soldat:innen und etwa 34.000 Reservisten verfügt die Bundesrepublik über ein vergleichsweise mittelgroßes Militär, das innerhalb der Europäischen Union jedoch bereits Rang drei im Bereich militärischer Gesamtstärke einnimmt. Dennoch verfolgt Friedrich Merz, derzeit Bundeskanzler und Vorsitzender der CDU/CSU, das ambitionierte Ziel, Deutschland zur stärksten Militärmacht Europas auszubauen.

Die zentrale Frage, die sich hier stellt, lautet: Warum? Wer bedroht Deutschland tatsächlich, und welche Risiken birgt ein solcher Kurswechsel? Die deutsche Geschichte zeigt deutlich, dass militärische Dominanz für das Land und die Welt katastrophale Folgen haben kann. Sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg verfügte Deutschland über die stärkste Armee Europas – die Konsequenzen waren globale Kriege, unermessliches Leid, Millionen Tote und eine vollständige Zerstörung des Landes.

Heute, im Jahr 2025, verändert sich die sicherheitspolitische Landschaft Deutschlands erneut grundlegend. Unter der neuen großen Koalition aus CDU/CSU und SPD werden Weichen gestellt, die eine Abkehr vom bisherigen Friedenskonsens andeuten. Besonders brisant ist die wieder aufgeflammte Diskussion über Atomwaffen – ein Thema, das Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit durch klare rechtliche und moralische Selbstverpflichtungen ausgeschlossen hatte.

Historische Verpflichtungen und aktuelle Brüche

Nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands im Mai 1945 und dem Ende des japanischen Militarismus im September desselben Jahres wurde das Friedensgebot tief in der deutschen Rechts- und Verfassungsordnung verankert. Der Artikel 26 des Grundgesetzes untersagt nicht nur Angriffskriege, sondern verpflichtet Deutschland aktiv zum Frieden.

Im Einigungsvertrag von 1990 verpflichtete sich die wiedervereinigte Bundesrepublik zudem, auf die dauerhafte Stationierung ausländischer Truppen im Gebiet der ehemaligen DDR zu verzichten und dauerhaft keine Atomwaffen zu besitzen. Diese Zusagen dienten jahrzehntelang als Grundlage für Vertrauen in Europa und in der Welt.

Heute jedoch werden diese Prinzipien infrage gestellt. In Berlin wird offen über eine eigenständige deutsche Atomwaffenstrategie diskutiert, während in Rostock ein neues NATO-Hauptquartier entsteht. Offiziell firmiert es unter anderem Namen, doch Kritiker:innen sehen darin eine klare Militarisierungspolitik. Hinzu kommt die Lieferung deutscher Waffen in Kriegsgebiete – sowohl in die Ukraine als auch nach Israel – die von Teilen der Öffentlichkeit als Mitverantwortung an Stellvertreterkriegen und humanitären Katastrophen gewertet wird.

Bundeskanzler Merz spricht offen vom Ziel, die stärkste Armee Europas aufzubauen. Außenminister Johann Badepol benutzt in diesem Zusammenhang sogar den Begriff des „ewigen Feindes“ – ein gefährliches historisches Narrativ, das nicht nur an dunkle Zeiten erinnert, sondern auch neue Feindbilder schafft. Um diese Aufrüstung zu finanzieren, wird über massive Kürzungen im Sozialstaat diskutiert. Damit geraten zentrale Grundpfeiler der deutschen Demokratie – Solidarität, Gerechtigkeit und soziale Sicherheit – zunehmend unter Druck.

Politischer Hintergrund: Die Koalitionsvereinbarung

Am 9. April 2025 einigten sich CDU/CSU und SPD auf die Koalitionsvereinbarung „Verantwortung für Deutschland“. Dieses Dokument markiert den offiziellen politischen Kurswechsel in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

Kernpunkte sind:

  • eine massive Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf 5 % des Bruttoinlandsprodukts,
  • die Neubewertung nuklearer Abschreckung,
  • die Intensivierung europäischer Militärkooperation, insbesondere mit Frankreich und Großbritannien,
  • sowie Gespräche über ein gemeinsames europäisches Atomwaffenprogramm.

Damit wird nicht nur der bisherige deutsche Sonderweg einer strikt defensiven Verteidigungspolitik infrage gestellt, sondern auch die internationale Abrüstungsarchitektur geschwächt.

Öffentliche Meinung und gesellschaftliche Reaktionen

Die deutsche Gesellschaft begegnet diesen Plänen mit deutlicher Skepsis. Eine repräsentative Umfrage vom März 2025 zeigt: 64 % der Bevölkerung lehnen die Entwicklung eigener Atomwaffen ab. Dieses Ergebnis steht in Kontinuität mit der tief verankerten pazifistischen Grundhaltung vieler Bürger:innen, die aus den historischen Erfahrungen zweier Weltkriege gewachsen ist.

In zahlreichen Städten formieren sich Demonstrationen und Protestbewegungen gegen den Kurs der Regierung. Gewerkschaften, Studierendenverbände, Kirchen und Friedensorganisationen warnen gleichermaßen vor einem „Rüstungswahn“ und der Aushöhlung sozialer Errungenschaften. Diese Proteste erinnern stark an die Friedensbewegung der 1980er Jahre, als die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland auf massiven Widerstand stieß.

Rüstungswahn statt Zukunftsinvestitionen

Die geplante Verdopplung der Verteidigungsausgaben auf 5 % des BIP bedeutet, dass künftig mehr als doppelt so viele Ressourcen in militärische Zwecke fließen wie bisher. Diese Politik hat gravierende Folgen:

  • Bildung: Schulen und Universitäten leiden bereits heute unter Finanzierungsproblemen. Investitionen in moderne Lerninfrastrukturen, digitale Technologien und Forschung werden zugunsten der Rüstung zurückgestellt.
  • Soziale Sicherheit: Kürzungen im Bereich der Sozialhilfe und bei Rentenprogrammen belasten insbesondere ärmere Bevölkerungsgruppen.
  • Wirtschaftliche Ineffizienz: Waffen, die heute beschafft werden, sind technologisch oft in wenigen Jahren veraltet. Das bedeutet, dass Aufrüstung eine endlose Spirale ohne nachhaltigen Nutzen darstellt.

Damit verschiebt sich die Prioritätensetzung Deutschlands dramatisch: vom zukunftsorientierten Investieren in Bildung, Klimaschutz und Innovation hin zu kurzfristiger militärischer Stärke.

Friedensgebot und internationale Verpflichtungen

Die aktuelle Diskussion stellt einen direkten Bruch mit den bestehenden Verpflichtungen Deutschlands dar. Das Friedensgebot im Grundgesetz und die völkerrechtlich bindenden Verträge – insbesondere der Atomwaffensperrvertrag (NPT) von 1975 und der Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 – untersagen Deutschland den Besitz und die Entwicklung von Atomwaffen.

Die Pläne von Merz, über eine „europäische Nuklearstrategie“ nachzudenken und mit Frankreich sowie Großbritannien eine nukleare Zusammenarbeit zu prüfen, stehen somit im klaren Widerspruch zu diesen Vereinbarungen. Damit droht nicht nur ein Bruch internationalen Rechts, sondern auch ein Verlust an Glaubwürdigkeit Deutschlands als Friedensmacht.

Demokratie in Gefahr

Eine Politik, die Aufrüstung über soziale Gerechtigkeit stellt, birgt langfristig erhebliche Risiken für die Demokratie. Militarisierung verändert nicht nur die staatlichen Strukturen, sondern auch die Gesellschaft:

  • Werte wie Solidarität und Mitbestimmung werden geschwächt.
  • Polarisierung und Intoleranz nehmen zu.
  • Autoritäre Tendenzen gewinnen an Einfluss, da Sicherheit über Freiheit gestellt wird.

Die Fixierung auf militärische Stärke droht die offene Gesellschaft in eine sicherheitsorientierte Staatslogik zu verwandeln, in der demokratische Grundwerte an den Rand gedrängt werden.

Internationale Perspektiven und Reaktionen

Auch die internationale Gemeinschaft reagiert zunehmend besorgt auf die Entwicklungen in Deutschland. Besonders aufhorchen ließ das im Juli 2025 unterzeichnete „Northwood-Abkommen“ zwischen Frankreich und Großbritannien, das eine koordinierte nukleare Abschreckungsstrategie in Europa vorsieht. Deutschland wird in diese Strukturen voraussichtlich eng eingebunden – eine Entwicklung, die Fragen zur künftigen Rolle Berlins in der europäischen Sicherheitsarchitektur aufwirft.

Zudem bestehen erhebliche Zweifel, ob Deutschland mit diesem Kurs noch im Einklang mit seinen Verpflichtungen aus dem NPT handelt. Verstöße könnten nicht nur diplomatische Spannungen, sondern auch eine neue atomare Aufrüstungsspirale in Europa nach sich ziehen.

Fachliche und philosophische Perspektiven

Fachleute warnen eindringlich vor den Gefahren dieses sicherheitspolitischen Paradigmenwechsels.

  • Wolfgang Ischinger, ehemaliger Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz, betont, dass Deutschland bewusst zweimal auf Atomwaffen verzichtet habe – 1975 im Rahmen des NPT und 1990 im Zwei-plus-Vier-Vertrag. Ein Abweichen von dieser Linie sei nicht nur gefährlich, sondern auch politisch unklug.
  • Tobias Lindner, Ökonom und Politiker, kritisiert die nukleare Teilhabe als „teuren, gefährlichen und antiquierten symbolischen Beitrag“, der lediglich der Wahrung von Mitspracherechten innerhalb der NATO diene, ohne einen realen Sicherheitsgewinn zu erzeugen.

Philosophisch betrachtet steht Deutschland damit an einem Scheideweg: Soll es den Weg der militärischen Macht beschreiten – mit allen Gefahren für Demokratie und Gesellschaft –, oder seine historische Verantwortung annehmen und weiterhin auf Diplomatie, Dialog und zivile Konfliktlösung setzen?

Schlussfolgerung

Die sicherheitspolitische Wende Deutschlands im Jahr 2025 stellt eine historische Zäsur dar. Während die Regierung Merz die stärkste Armee Europas anstrebt und über Atomwaffen diskutiert, lehnt die breite Bevölkerung diesen Kurs ab. Historische Erfahrungen, rechtliche Verpflichtungen und moralische Verantwortung sprechen eindeutig gegen einen solchen Weg.

Die internationale Gemeinschaft blickt mit wachsender Sorge auf Deutschland, dessen Politik nicht nur die europäische Sicherheitsarchitektur, sondern auch die globale Abrüstungsordnung gefährden könnte.

Besonders alarmierend ist die geplante Verlagerung staatlicher Prioritäten. Für das Militär ist ein gigantisches Budget von nahezu 500 Milliarden Euro vorgesehen, während für Bildung lediglich rund 22,6 Milliarden Euro und für das Gesundheitswesen etwa 16–20 Milliarden Euro bereitstehen. Gleichzeitig werden im Bereich der sozialen Sicherungssysteme Kürzungen diskutiert, obwohl gerade Rentner:innen und Bedürftige auf Unterstützung angewiesen sind. Dieses Missverhältnis ist nicht nur ein politischer Irrweg, sondern eine ernsthafte Gefahr für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands.

Die wichtigste Ressource dieses Landes sind nicht Panzer oder Raketen, sondern seine Menschen, insbesondere die junge Generation. Wird nicht in ihre Bildung, ihre Gesundheit und ihre soziale Sicherheit investiert, so untergräbt man das Fundament der Gesellschaft. Deutschland gleicht damit einem Haus, dessen Dach mit Gold verkleidet wird, während das Fundament langsam zerbricht. Eine solche Politik stärkt die Profite der Rüstungsindustrie, vernachlässigt jedoch jene, die das Land tatsächlich tragen und gestalten.

Das Ergebnis ist absehbar: Ein Land, das seine Menschen vernachlässigt, verliert langfristig sowohl seine Stabilität als auch seine Zukunftsfähigkeit. Echte Sicherheit entsteht nicht durch Waffenarsenale, sondern durch Vertrauen, Bildung, soziale Gerechtigkeit und Solidarität.

Quellen

  1. Reuters: Deutschland plant Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf 3,5 % des BIP bis 2029
  2. Financial Times: Rheinmetall eröffnet größte Munitionsfabrik Europas in Unterlüß
  3. AP News: Deutschland startet Initiative zur freiwilligen Rekrutierung ohne Wehrpflicht
  4. The Guardian: Deutschland erhöht Verteidigungsausgaben auf 3,5 % des BIP
  5. DevelopmentAid: Kritik an Kürzungen der Sozialhilfe in Deutschland
  6. Reuters: Rheinmetall CEO spricht von „pan-europäischem Verteidigungssystem“
  7. Atlantic Council: Deutschland plant Verdopplung der Verteidigungsausgaben innerhalb von fünf Jahren
Über Hossein Zalzadeh 22 Artikel
Hossein Zalzadeh ist Ingenieur, Publizist und politisch Engagierter – ein Mann, der Baustellen in Beton ebenso kennt wie die Bruchstellen von Gesellschaften. Zalzadeh kam Anfang zwanzig zum Studium nach Deutschland, nachdem er zuvor in Teheran als Lehrer und stellvertretender Schulleiter in einer Grundschule tätig gewesen war. Er studierte Bauwesen, Sanierung und Arbeitssicherheit im Bereich Architektur sowie Tropical Water Management an mehreren technischen Hochschulen. An bedeutenden Projekten – darunter der Frankfurter Messeturm – war er maßgeblich beteiligt. Seine beruflichen Stationen führten ihn als Ingenieur auch in verschiedene afrikanische Länder, wo er die großen sozialen Gegensätze und die Armut unserer Welt ebenso kennenlernte wie ihre stillen Uhrmacher – Menschen, die im Verborgenen an einer besseren Zukunft arbeiten. Bereits während des Studiums engagierte er sich hochschulpolitisch – im AStA, im Studierendenparlament sowie auf Bundesebene in der Vereinten Deutschen Studentenschaft (VDS) – und schrieb für studentische Magazine. In diesem Rahmen führte er Gespräche mit Persönlichkeiten wie Willy Brandt und Herta Däubler-Gmelin über die Lage ausländischer Studierender. Seit vielen Jahren kämpft er publizistisch gegen das iranische Regime. Geprägt ist sein Schreiben vom Schicksal seines Bruders – Jurist, Schriftsteller und Journalist –, der vom Regime ermordet wurde. Derzeit schreibt er an seinem Buch Kampf um die Menschlichkeit und Gerechtigkeit – ein Plädoyer für Freiheit, Würde und den Mut, der Unmenschlichkeit zu widersprechen.