Steht der Dritte Weltkrieg bevor – oder leben wir bereits mitten darin?

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Das Schreiben dieses Textes ist keine Sonntagspredigt. Es ist der Versuch, die gegenwärtige Weltlage aus einer analytischen, nicht moralischen Perspektive zu betrachten. Die Frage, die sich stellt, lautet: Hat der Dritte Weltkrieg bereits begonnen – nicht als klassischer militärischer Konflikt, sondern als struktureller Zustand, in dem Recht, Moral und Ordnung zerfallen und durch rohe Macht ersetzt werden? Die globale Architektur, die nach 1945 errichtet wurde, um Stabilität und Gerechtigkeit zu gewährleisten, befindet sich im Stadium des Zusammenbruchs. Das sogenannte regelbasierte System hat seine normative Kraft verloren und dient längst den Interessen der Mächtigen, nicht mehr den Prinzipien universaler Gleichheit. Der israelische Dimona-Reaktor steht sinnbildlich für diesen Widerspruch: Er ist nicht nur eine Atomanlage, sondern ein Mahnmal der doppelten Standards. Während manche Staaten über Jahrzehnte gegen das Nichtverbreitungsregime verstoßen dürfen, werden andere allein für den Gedanken an zivile Urananreicherung mit Sanktionen bedroht. Wenn solche Asymmetrien möglich sind, ist das internationale System nicht reformierbar, sondern tot. Die Welt basiert nicht mehr auf Recht, sondern auf Gewalt. Standards sind durch Ausnahmen ersetzt worden, und Moral wurde zur Rhetorik der Sieger.

In diesem Kontext bleiben die Vereinigten Staaten zwar militärisch eine Supermacht, doch strategisch und moralisch sind sie gefallen. Ihr Verhalten gleicht zunehmend dem eines Schurkenstaats, der seine Interessen mit Sanktionen, Drohnen und Geheimoperationen durchsetzt. Der Mythos von der „freien Welt“ ist einer imperialen Routine gewichen, deren Legitimität von Jahr zu Jahr erodiert. Dieser Verlust moralischer Glaubwürdigkeit markiert einen Wendepunkt in der Geschichte des Westens: Die USA und ihre Verbündeten haben die ideologische Grundlage ihrer Führungsrolle zerstört. Damit erleben wir nicht nur eine Krise der Macht, sondern auch eine Krise der Bedeutung – ein System, das einst Ordnung versprach, produziert heute Chaos.

Die Welt hat sich längst in einem Zustand permanenter Konfrontation eingerichtet. Dieselben Gesichter dominieren weiterhin die globale Bühne – Figuren, die die Menschheit seit Jahren mit Angst und Armut regieren. Donald Trump, der offen autoritäre Tendenzen feiert und die USA auf einen isolationistischen Kurs zwingt; Benjamin Netanjahu, dessen Regierung im Gazastreifen Krieg als Selbstverteidigung inszeniert; Ayatollah Ali Khamenei, der sein Land wie ein religiöses Gefängnis regiert; und viele andere, die sich als „Führer“ oder „Retter“ inszenieren. Sogar Japan reiht sich mit der nationalkonservativen Premierministerin Sanae Takaichi in diese Bewegung ein – sie will die pazifistische Verfassung revidieren und die Wiederbewaffnung vorantreiben. Deutschland wiederum spricht von Verantwortung und „europäischer Stärke“, während es gleichzeitig hunderte Milliarden Euro in Aufrüstung steckt und das soziale Gefüge vernachlässigt. Diese Gleichzeitigkeit von moralischer Rhetorik und militärischer Praxis ist zur Normalität geworden. Menschenrechte dienen als politische Sprache, Waffenexporte als ökonomische Logik.

Parallel dazu hat sich der Charakter des Krieges verändert. Der Panzer ist nicht verschwunden, doch er ist nur noch eine Form der Gewalt. Heute reicht ein Code, ein Klick, ein digitaler Befehl. Cyberangriffe können Stromnetze, Wasserwerke oder Krankenhäuser lahmlegen – lautlos, aber zerstörerisch. In der Ukraine wurde diese Form hybrider Kriegsführung bereits perfektioniert: Russische Operationen haben wiederholt Energie- und Kommunikationssysteme außer Kraft gesetzt. Was früher Krieg bedeutete, ist heute entgrenzt – der Krieg ist allgegenwärtig, unsichtbar und grenzenlos. Die Front verläuft nicht mehr zwischen Nationen, sondern durch Datenleitungen, Medienräume und Köpfe. Der Krieg ist zu einem Zustand geworden, der das Normale ersetzt.

Über allem liegt der atomare Schatten, der seit 1945 nie verschwunden ist. Mehr als neunzig Prozent aller Sprengköpfe befinden sich in den Händen der USA und Russlands, während China, Nordkorea, Indien, Pakistan und Israel ihre Arsenale stetig erweitern. Ein einziger technischer Fehler, ein Irrtum im Frühwarnsystem oder ein impulsiver Entschluss eines verletzten Egos könnte genügen, um das, was wir Zivilisation nennen, in Stunden zu vernichten. Der Kalte Krieg war berechenbarer als die Gegenwart, weil die Logik der Abschreckung auf Rationalität beruhte. Heute aber wird die Welt von Männern regiert, die sich selbst kaum noch erkennen – die Knöpfe drücken, bevor sie denken.

Die Künstliche Intelligenz, die viele als Rettung preisen, verschärft diese Krise. Dieselben Technologien, die Krankheiten heilen oder Hunger verhindern könnten, werden trainiert, um zu töten. Algorithmen übernehmen Entscheidungen, die kein menschliches Gewissen mehr prüft. Wenn Politik, Wirtschaft und Militär sich zur Entwicklung autonomer Waffensysteme vereinen, wird die Grenze zwischen Mensch und Maschine nicht nur ethisch, sondern existenziell. Die Moderne steht an dem Punkt, an dem sie sich selbst überflüssig macht. Der technische Fortschritt hat die moralische Reife überholt – und das ist vielleicht die gefährlichste Form des Niedergangs.

Gleichzeitig sind die internationalen Organisationen, die eigentlich zur Regulierung solcher Krisen geschaffen wurden, zu Symbolen ihrer eigenen Machtlosigkeit geworden. Die Vereinten Nationen, einst das Gewissen der Welt, sind zu einem diplomatischen Theater verkommen, in dem Täter ihre Verbrechen mit professionellem Lächeln rechtfertigen. Resolutionen werden verabschiedet, aber kein Kind wird dadurch gerettet, keine Stadt wieder aufgebaut. Auch NATO, G7 und WHO erscheinen wie Zuschauer, nicht wie Akteure. Der Multilateralismus, der nach dem Zweiten Weltkrieg als Schutz gegen Anarchie gedacht war, ist zu einer Kulisse geworden, hinter der nationale Interessen ungestört agieren können.

In dieser Weltordnung gibt es keine Gewinner. Kriege bringen nur Verlierer hervor – außer denen, die sie beginnen. Sie leben in Palästen, geschützt durch Bunker, während die Namenlosen für ihre Fahnen sterben. Das Leiden trifft stets die Falschen: die Armen, die Arbeiter, die Kinder. Der globale Kapitalismus hat den Krieg ökonomisiert und in eine Ware verwandelt. Er produziert Elend, weil Elend Profit bringt. Doch jenseits des Zynismus bleibt die Frage nach Verantwortung. Widerstand bedeutet heute nicht mehr Waffe, sondern Bewusstsein. Jeder, der die Lüge erkennt und sie nicht wiederholt, kämpft. Aufklärung und Solidarität sind die letzten Räume menschlicher Freiheit. Wenn Gesellschaften begreifen, dass wahre Stärke nicht im Stahl der Waffen, sondern im Mut der Worte liegt, kann Veränderung beginnen.

Die Menschheit steht an einem Wendepunkt. Wir können wählen, ob wir in den Scherben unserer Angst leben oder den Mut finden, den Kreislauf zu durchbrechen. Vielleicht ist der Dritte Weltkrieg längst da – ohne Sirenen, ohne Fronten, aber mit dem Summen von Drohnen, dem Surren der Server und dem Schweigen derer, die sich an die Normalität des Ausnahmezustands gewöhnt haben. Noch bleibt Zeit, aber sie verrinnt leise.

Quellen / Belege

1. The Guardian, „Ukraine power grid cyberattacks and hybrid warfare“, 2024.
2. Atlantic Council, „Global Trends 2035: The Future of Conflict and Great Power Competition“, 2023.
3. CISA / U.S. Cybersecurity and Infrastructure Security Agency, Bericht zu kritischen Infrastrukturen und ICS-Sicherheit, 2024.
4. NTI Nuclear Threat Initiative, „Nuclear Weapons: Global Inventory and Risks“, 2024.
5. Reuters / AP News, Berichte zu japanischer Politik und Rüstungsdebatte (Sanae Takaichi) sowie zum deutschen 500-Milliarden-Euro-Rüstungsfonds, 2025.
Über Hossein Zalzadeh 22 Artikel
Hossein Zalzadeh ist Ingenieur, Publizist und politisch Engagierter – ein Mann, der Baustellen in Beton ebenso kennt wie die Bruchstellen von Gesellschaften. Zalzadeh kam Anfang zwanzig zum Studium nach Deutschland, nachdem er zuvor in Teheran als Lehrer und stellvertretender Schulleiter in einer Grundschule tätig gewesen war. Er studierte Bauwesen, Sanierung und Arbeitssicherheit im Bereich Architektur sowie Tropical Water Management an mehreren technischen Hochschulen. An bedeutenden Projekten – darunter der Frankfurter Messeturm – war er maßgeblich beteiligt. Seine beruflichen Stationen führten ihn als Ingenieur auch in verschiedene afrikanische Länder, wo er die großen sozialen Gegensätze und die Armut unserer Welt ebenso kennenlernte wie ihre stillen Uhrmacher – Menschen, die im Verborgenen an einer besseren Zukunft arbeiten. Bereits während des Studiums engagierte er sich hochschulpolitisch – im AStA, im Studierendenparlament sowie auf Bundesebene in der Vereinten Deutschen Studentenschaft (VDS) – und schrieb für studentische Magazine. In diesem Rahmen führte er Gespräche mit Persönlichkeiten wie Willy Brandt und Herta Däubler-Gmelin über die Lage ausländischer Studierender. Seit vielen Jahren kämpft er publizistisch gegen das iranische Regime. Geprägt ist sein Schreiben vom Schicksal seines Bruders – Jurist, Schriftsteller und Journalist –, der vom Regime ermordet wurde. Derzeit schreibt er an seinem Buch Kampf um die Menschlichkeit und Gerechtigkeit – ein Plädoyer für Freiheit, Würde und den Mut, der Unmenschlichkeit zu widersprechen.