Über den wahrheitssuchenden grandiosen Maler Vincent van Gogh (1853 bis 1890) sind wir spätestens seit Erscheinen des Prestel-Bandes von Isabel Kuhl (2008) bestens informiert. Eine große Anzahl, vor allem die bekanntesten der über 800 Bildwerke van Goghs gibt das Buch, trefflich sowohl in der Farbigkeit als auch in der Auswahl, wieder. Unserer zunehmend „Buch-fernen“ Gegenwart reicht das nicht aus. Sie ruft die moderne Technik auf den Plan, die uns – vielleicht wirkungsvoller und eingehender – Leben und Werk des Außenseiters der modernen Malerei multisensorisch und immersiv nahebringen kann.
Ausstellungsproduzent Nepomuk Schessel ist davon überzeugt, dass sein von ihm gesetzter Fokus auf die letzten, dramatischsten Lebensjahre des Künstlers, der sich mit 46 Jahren selbst den Todesschuss gab, ein entscheidender Anziehungspunkt des Besuchs seiner Kreation darstellt. Multisensorisch wahrnehmen bedeutet, Informationen mit möglichen Sinnen, vorab des Hörens, Sehens und Tastens, aufnehmen, um zu einer umfassenden Aneignung neuer Inhalte zu gelangen. Immersiv erlebt der Mensch, wenn er tief in eine historische oder virtuelle Umgebung eintaucht, wobei das Empfinden, als „Empfänger“ mitten im Geschehen zu sein, erzeugt wird.
Als hilfreich erweist sich bei dieser von sanften Klängen untermalten Performance in der ehemaligen Reithalle die Stimme der Erzählerin,Vincents Schwägerin Johanna van Gogh. Vincents Bruder Theo hat 1889 in Paris die Schwester eines Freundes, Johanna Gesina Bongs, geheiratet. Zweimal treffen Theo und Johanna mit ihrem Söhnchen Vincent in Paris. Am 27. Juli 1890 passiert das Unsägliche: Auf einer Wanderung in Auvers-sur-Oise erschießt sich Vincent, der an der Seite von Theo wenig später seinen Wunden erliegt. Johanna führt durch die Ausstellung. Sie habe es, so Nepomuk Schessel, geschafft, mit 26 Jahren Witwe geworden, ihren Schwager populär zu machen.
Auf einer zehn Meter breiten Projektionsfläche wird die faszinierende Bilder-Welt des Vincent van Gogh sinnfällig erlebbar. Die berühmtesten Gemälde ergreifen geradezu magisch und in den Originalfarben leuchtend die Besuchenden. Immer mehr wird ihnen die Zerrissenheit des Hochtalentierten, aber Gefährdeten bewusst, der sich mit Stillleben (gelber Strohhut, Steingut und Holzschuhe, Kaffeekanne, Teller mit Zwiebeln, Gauguins Stuhl), mit Porträts (Der Postbote Roulin, Bäuerin mit weißer Haube, Die Kartoffelesser), Selbstbildnissen, Landschaften (Sämann mit untergehender Sonne, Olivenbäume, Die Kirche von Auvers, Die Brücke von Langlois in Arles, Kornfeld mit Meier und Sonne), Blumen (Vase mit Sonnenblumen, Iris, Blumengarten) und Bäumen (Blühende Mandelbaumzweige, Herbstlandschaft, Fallende Herbstblätter) weltweit Aufsehen erregte und Bedeutung erlangte.
„Es sind endlos weite Kornfelder unter trüben Himmeln, und ich hab mich nicht gescheut, Traurigkeit und äußerste Einsamkeit auszudrücken“, sagte van Gogh einmal und ergänzte, er glaube fest daran, dass seine Bilder den Menschen, die ihn überleben, sagen, was er mit Worten nicht ausdrücken konnte. Viele der Zitate sind in dem anfangs erwähnten Buch von Isabel Kuhl wiedergegeben, die meisten davon Briefen Vincents an seinen Bruder Theo entnommen.
Die Produktion von Alegria Exhibition und Maag Moments „Vincent. Zwischen Wahn und Wunder – Van Gogh Immersiv“ war ursprünglich bis 11. Januar vorgesehen und wurde soeben bis 12. April verlängert. Geöffnet Montag bis Sonntag 10 bis 20 Uhr. Dauer: 75 Minuten.
