Generation Z in Deutschland – Radikalisierung ohne Emanzipation?

Man, Woman, Androgynous image, Quelle: BrianPenny, Pixabay. Freie kommerzielle Nutzung, Kein Bildnachweis nötig

Die Generation Z in Deutschland steht im Zentrum einer paradoxen historischen Konstellation: Sie wächst in einem der politisch stabilsten und ökonomisch stärksten Länder Europas auf und ist zugleich von multiplen, sich überlagernden Krisen geprägt – Klimakatastrophe, Wohnungsnot, Prekarisierung, geopolitische Eskalationen und ein tiefgreifender Vertrauensverlust in politische Repräsentation. Auffällig ist, dass diese Krisenerfahrung nicht primär zu einer kollektiven Linksradikalisierung führt, sondern bei einem wachsenden Teil junger Menschen eine Offenheit gegenüber rechten und rechtsextremen Deutungsangeboten erzeugt. Der vorliegende Artikel entwickelt eine generationstheoretische und hegemoniekritische Analyse dieses Phänomens. Er argumentiert, dass die Rechtsaffinität eines Teils der deutschen Generation Z weniger aus ideologischer Überzeugung resultiert, sondern aus Angst vor sozialem Abstieg, einer Krise politischer Repräsentation und dem Versagen der institutionalisierten Linken, soziale Wut in ein emanzipatorisches Projekt zu übersetzen. Im Vergleich mit anderen Ländern wird gezeigt, warum Radikalität nicht automatisch progressiv ist und weshalb sich unter Bedingungen relativer Stabilität autoritäre Antworten leichter durchsetzen können.

Schlüsselbegriffe: Generation Z, Deutschland, Rechtsradikalismus, Krise der Repräsentation, Hegemonie, Neue Rechte

Die soziologische Kategorie der Generation bezeichnet keine bloße Alterskohorte, sondern eine historisch strukturierte Erfahrungsgemeinschaft. Karl Mannheim hat gezeigt, dass Generationen dort politisch relevant werden, wo gesellschaftliche Umbrüche biografisch verdichtet auftreten und kollektive Deutungsmuster hervorbringen. Die Generation Z ist in diesem Sinne eine globale Generation, deren politische Orientierungen jedoch national höchst unterschiedlich ausgeprägt sind. Diese Unterschiede sind nicht kulturell zufällig, sondern Ausdruck spezifischer gesellschaftlicher Macht- und Krisenlagen.

In zahlreichen Ländern – etwa in Teilen Lateinamerikas, Südeuropas oder auch Frankreichs – lässt sich beobachten, dass junge Menschen verstärkt zu linken, systemkritischen und antikapitalistischen Positionen tendieren. Dort werden soziale Ungleichheit, Prekarisierung und ökologische Zerstörung als strukturelle Probleme des kapitalistischen Systems erkannt. Deutschland hingegen bildet einen widersprüchlichen Sonderfall. Trotz formaler demokratischer Stabilität und eines weiterhin bestehenden Sozialstaates zeigen Studien und Wahlergebnisse, dass insbesondere unter jungen Wähler:innen rechte und rechtsextreme Parteien wie die AfD an Attraktivität gewinnen.

Diese Entwicklung ist nicht als Ausdruck politischer Unreife oder mangelnder Bildung zu verstehen. Vielmehr verweist sie auf eine tiefgreifende Krise politischer Repräsentation. Für große Teile der Generation Z existiert keine politische Kraft, die ihre existenziellen Sorgen glaubwürdig artikuliert: explodierende Mieten, unsichere Arbeitsverhältnisse, die Aussicht auf ökologischen Kollaps und die Erfahrung permanenter Beschleunigung erzeugen ein Gefühl struktureller Ohnmacht. Die Krise wird erlebt, aber nicht als Systemkrise benannt.

Die institutionalisierte Linke in Deutschland hat zu dieser Entpolitisierung maßgeblich beigetragen. Ihre Diskurse sind zunehmend technokratisch, moralisch überformt und von administrativer Rationalität geprägt. Soziale Konflikte werden häufig in Sprache der Regulierung, der individuellen Verantwortung oder der symbolischen Anerkennung verhandelt, während materielle Fragen – Eigentum, Verteilung, Klassenverhältnisse – in den Hintergrund treten. Dadurch verliert die Linke ihre Fähigkeit, soziale Wut politisch zu bündeln und in ein kollektives Projekt zu überführen.

In dieses Vakuum stößt die Neue Rechte. Rechte Akteure bieten keine realen Lösungen für die strukturellen Krisen, aber sie liefern einfache Erzählungen, klare Feindbilder und affektive Sinnangebote. Migration, feministische Bewegungen oder eine abstrakte „liberale Elite“ fungieren als Projektionsflächen für diffuse Abstiegsängste. In einer Situation, die Hartmut Rosa als Verlust von Resonanz beschreibt, verspricht die Rechte nicht Emanzipation, sondern Ordnung, Kontrolle und scheinbare Übersichtlichkeit.

Besonders ausgeprägt ist diese Dynamik bei jungen Männern, die sich zwischen neoliberalen Leistungsanforderungen und dem Verlust traditioneller sozialer Rollen verorten. Die Rechte bietet ihnen Anerkennung ohne Solidarität, Identität ohne soziale Verantwortung und Zugehörigkeit ohne Gleichheit. Dass diese Angebote autoritär, exkludierend und langfristig destruktiv sind, wird durch ihre kurzfristige emotionale Wirksamkeit überdeckt.

Der internationale Vergleich macht deutlich, dass Radikalität nicht automatisch progressiv ist. Unter Bedingungen massiver Repression oder extremer Ungleichheit – etwa im globalen Süden oder in autoritären Kontexten – radikalisiert sich Jugend häufig nach links, da die Ursachen des Leidens als strukturell erkannt werden. In Deutschland hingegen wirkt die relative Systemstabilität paradoxerweise entpolitisierend: Die Angst vor dem sozialen Abstieg ersetzt die Erfahrung offener Unterdrückung. Radikalität speist sich hier aus Verunsicherung, nicht aus Befreiung.

Die politische Orientierung der Generation Z in Deutschland ist daher weniger eine Frage individueller Präferenzen als ein Symptom einer hegemonialen Krise. Solange progressive Kräfte keine überzeugenden Zukunftsnarrative formulieren, die materielle Sicherheit, ökologische Nachhaltigkeit und individuelle Freiheit verbinden, bleibt das Feld offen für autoritäre Antworten. Die Auseinandersetzung um die Generation Z ist damit eine zentrale Frage der demokratischen Zukunft moderner Gesellschaften – und nicht zuletzt ein Prüfstein für die politische Handlungsfähigkeit der Linken selbst.

Literatur

Mannheim, K. (1952). Essays on the Sociology of Knowledge. London: Routledge.

Gramsci, A. (1971). Selections from the Prison Notebooks. New York: International Publishers.

Rosa, H. (2016). Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung. Berlin: Suhrkamp.

Fraser, N. (2019). The Old Is Dying and the New Cannot Be Born. London: Verso.

Crouch, C. (2004). Post-Democracy. Cambridge: Polity Press.

Beck, U. (1986). Risikogesellschaft. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Finanzen

Über Hossein Zalzadeh 24 Artikel
Hossein Zalzadeh ist Ingenieur, Publizist und politisch Engagierter – ein Mann, der Baustellen in Beton ebenso kennt wie die Bruchstellen von Gesellschaften. Zalzadeh kam Anfang zwanzig zum Studium nach Deutschland, nachdem er zuvor in Teheran als Lehrer und stellvertretender Schulleiter in einer Grundschule tätig gewesen war. Er studierte Bauwesen, Sanierung und Arbeitssicherheit im Bereich Architektur sowie Tropical Water Management an mehreren technischen Hochschulen. An bedeutenden Projekten – darunter der Frankfurter Messeturm – war er maßgeblich beteiligt. Seine beruflichen Stationen führten ihn als Ingenieur auch in verschiedene afrikanische Länder, wo er die großen sozialen Gegensätze und die Armut unserer Welt ebenso kennenlernte wie ihre stillen Uhrmacher – Menschen, die im Verborgenen an einer besseren Zukunft arbeiten. Bereits während des Studiums engagierte er sich hochschulpolitisch – im AStA, im Studierendenparlament sowie auf Bundesebene in der Vereinten Deutschen Studentenschaft (VDS) – und schrieb für studentische Magazine. In diesem Rahmen führte er Gespräche mit Persönlichkeiten wie Willy Brandt und Herta Däubler-Gmelin über die Lage ausländischer Studierender. Seit vielen Jahren kämpft er publizistisch gegen das iranische Regime. Geprägt ist sein Schreiben vom Schicksal seines Bruders – Jurist, Schriftsteller und Journalist –, der vom Regime ermordet wurde. Derzeit schreibt er an seinem Buch Kampf um die Menschlichkeit und Gerechtigkeit – ein Plädoyer für Freiheit, Würde und den Mut, der Unmenschlichkeit zu widersprechen.