RÜCKGABE EINES WERKES NACH ERNEUTER PRÜFUNG AUF GRUNDLAGE DES NEUEN BEWERTUNGSRAHMENS
RÜCKGABE EINES GEMÄLDES AUS DEM UMKREIS LUCAS CRANACH DER ÄLTERE
Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen geben das Gemälde „Hl. Anna Selbdritt“, um 1522-1525, aus dem Umkreis Lucas Cranach der Ältere an die Erben nach Ernst Magnus (Hannover) zurück:
Das kleinformatige Bild wurde 1940 von Ernst Magnus an die Galerie Fischer in Luzern in Kommission abgegeben und 1941 über den Kunsthändler Walter Andreas Hofer an Hermann Göring verkauft. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Werk von den amerikanischen Alliierten im Central Collecting Point sichergestellt und zunächst treuhänderisch an den Bayerischen Ministerpräsidenten übergeben. 1961 wurde es als Erwerbung aus NS-Besitz an die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen übereignet.
Bereits 2009 stellten die Erben ein Restitutionsgesuch, das nach Prüfung im Jahre 2010 auf Grundlage der damaligen Handreichung abgelehnt wurde. Nach erneuter Prüfung auf Basis des neuen Bewertungsrahmens der Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubgut für die Prüfung und Entscheidung zum Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut wurde die Entscheidung revidiert und die Restitution nun bewilligt.
KUNSTMINISTER MARKUS BLUME:
„Ich freue mich, dass der klar definierte und erweiterte Kriterienkatalog des neuen Bewertungs-rahmens des Schiedsgerichts NS-Raubgut die rechtlichen Voraussetzungen für die Rückgabe des Gemäldes ‚Hl. Anna Selbdritt‘ an die Erben nach Ernst Magnus schafft. Mit dem Start der Schiedsgerichtsbarkeit hat eine neue Ära bei der Rückgabe von NS-Raubkunst begonnen – und sie wirkt weit über den Rechtsweg hinaus. Der Bewertungsrahmen konkretisiert die Washingtoner Prinzipien und schafft verlässliche Leitlinien. Das ist ein wichtiger Fortschritt für eine zeitgemäße Restitutionspraxis. Zum ersten Mal werden auch bislang ungeklärte Bereiche wie Händlerware, Auslandverkäufe und Fluchtgut geregelt. Dabei gilt: Keine Regel ohne Ausnahme – nur so lässt sich jeder Einzelfall individuell würdigen. Für Museen in Bayern und deutschlandweit schafft das die Chance, schwierige Sachverhalte erneut zu beleuchten und Entscheidungen auf eine breitere, tragfähige Grundlage zu stellen“.
ANTON BIEBL, LEITER DER BAYERISCHEN STAATSGEMÄLDESAMMLUNGEN:
„Die Entscheidung, das Werk an die Erben von Ernst Magnus zurückzugeben, ist ein sichtbares Zeichen für die Weiterentwicklung unserer Restitutionspraxis. Wir sind den Opfern des NS-Unrechts und ihren Nachfahren verpflichtet, ihre Geschichten sichtbar zu machen und gerechte Lösungen zu finden.“
HANNAH CAVENDISH-PALMER, URENKELIN VON ERNST MAGNUS:
‘Thank you to the people of Germany for being willing to listen, remember, and recognize the tragic persecution of my family members and so many others, whose lives were destroyed by the Nazis. Thank you to the Bavarian State Museums for hearing that call and returning the painting. I implore German institutions to continue returning stolen works.’
BIOGRAPHISCHER HINTERGRUND DER FAMILIE MAGNUS
Ernst Magnus (1871–1942) und seine Frau Ida stammten ursprünglich aus Hessen und lebten lange Jahre in Hannover. Magnus war Direktor der Commerz- und Disconto-Bank Hannover, Mitglied im Börsenvorstand und von 1914 bis 1933 im Aufsichtsrat der Continental Gummi-Werke AG. Gemeinsam mit seiner Frau baute er eine Kunstsammlung auf, beraten von einem Assistenten Wilhelm von Bodes.
Mit Beginn des NS-Regimes wurde die Familie zunehmend entrechtet. Konten wurden gesperrt, Grundstücke unter Wert verkauft, Judenvermögensabgabe und Reichsfluchtsteuer mussten geleistet werden. 1935 war Ernst Magnus verfolgungsbedingt nach Lausanne emigriert, wohin er Teile seiner Sammlung und wertvolle Einrichtungsgegenstände mitnehmen konnte. Doch um die Kosten der Flucht und ein Visum für Kuba finanzieren zu können, sah sich Magnus gezwungen, weitere Kunstwerke zu verkaufen, darunter „Hl. Anna Selbdritt“. Als sich die Asylregelungen in der Schweiz zunehmend verschärften, gelang der Familie 1941 die Ausreise über Sevilla nach Havanna, wo Ernst Magnus bereits wenige Monate später, am 12. Februar 1942, verstarb. Seine Frau und Tochter konnten weiter in die USA fliehen.
HERAUSFORDERUNG DER PROVENIENZFORSCHUNG
Die Klärung der Herkunftsgeschichte des Gemäldes steht exemplarisch für die Schwierigkeiten, die sich bei der Bewertung von sogenanntem „Fluchtgut“ ergeben. Verkäufe in der Schweiz während der NS-Zeit lassen sich häufig schwer einordnen, da sie einerseits unter formal freien Marktbedingungen stattfanden, andererseits aber oftmals von den existenziellen Zwängen der Verfolgung diktiert waren. Der 2024 verabschiedete neue Bewertungsrahmen ermöglicht hier eine differenziertere Betrachtung: Er berücksichtigt stärker die verfolgungsbedingten wirtschaftlichen Nöte von Emigrantinnen und Emigranten, indem er anerkennt, dass auch außerhalb des Reichsgebietes erzwungene Verkäufe vorliegen können.
Für die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und die Forscherinnen des neu gegründeten Referates für Provenienzforschung an der Museumsagentur bedeutet dies, Fälle wie den von Ernst Magnus nach mehr als einem Jahrzehnt neu zu bewerten und Entscheidungen auch nach vielen Jahren erneut kritisch zu hinterfragen. Zugleich ist es eine Verpflichtung, die Provenienzforschung weiter auszubauen, Ressourcen bereitzustellen und die Ergebnisse transparent zu kommunizieren. Die Restitution des Gemäldes „Hl. Anna Selbdritt“ ist damit auch ein Zeichen dafür, dass die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Verantwortung übernehmen und den Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern konsequent weiterentwickeln.

Buchenholz (Fagus sp.), Ausflickung Falz Nadelholz, 32 x 25 cm
Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Sibylle Forster
