Die Neue Züricher Zeitung vom 20. November beschreibt am Beispiel des nicht enden wollenden Baus von Stuttgart 21 das Übel des Baumanagements bei öffentlichen Großprojekten, doch beleuchtet sie nicht die wahren Hintergründe.
Kleinteilige Vergaben – Mittelstandsförderung als Bumerang
Bei öffentlichen Ausschreibungen soll der Mittelstand gefördert werden. Daher wird oft kleinteilig an viele Firmen vergeben. Die Bauleitung ist damit beschäftigt, diese alle zu koordinieren, ohne ein Machtinstrument wie einen Generalunternehmer in den Händen zu haben. Dann werden externe Projektsteuerer zur Unterstützung beauftragt, die aber nur dokumentieren und rechtfertigen können, weil auch sie keine Druckmittel in der Hand haben.
Ein System, von dem alle profitieren – außer dem Steuerzahler
Der wichtigste Aspekt ist jedoch, dass alle Beteiligten an diesem System wunderbar verdienen. Je mehr Änderungen es gibt und je länger die Baustelle läuft, desto mehr teure Nachträge kann ich als Unternehmer stellen. Auch die Projektsteuerer haben ihr Honorar an den Baukosten orientiert – so wie die Architekten und Planer mit ihrer HOAI.
Im Grunde kann man die Ausnutzung dieses Systems auch indirekte Korruption nennen. Nur der Steuerzahler muss dann blechen, und keiner ist verantwortlich, weil es die „komplexen Umstände“ waren. Besser kann es für alle Beteiligten nicht laufen.
Warum private Bauträger effizienter bauen
Ein privater Bauträger vergibt nicht nach HOAI und ist damit oft ein Feind der AIV. Er beauftragt einen Generalunternehmer, der natürlich zu Beginn scheinbar mehr kostet, aber letztendlich alles auch monetär und zeitlich im Griff haben muss, denn das ist sein Gewinn.
Internationale Vergleiche
In Italien wird bei öffentlichen Ausschreibungen den Generalunternehmen je nach Projekt vorgeschrieben, dass sie mindestens 40–60 % an den Mittelstand vergeben müssen oder sogar eine ARGE (Arbeitsgemeinschaft) mit mittelständischen Firmen zu bilden haben, was nach EU-Gesetz erlaubt ist. Dadurch können auch viel größere Lose beauftragt werden.
Die vergessenen Kosten: Betrieb und Instandhaltung
Aber die Baukosten sind nur das erste Kapitel. Dann folgen die oft enormen Servicekosten (Facility Management) und Instandhaltungskosten im Laufe der Jahre, wenn nicht vorausschauend geplant wird. Viele Bauherren übersehen dieses Thema immer noch, weil der Unterhalt später von einer anderen Abteilung gemanagt wird und zu einem anderen Finanzierungstopf im Haushalt gehört. Die Energieproblematik leitet nun aber wenigstens auf diesem Gebiet eine Wende ein.
Bei jedem Projekt sollten nicht nur die Baukosten, sondern auch die laufenden Service- und Instandhaltungskosten, die immer nach der Garantiezeit auftreten, auf die nächsten 20 Jahre (eigentlich auf den gesamten Lifecycle) hochgerechnet werden. Diese sind eine laufende Belastung der Haushalte und schränken zukünftige Investitionen erheblich ein.
Darüber spricht aber niemand bei der Budgetfreigabe. Siehe jetzt wieder Berlin, wo der Senat eine Million Bäume pflanzen will. Wer spricht über die jährlichen Kosten der anfänglichen Bewässerung, dann der jährlichen Baumschnitte und des Laubeinsammelns durch den Gartenbetrieb? Niemand! Hinzu kommt, dass die laufenden Kosten dann oft von anderen Regierungsparteien oder Managern geerbt werden. Also trifft immer den anderen die Schuld.
So waschen sich alle die Hände und verdienen hervorragend an diesem System.
Ein Geflecht aus Zuständigkeiten und überregulierten Normen
Das gesamte System aus politischer Einmischung mit unklarer Eigentümerrolle, der Einflussnahme zukünftiger Nutzer während der Bauphase (die Frau des ehemaligen Bundespräsidenten durfte angeblich die Farbe der Steinfassade beim neuen Präsidialamt bestimmen!), komplexen, ausufernden Baugesetzen (1990 waren es 5.000, heute ca. 20.000), unterschiedlichen Bauvorschriften der Länder, übertriebenen DIN-Vorschriften (das Neueste: eine 40 cm breite und 5 cm tiefe Schneeschmelzwasserrinne in der Tiefgarage!), EU-Gesetzen, preistreibenden Honorarkonzepten, fehlender Lebenszyklusbetrachtung, Designhoheit (Architekten interessieren Betriebskosten wie etwa die Reinigbarkeit oft nicht) sowie Universitäten, die mit ideologischen Scheuklappen sozial-grüne Künstler ausbilden, die immer noch dem verheerenden Ideal der Charta von Athen hinterherlaufen, führt zu einem schwerfälligen, teuren System.
Deutsche Regulierungswut als Kostentreiber
Hinzu kommen die typisch deutschen perfekten Ausführungsverordnungen, die mit übertriebener Risikobewertung die Ängste der Nichtfachleute (öffentlicher oder privater Eigentümer) befeuern und mit denen dann zum Schluss alles gerechtfertigt wird – und zum kafkaesken Schloss mutiert.
Das perfekte Geschäftsmodell: Je länger, desto besser
Alles zusammen ergibt ein perfektes Gewinnmodell für die beteiligten Planer, Berater und ausführenden Unternehmen. Je länger die Baustelle läuft, umso mehr verdient man. Siehe das Bauhaus-Archiv in Berlin: ursprünglich mit Kosten von 64 Millionen Euro geplant, verbaut sind heute bereits 92 Millionen. Baubeginn war 2015, und die Eröffnung sollte 2021 sein – was schon viel zu lange war. Nun hofft man auf 2026. Von dem Desaster der Elbphilharmonie ganz zu schweigen. Alles wird hingenommen, nur kurze Aufschreie der Presse – und beim nächsten Projekt kommt das gewinnträchtige System wieder zur Anwendung.
Planfeststellungsverfahren: Eine Oase für Gutachter
So ist es auch beim Planfeststellungsverfahren, das eine Oase für Planerhonorare und NGOs ist, siehe die Fledermaus-Erpressung für den Weiterbau der A20.
Oder das noch nicht einmal beendete Planfeststellungsverfahren für die wichtige Anschlusstrasse an den Brennertunnel, weil man in Bayern an die kurzfristigen Wahlen denkt und vor den Wählerstimmen Angst hat. Österreich und Italien sind viel weiter.
Fehmarnbelt und deutsche Verzögerung
Oder jetzt die Bauarbeiten zum Fehmarnbelt-Tunnel – zum Glück unter der Leitung der Dänen. Aber die deutsche Anschlusstrasse soll angeblich bereits jetzt erst ein Jahr später fertig werden.
Absurd abgesicherte, aber leere Baustellen
Oder wenn man auf der Autobahn unterwegs ist: Man sieht Verkehrsbaustellen, die fleißig perfekt eingezäunt und gesichert – und damit abrechnungsfähig – sind, auf denen aber keine Arbeiten stattfinden oder die Arbeiten unterbrochen wurden. Wochenendarbeiten oder Schichtbetrieb sind kaum vorgesehen. Die Schweizer errichten bei einem Erdrutsch eine provisorische Stahltrasse – in Deutschland gibt es jahrelangen Stau, Beispiel A2 bei Magdeburg. So könnte man viele Projekte aufzählen.
Dramatische Leistungsbilanz
Nach einer von EY erstellten Studie werden in Deutschland 60 % der Bauprojekte nicht in der vorgesehenen Zeit, Qualität und im Budget erstellt – Tendenz steigend.
Eine Blamage, aber alle verdienen gut daran.
Begrünungswahn: teuer und ineffizient
Ein weiterer Punkt: die übertriebene Begrünung der Gebäude.
Wasser ist der Feind jeder Baukonstruktion, das heißt: Jede Begrünung ist kostenintensiv – nicht nur bei der Erstellung, sondern auch im Betrieb, und spätestens nach 20–30 Jahren ist jede Dachhaut verrottet.
Mit der Begrünung der Gebäude retten wir nicht die Welt, sondern erhöhen nur die Bau- und Betriebskosten – alles zulasten der Mieter und damit absolut unsozial. Besser wäre dagegen die verstärkte Integration von Solarsystemen.
Was wirklich fehlt
Es fehlen klarere Prozesse (Speed), geringere Einspruchsmöglichkeiten (Planungen wie die Einheitsprojekte), ein definitiver Redaktionsschluss – also keine großen Änderungen während der Ausführung –, Anreizmodelle für kostensparendes und schnelles Bauen (auch im Schichtbetrieb, siehe die Erstellung von Kreuzfahrtschiffen) und eine starke, durchsetzungsfähige Eigentümerfunktion wie ein Schiffskapitän, um den Zeitplan einzuhalten.
An gut ausgebildeten und erfahrenen Ingenieuren mangelt es in Deutschland nicht – aber sie dürfen nicht. Sie werden durch die genannten Umstände gefesselt.
Internationale Lösungen
In Italien kennt man ebenfalls Kostenexplosionen und sucht nun für komplexe öffentliche Planungs- und Baumaßnahmen mit einer „Cabina di Regia“ einen Ausweg.
Dänemark und die Schweiz zeigen, wie schnell man mit guter Qualität Großprojekte durchzieht; Dubai mit unserem westlichen Know-how ohnehin.
Deutschland verliert den Anschluss
Die Parole für Deutschland sollte – nicht nur für den öffentlichen Bau – heißen: Speed und Quality, damit endlich wieder Benchmarkniveau wie in der Industrieproduktion erreicht wird.
Es fragt sich wirklich: Wo sind die Macher in Deutschland, die mit Ehrgeiz und starkem Willen denen folgen, die das Land wieder aufgebaut haben?
Wir sind eine Nation der verantwortungslosen Bedenkenträger geworden, die einen Verschiebebahnhof der Verantwortungen toleriert, nicht zupackt, Verantwortung meidet und eher einen schlechten Kompromiss bevorzugt, als sich für eigene Ideen gegen den Mainstream im Sinne der Sache durchzusetzen.
Unsere jetzige Regierung ist dafür ein gutes Beispiel: große Ankündigungen – Wein wird gepredigt und zuletzt Wasser verteilt!
Wo sind endlich die unideologischen Macher für Geschwindigkeit und Qualität, die sich für die Allgemeinheit und den normalen Bürger stark machen und einsetzen?
