Am 4. September 2025 starb der österreichische Publizist, Lehrer und Schriftsteller Niki Glattauer in Wien durch einen assistierten Suizid. Er war unheilbar an einem Gallengangskrebs erkrankt. Seinen assistierten Suizid hat er vorher medienwirksam angekündigt. Dies löste kontroverse Debatten aus.
Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird über angekündigte und assistierte Suizide öffentlich berichtet. Der Protagonist des angekündigten Suizids war der Schriftsteller Jean Amery (1912 – 1978), der nicht nur seinen Suizid mehr als zehn Jahre zuvor ankündigte, sondern auch mit „Hand an sich legen“ (Amery 1976) einen Bestseller über den Suizid schrieb. Im 21. Jahrhundert waren es vor allem der bekannte Rundfunkt-Intendant Udo Reiter (1944 – 2014), der Schriftsteller Wolfgang Herrndorf (1965 – 2013) und der Intellektuelle Fritz J. Raddatz (1931 – 2015), die durch ihre angekündigten Suizide große mediale Aufmerksamkeit fanden. Während Udo Reiter und Wolfgang Herrndorf sich selbst durch einen Kopfschuss töteten, wählte Fritz J. Raddatz die Variante von Niki Glattauer: er kündigte seinen Suizid lange vorher an und wählte dann einen assistierten Suizid.
Früher war es eher ein Privileg von Schriftstellern oder Prominenten, ihren Suizid anzukündigen oder die langfristige Planung ihres assistierten Suizids öffentlich bekannt zu machen. Heute gibt es regelmäßig in großen Tageszeitungen ausführliche Berichte von wenig bekannten Menschen oder Paaren, die einen assistierten Suizid ankündigen und ihre Lebenssituation und ihre Suizidmotivation ausführlich darlegen (Csef 2023).
Die Lebens- und Leidensgeschichte von Niki Glattauer
Niki Glattauer wurde am 1. Januar 1959 in Zürich als Sohn eines österreichischen Paares geboren. Kurz nach seiner Geburt zog die Familie nach Wien, wo er sein ganzes Leben lang lebte. Zuerst war er wie sein Vater als Journalist tätig und schrieb bevorzugt für Wiener Zeitungen. Mit 40 Jahren wurde er Lehrer und mit 58 Jahren Schuldirektor an einer Wiener Sonderschule. Von 2002 an veröffentlichte er zwölf Bücher, von denen einige Bestseller wurden. Neben Kinderbüchern schrieb er schulkritische Sachbücher. Seine autobiografische Satire „Ende der Kreidezeit. Ein bisschen Schule und der irre Rest des Lebens“ (2018) erreichte Platz 1 der Bestsellerlisten.
Als bei Niki Glattauer ein unheilbarer Gallengangskrebs diagnostiziert wurde, entschied er sich gegen eingreifende Behandlungen und für einen assistierten Suizid. Kurz vor seinem Tod führte er Interviews mit den Journalisten Christian Nusser und Florian Klenk, die veröffentlicht wurden und damit seinen geplanten assistierten Suizid ankündigten (Nusser 2025, Klenk 2025). Dieses Vorgehen wurde von einigen Kirchenvertretern, Ethikern und Medienexperten kritisiert.
Resonanzen und kontroverse Debatten in den Medien
Sehr positiv äußerte sich der jüngere Bruder des Verstorbenen, Daniel Glattauer, der ebenfalls Schriftsteller ist, und beim Abschied seines Bruders dabei war. Er sagte: „Wir haben im Kreis der Familie einen schönen letzten Abend miteinander verbracht. Wir haben Karten gespielt, gegessen, getrunken, gelacht und geweint.“ Am nächsten Morgen sei Niki Glattauer „friedlich, entspannt, ohne Angst und ohne Schmerzen im Kreis seiner Familie eingeschlafen. Seine letzten Worte waren: Schön, wow!“ (zit. nach Klenk vom 9. September 2025).
Der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler jedoch hat eine kontroverse und sehr kritische Einschätzung. Er warf Niki Glattauer vor, er habe seinen assistierten Suizid wie ein Spektakel inszeniert. Es sei eine Unkultur, „die Auslöschung des eigenen Lebens als Tat größtmöglicher Freiheit zu preisen.“ (zit. nach Klenk 2025).
Der mediale Auftritt der Beteiligten hat über die Grenzen Österreichs hinaus Diskussionen ausgelöst. Heribert Prantl, langjähriger Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung schrieb dazu eine kritische Kolumne. Er spricht von einem „groß inszenierten Tod“. (Prantl 2025). Der deutsche Palliativmediziner Winfried Hardinghaus ist Chefarzt einer Klinik für Palliativmedizin, Vorsitzender im Deutschen Hospiz- und Palliativverband und Mitglied des Deutschen Ethikrates. Er sieht im Fall von Niki Glattauer tendenziell „eine leichtfertige Werbung für den assistierten Suizid.“ (Hardinghaus 2025).
Sind Tod und Sterben immer noch ein Tabuthema in unserer modernen Gesellschaft? Wenn ja, worin besteht das Tabu? Wie soll in Zukunft ein würdevolles und selbstbestimmtes Sterben aussehen? Welchen Dialog brauchen wir für eine sinnvolle Antwort? Und sind wir dazu fähig und bereit? So viele Fragen!
Literatur
Amery, Jean, Hand an sich legen. Diskurs über den Freitod. Klett-Cotta, Stuttgart 1976
Csef, Herbert, Späte Suizide von Holocaust-Überlebenden. Primo Levi, Jean Amery, Ehepaar Adorjan. Psychotherapie im Alter Jg. 11, Heft 4, 2014, S. 553 – 563
Csef, Herbert, Suizid als letzter Ausweg vor dem Krebstod. Die Botschaft des Schriftstellers Wolfgang Herrndorf. Suizidprophylaxe, Jg. 41, Heft 4, 2014, S. 148 -153
Csef, Herbert, Udo Reiter – Suizid eines streitbaren Medienexperten. Suizidprophylaxe, Jg. 44, Heft 4, 2017, S. 145 – 150
Csef, Herbert, „Tod erster Klasse in der Schweiz“ – der assistierte Suizid von Fritz J. Raddatz. Suizidprophylaxe, Jg.45, Heft 1, 2018, S. 25 – 27
Csef, Herbert, Suizid im 21. Jahrhundert. Neue Phänomene einer existentiellen Herausforderung. Roderer Verlag, Regensburg 2022
Glattauer, Niki, Der engagierte Lehrer und seine Feinde. Zur Lage an Österreichs Schulen. Ueberreuter, Wien 2010
Glattauer, Niki, Die Pisa-Lüge. Wie unsere Schule wirklich besser wird. Ueberreuter, Wien 2011
Glattauer, Niki, Ende der Kreidezeit. Ein bisschen Schule – und der irre Rest des Lebens. Brandstätter, Wien 2018
Grillmayer, Johanna, Suizid und die Frage der Medienethik. ORF vom 5. September 2025
Hardinghaus, Winfried, Assistierter Suizid von Glattauer: Mediziner Hardinghaus warnt vor Werbung. NDR Kultur vom 5. September 2025
Klenk, Florian, Christian Nusser, Begleiteter Suizid: “Ich will in Würde sterben“, sagt Niki Glattauer. Interview. Falter 36/2025 vom 3. September 2025
Klenk, Florian, Niki Glattauer und das Tabu Sterbehilfe. Zu Lebzeiten über den Tod reden. Falter 37/2025 vom 9. September 2025
Nusser, Christian, Niki Glattauer: „Ich bin nicht einer, der um jeden Preis leben will.“ Newsflix.at vom 2. September 2025
Prantl, Heribert, Ein groß inszenierter Tod als würdiges Sterben? Süddeutsche Zeitung vom 11. September 2025
Korrespondenzadresse:
Professor Dr. med. Herbert Csef
Email: herbert.csef@gmx.de
