Bisher unbekannte Übersetzung eines Petőfi-Gedichts – von Ludwig Ganghofer

Petöfi, Ganghofer, Budapest, Pixabay Niki Emmert X

von Adorján Kovács

Der ungarische romantische Dichter Sándor Petőfi (1823 – 1849) hat  im 19. Jahrhundert, außer in seiner Heimat, vor allem in Deutschland mit seinen Gedichten große Erfolge erzielt, was sich an der hohen Zahl von Übersetzungen zeigte. Im 20. Jahrhundert nahm diese Bekanntheit ab, doch wurde sein Werk immer noch stark in der DDR gepflegt, denn dort galt er als Frühsozialist. Seit etwa 1970, als die letzte größere Sammlung von Übersetzungen erschien, besonders aber seit der sogenannten Wiedervereinigung ist er hierzulande fast vergessen.

Erst die Literaturwissenschaftlerin Christine Schlosser hat  zum 200. Geburtstag des Dichters eine Bibliographie sämtlicher deutscher Übersetzungen erstellt: „Das lyrische Werk  Sándor Petőfis in deutscher Übersetzung“. Berlin: Frank & Timme 2023. Auf über 800 Seiten sind dort 11.800 Belege für Übersetzungen von Petőfis Gedichten zu finden, die zwischen 1845 und 2023 entstanden sind. Leider ist als Ergebnis festzuhalten, dass Petőfi nicht die hochkarätigen Übersetzer gefunden hat, die seine Lyrik adäquat hätten ins Deutsche vermitteln können. Lediglich Franz Fühmann war unter ihnen ein Dichter von Statur, allerdings hat er nur ein einziges Gedicht übersetzt.

Nun habe ich bei einer Recherche für ein neues Buch über Petőfi eine Übersetzung an unerwarteter Stelle gefunden, und sie ist nicht in der erschöpfenden Bibliographie Christine Schlossers verzeichnet! Der bayerische Schriftsteller Ludwig Ganghofer (1855 – 1920, auf unserem Bild rechts zu sehen) hat in seinem Gedichtband „Heimkehr: Neue Gedichte“, erschienen 1883 bei Bonz in Stuttgart, 115 Gedichte in vier Abteilungen veröffentlicht. Unter der Abteilung „Balladen und Romanzen“ findet sich als 17. Stück auf den Seiten 88 – 91 der Titel „Der Wahnsinnige“. Schlägt man die Seite 88 auf, steht unter dem Titel in Klammern der Name Petőfi.

Tatsächlich! Dieses von Ganghofer übertragene Gedicht ist eine souveräne Übersetzung von „Az őrült“; das Original ist Ende 1845 entstanden und ein grandioser Monolog in Learscher Manier, zudem das erste Gedicht der ungarischen Literatur in freien Rhythmen. Damit ist jetzt ein weiterer deutscher Dichter sui generis als Übersetzer Petőfis bekannt. Ich bringe diese Übersetzung hier:

Der Wahnsinnige

(Petőfi)

 

– – – – Was stört ihr mich!
Macht, dass ihr weiter kommt!
Ihr seht, ich bin beschäftigt — sehr beschäftigt.
Aus Sonnenstrahlen wind’ ich eine Flammengeißel,
Für deinen Rücken, Welt!
Wie will ich lachen, wenn du winselst,
Hast du doch auch gejohlt bei meinen Zähren!
Hahahaha!

So ist das Leben — ja! Man weint, man lacht,
Jedoch der Tod macht: Pst!
Auch ich hab’ sterben müssen,
Denn in mein Wasser gossen jene Gift,
Die einst von meinem Weine tranken.
Und wisst ihr, was sie taten, meine Mörder,
Um ihre Schandthat vor der Welt zu bergen?
Hört! Als ich dalag — ausgestreckt —
Da warfen sie sich über mich — und weinten!
Wie wär’ ich gerne aufgesprungen,
Um mich in ihre Nasen einzubeißen.
Nein, nein — thu’s nicht! so dacht’ ich mir;
Laß ihre Nasen — riechen sollen sie
Den Pesthauch meines Leibs und dran ersticken!
Hahahaha!

Und wo begrub man mich? In Afrika!
Das war mein Glück,
Denn die Hyäne grub mich aus dem Grabe.
Dies Tier allein hat Gutes mir erwiesen —
Und doch betrog ich’s!
Nach meinen Schenkeln war es lüstern,
Ich aber warf mein Herz ihm hin —
Das war denn doch zu bitter — und das arme Thier
Ist dran verreckt.
Hahahaha!

Was kümmert’s mich! Es ging noch jedem so,
Der Menschen Gutes that! — Was ist der Mensch?
Man sagt, die Wurzel einer Blume,
Die ihre Blüten bis zum Himmel hebt.
Pfui! Pfui! Wie unwahr! Wie erlogen!
Er ist ein Giftgewächs, das seine Wurzeln
Bis in die Hölle senkt!
Das lehrte mich ein großer Weiser,
Der doch ein Narr war, weil er Hungers starb.
Weshalb denn stahl er nicht und raubte nicht?
Hahahaha!

Jedoch was lach’ ich, wie die Narren lachen!
Ich sollte weinen — weinen sollt’ ich,
Weil diese Welt so schlecht ist!
Auch Gott mit seinen Wolkenaugen
Beweint oft, daß er sie erschuf.
Was aber nützt des Himmels keusche Thräne?
Sie fällt zur Welt, die fleckig ist vom Laster,
Wo dann die Menschen sie mit Füßen treten.
Und dann — was wird aus ihr,
Aus dieser Himmelsthräne? — Kot und Ekel!
Hahahaha!

O Himmel, Himmel, alter Veteran,
Die Wolken trägst du als zerlumpten Mantel
Und auf der Brust die Sonne als Medaille!
Ha! So entläßt man ihn, den alten Helden!
Ein glitzernd Münzlein und ein lumpichtes Gewand
Als Lohn für solche lange Dienstzeit!
Hahahaha!

Horch! Wie die Wachteln rufen: wigg di wipp!
Soll ich’s in eure Sprache übersetzen?
Ja — das bedeutet: Flieh das Weib!
Es zieht die Männer an sich
So wie das Meer die Flüsse,
Um sie in seinem Bauche zu begraben.
Ein schönes Tier, das Weib!
Schön, und gefährlich!
Im gold’nen Kelch ein Gifttrank!

Auch ich trank einst von diesem Tranke,
Davon ein winzig Tröpflein süßer ist,
Als ein zu Met gewordenes Meer.
Saht ihr das Meer,
Wenn es der Sturm durchackert
Und in die Furchen Todeskeime sät?
Saht ihr den Sturm,
Den wetterbraunen Bauern,
In seiner Hand den blanken Pflug der Blitze?

– – – Die Frucht, sobald sie reif ist, fällt vom Baume.
Längst, Erde, bist du reif! Bald musst du fallen!
Bis morgen wart’ ich noch.
Wenn aber dann der jüngste Tag nicht anbricht,
Grab’ ich ein Loch bis in der Erde Mitte
Und schleudre Pulver zentnerweis hinein
Und sprenge diese Welt in alle Lüfte!
Hahahaha!

 

Die stärkste Abweichung vom Original findet sich hier:

Auch ich trank einst von diesem Tranke,
Davon ein winzig Tröpflein süßer ist,
Als ein zu Met gewordenes Meer.

Im Original folgt (und die Verse sind durch Ganghofers Text exakt auf Deutsch zu ergänzen):

Aber ein winzig Tröpflein davon ist tödlicher,

Als ein zu Gift gewordenes Meer.

 

Warum Ganghofer diese Passage weggelassen hat, ist unbekannt.

Über Adorján F. Kovács 39 Artikel
Prof. Dr. mult. Adorján Ferenc Kovács, geboren 1958, hat Medizin, Zahnmedizin und Philosophie in Ulm und Frankfurt am Main studiert. Er hat sich zur regionalen Chemotherapie bei Kopf-Hals-Tumoren für das Fach Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie habilitiert. Seit 2008 ist er für eine Reihe von Zeitschriften publizistisch tätig. Zuletzt erschien das Buch „Deutsche Befindlichkeiten: Eine Umkreisung. Artikel und Essays“.