Im Moment herrscht noch die makroökonomische Ruhe im geopolitischen Sturm.

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„Ein Krieg in Europa seit drei Jahren, ein sich global ausbreitender Protektionismus, eine KI-Revolution mitsamt einer möglichen Bewertungs- und Investitionsblase, zunehmende Klimarisiken mit einer ungewissen Energiewende, schnell wachsende Staatsschulden in Verbindung mit einem demografischen Rückgang des Potenzialwachstums sowie eine drohende Dollarkrise – viel fragiler könnte die makroökonomische Lage der Weltwirtschaft kaum sein. Und doch scheinen die Kapitalmärkte davon erstaunlich unbeeindruckt zu sein. Aber in welche Richtung sollten sich die Märkte denn auch korrigieren, worauf sollte man wetten, auf welche Währungen, Anleihen oder Aktien? Es gibt für eine solche Zeitenwende keine Makroökonomik aus dem Lehrbuch, keine Kausal- und Risikomodelle und auch keine sinnvollen Verteilungsannahmen, zu komplex und unsicher sind die Dynamiken, Wechselwirkungen und Ansteckungsmechanismen. Allerdings ist auch klar, dass eine Zeitenwende eines solchen Ausmaßes mittelfristig nicht ohne weitreichende makroökonomische Auswirkungen auf die Weltwirtschaft bleiben kann.

Die scheinbare Normalität der Zeitenwende ist das Resultat eines Erwartungsparadoxons: Gerade die Erwartung, dass nichts so bleiben wird, wie es ist, begründet die Annahme, es bliebe zunächst einmal alles normal. Auch die Erwartung staatlicher Rettung trägt zu dieser Stabilisierung bei. Sie unterdrückt dadurch aber zugleich jene kreative Zerstörung, von der die drei Nobelpreisträger Mokyr, Aghion und Howitt gezeigt haben, wie wichtig diese für langfristige Wachstumsprozesse ist. Es gibt so etwas wie eine rationale Gewöhnung an den Zustand radikaler Unsicherheit. Der Status quo bleibt bis auf Weiteres der provisorische Anker – er ist der einzige, den man hat. Schon für kleine Abweichungen vom Status quo gibt es so gut wie keine Erwartungen, geschweige denn Erfahrungen. Paradigmatische Unsicherheit bedeutet, dass selbst die grundlegendsten Rahmenbedingungen unsicher sind. Die Wette auf irgendein bestimmtes Szenario führt daher mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Totalverlust. Also handelt man nach dem einfachen, aber robusten Prinzip: Mache nur das, was du wirklich einschätzen kannst. Auf den Kapitalmärkten spielen immer die Erwartungen zweiter Ordnung die entscheidende Rolle, also die Erwartungen über die Veränderung der Erwartungen. Auch wenn alle wissen, dass die Erwartungen hochgradig unsicher sind, können diese trotzdem relativ stabil sein. Die noise-to-signal ratio steigt zwar stark an, die Volatilität bewegt sich aber um ein stationäres Erwartungsgleichgewicht herum.

Das alles darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Weltwirtschaft durch die Zeitenwende fundamental verändern wird. Die derzeitige Lage ist gekennzeichnet durch einen Dreiklang aus multipolarer Geopolitik, fragmentiertem Weltwirtschaftssystem und ein international unkoordinierter Geld- und Fiskalpolitik. Das Risiko von Handels-, Schulden- und Währungskrisen nimmt dadurch strukturell enorm zu. Im Zentrum steht dabei der hegemoniale Konflikt zwischen den USA und China, der weitreichende makroökonomische Folgen hat. Der Versuch der USA einer handelspolitischen Entflechtung von China und einer Re-Industrialisierung der heimischen Wirtschaft führt fast notwendig zu einer Form der Deglobalisierung. Die Mittel dafür sind protektionistisch, teilweise neo-merkantilistisch. Zölle werden erhoben, aber auch nicht-tarifäre Handelshemmnisse aufgebaut. Eine Deglobalisierung wiederum führt zu einem geringeren globalen Wachstum. Ein De-Leveraging auf den Kapitalmärkten findet statt, weil sich der „Produktionsumweg“ (nach der Kapitaltheorie Böhm-Bawerks) durch einen Rückgang der internationalen Arbeitsteilung und eine höhere Unsicherheit verkürzt. Ob Künstliche Intelligenz den Effekt verkürzter Produktionsumwege und geringerer Kapitalisierung kompensieren kann, ist eine noch offene Frage. Diese Hypothese dürfte jedoch stark zu dem derzeitigen KI-Hype an den Märkten beigetragen haben.

Im Moment herrscht noch die makroökonomische Ruhe im geopolitischen Sturm. Im Auge des Sturms ist es ruhig. Die ökonomische Zeit verläuft in ihm langsamer als die geopolitische Zeit. Aber es kann zu einer Umkehrung kommen, wenn nämlich die ökonomische Zeit sich plötzlich beschleunigt. Die Spannungen nehmen zu, auch deshalb, weil der Schuldenüberhang spiegelbildlich zum Wachstumsunterhang immer weiter steigt. Die Art der makroökonomischen Korrektur und Konsolidierung könnte deshalb weit über die ökonomische Dimension hinausgehen. Ein möglicher Crash könnte auch ein geopolitischer Kipppunkt sein. So sehr die makroökonomische Lage heute von den geopolitischen Ereignissen dominiert wird, so sehr kann umgekehrt ein makroökonomischer Crash den geopolitischen Entwicklungen eine entscheidende Wendung geben. Gerade in einem Umfeld der Unsicherheit, Mehrdeutigkeit und Unbestimmtheit können selbsterfüllende Prophezeiungen, die sich spontan bilden, dauerhafte strukturelle Effekte nach sich ziehen. Das betrifft die Zukunft der Globalisierung generell (multilateral oder multipolar?), vor allem aber auch das internationale Währungssystem (fiat money oder crypto currencies?). Der nächste Crash ist dann nicht irgendeiner, sondern derjenige, der die Weltwirtschaft in ein neues Regime, in das Post-Zeitenwende-Regime führt. Die Politik wäre gut beraten, darauf nicht unvorbereitet zu sein.“

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