Die Kettensäge eignet sich eher für Forst- und Gartenarbeiten – Über Ulf Poschardts „Shitbürgertum“

Ulf Poschardt: Shitbürgertum. Westend-Verlag

Ulf Poschardt ist ein Publizist, der eher mit dem Säbel und nicht dem Florett ficht. Der Herausgeber der Tageszeitung „Die Welt“ betreibt Journalismus als eine Art Kampfsport. Da er dies von einer konservativ-liberalen beziehungsweise libertären Warte aus unternimmt, wirkt dies im eher anders gefärbten Medienumfeld durchaus erfrischend. Seine Kommentare sind stets meinungsstark und nie langweilig. Ob es allerdings immer eine gute Idee ist, aus Artikeln und Kommentaren ein Buch zusammen zu basteln, ist eine andere Frage.

Aficionados beglückt sein Werk „Shitbürgertum“ mit dem typischen Poschardt-Sound. Es werden keine Gefangene gemacht. Der Autor geht immer voll zu Sache. Ein Leitartikel gewinnt, wenn er möglichst klar und eindeutig formuliert ist. Bei einem Buch von knapp 180 Seiten wünscht man sich hingegen ab und an etwas mehr Differenzierung.

Poschardts Grundthese lautet: Links-grüne Moraleliten, die sich ihre gute Gesinnung zumeist auch finanziell leisten können, haben in Deutschland die Macht übernommen. Der Staat ist verbeamtet und verfettet. „Deshalb braucht Deutschland die ‚Kettensäge‘“, so Poschardt. Der Staat wird zudem immer übergriffiger: „Wer einen Politiker beleidigt, wird härter bestraft als jemand, der seine übrigen Mitbürger beleidigt.“ Der neue Bundeskanzler Friedrich Merz nehme den Kulturkampf mit der Morallinken nicht auf und sei zu kraftlos, um deren kulturelle Dominanz zu brechen. Poschardts Forderung: Das „Nicht-Shitbürgertum“ müsse jetzt aus seiner Bequemlichkeit ausbrechen und das Shitbürgertum abräumen.

Hier stellt sich die Frage: Wer soll diesen Job denn konkret politisch übernehmen? Der Autor begeistert sich an Elon Musk und dem argentinischen Präsidenten Javier Milei. Aber wo finden sich in Deutschland solche (zweifelhaften) Persönlichkeiten, die zur sprichwörtlichen Kettensäge greifen könnten? Die FDP scheint aktuell nicht überlebensfähig, die CDU ist laut Poschardt ebenfalls zum Shitbürgertum übergelaufen, die AfD befindet sich jenseits einer „Brandmauer“: Wer kann also politisch die Aufgabe übernehmen, die zumindest kulturelle Macht eines eher grün und links tickenden Bürgertums zu brechen?

„Shitbürgertum“ ist ein thesenstarkes Buch, welches durchaus den Finger in manche Wunde legt. Es ist eher eine Bestandsaufnahme und keine Gebrauchsanweisung, wie Veränderungen, die der Autor für dringend nötig hält, realistisch auf den Weg gebracht werden können. Bisweilen hat man den Eindruck, dass sich Poschardt an seinen eigenen Formulierungen berauscht. Auch wenn es langweilig klingen mag: Deutschland ist ein auf Konsens angelegtes Land. Die Kettensäge eignet sich eher für Forst- und Gartenarbeiten und weniger für den politischen Betrieb.

Ulf Poschardt: Shitbürgertum. Westend-Verlag: Neu-Isenburg 2025, 22 Euro, 176 Seiten.

Über Ansgar Lange 32 Artikel
Ansgar Lange wurde 1971 in Arnsberg / Westfalen geboren. Er studierte Politische Wissenschaft, Geschichte und Germanistik in Bonn und schrieb seine Magisterarbeit über "Christa Wolf und die DDR" bei Professor Hans-Peter Schwarz. Während seines Studiums war er freier Mitarbeiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Schloss Eichholz . Anschließend arbeitete er in einer Bonner Kommunkationsagentur und journalistisch (u. a. Deutschlandfunk, Die Furche, Die Tagespost, Die Politische Meinung, Die Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte). Seit 2009 ist er als Geschäftsführer einer Ratsfraktion in Remscheid tätig.