Die Kommunalwahl in NRW, einem Schlüsselland vergangener deutscher Industrialisierung, zeichnet ein verlässliches Bild von der Stimmung in Deutschland. Nun erweist sich ein weiteres Mal, dass es sich bei der AfD nie um eine Verirrung undankbarer Ossis handelte, sondern um die deutsche Form einer internationalen Bewegung sozial und mental Enttäuschter. Allerdings zeigen einige ostdeutsche Regionen, wie schnell eine Gesellschaft wieder in autoritäre Gewohnheiten zurückfallen kann; das könnte im Westen länger dauern.
Siegerin dieser Wahl ist Hendrik Wüsts CDU, die trotz Berliner Unebenheiten und einer dramatisch veränderten Welt ihr Ergebnis halten konnte. Das ist alles andere als selbstverständlich. Wüsts Politik steht für den Anspruch, Herausforderungen wie die Migration und ihre Folgen zu steuern und mit seinem Innenminister Herbert Reul den Menschen mehr Sicherheit in ihrem Alltag zu geben. Zugleich steht sie vor der Aufgabe, die besonders im Ruhrgebiet augenfälligen – auch gesellschaftlichen – Brachen einer vergangenen Industrialisierung zu revitalisieren. Ob das gelingt, bleibt offen.
Wüst verzichtet dabei auf den martialischen Tonfall, mit dem manche seiner Parteifreunde im Bund erfolglos versuchen, der AfD-Stimmen abzujagen. Er setzt stattdessen auf bürgerliche Integrität und Integration, die grossen Errungenschaften der zweiten deutschen Republik. Die Wähler haben diesen Kurs bestätigt, fürs erste jedenfalls, denn sie erwarten Verbesserungen in ihrem Alltag. Gelingen sie nicht, werden sie sich abwenden.
Die Sozialdemokraten sind dagegen ein Opfer des sozialen Aufstiegs ihres eigenen Personals geworden. Sie haben ihr Milieu im grössten Umbruch seit der Industrialisierung allein gelassen und nicht begleitet und waren der Illusion erlegen, mit Sozialstaats-Tuning die Probleme der Zeit zu lösen. In den nächsten Jahren wird sich entscheiden, ob diese bedeutende alte Partei untergehen wird.
Die Grünen sind vor allem durch die Flüchtlings-Lüge auf ihre Stammwählerschaft zurückgeworfen worden. Auch viele Grünen-Wähler teilen nicht die Vorstellung, dass die weltweiten Wanderungsbewegungen von Menschen, die durchaus nachvollziehbar nach einem besseren Leben streben, nicht gesteuert oder gar begrenzt werden dürften, weil es doch „Flüchtlinge“ seien und die entwickelten Industriestaaten seit der Kolonialpolitik schließlich Verantwortung für die unterschiedlichen Lebensverhältnisse tragen. Gerade in den alten Industrieregionen, aber eben nicht nur dort, spüren Bürger und Bürgerinnen die Auswirkungen ungesteuerter Migration, die Überforderung des kommunalen Ordnungsgefüges, das für das tägliche Leben so wichtig ist.
Bei Sozialdemokraten und Grünen sind keine Führungskräfte zu erkennen, die ihre Parteien neu formieren; die Grünen spüren Habecks politische Fahnenflucht nun besonders.
Diese Wahl hat den Parteien Zeit gegeben. Ob sie sie richtig zu nutzen verstehen, wird sich zeigen. Sie ist begrenzt.
