„Wenn Generationen kollidieren: Warum die Zukunft nicht mehr in unserer Sprache spricht“

taschenuhr medaillon uhr zeitmesser zeit silber, Quelle: StockSnap, Pixabay License Freie kommerzielle Nutzung Kein Bildnachweis nötig
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In jeder Epoche der Menschheitsgeschichte hat eine neue Generation die Welt auf eine Weise verändert, die vorher kaum vorstellbar war. Von den Kindern des Industriezeitalters, die in den frühen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zwischen Krieg, Armut und technologischen Umbrüchen aufwuchsen, bis hin zu den digital geborenen Generationen Z und Alpha, die heute in einer Welt leben, in der Informationen schneller zirkulieren als Gedanken selbst: Jede Generation hat ein anderes Verhältnis zu Macht, Wissen, Gerechtigkeit und Zukunft. Und vielleicht ist heute der Moment erreicht, an dem wir klarer denn je erkennen müssen, dass der Verlauf der Geschichte nicht das Werk einzelner Menschen ist, sondern das Resultat kollektiver mentaler Landschaften, in denen Millionen gleichzeitig aufwachsen.

Es ist ein faszinierender Widerspruch, dass im gleichen historischen Zeitraum ein Adolf Hitler und ein Albert Einstein existieren konnten: der eine die Welt in einen Abgrund des Hasses gestoßen, der andere die Grenzen des Denkens verschoben und die Fundamente der modernen Physik gelegt. Dieses Paradox zeigt, wie tiefgreifend der Einfluss der sozialen und politischen Atmosphäre einer Epoche auf das Denken ihrer Generationen sein kann. Die Menschen, die im Schatten totalitärer Ideologien aufwuchsen, sahen die Welt durch den Filter des Nationalismus und existenzieller Bedrohung; jene, die gleichzeitig von wissenschaftlichen Revolutionen geprägt wurden, entwickelten ein Denken, das die Menschheit über Grenzen hinweg verband. Generationen waren nie einheitlich — doch der Grundton einer Epoche hat immer bestimmt, welche Stimmen übertönen und welche verstummen.

Heute stehen wir wieder an einem Wendepunkt, aber der Charakter dieses Wandels ist radikaler als alles, was vorher existierte. Denn zum ersten Mal in der Geschichte hat eine Generation — die Generation Z — nicht nur ein neues Weltbild, sondern ein neues Welttempo geschaffen. Sie sind keine Leser langer Bücher mehr, keine Bewahrer traditioneller Wissenswege, sondern Meister einer Welt, in der Informationen im Bruchteil einer Sekunde entstehen und verschwinden. Sie denken nicht linear, sondern simultan. Sie verstehen Algorithmen intuitiv, weil sie in ihnen aufgewachsen sind. Und genau dieser Unterschied macht ihre politischen und sozialen Reaktionen so anders.

Dass Millionen junge Menschen in den USA, Großbritannien, Deutschland oder weltweit auf die Straßen gingen — gegen Rassismus, gegen Polizeigewalt, gegen Klimazerstörung, gegen ungerechte Kriege wie im Gazastreifen — zeigt, dass die Generation Z politisch nicht apathisch ist, wie oft behauptet, sondern radikal sensibilisiert. Ihre Radikalität besteht nicht im Wunsch nach Chaos, sondern in der Überzeugung, dass die bestehenden Strukturen nicht schnell genug reagieren, nicht gerecht genug verteilen, nicht ehrlich genug kommunizieren. In Asien stürzten junge Menschen autokratische Systeme; in Lateinamerika zwangen sie Regierungen zu Reformen; im Nahen Osten sind es wieder Jugendliche, die das politische Klima verändern. Die Generation Z ist die erste globale Protestgeneration, verbunden durch dieselben digitalen Räume, gestützt durch dieselben Informationsflüsse und vereint durch dieselbe Überzeugung, dass Gerechtigkeit eine universelle Forderung ist – nicht das Privileg eines Kontinents.

Doch die Frage, die sich aufdrängt, ist: Wohin führt all das? Wird die Welt gerechter werden, oder wird sie in die Hände weniger mächtiger Akteure geraten, die über Technologie, Daten und künstliche Intelligenz verfügen? Die Gefahr, dass sich Monopole bilden — wenn wenige Konzerne das Wissen der Welt kontrollieren und die Werkzeuge, mit denen die kommenden Generationen denken — ist realer als jede geopolitische Bedrohung der Vergangenheit. Ein totalitäres Regime des 20. Jahrhunderts konnte Bücher verbrennen; ein digitales Regime des 21. Jahrhunderts könnte Gedanken lenken, ohne dass jemand es überhaupt bemerkt.

Doch gleichzeitig liegt genau hier auch die Hoffnung. Denn während ältere Generationen oft skeptisch auf künstliche Intelligenz blicken, wachsen Alpha und die kommenden Generationen mit einer technologischen Selbstverständlichkeit auf, die es ihnen ermöglicht, sich nicht von der Technologie kontrollieren zu lassen, sondern sie aktiv zu formen. Für sie ist KI kein Mysterium, sondern ein Werkzeug; kein Orakel, sondern ein Instrument. Wenn die Macht über Technologie demokratisiert wird, wenn Bildungssysteme offen zugänglich werden, wenn kreative und wissenschaftliche Werkzeuge nicht länger Luxus, sondern Allgemeingut sind, dann könnte die Zukunft gerechter sein als jede Epoche vorher.

Ob die Zukunft radikal gerechter wird oder radikal ungleicher, hängt nicht mehr nur von politischen Institutionen ab, sondern vom Bewusstsein der Generationen, die jetzt entstehen. Wenn Generation Z mit ihrem globalen Gerechtigkeitssinn und Generation Alpha mit ihrem intuitiven technologischen Talent zusammenfinden, könnte die Welt eine Epoche erleben, in der Wissen, Freiheit und Partizipation nicht länger abhängig von Herkunft, Religion oder sozialem Status sind. Doch wenn die Macht über KI, Daten und digitale Räume in den Händen weniger konzentriert bleibt, könnte die Menschheit in eine Ära der unsichtbaren Kontrolle hineingleiten, subtiler als jeder frühere Autoritarismus.

Die Zukunft steht offen, aber sie steht nicht still. Jede Generation baut entweder Mauern oder Brücken — und die kommenden Jahre werden zeigen, ob die Menschheit die Generationen hervorbringt, die Brücken in eine gerechte Zukunft bauen können. Die Geschichte lehrt uns eines: Die Welt verändert sich nicht, weil die Zeit vergeht, sondern weil Menschen mit neuen Augen sehen.

Quellen:

  1. Pew Research Center: Generational Definitions and Social Trends
  2. Strauss & Howe: „Generations: The History of America’s Future“
  3. OECD Reports on Digital Transformation and Youth Activism
  4. UN World Youth Report: Global Protest Movements and Technological Impacts
Über Hossein Zalzadeh 22 Artikel
Hossein Zalzadeh ist Ingenieur, Publizist und politisch Engagierter – ein Mann, der Baustellen in Beton ebenso kennt wie die Bruchstellen von Gesellschaften. Zalzadeh kam Anfang zwanzig zum Studium nach Deutschland, nachdem er zuvor in Teheran als Lehrer und stellvertretender Schulleiter in einer Grundschule tätig gewesen war. Er studierte Bauwesen, Sanierung und Arbeitssicherheit im Bereich Architektur sowie Tropical Water Management an mehreren technischen Hochschulen. An bedeutenden Projekten – darunter der Frankfurter Messeturm – war er maßgeblich beteiligt. Seine beruflichen Stationen führten ihn als Ingenieur auch in verschiedene afrikanische Länder, wo er die großen sozialen Gegensätze und die Armut unserer Welt ebenso kennenlernte wie ihre stillen Uhrmacher – Menschen, die im Verborgenen an einer besseren Zukunft arbeiten. Bereits während des Studiums engagierte er sich hochschulpolitisch – im AStA, im Studierendenparlament sowie auf Bundesebene in der Vereinten Deutschen Studentenschaft (VDS) – und schrieb für studentische Magazine. In diesem Rahmen führte er Gespräche mit Persönlichkeiten wie Willy Brandt und Herta Däubler-Gmelin über die Lage ausländischer Studierender. Seit vielen Jahren kämpft er publizistisch gegen das iranische Regime. Geprägt ist sein Schreiben vom Schicksal seines Bruders – Jurist, Schriftsteller und Journalist –, der vom Regime ermordet wurde. Derzeit schreibt er an seinem Buch Kampf um die Menschlichkeit und Gerechtigkeit – ein Plädoyer für Freiheit, Würde und den Mut, der Unmenschlichkeit zu widersprechen.