Kuckuckstein – das Spukschloss von Sachsen

entdecken Sie Sachsens magischstes Schloss!

Nebelschwaden umwallen die Bäume. Klamme Feuchtigkeit tropft von den Zweigen. Herbst und Einsamkeit liegen in der Luft. Der Wind rauscht in den uralten Tannen, Kiefern und Eichen. Er scheint von dort her zu kommen, wo die Geheimnisse wohnen. Hier im weltenfernen Seidewitz-Tal hat der Wanderer so ein Gefühl, dass die Zeit still steht. Fast scheint es, als ob man all dies schon einmal erlebt hat, früher, damals in der Kindheit oder in einem anderen Leben.

Ein hoher dunkler Bergfried wacht über dem Tal, gekrönt von vier kleinen Türmen – Schloss Kuckuckstein. An der alten Zugbrücke wächst Bergahorn. Die ersten Blätter fallen. Über der Zugbrücke schauen kleine, dunkle Fenster aus dem Mauerwerk. In einem brennt Licht, wie ein magisches Auge. Als ob dort Geister zu Hause sind. Ein runder Wehrgang umschlingt schützend das Schloss. Der große Renaissancegiebel trotzt dem Wind, der durch das Tal und über die Dächer der kleinen Gemeinde Liebstadt weht. Man steigt die kleine Treppe hinab, die Holzbohlen der Zugbrücke knarren und die alten Eisenketten klirren leise. Ein schmales Tor wird sichtbar, darüber ist ein Wappen in den Sandstein gehauen. Vergangene Pracht des Adelsgeschlechtes derer von Carlowitz.

Durch eine winzige Vorburg gelangt man in den eigentlichen Schlosshof, der von hohen Mauern und Gebäuden umgeben ist. Hölzerne Galerien führen in die oberen Stockwerke. An den Wänden hängen geschnitzte Hirschköpfe mit riesigen Geweihen. Ihre gläsernen Augen glotzen die Besucher nachdenklich an. Was würden sie wohl erzählen, die Hirsche, wenn sie denn reden könnten? Sie schweigen wohlweislich. Doch die Geschichte des kleinsten Schlosses von Deutschland schwingt noch immer zwischen den Mauern der alten Gebäude, fassbar für jeden achtsamen Besucher.

Eingebettet zwischen Wiesen und Wäldern liegt der Kuckuckstein. Das Schloss wurde besungen und gemalt. Ein Dichterschloss, ein Märchenschloss ist es – und mehr als tausend Jahre alt. Fast scheint es, als ob die hohen Mauern ein uraltes Rätsel bergen, das sie nicht preisgeben wollen. Ist es das Geheimnis der Weißen Frau, die schon von so vielen in mondhellen Nächten hier gesehen wurde? Oder das Geheimnis des verfluchten Wilden Jägers, der in sturmdurchtosten Stunden durch den Schlosspark tobt? Undenkbares scheint beim Anblick der alten Steine plötzlich möglich zu sein.

Und die Besitzer des verwunschenen Adlerhorstes? Weiß Gott, es gab nicht viele Glückselige in diesen Mauern. Alle, die das Schloss besaßen, könnten Seltsames berichten von mystischen Begebenheiten – wie etwa von dem verliebten Junker, dem Grafen Schönbach, der sich vor dem eifersüchtigen Vater seiner Geliebten in einem alten Schrank versteckte und darin elend umkam. Erst vierzig Jahre später wurde sein Skelett gefunden. Das war im Jahr 1918.

Doch begonnen hatte eigentlich alles mit den Burggrafen von Dohna, die um 930 diese Burg im Grenzland zwischen Böhmen und der Markgrafschaft Meißen errichteten. Sie verloren ihr Schloss im Jahr 1402 in einer unsinnigen Fehde, entstanden aus Dünkel, Streit und kleinlichen Eifersüchteleien. Diese „Dohnaische Fehde“ ließ die Burg in rauchende Trümmer sinken. Doch vergessen wurde der günstig gelegene Platz nicht. Landvogt Heinrich von Bünau ließ den Kuckuckstein als Grenzfeste gegen die Überfälle böhmischer Raubritter wieder aufbauen.

Im 17. Jahrhundert dann entstand aus der alten Wehrburg das Wohnschloss der Familie Bünau. Doch auch die Bünaus verloren in unglückseligen Zeiten ihren Stammsitz. Der Dreißigjährige Krieg raste über Sachsen hinweg und machte auch vor dem Kuckuckstein nicht Halt. Die Plünderung und Zerstörung der Burganlage ruinierte die Familie Bünau vollkommen. Sie musste ihre Herrschaft an den Obristen Detlef von Wedelbusch abtreten. Der war nicht nur ein tapferer Soldat, sondern auch ein guter Kaufmann, dem es gelang, das verwüstete Schloss in den harten Jahren nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges wieder aufzubauen.

Nach dem Tod des Obristen erbte sein Schweigersohn, Christoph von Birkholz, das altehrwürdige Schloss. Er ließ umfangreiche Umbauten vornehmen, die ihn schließlich ruinierten. Das Schloss ging durch mancherlei Hände und diente sogar als Spekulationsobjekt.

Doch dann nahte Rettung in Gestalt des Grafen Hans Carl August von Carlowitz. Der war ein energischer und sparsamer Mann, der 1774 das Schloss für einen Preis von 40.407 Talern ersteigerte. Die Herrschaft derer von Carlowitz währte mehr als 150 Jahre. Sie prägte den Kuckuckstein entscheidend. Während dieser Zeit erhielt das Schloss sein heutiges, neugotisches Aussehen. Der Turm und der große Rittersaal wurden im Geist der Romantik ausgestattet. Am Berg hinter dem Schloss entstand ein Höhenpark im englischen Stil – heute ist es der einzige seiner Art in ganz Europa.

Die Nacht vom 9. auf den 10. September 1813 ging in die Geschichte ein. Wieder einmal tobte Krieg in deutschen Landen. Französische Offiziere wurden auf dem Kuckuckstein einquartiert, und Napoleon selbst weilte im Schloss. Dabei entdeckte er einen farbigen Kupferstich mit dem Bildnis seines abtrünnigen Generals J. V. Moreau. Wütend schnitt der Kaiser die französische Kokarde aus dem Bild und schrieb darunter: „Dieser Verräter hat sie nicht verdient!“ Seine Offiziere beschrieben mit Hilfe ihrer Brillantringe die Fensterscheiben der Quartiere. Es gefiel ihnen nicht auf dem Kuckuckstein – sie wollten heim nach Frankreich. Die Legende vermeldet, dass in jener Nacht der Geist der „Weißen Frau“ dem Kaiser erschien und ihm eine vernichtende Niederlage prophezeite. Aus unerfindlichen Gründen verschonte Napoleon den Kuckuckstein, obwohl der damalige Schlossherr, Carl Adolf von Carlowitz als Generalmajor in russischen Diensten sein Gegner war. Der Feldherr begründete auch das „Banner freiwilliger Sachsen“, das erfolgreich gegen Napoleons Truppen focht.

Nach nur einer Nacht verließ der französische Kaiser das Schloss. Er würdigte den Kuckuckstein keines Blickes mehr. Vier Wochen später erlitt Napoleon in der Völkerschlacht von Leipzig eine seiner größten militärischen Niederlagen.

Doch Carl Adolf von Carlowitz war nicht nur ein erfolgreicher Offizier, sondern auch Freimaurer. Er schuf auf dem Kuckuckstein eine Loge, deren Ritualräume noch heute besichtigt werden können.

Die Napoleonischen Kriege waren längst Geschichte, als auch für die Familie von Carlowitz die Stunde schlug. Schon im Jahr 1928 hatte sich der bevorstehende Bankrott angekündigt. Menschliche Schwächen und die Weltwirtschaftskrise taten das ihr dazu – im Jahr 1931 kam das unwiderrufliche Aus. Der alte Majoratsrat von Carlowitz sah mit dem Schloss auch seine Ehre und die Würde seiner Familie verloren. Er zog daraus Konsequenzen und tat, was in seinen Kreisen in einem solchen Falle üblich war. Er ging in den Wald und erschoss sich. Es heißt, das sensible Naturen noch heute seine unruhvolle Seele spüren können, die auf den alten Wegen inmitten des verwilderten Schlossparks wandelt.

Doch das Leben ging weiter. Der Fabrikant Dr. Heinsius von Mayenburg ersteigerte das vom Schicksal gebeutelte Anwesen, um sich hier einen Jugendtraum zu erfüllen. Die Erfindung der „Clorodont“-Zahnpasta hatte den einstigen Apotheker bekannt und reich gemacht. Nun wollte er die Früchte seiner Arbeit ernten. Er ließ das Schloss gründlich renovieren, wilde Rosen und zahllose andere Blumen an den alten Mauern pflanzen. Kuckuckstein sollte sein Dornröschenschloss werden. Doch das Vorhaben brachte ihm kein Glück. Dr. Heinsius von Mayenburg starb schon 1934.

Nun geriet der Kuckuckstein in Vergessenheit. Die Zeiten waren nicht geschaffen für Dornröschenschlösser. Durch Deutschland wehte der kalte Hauch absoluter Macht, gefolgt vom tödlichen Odem des schlimmsten Krieges, den die Menschheit je geführt hatte. Das Schloss wurde von der Zerstörung verschont, doch seine ursprüngliche Bestimmung sollte es nie mehr zurückerhalten. Kuckuckstein wurde ein volkseigenes Schloss. In den ehrwürdigen Räumen entstand ein kleines Museum, und sogar das Fernsehen drehte hier eine seinerzeit beliebte Unterhaltungssendung.

Im Jahr 1995 dann ging das Schloß in den Besitz der Gemeinde Liebstadt über. Die hohen Unterhaltungskosten sorgten dafür, dass Kuckuckstein 2003 zum Verkauf ausgeschrieben werden musste. Im Jahr 2006 schließlich erwarb der österreichische Unternehmer Ralph Neunteufel die Burg.

Heckenrosen blühen an den brüchigen Mauern und den Felsen. Die alten Holzbohlen bedecken noch immer die Zugbrücke. Türme und Giebel recken sich wie einst gen Himmel. Nebelschleier wogen am Morgen um den Bergfried, und etwas später leuchtet das Laub des Waldes bunt in der Sonne. Ein Habicht zieht seine einsamen Kreise, Turmfalken haben ihr Zuhause unter dem Dach des Bergfrieds. Nachts ruft das Käuzchen klagend und unheimlich über dem Ort, beschwört längst Vergangenes wieder herauf. Dann schließen die Liebstädte ihre Fenster, denn sie mögen diesen Ruf nicht hören.

Doch es ist da – das Käuzchen – und so manches andere mehr. Sehen sie selbst – und entdecken Sie Sachsens magischstes Schloss.

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Literaturverzeichnis

Hengelhaupt, Regine                                     Das Spukschloss in Sachsen

Tauchaer Verlag

Taucha

2000

Stadtverwaltung Liebstadt                            Liebstadt

Informationsbroschüre

Altenburg

1998

 

Stadtverwaltung Liebstadt                            Schloss Kuckuckstein

Informationsbroschüre

Altenburg

1998

 

Finanzen

Über Thomas Ritter 110 Artikel
Thomas Ritter, 1968 in Freital geboren, ist Autor und freier Mitarbeiter verschiedener grenzwissenschaftlicher und historischer Magazine. Thomas Ritter hat zahlreiche Bücher und Anthologien veröffentlicht. Außerdem veranstaltet er seit mehr als zwanzig Jahren Reisen auf den Spuren unserer Vorfahren zu rätselhaften Orten sowie zu den Mysterien unserer Zeit. Mit seiner Firma „Thomas Ritter Reiseservice“ hat er sich auf Kleingruppenreisen in Asien, dem Orient, Europa und Mittelamerika spezialisiert. Mehr Informationen auf: https://www.thomas-ritter-reisen.de Nach einer Ausbildung zum Stahlwerker im Edelstahlwerk Freital, der Erlangung der Hochschulreife und abgeleistetem Wehrdienst, studierte er Rechtswissenschaften und Geschichte an der TU Dresden von 1991 bis 1998. Seit 1990 unternimmt Thomas Ritter Studienreisen auf den Spuren früher Kulturen durch Europa und Asien.