Mehr Populismus wagen?

Foto: Stefan Groß

Es gibt einen rechtspopulistischen Affekt. Seit einigen Jahren schon bewegt er sich durch Europa und war allein den vergangenen dreizehn Monaten bei Wahlen beeindruckend erfolgreich inDänemark, der Schweiz, Frankreich, Polen, Österreich und Großbritannien. Noch im Herbst könnten gar präsidentielle Weihen in Österreich und den USA folgen. Das Phänomen scheint von Dauer zu sein und der rechtspopulistische Großerfolg auch hierzulande ist vielleicht nur noch eine Frage der Zeit – bei den Landtagswahlen im März hat die AfD schon einmal Anlauf genommen, die kommenden in Berlin und vor allem in Mecklenburg-Vorpommern könnten zum Triumphzug werden. Man fragt sich zunehmend: Was tun?

Gewiefte Linke haben eine Idee, die nun diskutiert wird. In der politischen Theorie, aber auch in den Feuilletons tobt seit einigen Monaten eine Populismus-Debatte. Unter den linksliberalen und sozialistischen Demokraten gibt es nämlich einige, die das P-Wort nicht fürchten, sondern zur Lösung erklären. Ihre Vordenker heißen Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, ein Intellektuellenpaar, das in den vergangenen Jahren linke Regierungen in Lateinamerika beraten hat; sein Credo: Dem rechten könne man nur mit einem linken Populismus wirksam begegnen. Laclau bezeichnet ihn als die „die Stimme derer, die aus dem System exkludiert sind“. Dieser überzählige Rest der Gesellschaft sei aber nicht bloß ausgeschlossen, sondern auch noch zerstreut, weshalb es eine Strategie der Bündelung brauche: „Wir müssen Populismus als den Weg betrachten, die Einheit einer Gruppe erst zu konstituieren“. Mouffe wird noch deutlicher, wenn sie sagt, es müsse darum gehen, „ein Volk zu schaffen“.

Das ist kein schönes Wort, es hat einen unguten Klang und nach derSPIEGEL-Lektüre wissen wir, warum: In einem Artikel beruft sich Jakob Augstein auf Laclau und, wusste, dass das „Volk“ nicht für sich selbst bestehen könne und einen Feind brauche, um zu sich zu kommen. Augstein findet ihn schnell in den „Eliten und Oligarchen“, den Profiteure des Neoliberalismus. Ob dessen Nutznießer aber auch die Erfinder sind, ob es überhaupt gewiefte Hintermänner gibt, die dem Glück der „normalen Leute“ (Augstein) im Wege stehen, steht auf einem anderen, analytischen Blatt, von dem die intellektuellen Antiintellektualisten aber nicht allzu viel wissen wollen. Das heißt: sie selbst schon, aber ihr „Volk“, dessen Wichtigkeit zu betonen sie nicht müde werden (Laclau findet, dass „die plebs der einzig legitime populus ist“), müsse das nicht. Der Impuls, der Affekt sei dagegen genau der richtige Leitstern fürs Volk, denn gerade die graue, angestaubte Sachlichkeitsdoktrin habe dem Rechtspopulismus das Feld der Emotionen geräumt. Jetzt dürfe, solle sich mal richtig ausgetobt, sich echauffiert werden.

„Wer denkt, […] ist nicht wütend“, hieß es einmal bei Adorno. Ach was, sagen die neuen Freunde des Populismus, nur raus damit, Wut ist gut! Der Skeptiker mag vorsichtig dagegen einwenden: Und was ist mit der Kritik der politischen Ökonomie? Schließlich ist das Gefühl tückisch, es kann sich an alles Mögliche heften und ist ein unzuverlässiger Kamerad auf dem Weg zur Befreiung. Brauchen wir nicht noch immer die gute alte Ideologiekritik? Nur nicht zu viel davon, entgegnen die Populisten, und bloß nicht als Gegenstand langweiliger Debatten! Es scheint: Die linkspopulistischen Intellektuellen wollen, dass man das Denken besser ihnen überlasse – sie, die neoleninistische Avantgarde, bildet den Kopf, das Volk, der große Lümmel, ist bloß eine formbare, affektgetriebene Masse.

Gegen derlei Bevormundung ist an der alten marxistischen Parole festzuhalten, dass die Befreiung der Arbeiterklasse nur das Werk der Arbeiterklasse selbst sein könne – dazu gehört aber auch, dass sich die Arbeiter von sich selbst befreien, dass sie sich als Klasse aufheben müssen. Denn auch sie sind heillos verstrickt in den kapitalistischen Gesamtzusammenhang, weil sie fleißig mittun und die Hoffnung aufs ganz Andere kaum noch haben. Doch das hieße, von einer Affektpolitik abzurücken und die „Anstrengung des Begriffs“ (Hegel) nicht zu scheuen. Aber so nah, dass sie ihm diese Fähigkeit zur Einsicht zutrauen würden, sind die intellektuellen Populisten dem Volk dann doch nicht. Also lassen sie es so wie es ist weiterwurschteln und machen ihm, um es von der rechten Konkurrenz wegzulocken, lieber ein paar paternalistische Angebote. So muss sich niemand ändern, alles bleibt beim Alten; Linkspopulismus ist kommod.

Die Linkspopulisten sehen die Sache so: Die Menschen stehen vorm Schaufenster und können sich für das Produkt Emanzipation oder Barbarei entscheiden. Und nur weil die Barbarei die geschicktere Werbung platziert hat, entscheiden sich die leeren Subjekthüllen für sie. Den Massen wird nicht einmal zugetraut, eine rassistische Partei zu wählen, weil sie selbst rassistisch denken; sie sind immer bloß fehlgeleitet Schafe, die den richtigen Hirten noch nicht gefunden haben. Das erniedrigt sie erstens zu äußerst stumpfen, blinden Wesen und spricht sie zweitens vorschnell frei von Verantwortung.

Dass die grölenden rechten Horden nur noch nicht genug vom Klassenkampf gehört haben, und ganz bestimmt zu geläuterten, eifrigen, linken Kosmopoliten werden, sobald die seligmachende Botschaft sie endlich erreicht hat, ist nicht sehr überzeugend. Wahrscheinlicher ist: Diese Leute hassen jeden Gedanken an Emanzipation, sie wollen keinen Klassenkampf, keine Assoziation der freien und gleichen Individuen, sondern sie wollen rassistisch sein und sind bereit, dafür Opfer zu bringen. Das ist ihre derzeitige Gefühlslage und die ist bei der Ideologiekritik wohl deutlich besser aufgehoben als in der politischen Arena, in die der Linkspopulismus sie zerren will.

Ins linkspopulistische Horn stößt auch der marxistische Philosoph Slavoj Žižek, der für das Jahr 2015 zwei Krisenreaktionen in Europa beobachtet hat: eine emanzipatorische Antwort von Syriza und Podemos und eine autoritäre, faschistoide, die der Front National (aber auch der islamistische Terrorismus) gibt. Es komme nun darauf an, den Rechten das Wasser abzugraben, indem die Linke den Frust für ihre Zwecke einspannt.

Dahinter, und Žižek nennt diese Quelle, steckt die Einsicht Walter Benjamins aus den 1930er Jahren, dass jeder Faschismus die Reaktion auf eine vertane Chance zur Revolution ist – weil die Linke einst versagte, kommen nun die Rechten zum Zuge. Beiden liegt ein und dasselbe diffuse Unbehagen an der Gegenwart zugrunde, das die politischen Bewegungen auf ihre Weise in ein Programm zur Veränderung gießen und damit um die Gunst der Unzufriedenen buhlen.

Aber das Benjamin-Zitat, und das wird gern unterschlagen, geht noch weiter: Der faschistischen „Ästhetisierung der Politik“ müsse von emanzipatorischer Seite mit der „Politisierung der Kunst“ begegnet werden. Linkspopulisten machen aber etwas anderes, sie ästhetisieren die Politik und fordern den Rechtspopulismus damit dort heraus, wo er am stärksten ist. Ein Sieg dürfte schwer und auch nur möglich sein, wenn sie die Rechten soweit imitieren, dass sie ihnen gefährlich nahe kommen. Und dann gibt es plötzlich „Fremdarbeiter“-Debatten von links.

Eine Politisierung der Kunst dagegen, so wie Benjamin sie gefordert hat, müsste die Hoffnung auf das ganz Andere dem Kunstwerk entnehmen und das darin erfahrene Glücksversprechen auch gesellschaftlich einfordern. Mit Linkspopulismus hätte das dann nicht mehr viel zu tun, eher mit einer vagen Hoffnung, die Gesellschaft möge anders eingerichtet sein, die sich dann aber mit der „Anstrengung des Begriffs“ (Hegel) verbindet. Vielleicht müsste die Debatte um Gefühl und Vernunft in der Politik daran anschließen – am ganzen, nicht am halben Benjamin. Denn die Menschenseele ist ja wirklich nicht aus Stein und will gestreichelt werden. Aber der Populismus streichelt sie nicht, er tut ihr Gewalt an.

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