Die drohende Unbewohnbarkeit der Erde und Stephen Hawkings Flucht in den Weltraum als Lösung

Blick aus dem Flugzeug, Foto: Tine Vogeltanz

Für den Astrophysiker Stephen Hawking wird die Erde in hundert Jahren unbewohnbar sein. Als Lösung des Problems plant er zusammen mit dem russischen Milliardär Jurij Milner eine Flucht in den Weltraum. Das Ziel liegt im uns nächstgelegenen Sternensystem Alpha Centauri, 4,3 Lichtjahre entfernt. Mit der herkömmlichen Technologie dauert die Reise dahin 30.000 Jahre, doch mit einer noch zu entwickelnden Lasertechnologie soll diese Zeit auf 20 Jahre gesenkt werden. 100 Millionen Dollar sind erst einmal allein für die Technologieentwicklung vorgesehen. In diesem Sommer wird die BBC eine Dokumentation mit dem Titel „Expedition New Earth“ ausstrahlen, bei der es um die Frage geht, wie realistisch eine Besiedlung anderer Himmelskörper ist.

Um eine Frage geht es bei diesen astrophysikalischen Technologieschwärmereien nicht, nämlich warum der Mensch eigentlich flüchten muss, wo die Ursachen dafür liegen. Diese Frage behandelt schon eher der Archäologe und Historiker Ian Morris, der in seinem Buch „Wer regiert die Welt?“ (Frankfurt/M. 2011) die Entwicklung der menschlichen Gesellschaften seit der letzten Eiszeit systematisch untersucht hat. Das Ergebnis dieser Untersuchung hat Morris in einem Diagramm dargestellt, das darin die Gefahr der momentanen Entwicklung mit einem Blick bewusst macht: Die technisch-kulturelle Evolution ähnelt (nicht zufällig) exakt der Bevölkerungsentwicklung während der letzten 16.000 Jahre, d.h. seit der Industrialisierung vor etwa 200 Jahren explodiert sie förmlich und die zunächst fast waagerecht verlaufende Kurve des Diagramms geht urplötzlich fast senkrecht steil nach oben (Morris 2011, S. 166).

Diese explosive technisch-kulturelle Entwicklung gilt nicht nur für die von Morris zur Bestimmung der Entwicklung benutzten vier Merkmale von Energieausbeute, Grad der Verstädterung, Verarbeitung und Verbreitung von Nachrichten und Fähigkeit Kriege zu führen, sondern für so gut wie alle Aspekte dieser Entwicklung in einem begrenzten Lebensraum mit begrenzten Ressourcen, wie die Bevölkerungszunahme, die Mobilität, die Umweltzerstörung usw.

Mit seiner Kenntnis des Aufstiegs und Niedergangs von menschlichen Kulturen während der letzten 16.000 Jahre gelangt Morris angesichts der heutigen Entwicklung zu der Aussage, dass „die nächsten 40 Jahre die bedeutsamsten der Weltgeschichte sein werden“ (Morris 2011, S. 583) und dass wir dazu verdammt [sind], in interessanten Zeiten zu leben“ (Morris 2011, S. 560). Die große Frage unserer Zeit stellt sich für Morris nicht danach, ob der Westen seine Vormachtstellung auch weiterhin wird halten können, sondern danach, „ob die Menschheit insgesamt den Durchbruch zu einer vollkommen anderen Seinsweise schafft, bevor uns die Katastrophe ereilt – und uns für immer erledigt“ (Morris 2011, S. 45).

Ein dritter Wissenschaftler, der Biologe Edward O. Wilson, offenbart nicht nur das Dilemma der menschlichen Natur, sondern steht selbst als Wissenschaftler für dieses Dilemma. Der Titel eines SPIEGEL-Interviews mit Wilson lautet: „Wir sind ein Schlamassel“ (Der SPIEGEL, 8-2013). Wilson nach besitzt der Mensch „steinzeitliche Gefühle, mittelalterliche Institutionen und eine gottgleiche Technik“. Was das konkret heißt, drückt er in seinem Buch „Die soziale Eroberung der Erde“ (München 2013) so aus: „Wir sind ein evolutionäres Mischwesen, eine Chimärennatur, wir leben dank unserer Intelligenz, die von den Bedürfnissen des tierischen Instinkts gesteuert wird. Deswegen zerstören wir gedankenlos die Biosphäre und damit unsere eigenen Aussichten auf dauerhafte Existenz“ (Wilson 2013, S. 23).

Der Mensch hat es zwar zwischenzeitlich größtenteils akzeptiert, dass er mit seinem physischen Körper vom Tier abstammt. Doch dass das animalische Erbe in seinen Genen nicht nur die physischen Körperstrukturen und -funktionen enthält, sondern dass auch sein Verhalten von in den Genen verankerten Instinkten beeinflusst wird, das will er bis heute selbst in der Biologie oft nicht wahrhaben. Unter der Schicht unseres geistig-kulturellen Seins und Verhaltens befindet sich ein animalisches Instinktverhalten, das nicht nur weiterhin dafür sorgt, dass wir uns fortpflanzen, sondern das auch auf andere Weise den Sinn unseres Lebens und das Ideal unseres Wachstums bestimmt. Die Instinkte wirken bis in unser höchstes Denken hinein, und machen sich so etwa in unserem Verhalten bemerkbar, mit Hilfe der modernen Technik in einem exzessiven und von der Vernunft her zwischenzeitlich völlig sinnlosen „Jagen und Sammeln“ nach materiellen Dingen den uralten Werten von Macht, Reichtum und Rang zu genügen.

Dieses Verhalten dient unter den heutigen Umständen nicht mehr dem Erhalt unseres Seins, sondern gefährdet es im Gegenteil existenziell, indem wir mit diesem Instinktverhalten gerade dabei sind, unseren einzigen Lebensraum zu zerstören. Im Grunde ist es dasselbe wie bei dem durch Instinkte gesteuerten Essverhalten. Dadurch, dass auch diese Instinkte nicht mehr auf die heutigen Lebensumstände der dauernd im Überfluss vorhandenen Nahrung bei gleichzeitigem Bewegungsmangel passen, dienen diese Instinkte, wenn sie unser Leben und unser Essverhalten bestimmen, nicht mehr dem Erhalt unseres Seins, sondern führen zu weniger Lebensqualität und zu einem vorzeitigen Tod.

Wer nun aber meint, dass mit der Erkenntnis der wahren Natur des Menschen durch Wilson das ursächliche Problem des Fehlverhaltens erkannt ist und das wie bei der Erkenntnis der wahren Ursachen der Infektionskrankheiten auch zur effektiven Lösung des Problems führt, der irrt hier leider. Denn das herrschende Paradigma der Biologie, die sogenannte Soziobiologie, verschließt sich Wilsons „Misch- oder Chimärennatur“ des Menschen. Für die Soziobiologie ist Kultur kein eigenständiger, neuronal bedingter Prozess wie bei Wilson, sondern die Soziobiologie erklärt Kultur allein durch genetische Gesetzmäßigkeiten (und steht dadurch auch den Geisteswissenschaften keine eigenständige Rolle zu). Durch das fehlende evolutionär eigenständige Verständnis von Kultur verschwindet der Kontrast zwischen der neuronal bedingten Kultur und dem genetisch bedingten Instinktverhalten beim Menschen mit der Konsequenz, dass die Problematik des Instinktverhaltens im gegenwärtigen Paradigma der Soziobiologie gar nicht wahrgenommen wird. Stattdessen läuft die Soziobiologie in der Deutung von Kultur durch genetische Gesetzmäßigkeiten wieder auf das hinaus, was wir Sozialdarwinismus nennen.

Paradoxerweise war es Wilson, der 1975 das herrschende Paradigma der Soziobiologie begründet hat und erst seit dem Jahr 2010 in einer Kehrtwende aufgrund empirischer Erkenntnisse wieder zu der davor geltenden (Gruppenselektions)Theorie zurückgekehrt ist. Richard Dawkins, Autor des Buches „Das egoistische Gen“, wirft seinem ehemaligen Mitstreiter und Idol Wilson seit dessen Kehrtwende (in der emotionalen Art der Instinkte) „schamlose Arroganz“ und „perverse Missverständnisse“ vor. Andererseits wird Wilsons Kehrtwende und neue Theorie über die Natur des Menschen in der Fachliteratur schlicht und einfach totgeschwiegen (wie es etwa meine Amazonrezension „Im Dunkel der kulturellen Evolution“ zu dem kürzlich erschienen Buch „Im Lichte der Evolution“ von Gerhard Vollmer thematisiert).

Da das herrschende soziobiologische Paradigma die Eigenständigkeit der kulturellen Evolution verleugnet, kennt auch die Gesellschaft nicht die Chancen und Risiken ihrer eigenen aktuellen Entwicklung. Die Folge davon ist, dass der Mensch in dieser Orientierungslosigkeit an (instinktbedingten) Fehlverhaltensweisen wie der eines selbstzerstörerischen Wirtschaftswettlaufs in einem begrenzten und überbevölkerten Lebensraum festhält. Wenn sich die Konsequenzen dieses Fehlverhaltens bemerkbar machen, reagiert der Mensch auf diese Bedrohung seiner Existenz ebenfalls instinktiv, d.h. in einem kulturellen Rückschritt mit schon überwunden geglaubten (instinktbedingten) Fehlverhaltensweisen. Das extreme Beispiel dafür ist der Nationalsozialismus, aber dieser kulturelle Rückschritt zeigt sich heute wieder in einem nationalistisch ausgerichteten (von Wilson so bezeichneten) „Stammesdenken“, bei dem sich ein „Alphatier“ findet, das nach dem archaischen Recht des Stärkeren nur die Interessen der eigenen Gruppe bzw. des eigenen Stammes rücksichtslos durchsetzt – letztlich auch mit Gewalt.

Mit Wilsons neuer Theorie der (gespaltenen) Natur des Menschen können nicht nur die heutige Entwicklung erklärt und die Probleme dabei gelöst werden, sondern damit kann auch das Illusionäre und Widersprüchliche der versuchten Flucht in den Weltraum vor diesen Problemen aufgedeckt werden. Denn die Probleme des modernen Menschen, der wie ein Messie seinen Lebensraum mehr und mehr zumüllt, vergiftet, zerstört und auf Dauer eben unbewohnbar macht, sind allein vom Menschen selbst verursacht. Das eigentliche Problem liegt nicht in irgendeinem Mangel dieses Lebensraumes oder einem sonstigem unglücklichen Umstand außerhalb des menschlichen Seins, vor dem er nun flüchten müsste, sondern allein in der Natur des Menschen – und die nimmt er auf seiner Flucht ja mit, genauso wie im Falle einer bereits vorhandenen Infektion. Diese selbstzerstörerische Natur des Menschen, die darin auf mangelnde Selbsterkenntnis beruht (die wie eine Infektion aber sehr wohl geheilt werden kann und das ohne große Kosten, allein mit Denken), wird sich „unbehandelt“ früher oder später auch im neuen Lebensraum bemerkbar machen, so dass der Mensch wiederum in noch größere Weiten des Weltraums flüchten muss – und zwar vor sich selbst als der Erkenntnis der Relativität seines natürlichen Seins. Denn auch sein gottgleiches Selbstbildnis lässt sich von der Evolution her auf den Einfluss seiner Instinkte zurückführen.

 

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Über Ehlert Bernd 23 Artikel
Bernd Ehlert ist Mitglied im Humanistischen Verband Deutschlands sowie in der Meister-Eckhart-Gesellschaft. Er tritt für eine Überwindung der Widersprüche zwischen Natur- und Geisteswissenschaften und damit für ein einheitliches Weltbild ein. Ehlert ist auch Autor der Tabvla Rasa, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken.

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