Jonas Kaufmann brilliert mit witzigem Spiel und berauschender Stimme – Liebe, Rache, Eifersucht an der Bayerischen Staatsoper

Nach überstandener „Cavalleria Rusticana“ am Pfingst-Sonntag an der BSO: die Inhaber der Partien Lola, Alfio, Santuzza, Turridu und Lucia, Foto: Hans Gärtner

Zwei Opern, die – bisher jedenfalls – unzertrennlich einen Abend mit Pause dazwischen ausmachen: Pietro Mascagnis „Cavalleria Rusticana“ (Cav, 1890) und Ruggero Leoncavallos „Pagliacci“ (Pag, 1892). Man kennt ihre Story. Cav: Lola war mit Turrido verlobt, fand sie aber nach seinem Militärdienst als Gattin Alfios, so dass er sich mit Santuzza tröstete. Die, schwanger geworden, verstößt er. Alfio erfährt alles von Turrido und rächt sich an ihm. Pag: Canio, Chef einer Komödiantentruppe, wacht eifersüchtig über seine Frau Nedda, die mit dem jungen Silvio anbandelt und der Tonio nachstellt. Dieser verrät beide und Canio bringt, ein Spiel im Spiel, Nedda und Silvio um.

Die Grundstruktur beider Verismo-Opern behält der Norditaliener Francesco Michelis in seiner Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper (Bühne: Edoardo Sanchi, Kostüme: Daniela Cernigliaro) bei. Doch sieht er, nicht zum ersten Mal, die Stücke „als ineinandergreifendes Diptychon“, so dass Pag als Fortsetzung von Cav zu „lesen“ ist, „mit demselben Protagonisten Turrido/Canio einer zusammenhängenden Geschichte“. Für Micheli geht es einerseits um Emigration (aus Süditalien/Palermo nach Norden/München), andererseits um das „tragische Finale“. Denn beide Opern „enden im Blutbad“.

Dies zu wissen, wäre gut, wenn man die Neuproduktion mit außerordentlich guter Besetzung von Staatsopernchor, Staatsorchester und Gesangs-Ensemble unter der großartigen Pult-Verwaltung des ausgezeichneten Daniele Rustioni mit ihren Aktualisierungen nicht nur sehend hören, sondern auch verstehen will. Leicht macht es Micheli dem Publikum nicht. Es hat an (auch kostümiert) rätselhaften Chorauftritten, Schwarzweiß-Möblierung, Waggons zwischen Palermo und München, seltsamen Oster-Ritualen, vor allem aber mit zeitlichen Rück- und Vorblenden von mal zwei, dann sieben Jahren zu knabbern und schafft es kaum, Canio als Turrido und umgekehrt einzustufen. Die Gleichzeitigkeit mancher Szenarien stellt an die Zusehenden ebenso große Anforderungen wie zum Beispiel die Identität von Alfio und Tonio zu erkennen. Erstaunlich der einträchtige große Schluss-Applaus.

Zwei respektable Sängerinnen stehen für Santuzza, die junge glutvolle Russin Yulia Matochkina und Nedda, die versierte, ihr „Vogellied“ prächtig zwitschernde US-Amerikanerin Ailyn Pérez gerade. Turrido und Canio waren ursprünglich beide für Jonas Kaufmann vorgesehen, so dass sich von der Besetzung her bereits eine Rollen-Identität ergeben hätte. Kaufmann brilliert mit witzigem Spiel und berauschender Stimme, und Ivan Gyngazov aus Novosibirsk gelang mit dem Turridu ein famoses BSO-Debüt. Mit Wolfgang Koch als Alfio/Tonio kann die BSO selbst einen Bassbariton von bewundernswerter sängerischer und darstellerischer Präsenz aufbieten. Zwei die Handlung als Mutter Lucia (Rosalind Plowright) und Silvio (Thomas Mole) wesentlich mittragende Figuren fügten sich in das Sänger-Ensemble tadellos ein.

Cav & Pag a la Francesco Micheli wird, mit teilweise neuer Besetzung, bei den diesjährigen Münchner Opernfestspielen zweimal (9. und 12. Juli) wiederholt: Santuzza singt Ekaterina Semenchuk, Turrido Jonathan Tetelman.

Man darf gespannt sein.

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Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.