Er hat die Bäume studiert. Fällt einer von ihnen einem Sturm zum Opfer, ist Ernst Gamperl, gelernter Schreiner, mittlerweile aber als Kunsthandwerker an verschiedenen Drechselbänken ein Begriff, zur Stelle: Wo verlaufen vom Starkwind verursachte Risse? Wie alt ist der gefallene Riese? Wo verzweigt und verästelt er sich? War er schon krank, bevor er zu Boden ging? Man hört bei der Eröffnung der aktuellen Ausstellung „Transformation und Bewegung“ in der vier Jahrzehnt alten Galerie Handwerk gescheite Reden über den Künstler, der „mit Genauigkeit“ umgestürzte Bäume „aushorcht“. Ob da beide, Finder und Gefundenes, in einen Dialog treten?
Man kann sich das jedenfalls vorstellen, wenn man durch die Ausstellung mit ihren 112 Objekten geht – ob im Eingangsbereich oder im Souterrain. In der Hand hält man eine vier Seiten lange Liste mit exakten Größenangaben und Holzsorten, aus denen die wie lebendige Organismen wirkenden Gefäße und Modelle bestehen: aus Eiche, Riegelesche, Rosskastanie, Bergahorn, Nuss, Rotbuche, Olive, afrikanischem Ebenholz. Wie gerne säße man nieder, um sich zu vertiefen, aber noch immer gibt es keine Sitzmöglichkeit. Man lernt doch nicht aus und will sich fragen: Wie viele Holzsorten gibt es eigentlich? Ihre skurrilen Maserungen und verhaltnen Farben sprechen den Betrachter an. Er lässt seiner Fantasie freien Lauf und rät, wo er wohl dieses und jenes Drechsel-Kunstwerk daheim hinstellte? Möchte er tatsächlich eins erwerben, könnte er zugreifen. Die Preise liegen zwischen knapp zwei- und runden achtzigtausend Euro.
Zu erfahren war, dass der 60jährige Münchner schon 1992 in der Sonderschau „TALENTE – gestaltetes Handwerk“ auf der Internationalen Handwerksmesse den Bayerischen Staatspreis erhielt. Kein Wunder, dass sich der Chef des Bayerischen Nationalmuseums Frank Matthias Kammel diesen Goldfisch für sein eigenes Haus einfing. Bis 5. Oktober zeigt er, erstmals in Deutschland, Ernst Gamperls „Lebensbaumprojekt“: eine 230 Jahre alte Eiche, die 2008 ein Sturm entwurzelte und Gamperl zu einem zehnjährigen Arbeitsprozess inspirierte. 33 Tonnen wog der Gigant, 2,7 m im Durchmesser. Der von Fachkreisen als Revolutionär der historischen Drechselkunst eingeschätzte Künstler verwandelte den Riesen in ein „einzigartiges Ensemble aus 97 unterschiedlich geformten Gefäßen von skulpturaler Anmutung“.
Zurück in die Max-Joseph-Straße 4, wo bis 2. August nicht weniger interessante Gamperl-Plastiken zu sehen sind. Was da so dekorativ auf einem Tisch geordnet steht, ist unverkäuflich. Die Arbeiten mit den Nummern 36 bis 41 wurden 2009 im Rahmen der Ausstellung „U-Tsu-Wa – Lucie Rie, Jennifer Lee, Ernst Gamperl“ in Tokyo gezeigt. Die 2006 entstandenen (wie Gamperl sie nennt:) „Gefäße der Seele“ drücken, wie dem Handzettel zu entnehmen ist, „Kreativität, Erinnerung und geistige Weite“ aus.
Aus dem Rahmenprogramm der Galerie: Am 24. Juli führt Gamperl um 18.30 Uhr durch seine Schau. Da liegt vermutlich dann auch das Buch „Urkraft“ aus, das die Arnoldsche Verlagsanstalt herausbrachte. Unter anderem wirkte Frank Matthias Kammel als Autor mit. Er lädt am 30. Juli um 17.30 Uhr zu einem Empfang und um 18.30 Uhr zum „Danner-Talk“ in sein „Schatzhaus am Eisbach“ ein. Infos: danner-stiftung.de/danner-talk-anmeldung.
