Das historische Versagen der Linken

LINKE-Plakat

Keiner vermochte sich auf den Ressorleiterkonferenzen der Berliner Zeitung vor fast 30 Jahren so schön selbst zu erregen und zu empören wie Feuilletonchef Jens Jessen. Dafür habe ich ihn geliebt. Widerspruch war zu weiterer Steigerung durchaus erwünscht, aber letztlich nicht erforderlich.

Mit diesem nicht verlorenen Temperament reiht Jens Jessen in der „Zeit“ ein Kaleidoskop linken Versagens im gegenwärtigen Zeitenbruch auf (https://www.zeit.de/…/politische-extreme-polarisierung…) und eröffnet einen Reigen verschiedener Texte zum Thema: „Sind die Linken selbst Schuld?“

Jens Jessen zeichnet  nach, wie sich Extremisten von Links und Rechts gegenseitig befeuern: „Man muss sich den grundsätzlich antikonservativen Impuls beider Lager so klar wie möglich machen, um zu verstehen, dass sie nicht nur gegenseitig verfeindet sind, sondern auch einen gemeinsamen Feind haben: die träge, veränderungsscheue Mitte der Gesellschaft. Sie ist es, die – je nach Standpunkt der Kritiker – die Energiewende verhindert oder die Rentenreform, die Aufrüstung oder die Verständigung mit Russland, die Unterstützung Israels oder der Palästinenser, eine großzügige Flüchtlingsaufnahme oder die vermeintlich dringende »Remigration«.

Die Mitte wird dabei nicht als neutral angesehen, sondern bereits als Beute des Gegners. Insbesondere die linken deutschen Parteien sind in ihrem überschießenden Verdacht längst dazu übergegangen, auch weite Teile von CDU- und FDP-Wählern dem rechten Lager zuzuschlagen. Bezeichnend dafür ist die rituelle Klage, dass rechtes Gedankengut »schon in der Mitte angekommen« beziehungsweise »salonfähig geworden« sei. Ganz ähnlich verfährt die AfD, die im Grunde das ganze Land, sich selbst ausgenommen, als »linksgrünversifft« betrachtet.“

Christian Bangel  aus der „Zeit“-Redaktion bestätigt mit seinem Versuch eines Widerspruchs geradezu das von Jessen kritisierte Vorgehen (https://www.zeit.de/…/links-sein-vorurteile-politische…). Er stellt seinen Kollegen in die Tradition des „Welt“-Herausgebers Ulf Poschardt. Das ist ein Schlag unter die Gürtellinie, denn anders als Poschardt und Co verharmlost Jessen die AFD keinesfalls und macht die Linke auch nicht für das Aufkommen der Rechtsextremen verantwortlich:

„Das heißt nicht, dass die Linke bei der Entstehung dieser Höllenbrut in irgendeiner Weise beteiligt war – es kommt auch historisch nicht hin. Als die Brandanschläge und Ausschreitungen in Rostock und Solingen stattfanden, war von den woken Diskursen noch keine Spur und auch die Arbeiterferne nicht so ausgeprägt oder sichtbar. Aber die Linke ist, ihrer antifaschistischen Rhetorik zum Trotz, auch nicht im Geringsten geeignet, die rechtsradikale Bedrohung einzuhegen. Sie ist nicht einmal willens dazu. Sie profitiert von der Polarisierung.“

Darin liegt ihr historische Versagen.

Wie die „DIE ZEIT“ einst den durch die Achtundsechziger eingeleiteten Aufstieg linker Hegemonie begleitet hat, tut sie dies nun auch bei ihrem Abstieg.