Die resiliente Gesellschaft – 70 Jahre erfolgreiche Resilienzforschung

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 Das Wort Resilienz steht für die psychische Widerstandskraft. In der Medizin und Psychologie ist Resilienz ein wichtiger Faktor bei Fragen der Gesundheit und Krankheit. Ein Mensch mit hoher Resilienz bleibt oft in gravierenden Stress- und Belastungssituationen gesund oder erholt sich schnell wieder.  Hingegen geraten vulnerable Menschen mit niedriger Resilienz nicht selten in eine Abwärtsspirale und werden chronisch krank. Die Resilienz-Forschung hat mittlerweile eine lange Tradition von mehr als 70 Jahren.  Zuerst widmete sie sich Individuen, die aus besonders ungünstigen psychosozialen Herkunftsfamilien stammten oder traumatisiert waren.  Hier untersuchten vor allem Entwicklungspsychologen und Pädagogen größere Stichproben von Kindern und Jugendlichen. Zahlreiche Längsschnittstudien ermittelten signifikante Risikofaktoren oder Schutzfaktoren (protektive Faktoren). Diese erste Phase der Resilienz-Forschung prägten die fünf Jahrzehnte der Resilienz-Forschung zwischen 1950 und der Jahrhundertwende.

 Globale Krisen im 21. Jahrhundert und die Frage nach der Resilienz der Gesellschaft

Das neue 21. Jahrhundert brachte zahlreiche globale Krisen:  Die Terroranschläge von 9/11 und die folgenden Kriege im Irak, Afghanistan und Syrien. Im Jahr 2008 folgte die jahrelang dauernde Finanzkrise, die die ganze Welt erschütterte. Schließlich stellt die seit dem Jahr 2020 andauernde Corona-Pandemie eine erneute globale Herausforderung in einer bisher unbekannten Dimension dar. Angesichts dieser kollektiven und globalen Krisen wurde immer mehr die Resilienz von Gruppen, Systemen, Institutionen, Organisationen oder der gesamten Gesellschaft untersucht. Resilienz wurde immer mehr Gegenstand der Wirtschafts- und Politikwissenschaften sowie der Soziologie.

Das Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz

Im Jahr 2020 wurde in Mainz das Leibniz-Institut für Resilienz-Forschung  (LIR) gegründet.  Dieses ging aus dem Deutschen Resilienz-Zentrum der Universität Mainz hervor, das im Jahr 2014 aufgebaut wurde. Dort wird in zehn Forschungsabteilungen hervorragende und international beachtete Forschung zur Resilienz geleistet. Hirnforschung, moderne cerebrale Bildgebung, molekularbiologische und genetische Untersuchungen sowie große Interventionsstudien zur Resilienz sind die aktuellen und innovativen Beiträge des LIR.  Für Experten sind die Ergebnisse dieser wertvollen Studien in renommierten englischsprachigen Journals publiziert. Im Jahr 2021 erschien nur ein lesenswertes Buch von drei Mitarbeitern des LIR (Donja Gilan, Isabell Helmreich und Omar Hahad) im Herder-Verlag mit dem Titel „Resilienz. Die Kunst der Widerstandskraft. Was die Wissenschaft dazu sagt“.  Das Schlusskapitel dieses Buches widmet sich der resilienten Gesellschaft. Raffael Kalisch war bereits Forscher am Deutschen Resilienz-Zentrum und Gründungsmitglied des Leibniz-Instituts für Resilienzforschung. Er ist Biologe und Professor für Bildgebung des menchlichen Gehirns an der Universität Mainz. Sein Spezialgebiet ist Neurobiologie der Resilienz. Professor Kalisch veröffentlichte im Jahr 2017 das Buch „Der resiliente Mensch“, das seit 2020 auch als Taschenbuch verfügbar ist. Dort gibt er einen gut lesbaren Einblick in die neuen Methoden der Hirnforschung, die einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Phänomens Resilienz leisten.

„Die resiliente Gesellschaft“  von Markus Brunnermeier

Ebenfalls 2021 erschien das Buch „Die resiliente Gesellschaft“ von Markus Brunnermeier.  Der Autor ist renommierter VWL-Professor an der Universität von Princeton. Sein Buch hat besonders in Wirtschaftskreisen große Beachtung gefunden. Es wurde mit dem Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2021 ausgezeichnet. Der Wirtschafts-Nobelpreisträger Robert Shiller nannte das Werk „ ein wahres Big-Idea-Buch über die Zukunft“. Auf dem Münchner Wirtschafts-Forum wurde es lebhaft diskutiert. Brunnermeier liefert eindrucksvolles Zahlenmaterial zur Entwicklung der Gesellschaften in den Krisen des 21. Jahrhunderts.  Ein ganzes Kapitel widmet sich der Corona-Pandemie und den gesellschaftlichen Folgen. Einen Ausblick in die Zukunft wagt Brunnermeier trotz aller Krisensymptome. Die Reslienz-Forschung liefert seiner Meinung nach wertvolle Hinweise, wie sich die Gesellschaft angesichts globaler Krisen stabilisieren kann und welche kollektiven Faktoren dafür wichtig sind (z.B. Kommunikationsstrukturen, vertrauensbildende Maßnahmen, Schutzmechanismen und Sicherheitsvorkehrungen z.B. vor Cyberattacken).

Der Soziologe Andreas Reckwitz und mögliche Wege zu einer resilienten Gesellschaft

Andreas Reckwitz ist einer der bedeutendsten deutschsprachigen Soziologen der Gegenwart. Er ist Soziologieprofessor an der Berliner Humboldt-Universität und wurde kürzlich mit angesehenen Leibniz-Preis ausgezeichnet. In neueren Beiträgen hat er sich der gesellschaftlichen Resilienz gewidmet. Auf der PhilCologne im Jahr 2021 führte er ein langes Gespräch mit der Philosophin Svenja Flaßpöhler mit dem Titel „Was macht uns resilient?“  Im selben Jahr sprach er in einem DFG-Exkurs-Gespräch mit Johannes Büchs zum Thema „Wie erreichen wir eine resiliente Gesellschaft?“.  Beide Beiträge sind im Internet abrufbar.

Reckwitz betont angesichts der aktuellen Spaltungsmechanismen in der Gesellschaft wegen der Corona-Maßnahmen  die große Bedeutung kollektiver Reslienz-Kompetenzen. Hier nannte er besonders das Vertrauen in Institutionen und die Kooperationsbereitschaft. Reckwitz warnt aber auch vor einer „Politik des Negativen“ und einer Normalisierung negativer Erwartungen.  Durch eine Focussierung auf Risiken würden immer mehr die Freiheits- und Möglichkeitsräume aus dem Blickfeld geraten. Sensible und vulnerable Subjekte würden zunehmend das Signum der Moderne. Die Hauptfaktoren positiver Resilienz-Entwicklung, die aus der Forschung bei Individuen bekannt sind –  Emotions-Regulation und Selbstwirksamkeit,  diese gelten nach Reckwitz auch für die gesellschaftliche Resilienz. Bei der Emotionsregulation sollten Vertrauen, Verantwortung und Solidarität die positiven Gegenkräfte zu den destruktiven Emotionen Angst, Hass und Wut sein.   Bei der Selbstwirksamkeit geht es um eine Rückbesinnung auf die bisherigen gesellschaftlichen Stärken und die Faktoren, die positiv veränderbar seien. Keine fernen Utopien, sondern aktuelle positive Veränderungsmöglichkeiten. Das ist das Credo des Soziologen Andreas Reckwitz.

Literatur

Brunnermeier, Markus  (2021)  Die resiliente Gesellschaft. Wie wir künftige Krisen besser meistern können. Aufbau Verlag, Berlin

Gilan, Donya, Helmreich, Isabella, Hahad, Omar (2021). Resilienz – die Kunst der Widerstandskraft. Was die Wissenschaft dazu sagt.  Herder, Freiburg, Basel,  Wien

Kalisch, Raffael (2020)  Der resiliente Mensch. Wie wir Krisen erleben und bewältigen. Neueste Erkenntnisse aus Hirnforschung und Psychologie. Piper, München

Reckwitz, Andreas (2021).   Wie erreichen wir eine resiliente Gesellschaft. Gespräch mit Johannes Büchs. DFG Exkurs- Gespräch vom 28.7.2021

Reckwitz, Andreas (2022).  Was macht uns resilient?  Gespräch mit Svenja Flaßpöhler auf der PhilCologne 2021. WDR 5 Spezial, Sendung vom 1.1.2022

 

Korrespondenzadresse:

 Professor Dr. med. Herbert Csef,  An den Röthen 100, 97080 Würzburg

Email:  herbert.csef@gmx.de

 

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Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.