Ricarda Langs nationalsozialistische Oma

Auf dem Kalten Feld, Hans Frieder Dietz

Ricarda Lang konnte ihren Onkel Hans Frieder Dietz überzeugen, sein ursprünglich nur für die Großfamilie geschriebenes Buch über ihre Großmutter und seine Mutter für die Öffentlichkeit frei zu geben. Es handelt von der Pfarrerstochter Dore Dietz, einer Frau, die, wie Ricarda Lang in ihrem Vorwort schreibt, „in den Jahren des Nationalsozialismus ein faschistisches Regime aus Überzeugung unterstützte“ und “ihre eigene Lebensgeschichte nicht, wie viele aus ihrer Generation, verschwieg oder beschönigte, sondern sich bewusst damit auseinandersetzte.“ Das Buch gewährt einen faszinierenden Blick in Fragmente eines deutschen Alltags.

Denn die nationalsozialistische Faszination kam eben nicht nur in gewienerten Stiefeln daher, wie es Nachgeborenen vielleicht oft erscheinen mag, sondern fand sich ebenso im Kreise strickender überwiegend pietistischer Frauen, die etwas „für unsere Leute im Krieg tun“ wollten; so wurde Dore Dietz „Frauenschaftsleiterin im BDM“. Zuvor ging ihr „Handarbeitsunterricht nahtlos in die Mädchenschaft über, wo ich Jungmädelleiterin wurde“.

Sie begleitet ihren Mann, der Rektor und später Schulrat im Elsass wird. Nach der Flucht zurück nach Deutschland schreibt die Mutter von nun acht Kindern ein Gedicht für eine Tochter im Mai 1945:

..des Führers Idee in der Kameradschaft, der Schule erlebend

All euer und unser Wirken und Wollen und Streben,

Es galt nur Deutschland.

Das wird weiterleben.“

Die von den alliierten Truppen verbreiteten Bilder der Toten aus den Konzentrationslagern hält Dore Dietz für Fälschungen, das Schuldbekenntnis der Evangelischen Kirche für Nestbeschmutzung. Immer wieder setzt sie sich später damit auseinander.

Mit 78 Jahren, nun eine renommierte Krippenkünstlerin und engagierte Bürgerin, angeklagt im Jahre 1987 wegen der Teilnahme an einer Blockade der Rakentendepots, spricht sie im Amtsgericht Mutlangen über ihr Versagen: „Bei der Seniorenblockade war es erschütternd, wie viele Menschen meiner Generation ihr Blockieren mit einem Schuldgefühl begründeten, weil sie im 3. Reich blind waren…Aus heutiger Sicht ist es mir unbegreiflich, wie wir, die wir beide aus Pfarrhäusern stammten, also einem humanistischen Umfeld, dass wir in der Nationalsozialistischen Partei mitgearbeitet haben…“

Ricarda Lang fragt in ihrem Vorwort: „Welche Verantwortung trägt man für selbst gewählte Blindheit?“ Sie will aus den falschen Entscheidungen ihrer Vorfahren lernen. Aber was ist Blindheit? Hatte es sich nicht als richtig erwiesen, auf die Stationierung sowjetischer SS-20-Raketen in Osteuropa mit einer Nachrüstung zu antworten? Hat nicht die damalige Verteidigungsbereitschaft des Westens zum Fall des Eisernen Vorhangs beigetragen? Zeigt sich nicht heute, wohin es führt, wenn Aggressionen wie die Besetzung der Krim letztlich hingenommen werden?

Die Stärke dieses berührenden Buches von Hans Frieder Dietz liegt, wie Ricarda Lang formuliert, in den Fragen, „was wir aus der Vergangenheit für die Gegenwart und die Zukunft lernen“. Fragen, die keine einfachen Antworten finden.

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Auf dem Kalten Feld