Deutschland 2025 präsentiert sich gern als moralische Instanz, geschmückt mit Begriffen wie Humanität und Hilfsbereitschaft. Doch hinter dieser Fassade existieren Mauern aus Kälte, Ignoranz und struktureller Ausgrenzung. Empathie wird beschworen, aber Millionen Menschen, die hier leben, arbeiten, Steuern zahlen und Kinder großziehen, bleiben gesellschaftlich außen vor – nicht nur in der ersten, sondern auch in der zweiten, dritten und sogar vierten Generation. Sie werden nicht als selbstverständlicher Teil der Gesellschaft wahrgenommen, sondern als „Andere“ geduldet.
Der Psychologe Carl Rogers beschreibt den höchsten Ausdruck von Empathie als Akzeptanz ohne Wertung, während Alfred Adler betont, dass man mit den Augen, Ohren und dem Herzen eines anderen sehen, hören und fühlen müsse. Wer Menschen sprachlich und sozial in Kategorien wie „Mitbürger“ oder „Migrant“ einteilt, handelt nicht empathisch, sondern entmenschlichend.
Die Öffnung der Grenzen 2015 wurde vielfach als Akt der Menschlichkeit gefeiert, doch die Motivation war weniger moralischer Natur als ökonomisches Kalkül. Laut Institut der deutschen Wirtschaft (IW) benötigt Deutschland jährlich über 400.000 qualifizierte Arbeitskräfte, um dem demografischen Wandel entgegenzuwirken. Geflüchtete wurden als Arbeitskräfte betrachtet, nicht als Menschen mit Rechten und Bedürfnissen. Integration wurde angekündigt, aber selten umgesetzt; Empathie blieb meist Rhetorik.
Die demografische Entwicklung zeigt, dass die Geburtenrate in Deutschland 2023 bei nur 1,35 Kindern pro Frau lag, deutlich unter dem Ersatzniveau von 2,1 Kindern pro Frau, das für die Stabilität der Bevölkerung notwendig ist. Würden Politik und Gesellschaft in Familien, insbesondere in Mütter und Frauen investieren, ihnen echte Unterstützung für Kinderbetreuung, Bildung und soziale Sicherheit bieten, könnten viele dieser Lücken geschlossen werden. Eine gut geförderte Bevölkerung könnte den Arbeitsmarkt stabilisieren, ohne dass externe Arbeitskräfte als billige Ressource nötig wären. Dies würde nicht nur die Abhängigkeit von Migration für ökonomische Zwecke reduzieren, sondern auch die Grundlage für die systematische Diskriminierung und Ausbeutung von Zugewanderten beseitigen.
Von dieser gesellschaftlichen Spaltung profitieren Wirtschaft, Politik und Medien gleichermaßen. Branchen wie Pflege, Bau, Logistik und Gastronomie funktionieren nur durch Menschen mit Migrationsgeschichte, über 30 % von ihnen sind laut OECD (2023) in systemrelevanten Berufen tätig. Ihre Leistung ist essenziell, gesellschaftlich bleiben sie aber oft unsichtbar, unterbezahlt und ohne Anerkennung. Politische Akteure nutzen Migration zur Polarisierung; Geflüchtete werden als Projektionsfläche für gesellschaftliche Unzufriedenheit instrumentalisiert, während Medien ein ambivalentes Bild zeichnen: Mitgefühl wird suggeriert, doch strukturelle Diskriminierung wird selten thematisiert, Vorurteile werden eher verfestigt als abgebaut.
Zugewanderte Menschen dürfen arbeiten, aber nicht gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Viele leben am Rand der Städte, in anonymen Unterkünften oder prekären Arbeitsverhältnissen und bleiben weitgehend ausgeschlossen. Die Bertelsmann Stiftung (2022) zeigt, dass ein Großteil dieser Menschen in systemrelevanten Bereichen arbeitet, aber ohne soziale Sicherheit oder Anerkennung. OECD-Studien belegen, dass Migrant:innen in Deutschland höheren psychischen Belastungen ausgesetzt sind und gesellschaftlich kaum aufsteigen. Sie tragen zum Wohlstand bei, bleiben aber unsichtbar.
In vielen Bereichen ist Empathie zur Rhetorik verkommen. Kirchen predigen Nächstenliebe, Politik spricht von Integration, liefert jedoch kaum tragfähige Konzepte, und die Medien betonen Ausnahmefälle, vermeiden aber tiefere Analysen. Schweigen, Wegsehen und Abstumpfung prägen den Alltag; die Mehrheit nimmt systemische Ungleichheit hin, als sei sie normal oder notwendig. Rechte Parteien wie die AfD sind nicht die Ursache, sondern das Symptom gesellschaftlicher Spaltung – sie gedeihen dort, wo Ängste nicht ernst genommen, sondern bewusst geschürt werden.
Das zugrunde liegende Problem ist ein Wirtschaftssystem, das Menschen nach Nützlichkeit und nicht nach Würde bewertet. Ohne langfristige Investitionen in Familien und Frauen ist Deutschland gezwungen, Migration als billige Arbeitskraft zu akzeptieren, wodurch strukturelle Ungleichheit und gesellschaftliche Spannungen zementiert werden. Würden Frauen und Familien ausreichend unterstützt, könnten Kinder als zukünftige Fachkräfte gefördert werden, die Gesellschaft selbst tragen und die ökonomische Notwendigkeit von billigem Zuwandererarbeitsmarkt reduzieren. Die Lösung liegt also nicht nur in Integration, sondern in einem ehrlichen, humanistischen Ansatz gegenüber allen Bewohnern – unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Name.
Wenn Deutschland seinen Anspruch auf Humanität ernst nimmt, muss es aufhören, Menschen funktional zu behandeln, und stattdessen Empathie als gelebte Praxis etablieren. Schweigen macht mitschuldig, sprechen verändert. Menschlichkeit darf kein Lippenbekenntnis bleiben, sie muss aktiv gelebt werden.
Autor
H o s s e i n – Z a l z a d e h
Quellen:
