„Ich denke ja gar nichts, ich sage es ja nur.“ Gedanken zur Ödön-von-Horváth -Ausstellung im Theatermuseum München: ein europäisches Gesamtkunstwerk

Foto: Angelika Weber

Auch wenn man die Münchner Schellingstrasse schon Hunderte Mal entlang gegangen ist, kreuz und quer, hin und her und zurück, vorbei am Schellingsalon auf dem Weg zu einem der Italiener, mittags oder abends, den Blick auf die Ludwigskirche gerichtet oder die Stabi hinter sich lassend, nochmals vorbei an der Ludwigskirche, eilenden Schrittes zur Busstation und dann zum neuen Lehrstuhl „Global History“, über den Namensgeber Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling als Philosophen intensiv nachdenkend, in der Strasse vor Jahren frisch verliebt gewohnt und viele Stunden im Theaterwissenschaftlichen Seminar der LMU verbracht hat, die Sicht auf die bekannten Objekte ist nach dem Besuch der Ausstellung im Theatermuseum eine ganz andere. Die Schellingstrasse bekommt eine Ödön-Note, die einem empfindsamer und nachdenklicher macht. Nichts ist wie vorher. Und selbst die Zeilen in seinem Roman „Der ewige Spiesser“ verschlingt man neugierig um mehr über diese Strasse und ihre Menschen zu erfahren. Im besten Sinne, den Blick zu schärfen und die Geschichte dieser spannenden Geschichten wie eine aktuelle Nachricht auf WhatsApp zu vergegenwärtigen, das ist dem Kuratorenduo Nicole Streitler-Kastberger und Martin Vejvar meisterhaft gelungen.


Die in Wien 2018 mit großem Erfolg gezeigte Ausstellung ist um Münchner Elemente erweitert worden und zeigt uns mit zeitgenössischen Filmen, Dokumenten, Bildern und Texten eine Welt, die uns bekannt vorkommt. Aber dahinein mischt sich ein weiteres Spektrum voller subtiler Geschmacksnuancen von Gewürzen und Düften und Würsten und leeren Bierkrügen mit Zitaten aus diesem speziellen Bildungs- und Sprachjargon. Und das Gefühl, daß Horváth gerade noch anwesend war und nur kurz zum Streetlife Festival vor die Türe gegangen ist, lässt einem nicht mehr los. Ökonomie, Erotik und Politik sind die übergreifenden Themen, die an Hand von drei Stücken beispielhaft aufgefächert werden, ausgehend von „Italienische Nacht“. Hier befindet man sich in einem Wirtshaus, das zeitgemäß nachgestellt ist. Das Oktoberfest, wie es in „Kasimir und Karoline“ als Schauplatz für Liebe und Verflechtungen mit dem Kommerziellen stilisiert ist, lässt einem in unser weltberühmtes Volksfest – mit oder ohne Publikum – immer wieder atmosphärisch eintauchen. Die Essenz menschlicher Fragestellungen literarisch auf die Bühne zu bringen, das zeigt sich auch mitreissend eindrucksvoll in „Geschichten aus dem Wienerwald“. Ödön von Horváth ist omnispräsent, nicht mehr wegzudenken.


Dass Horváths Werke zu den meistgespielten deutschsprachigen Theaterstücken zählen, wird in dieser aufwendig inszenierten Schau im Theatermuseum am Beispiel der drei Volksstücken „Italienische Nacht“, „Kasimir und Karoline“ und „Geschichten aus dem Wiener Wald“ mehr und mehr verständlich. Einblicke in die Entstehungsgeschichte und Rezeption der Stücke bieten den wissenschaftlichen und theatralisch ästhetischen Hintergrund. Wer es noch nicht verinnerlicht hat, wird sich vergegenwärtigen: “Jugend ohne Gott“ zählt zum Kanon deutschsprachiger Literatur und ist ein Klassiker der Schullektüre. Daß die Achse Murnau-München eine so große Bedeutung im Leben des Künstlers hat, bietet sich für eine Vertiefung regionaler Bezüge in Bayern an, vergleichbar Wassily Kandinsky und Gabriele Münter. Da kommen viele Ideen, zumal es in diesem Jahr Murnauer Horváth Tage gibt, unter dem Motto „Tanz auf dem Vulkan“ vom 8. – 17.11.2019, organisiert von der Ödön-von-Horváth-Gesellschaft, unter der Leitung von Gabi Rudnicki, der 1. Vorsitzenden und Georg Büttel, dem 2. Vorsitzenden. Kontakt info@horvath-gesellschaft.de Informationen unter www.horvath-gesellschaft.de


Bleibt zu wünschen, daß Menschen im In- und Ausland, die sich in diese höchst aktuellen Erlebniswelten begeben wollen, die das Historische wie das Gegenwärtige vor Ort nicht sehen können, per streaming im Internet teilhaben könnten. Und vor allem, daß MünchnerInnen, Münchens BesucherInnen, Kultur-, Theater- und Filminteressierte, aber vor allem viele Schulklassen gemeinsam diese faszinierende Ausstellung besuchen. Anmeldung für Kinder- und Schulklassen-Gruppen:

buchung@mpz.bayern.de Tel. 089 / 954 115 2 -20,-21,-22.
Deutsches Theatermuseum, 24.5. – 17.11.2019, Galeriestr. 4 a, täglich (außer Montags) 10.00 -16.00 Uhr.


www.deutschestheatermuseum.de Gesamtleitung Claudia Blank, Gestaltung Peter Karlhuber.


Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Andrea Hauer andrea.hauer@deutschestheatermuseum.de

Über Angelika Weber 47 Artikel
Angelika Weber, M.A., studierte Bayerische Geschichte, Anglistik, Theaterwissenschaft, Philosophie und Geschichte der Medizin. Sie arbeitet mit nationalen und internationalen TV – Anstalten zusammen. 1997 erhielt sie für ihre Film- und Dreharbeiten das Bundesverdienstkreuz.