Rob Jetten – der nächste Ministerpräsident der Niederlande? Der leise Reformer ist der politische Widersacher von Gerd Wilders und seiner rechtspopulistischen Partij voor de Vrijheid

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Die linksliberale Partei D66 um Rob Jetten hat die Parlamentswahl in den Niederlanden gewonnen. Wie die niederländische Nachrichtenagentur ANP am am Freitag vreldete, hat die D66 inzwischen einen uneinholbaren Vorsprung vor der PVV des Rechtspopulisten Geert Wilders. Damit hat D66-Chef Rob Jetten beste Chancen, nächster Ministerpräsident zu werden.

Es gibt in der europäischen Politik jene seltenen Gestalten, die nicht aus dem Getöse geboren sind, sondern aus der Stille. Sie kommen ohne Pathos aus – und gerade darin liegt ihre Kraft. Rob Jetten, 38 Jahre alt, Vorsitzender der sozialliberalen Democraten 66, ist eine solche Figur. Er steht für eine Generation, die die Sprache der Vernunft wiederentdeckt hat – nach Jahren der Erschöpfung und Überhitzung. Während andere in Schlagzeilen denken, denkt er in Lösungen. Reuters beschrieb ihn nüchtern als den Mann, der „poised to become the Netherlands’ youngest and first openly gay prime minister“ – doch hinter dieser Feststellung steht mehr als ein biografisches Detail: Sie beschreibt einen Kulturwandel, der in Europa spürbar wird – weg vom Populismus, hin zur Verantwortung.

Optimismus als Gegenmodell

„Het kan wél“ – „Es ist möglich“ – lautete der Wahlslogan, mit dem Jetten die Niederländer im Herbst 2025 mobilisierte. The Guardian verwies auf die Parallele zu Barack Obamas „Yes we can“ und nannte Jetten den „Anti-Wilders“ – den Gegenentwurf zum Rechtspopulisten Geert Wilders, der den öffentlichen Diskurs über Jahre vergiftet hatte. Während Wilders mit Ressentiment und Lautstärke arbeitete, setzte Jetten auf Vernunft und Vertrauen. Die FAZ charakterisierte seine Kampagne als Aufbruchssignal einer Generation, die den Mut zur Mitte wiederentdeckt. Reuters bestätigte die politische Zäsur: D66 habe ihre Sitze „almost tripled“, während die PVV deutlich an Boden verloren habe.

Ein junger Europäer

In einem politischen Klima, das vielerorts von nationaler Selbstbezogenheit geprägt ist, steht Jetten für ein anderes Europa. Die Financial Times bezeichnete ihn als „a centrist liberal leader of quiet strength“ – als Repräsentanten einer Generation, die Stärke nicht mit Lautstärke verwechselt.

Er will die Niederlande wieder als konstruktive Kraft in der Europäischen Union positionieren – als Land, das Verantwortung teilt, statt sie zu delegieren. Seine Agenda verbindet Energie-, Klima- und Integrationspolitik zu einem europäischen Zukunftsprojekt. Für Jetten ist Europa kein Verwaltungsapparat, sondern der Raum, in dem Politik wieder Sinn bekommt.

Jetten, geboren im niederländischen Veghel, ist kein Theoretiker, der Luftschlösser baut oder im Elfenbeinturm lebt, sondern ein Pragmatiker, der beherzt zupackt. Sein politisches Credo wurzelt in den alltäglichen Fragen, die das Leben bestimmen – Wohnen, Energie, soziale Sicherheit.

Dieser Pragmatismus zeigt sich – wie Reuters berichtete – darin, dass der Politiker, seit dem 12. August 2023 Parteivorsitzender der D66 und Mitglied der Zweiten Kammer, den Bau von 100 000 neuen Wohnungen pro Jahr plant, um der massiven Knappheit auf dem niederländischen Wohnungsmarkt zu begegnen. Ebenso zitiert die Agentur seine Ankündigung, „to build ten new towns“ – eine langfristige Antwort auf den Mangel an bezahlbarem Wohnraum.

Sozialpolitik versteht Jetten nicht als bloße Umverteilung, sondern als Balance zwischen Solidarität und Eigenverantwortung. Auch in der Migrationspolitik setzt er auf Reform: Reuters zufolge sollen Asylanträge künftig außerhalb der EU-Gebiete geprüft werden – ein Versuch, Humanität mit Steuerbarkeit zu verbinden. Damit skizziert Jetten eine Politik der Mitte, die nicht im Stillstand verharrt, sondern im Gleichgewicht zwischen Anspruch und Wirklichkeit neue Dynamik gewinnt.

Gegen den Populismus der Angst

„A test for the reach of European populism“ – so nannte Reuters die Wahl vom 29. Oktober 2025. Der Test fiel zugunsten der Vernunft aus.

Jetten steht für jene politische Kultur, die der Erregung das Argument entgegensetzt. Seine Gelassenheit ist keine Schwäche, sondern eine Methode. Die FAZ sah in seinem Erfolg das Ende jener „Dauererregung“, die das politische Klima der letzten Jahre geprägt hatte.

In einer Zeit, in der viele Politiker den Zorn verwalten, verkörpert Jetten das seltene Gegenbild – den Versuch, Widerspruch wieder in Gespräch zu verwandeln. Sein Auftreten ist die Antithese zum politischen Lärm. The Guardian beschrieb ihn als „a man who builds bridges rather than barricades“. Die Financial Times sprach von „quiet strength“ – ein Begriff, der Jettens Wesen trifft: nachdenklich im Ton, verbindlich im Ziel.

Er sucht nicht den Applaus, sondern das Einverständnis. Seine Sprache ist klar, aber nie kalt; rational, doch ohne Belehrung. So wird Stil zum Ausdruck politischer Ethik – zur Haltung, die Überzeugung nicht ersetzt, sondern vertieft.

Die schwierige Mitte

Doch die Mitte ist kein Ort der Bequemlichkeit. Reuters (30. Oktober 2025) berichtete, Jetten sehe D66 als „the strongest party“ und wolle die Führung bei den Koalitionsverhandlungen übernehmen. Das aber bedeutet Kompromissarbeit in einer zersplitterten Parteienlandschaft. Vor allem in der Wohnungs- und Sozialpolitik wird sich entscheiden, ob der Optimismus seiner Bewegung in dauerhafte Struktur überführt werden kann. Reformen, so weiß Jetten, sind kein Feuerwerk, sondern Handwerk.

Ein europäischer Moment

Jettens Aufstieg ist mehr als eine nationale Episode. Inmitten eines Europas, das von Populismus und politischer Müdigkeit heimgesucht ist, sendet sein Erfolg ein anderes Signal: Die liberale Mitte lebt – wenn sie den Mut hat, wieder Hoffnung zu formulieren. Er verkörpert jene europäische Idee, die sich nicht in Bürokratien verliert, sondern in Verantwortung konkret wird. Das macht ihn zu mehr als einem niederländischen Politiker: zu einem europäischen Symbol des Möglich-Bleibens.

Rob Jetten steht für eine neue Tonlage in der Politik: leise, verbindlich, unaufgeregt. Er macht Wohnungsbau zur Frage der Würde, Sozialpolitik zur Schule des Zusammenhalts und Europa zur Bühne gemeinsamer Vernunft. Wenn er Premierminister wird, dann nicht, weil er lauter war als die anderen, sondern weil er glaubwürdiger blieb. In einer Epoche, in der viele schreien und wenige zuhören, verkörpert er das Paradox der Klugheit: dass Veränderung nur dort gelingt, wo Gelassenheit den Ton angibt.

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2269 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".