WARTE NICHT AUF BESSRE ZEITEN! Wolf Biermanns Autobiografie zu seinem achtzigsten Geburtstag in der IKG -München

Foto: Stefan Groß

Auf der Bühne wirkt er, wie wenn die Zeit stehen geblieben wäre. Nur das weiße Haar weist auf eine Veränderung hin, gewiss nicht die Haltung und schon gar nicht seine besondere Art, auf das Publikum einzugehen. Von Staralluren keine Spur, keine routinierte Körpersprache trotz der vielen Auftritte, die er hinter sich gebracht hat, nachdem ihm de DDR vor exakt vierzig Jahren nach seinem einzigen Auftritt in der Kölner Sporthalle am 13.November 1976 die Wiedereinreise verweigerte.

Wolf Biermann ist – wie Ellen Presser bei ihrer Begrüßung erinnerte – zum fünften Mal Gast des Jüdischen Kulturzentrums, das ihn in seinem früheren Sitz in der Prinzregentenstraße im Rahmen der Reihe „Verdrängte – Vergessene Autoren“ als erstes nach seiner Ausweisung eingeladen hatte.

 

Im überfüllten Burda-Saal der IKG, vor einer Reihe Prominenter Besucher erzählt er aus seinem Leben, das – wie kaum ein anderes – mit der Geschichte Deutschlands eng verwoben ist. Es ist das Leben „à contre courant“ einer der profiliertesten Persönlichkeiten deutscher Kultur, die nie aufgehört hat, gegen den Strom zu schwimmen.

 

Dazu scheint er schon von Familie aus prädestiniert zu sein. Sein Vater Kommunist und als solcher von den Nazis unschuldig verhaftet, sitzt er viele Jahre im Gefängnis, wo ihn der kleine Wolf besucht und von ihm Bombons bekommt, mit denen die Mutter den Vater heimlich versorgt hatte, damit er dem Jungen eine Freude bereitet. Er soll ihn in guter Erinnerung halten. Vom Gefängnis aus wird Dagobert Biermann nach Auschwitz überführt, wo er ermordet wird, nachdem er sich – obwohl nicht dazu aufgefordert – als Jude „geoutet“ hat. Eine Geste des Stolzes, womit er sein eigenes Todesurteil unterschreibt. An der Seite seiner tapferen Mutter – selbst eine Kommunistin – übersteht Wolf die Kriegsjahre und die Bombenangriffe im gebürtigen Hamburg, um 1953 nach Ost-Berlin zu übersiedeln. Nicht „von Ost nach West“ – wie er in einem seiner bekanntesten Lieder schreiben wird – sondern von „West nach Ost“ : Auch ein „deutscher Fall“, sein eigener. Wieder in die umgekehrte Richtung: Wie immer gegen den Strom.

 

Er ist sechzehn und hält den sich im Aufbau befindlichen neuen Arbeiterstaat für das bessere Deutschland. Seine Anfänge am Berliner Ensemble seines angehimmelten Bert Brecht und bei seiner Witwe Helene Weigel scheinen ihm zunächst Recht zu geben. Hanns Eisler erkennt sein Talent und fördert ihn. Der Dichter wird zum Liedermacher und lebt in Symbiose mit seiner Gitarre. Die Partei-Bonzen lieben zunächst seine Lieder. Einer davon ist Günter Schabowski. Als er die „Alten Genossen“ öffentlich auffordert, ihren festgefahren Kurs zu ändern, fällt er in Ungnade. Die Atempause ist zu Ende. Er gehört von dann an wieder zu den Subversiven, wie sein Vater einer gewesen war. Biermann kann nicht mit dem Strom schwimmen. Er hat es nicht gelernt. 1965 wird er mit Berufsverbot belegt. Er wird beobachtet, sein Telefon abgehört, seine Wohnung in der berüchtigten Chausséestraße 131 ein besonderer Ort. Ein Treffpunkt des Widerstandes. Regimekritische Intellektuelle, Künstler geben sich die Klinke in die Hand. Seinen Umzug in die DDR bereut er allerdings nie. In Hamburg geblieben, wäre er „nie Biermann geworden“ und „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verblödet.“ Im freien Westen lebt er zunächst wie „im Exil“. Er schließt sich der Friedensbewegung an und lässt sich nie zum „Berufsdissidenten“ stilisieren. Nach dem Mauerfall gehört er zu den Besetzern der Stasizentrale, die ihn jahrelang bespitzeln ließ.

 

Über ihn wird Helmut Schmidt sagen , dass er „ein Stück deutsche Identität gestiftet hat“. In der Tat gibt es nicht viele im Nachkriegsdeutschland, die bereit waren, die eigene Freiheit im Namen der Meinungsfreiheit derartig aufs Spiel zu setzen.

Aufgrund einer Fingerverletzung konnte sich Wolf nicht an der Gitarre begleiten. Dafür las sein Sohn, der Schauspieler Manuel Souberyran, aus seiner seit Langem erwarteten und nun zum achtzigsten Geburtstag erschienen Autobiografie„Warte nicht auf bessre Zeiten“, die – wie Moderator Yves Kugelmann (tachles – Jüdisches Wochenmagazin, Zürich) bemerkte – zu den bedeutendsten Werken der letzten Jahren zählt.

 

Biermann selbst sieht sie eher als ein „Schelmenroman“, ein Buch, das Zeugnis für Menschen ablegen soll, die sich für ihn eingesetzt haben. Seine Aussperrung aus der DDR löste in seinen Augen den ersten massiven Protest gegen das Regime aus. Ein Akt der Rebellion nicht nur seitens befreundeter Schriftsteller-Kollegen, sondern auch der einfachen Leute, Fabrik- und Landarbeiter, die einen hohen Preis dafür bezahlen mussten. Ein Denkmal soll sie für andere werden, für die er zum Vorbild wurde.

 

„Warte nicht auf bessre Zeit“ ist mit ihrer gewaltigen Sprache – die Sprache des Dichters! – , eine Aufforderung, sich in das gesellschaftliche Geschehen einzumischen, von jemanden, der mit dem Verlust des Kommunismus die „hoffnungslose Hoffnung auf die Vernunft des Menschen“ verbindet und in seinem Inneren immer noch von der „rosa-rote Demokratie“ der Rosa Luxemburg träumt.

 

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Dr. Anna Zanco-Prestel, hat Literaturwissenschaften (Deutsch, Französisch und Italienisch) und Kunstgeschichte in Venedig, Heidelberg und München studiert. Publizistin und Herausgeberin mit Schwerpunkt Exilforschung. U.d. Publikationen: Erika Mann, Briefe und Antworten 1922 – 69 (Ellermann/DTV/Mondadori). Seit 1990 auch als Kulturkoordinatorin tätig und ab 2000 Vorsitzende des von ihr in München gegründeten Kulturvereins Pro Arte e.V.

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