Der Westen ist tot. Es lebe der Westen!

Goethe- und Schiller-Denkmal in Weimar, Foto: Stefan Groß

Überall ist zu vernehmen, mit der Wahl Donald Trumps sei das westliche Projekt zu Grabe getragen worden. Was für eine angstgetriebene Weltsicht! Gerade der Westen lebt doch von der Selbstkorrektur.

 

„Die Kunst ist, einmal mehr aufzustehen, als man umgeworfen wird.“ Was würde in dieser Lage besser passen, als ein Zitat Winston Churchills? Ein Mann, der das viktorianische Zeitalter als Kind erlebte, der im ersten Weltkrieg die britische Marine kommandierte, der, als Europa kurz davor stand vom Atlantik bis Moskau faschistisch zu werden, den Krieg gegen Hitler aufnahm, der den Untergang des Empire erlebte und den Aufstieg Amerikas, blieb bis zum letzten Atemzug ein Optimist. Churchill war kein hoffnungsloser Schönmaler. Die „britische Bulldogge“, wie man ihn wenig liebevoll nannte, war sicher auch kein realitätsferner Träumer. Er wusste schlichtweg um die Selbsterneuerungskräfte seines Landes. Er kannte die innere Stärke einer Zivilisation, die Tradition, Aufklärung, Herrschaft, Fortschritt und Demokratie geschickt zu verbinden vermochte. Und er siegte.

Die Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten ist nicht mal im Ansatz mit den Ereignissen zu vergleichen, die Churchill als Kind seiner Zeit oder Subjekt der Geschichte erleben bzw. gestalten musste. Donald Trump ist nicht Adolf Hitler und 2016 ist nicht 1933. Der technologisch-wirtschaftliche Vorsprung des Okzidents ist weiterhin enorm. Und die Ideen, für die er steht, sind – wenn auch unter massiven Druck geraten – verbreiteter und akzeptierter als noch vor hundert oder fünfzig Jahren.

Das sollte man sich vor Augen führen, wenn in vielen Redaktionsstuben und anderen Beobachterposten der euro-atlantischen Welt nun die weiße Fahne gehisst wird. „Eine Welt bricht vor unseren Augen zusammen“, titelt der „Spiegel“ online am Morgen nach der Wahl. „Dies ist das Ende des Westens wie wir ihn kennen“, heißt es bei der „Washington Post“. Und in der „Zeit“ weiß man sich sicher, die Wahl Trumps bedeute nicht nur das Ende des „amerikanischen Zeitalters“, sondern komme sogar dem metaphysische „Ende der Aufklärung“ gleich. Welch‘ angstgetriebene Weltsicht!

Ja, Donald Trump steht, seinen Äußerungen zu Folge, latent für Sexismus, Nationalismus und Rassismus, statt für universalistische Werte. Seine Aversion gegen die NATO und amerikanischen Internationalismus sprechen für eine neo-isolationistische Außenpolitik. Trumps Strafzoll-Fantasien verkünden wohl das vorzeitige Ende des Freihandels westlicher Machart. Und ja, die liberal-demokratische Weltordnung, mit ihren nationalen und internationalen Institutionen ist unter massiven Druck geraten. Aber was ist das schon – im Vergleich zu zweieinhalb Jahrhunderten Freiheitskampf? Allerhöchstens ein weltgeschichtliches Beben der Stufe drei oder vier: messbar, spürbar, leichte Schäden. Aber reparierbar.

Es ist ja schon erstaunlich, dass gerade jene, die nun wie selbstverständlich Trauerlieder auf den angeblich untergehenden Westen anstimmen, seine historische Dialektik offenbar am wenigsten kennen. Heinrich August Winkler (dieser Mann hat immerhin mehrere Tausend Seiten über die westliche Ideengechichte und deren Verwirklichung verfasst) sieht in der westlichen Entwicklung keineswegs eine gerade Linie, die von 1789 zu Barack Obama führt. Der Westen durchlebt, so der Historiker, vielmehr Schubkräfte und Selbstkorrekturen: Die viel zu späte Abschaffung der Sklaverei und der Rassentrennung, der brutale Kolonialismus; all diese Gräueltaten stehen für einen geistig-politischen Großraum, der entschlossen den Weg der Freiheit geht, die riesigen Widersprüche und Fehler, die dabei hervortreten, aber erst in der (oftmals späten) Auseinandersetzung mit sich selbst korrigiert. Man kann die ideenhistorische Dialektik des Westens noch breiter fassen: Hobbes brachte das Gewaltmonopol – und ermöglichte den Absolutismus; der Liberalismus setzte dem ein Ende und brachte Freiheit – und dennoch ermöglichte er massive Ausbeutung, was erst der Wohlfahrtsstaat zu korrigieren vermochte. Ob man diese Geschichtsphilosophie mitträgt oder nicht, es zeigt sich: Der Westen durchlebt keine lineare Emanzipation, sondern zeichnet sich gerade durch seine innere Dynamik, seine Korrektur- und Selbstheilungskräfte aus. Er verändert sich – und das ist gut so.

Für was könnte also der Sieg Trumps sehen, wenn wir den Westen und seine Historie ernst nehmen, statt ihn apokalyptisch-pathetisch zu verklären? Nun, offenbar für die Auseinandersetzung mit der selbstinduzierten Globalisierung. Die Fragen, die jetzt aufbrechen, haben alle unmittelbar mit ihr zu tun: Was bedeutet das globale Wirtschaften für die klassische Unter- und Mittelschicht unserer Länder? Ihre Wut und ihr Zorn sprechen dafür, dass sie beim großen Globalisierungsversprechen vergessen wurden. Die Frage, wie diese Gesellschaftsschichten reintegriert werden können, wird uns die nächsten Jahre, vielleicht Jahrzehnte begleiten. Hinzu kommt: Was bedeutet die Globalisierung für die Kultur und Identität unserer Nationen? Sind Multikulturalismus oder radikale Abschottung wirklich die einzigen Wege? Gibt es hier vielleicht Zwischentöne, wie etwa kontrollierte und demokratisch-streng bestimmte Einwanderungszahlen? Und wenn ja, ist es vielleicht wirklich so eine dumme Idee, eine Mauer zu Mexiko bauen zu wollen, über deren Überquerung dann der amerikanische Souverän entscheidet?

Auch wenn man berechtigte Zweifel haben darf, dass Donald Trump für diese westliche Konsolidierungsphase der richtige Mann sein wird: Seine Wahl beweist, dass jene, die nun als Totengräber der Aufklärung beschimpft werden, die institutionellen Möglichkeiten der liberalen Demokratie nutzen, um ihrem Frust Luft zu machen. Was ist das sonst, wenn nicht der nochmalige Beweis der westlichen Kraft zur Selbstkorrektur?

Der Westen muss sich – mal wieder – mit sich selbst beschäftigen – und zwar fundamental. Die Wirtschaftsbosse und Gewerkschaftsführer, die Militärstäbe und Zivilvereine, die Hollywood-Schauspieler und Popmusiker, die Schriftsteller und Journalisten, und insbesondere die linksliberalen und konservativen politischen Eliten, deren Vertrauensverlust unübersehbar ist: Sie alle müssen sich dem Zorn stellen, um Respekt und Kraft zurückzugewinnen. Wenn dies gelingt, dann steht der Westen, mit Churchill gesprochen, größer und stärker auf, als er sich das jetzt vorstellen kann. Soetwas zu prognostizieren hat nichts mit hoffnungslosem Optimismus zu tun, für diese Zukunft

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Über Oliver Weber 12 Artikel
Oliver Weber wurde 1997 in Kelheim geboren. Er schreibt als freier Journalist für diverse Online- und Printpublikationen. Im Zentrum seiner Analysen, Kommentare und Essays steht das tagesaktuelle Geschehen aus Politik, Wirtschaft und Kultur."

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