Die Todesstrafe für Drogendelikte dient einer Monopolisierung des Drogenhandels durch eine Führungsschicht des Landes. Der Staatsgründer von Singapur baute sein Vermögen mit Schwarzhandel. Dafür wartet jetzt ein Dichter aus Malaysien im Gefängnis von Singapur auf seinen Henker. Von Johannes Schütz.
In Singapur wird das Todesurteil durch Erhängen vollstreckt, mit einer Bodenklappe, die mit einem Hebel schlagartig geöffnet wird, der Verurteilte stürzt in den Abgrund, um seinen Hals ein langes Seil geschlungen, in der Fachsprache der Henker genannt „long drop“. So bestimmt es der Criminal Procedure Code von Singapur in Abschnitt 316 über die Todesstrafe:
„316. Where any person is sentenced to death, the sentence must direct that the person must be hanged by the neck until the person is dead but must not state the place where nor the time when the sentence is to be carried out“.
(Singapore Statutes: Criminal Procedure Code 2010, „316 Judgment of death“, Status: 3. 6. 2025)
Im Gefängnis von Changi werden die Prügelstrafen, mit dem Stock als „caning“, zweimal die Woche vollzogen. Dort warten die Verurteilten zum Tode auf die Hinrichtung, routinemäßig am Freitag kurz vor Sonnenaufgang exekutiert.
Im Todestrakt von Changi schreibt jetzt Pannir Selvam Pranthaman, ein Christ aus Malaysien, seine Gedichte, als Rufe aus dem Verlies der Hoffnungslosigkeit, die die Welt erreichen sollen. Die Richter in Singapur sprachen über ihn das Todesurteil.
Angehörige von Minderheiten diskriminiert
Aufgrund des hohen Anteils an chinesischer Bevölkerung wird Singapur als chinesisches Land betrachtet. Die Bevölkerung von Singapur sind zu 75,6 % Chinesen, 15,1 % Malaysen, 7,6 % Inder, 1,7 % Sonstige.
(Singapore Department of Statistics: Population in Brief 2024, Singapore, September 2024, S. 24)
United Nations Human Rights Office brachte deutlich die Besorgnis zum Ausdruck, dass Angehörige von Minderheiten bei Todesurteilen von der Justiz in Singapur diskriminierend behandelt werden:
„They also raised concerns about discriminatory treatment of individuals belonging to minorities“.
(United Nations Human Rights Office of the High Commissioner, „Singapore: UN experts condemn continued use of death penalty for drug-related crimes“, Press Release, 28. 4. 2023, www.ohchr.org/en/press-releases/2023/04/singapore-un-experts-condemn-continued-use-death-penalty-drug-related-crimes
Beim Todesurteil für vorgebliche Drogendelikte besteht die Gefahr, dass Drogen unterschoben werden und die obligatorische Hinrichtung aus politischen Motiven durchgeführt wird. Die Experten für Menschenrechte der UNO forderten deshalb zu Recht mehrfach, dass Singapur die Exekutionen für Drogendelikte beendet:
„Singapore must implement an immediate moratorium on executions for drug offences“.
(United Nations, „Singapore: Rights experts call for moratorium on executions for drugs offences“, 29. 7. 2022)
Despot von Singapur
In Singapur herrscht der chinesischstämmige Clan der Lee seit Jahrzehnten, aufgebaut von Staatsgründer Lee Kuan Yew, der von 1959 bis 1990 das Land führte, er blieb der entscheidende Mann im Hintergrund, bis zu seinem Tod, auch bei seinem Nachfolger Goh Chok Tong.
Die drei Kinder des Tyrannen von Singapur erhielten wichtige Funktionen, sein älterer Sohn Lee Hsien Loong übernahm die Macht von 2004 bis 2024. Seine Tochter Lee Wei Ling, eine Neuropsychiaterin, war Direktorin des National Neuroscience Institutes. Der jüngere Sohn Lee Hsien Yang war Brigadegeneral der Infanterie Singapurs, danach CEO von Singapore Telecommunications und Vorsitzender der Luftfahrtbehörde.
Im Nachruf auf den mächtigen Despoten von Singapur, befand The Atlantic, dass Lee Kuan Yew ein repressives Regime einrichtete. Menschenrechte wurden verhöhnt, Pressefreiheit untersagt, Regimekritiker inhaftiert:
„Lee tolerated no dissent and jailed regime critics without trial, and despite their wealth, Singaporeans do not enjoy a free press, freedom of speech, or freedom of assembly. Critics have also accused Lee of nepotism“.
(Matt Schiavenza, „Lee Kuan Yew’s Giant Legacy“, The Atlantic, 22. 3. 2015, www.theatlantic.com/international/archive/2015/03/lee-kuan-yews-giant-legacy/388385)
In Deutschland wollte auch „Die Zeit“ deutliche Worte über die brutale Staatsphilosophie von Singapur finden. Matthias Naß schrieb über Lee Kuan Yew:
„Er knebelte die Presse. Oppositionelle trieb er mit Verleumdungsklagen in den finanziellen Ruin. Drogendealer schickte er gnadenlos in den Tod, verteidigte die Prügelstrafe“.
(Matthias Naß, „Der brutale Visionär“, Die Zeit, 25. 3. 2015, www.zeit.de/politik/ausland/2015-03/nachruf-lee-kuan-yew-singapur-politiker)
Verfolgt vom autoritären Regime
Am 15. Mai 2024 wurde Lawrence Wong als Staatschef von Singapur eingesetzt, wie seine Vorgänger gehört auch er zur People’s Action Party.
Doch Lee Hsien Yang, der jüngere Sohn des Staatsgründers, floh bereits 2022 aus dem Land, obwohl sein älterer Bruder noch Oberhaupt von Singapur war. Er erklärte, dass er einer Verfolgungskampagne des autoritären Regimes von Singapur ausgesetzt sei. Lee Hsien Yang unterstützte eine Partei der Opposition, offenbar auch in der Hoffnung, damit die Macht in Singapur zu übernehmen. Das zeigt ein Telefongespräch, das Bloomberg mit ihm führte. Demnach wäre schon 2020 in Erwägung gezogen worden, dass Lee Hsien Yang als Staatschef kandidiert. Noch 2023 wollte er auf die mögliche Führungsrolle nicht verzichten:
“A lot of people have come to me. They really want me to run. It’s something I would consider“.
(Philip Heijmans, „Singapore PM Lee’s Estranged Brother Weighs Presidential Run“, Bloomberg, 3. 3. 2023, www.bloomberg.com/news/articles/2023-03-03/singapore-pm-s-estranged-brother-weighs-running-for-president)
Lee Hsien Yang wurde im August 2024 Asyl in Großbritannien gewährt. Er kritisierte die kriminellen Umtriebe und unlauteren Geschäfte, die die Politik von Singapur dominieren. In einem Interview mit The Guardian bezeichnete er die Regierung als repressiv. Der Finanzplatz sei verwickelt in internationale Korruption. Singapur nehme bei schmutzigen Transaktionen eine Schlüsselrolle ein, bei Geldwäsche, bei Drogengeldern und Kryptogeld, beim Waffenhandel.
“Lee Hsien Yang said: (…) There is a need for the world to look more closely, to see Singapore’s role as that key facilitator for arms trades, for dirty money, for drug monies, crypto money.”
(Tom Burgis and Amy Hawkins, „Son of Singapore founder says ‘campaign of persecution’ forced him to seek asylum in UK“, The Guardian, 22. 10. 2024, www.theguardian.com/world/2024/oct/22/son-of-singapore-founder-says-campaign-of-persecution-forced-him-to-seek-asylum-in-uk-lee-hsien-yang)
Schmutzige Geschäfte
Lee Kuan Yew erzählte in seinen Memoiren offen, wie er, noch während des Krieges unter japanischer Besatzung, zu einem vermögenden Mann wurde.
(Lee Kuan Yew: The Singapore Story: Memoirs of Lee Kuan Yew. Singapore: Times Edition, 1998)
Er war als Händler am Schwarzmarkt tätig, hamsterte dafür Güter und verkaufte diese zu hohen Preisen. Dafür wurde er Mitglied in einem Kartell, das Lebensmittel, Medikamente und Rauschstoffe hortete:
„I joined them in 1944,and learnt how to hoard items (…) It was easy to make money if one had the right connections“.
Zu den lukrativen Waren zählten britische Pharmazeutika, Zigaretten, Spirituosen, Whisky und Brandy. Doch besonders viel Geld verdiente er mit einem weißen Pulver, das laut Lee Kuan Yew als Tapiokamehl bezeichnet wurde. Demnach veränderte der Erfolg mit dem weißen Pulver sein Leben:
„One business I started changed the course of my life“.
Death Row Literature: Verse aus der Todeszelle
Der Dichter Pannir Selvam Pranthaman wartet jetzt im Changi Prison auf seinen Henker. Inzwischen arbeitet er noch an Liedtexten, die populäre Musiker aus Malaysien als Songs in die Öffentlichkeit bringen.
Das Lied „Arah Tuju“ (Richtung) erzählt von den Gefühlen der Todeskandidaten von Changi. Der Text wurde vom malaysischen Sänger Shanthesh Kumar interpretiert. In „Bukan Sekadar Hikayat“ (Not just a Story) denkt Pannir Selvam wehmütig an seine Heimat Malaysien, als Song produziert 2021 von Saint T.F.C (Samson Thomas). „Di Sebalik Pintu Besi“ (Hinter der Eisentür), im August 2022 von Kidd Santhe und DJ Dave als Song vorgetragen, ist ein Poem von der Einsamkeit in der Zelle des Todes.
Hinter der Eisentür
wenn Stille mein Herz ergreift,
zittert meine Seele, ich fange an zu suchen,
frage, wo du bist,
mein Atem flüstert deinen Namen,
ich kann nicht zu Ende sprechen,
alles in meiner Brust öffnet sich,
du fängst an, dich umzudrehen,
gibst mir keine zweite Chance
(Textauszug)
Originalfassung:
Di Sebalik Pintu Besi
SAAT SUNYI MENCENGKAM HATI,
TERGENTAR JIWA KU MULA MENCARI,
BERTANYA DIMANA DIRIMU,
HEMBUSAN NAFAS KU BISIK NAMAMU
TAK SEMPATKU HABIS BICARA,
TERBUKA SEGALANYA DI DADA,
ENGKAU MULA BERPALING TADAH,
ENGGAN MEMBERI KE PELUANG KEDUA
Bekannt wurde von Pannir Selvam auch eine Elegie, „Death Row Literature“, die er am 27. April 2022 schrieb, er betrauerte den Tod eines Kameraden aus dem Todestrakt von Singapur, der an diesem Tag gehängt wurde.
Pranthaman Rajoo, der Vater von Pannir Selvam, wirkte als Pastor in einer evangelikalen Gemeinde in Malaysien, in der Emmanuel Tamil Assembly Church in Gunung Rapat. Pannir Selvam begleitete die Messen als Musiker, mit Gitarre und Keyboard. Seine Geschwister unterstützen Pannir Selvam bei dem Kampf um sein Leben.
Proteste bewirkten Aufschub der Exekution
Der Malaysier Pannir Selvam wurde in Singapur zum Tode verurteilt, mit der Beschuldigung, er hätte 51,84 Gramm Diamorphine importiert. Pannir Selvam wurde 2014 verhaftet, er war damals 27 Jahre alt.
Die Hinrichtung hätte im Morgengrauen des 20. Februar 2025 vollstreckt werden sollen. Doch bewirkten Proteste internationaler Organisationen, auch urgent action von Amnesty International, einen Aufschub der Exekution:
www.amnesty.de/mitmachen/urgent-action/singapur-berufungsverfahren-koennte-hinrichtung-verhindern-2025-04-24
The Commonwealth Lawyers Association forderte die Regierung von Singapur auf, die internationalen Standards bei den Menschenrechten einzuhalten. Der Staatspräsident solle die Hinrichtung von Pannir Selvam Pranthaman verhindern.
(Commonwealth Lawyers Association, „CLA Statement on the execution of the Death Penalty in Singapore Pannir Selvam Pranthaman“, 19. 2. 2025, www.commonwealthlawyers.com/wp-content/uploads/2025/02/CLA-Statement-on-Death-Penalty-Singapore_final.pdf)
Nächster Termin im August
Die Berufungsverhandlung von Pannir Selvam Pranthaman wurde vom Gericht in Singapur für den 7. Mai 2025 angesetzt. Die Pressestelle von Amnesty International Deutschland teilte dazu auf Anfrage mit:
„Am 7. Mai verhandelte das Berufungsgericht von Singapur über eine Anfechtung der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Schuldvermutung sowie über die Berufung, die Pannir Selvam Pranthaman eingelegt hatte, als seine Hinrichtung im Februar bevorstand. An diesem Tag wurden keine Entscheidungen getroffen, und die nächste Anhörung wird voraussichtlich im August stattfinden“.
(Amnesty International Deutschland, Pressesprecherin Ellen Wesemüller, Email, 5. 6. 2025)
Internationale Organisationen verurteilen Singapur
Die Justiz in Singapur wird von internationalen Organisationen verurteilt.
Human Rights Watch befand im World Report 2025, dass in Singapur weiter Hinrichtungen durchgeführt werden, auch für Drogendelikte, obwohl inzwischen zahreiche Länder die Todesstrafe beendeten. In Singapur wurden Exekutionen befohlen, auch wenn Berufungen noch nicht vollständig bearbeitet waren. Die Regierung von Singapur führte Gesetze ein, die die Rechte von Gefangenen mit Todesurteilen weiter einschränken:
„While the global trend is towards abolishing the death penalty, Singapore maintains its use for a range of crimes, including drug-related offenses. This year, the government issued execution notices to individuals convicted of drug-related offenses, even as their appeals were pending, and introduced legislation that further impedes the rights of prisoners in capital cases“.
(Human Rights Watch, World Report 2025, New York, 2025, S. 407)
Der Oberste Gerichtshof von Singapur deckt die Todesstrafen. Die International Commission of Jurists (ICJ) forderte eine Beendigung dieser Exekutionen:
„International Commission of Jurists, „Singapore: Halt executions and cease punitive cost orders against death-row lawyers“, 9. 8. 2022, www.icj.org/singapore-halt-executions-and-cease-punitive-cost-orders-against-death-row-lawyers
Monopol beim Drogenhandel
Drogengebrauch wird man kritisch betrachten und ablehnen, dennoch wird man mit Todesstrafen für Drogendelikte nicht einverstanden sein. Mit dem Todesurteil für Drogenbesitz werden die gesellschaftlichen Zusammenhänge verwischt und ignoriert.
Drogendelikte können als defensive Tat beurteilt werden, während beispielsweise ein Raubüberfall ein offensives Vergehen bedeutet. Durch die Gabe von Drogen muss nicht zwangsläufig eine Beschädigung intendiert sein. Durch den Übergriff bei einem Raub entsteht jedenfalls ein Schaden, der enorm sein kann.
Dies gilt auch für brutalen Menschenhandel. Lee Kuan Yew, der Patriarch von Singapur, berichtete in seinen Memoiren von einem Kumpel aus Shanghai, gemeinsam mit ihm habe er in der Nachkriegszeit Kulis angeboten. Der Handel mit Kulis, das ist eine alte Tradition in Singapur, mit der so mancher Patron mehr Geld machte als mit dem weißen Pulver, das Tapioka genannt wird. Aus Berichten von Zeitzeugen ist bekannt, dass die Kulis so lange geprügelt wurden, bis sie bereit waren, die befohlenen Arbeiten zu verrichten. Das chinesische Schriftzeichen für Kuli bedeutet: Bitterer Zwang (苦力).
Auch sollte in einem gesunden Umfeld die Problematik des Drogengebrauchs nur marginal sein. Es gibt vielfältige Möglichkeiten, für staatliche und gesellschaftliche Initiativen, für Aufklärung zu sorgen und Alternativen zu bieten.
Die Todesstrafe für Drogendelikte muss deshalb als Überreaktion beurteilt werden, deren eigentliche Bedeutung durch eine tiefere Analyse erkannt wird. Diese Todesstrafe kann nur erklärt werden, mit dem Ziel einer Monopolisierung des Drogenhandels, die von einer Führungsschicht des Landes angestrebt wird.
Links:
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