Boethius und Augustinus – Zwei Wege zur Trinität, ein Denken der Einheit

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Wer den Geist der Spätantike begreifen will, der darf nicht nur ihre Krisen betrachten, sondern muss jene inneren Architekturen studieren, die das neue Gebäude des christlichen Denkens vorbereitet haben – oft in aller Stille, in Klöstern, Studierstuben oder, wie bei Boethius, im Gefängnis. Es gibt wenige Werke, die so unzeitgemäß im besten Sinne erscheinen wie die „Trinitätsschriften“ (Quomodo Trinitas unus Deus sit), in denen sich Boethius nicht als Trostphilosoph, sondern als systematischer Denker präsentiert – als Theologe, der mit den Mitteln des Aristoteles und des Neuplatonismus dem Mysterium der christlichen Offenbarung Gestalt verleihen will.

Im Vergleich mit Augustinus

Man vergleiche dies mit Augustinus – dem Bischof von Hippo, dem Kirchenvater, dem religiösen Genie, dessen „De Trinitate“ ein monumentaler Versuch ist, das trinitarische Denken in das Bewusstseinsleben des Menschen selbst einzuschreiben. Augustinus denkt die Trinität vom Subjekt her, Boethius hingegen vom Begriff. Das eine ist psychologisch-genetisch, das andere metaphysisch-logisch. Doch beide vereint ein Gedanke: Die Trinität ist nicht bloß ein Dogma, sondern ein Geheimnis, das sich dem Denken nicht entzieht, sondern es herausfordert, sich selbst zu übersteigen.

Augustinus: Die Trinität im Herzen der Seele

Für Augustinus ist der Mensch Bild Gottes (imago Dei), und dieses Bild offenbart sich in den innersten Strukturen des Bewusstseins: Gedächtnis (memoria), Erkenntnis (intelligentia) und Wille (voluntas) bilden das trinitarische Urmuster des menschlichen Geistes. Das Göttliche ist nicht außerhalb, sondern in der Tiefe des Ichs auffindbar – als Spiegelung der göttlichen Einheit in der Vielheit des inneren Lebens. Diese psychologische Trinitätslehre ist nicht bloß spekulativ, sondern mystagogisch: Wer denkt, meditiert, betet, durchwandert die inneren Stationen der göttlichen Selbstoffenbarung.

Doch Augustinus ist sich der Grenzen dieser Analogie bewusst. Die göttliche Trinität ist ewig, unwandelbar, vollkommen – das menschliche Denken dagegen zersplittert, durch die Sünde verwundet. Und dennoch bleibt der Versuch gültig: Die Trinität muss als inneres Erleben verstanden werden, nicht nur als metaphysische Formel.

Boethius: Die Trinität als begriffliche Einheit

Boethius hingegen tritt als Philosoph auf, nicht als Bischof. Sein Zugriff ist weniger existential als ontologisch. In der Schrift „Quomodo substantiae bonae sint, cum non sint substantialia bona“ – ein klassisches Beispiel seiner theologischen Logik – stellt er die Grundfrage nach der Beziehung von Sein und Gutheit, Substanz und Qualität. Die Trinität wird bei ihm unter dem Begriff des Substantia analysiert: Gott ist una substantia, aber tres personae. Boethius bemüht sich, mit den Mitteln der spätantiken Logik diese scheinbar widersprüchliche Aussage zu entschärfen, ohne in Arianismus oder Modalismus zu verfallen.

Für ihn ist die Person nicht ein individuelles Wesen, sondern eine „vernunftbegabte Substanz individueller Natur“ – eine Definition, die später Thomas von Aquin aufgreift und zur systematischen Grundlage der Scholastik macht. Boethius’ Trinitätsdenken bewegt sich damit im Grenzgebiet zwischen Philosophie und Theologie, zwischen aristotelischer Substanzlehre und christlicher Offenbarung.

Wo Augustinus das innere Bild sucht, sucht Boethius die formale Klarheit. Wo Augustinus meditiert, analysiert Boethius. Und doch streben beide auf denselben Punkt zu: eine Sprache zu finden für das Unaussprechliche, eine Ordnung des Denkens für das Übervernünftige.

Zwei Denkwege – eine Einheit

Die Spannung zwischen Augustinus und Boethius ist keine Opposition, sondern eine Polarität: Die eine Richtung führt von innen nach außen, die andere von außen nach innen. Augustinus bringt die trinitarische Idee in das Herz des Menschen, Boethius ins Zentrum der Metaphysik. In einer Zeit, in der die Theologie zunehmend vom Mystischen ins Akademische wanderte, markieren diese beiden Gestalten die große Wende: von der Innerlichkeit zur Systematik.

Und gerade hier liegt eine Lehre für uns Heutige: In der gegenwärtigen Auflösung der Kategorien – in der Ent-Göttlichung des Denkens und der Psychologisierung des Glaubens – erinnern uns Boethius und Augustinus daran, dass das Denken des Göttlichen sowohl Klarheit wie Tiefe verlangt. Dass es nicht reicht, zu fühlen oder zu glauben, sondern dass der Verstand – geschult, geschärft, geopfert – das einzige Gefäß ist, das der Wahrheit Form geben kann.

Wenn Augustinus sagt: „Ich glaube, um zu verstehen“, und Boethius zeigt, wie sich das Verstandene im Licht des Glaubens ordnen lässt, dann sprechen sie beide mit einer Stimme: Die Wahrheit ist nicht Besitz, sondern Bewegung. Die Trinität ist kein Rätsel, das verwirrt, sondern ein Geheimnis, das anzieht. Und das Denken – recht verstanden – ist nichts anderes als ein Nachvollzug dieser göttlichen Bewegung: von der Einheit zur Vielfalt, von der Vielfalt zurück zur Einheit.

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2263 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".