Bruno Cassirer: Verleger, Kunstmäzen, Großmeister des Trabrennsports

Pixabay: Bruno Cassierer von Max Liebermann

Bruno Cassirer, geboren 1872, im erzwungenen Exil 1941 gestorben, darf als der bedeutendste Verleger von Büchern über Kunst und Künstler hierzulande im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gelten. Als Galerist war er gemeinsam mit seinem Vetter Paul ein kluger Wegbereiter des Verständnisses für den französischen Impressionismus in Deutschland. Viele bildende Künstler von Rang, vor allem Max Slevogt und Max Liebermann, die auch viele seiner Werke illustrierten, verdanken ihm ihre Bekanntheit. Nicht zuletzt war seine Zeitschrift „Kunst und Künstler“ in diesen Jahrzehnten das wichtigste deutschsprachige Periodikum zur Kunstvermittlung.

Mit Leidenschaft verlegte Cassirer vor allem aber seine Bücher. Kein anderer Verleger legte mehr Wert auf die graphische und haptische Gestaltung. Zwei seiner Lektoren – Christian Morgenstern und Max Tau, Letzterer nach der Shoa der erste Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels – entdeckten im kongenialen inhaltlichen Zusammenspiel mit Cassirer eine ganze Anzahl wichtiger Autoren der deutschen Literatur. Robert v. Lucius gibt hier wichtige Hinweise, ohne langatmig zu werden. Die Liste ist indessen mehr als prominent besetzt: Max Beckmann, Ernst Bloch, Marc Chagall, Else Lasker-Schüler, Ferdinand Lassalle, Georg Lukács, Heinrich Mann, Christian Morgenstern, der zugleich einer seiner Verlagslektoren war, sodann Ernst Toller und Frank Wedekind, dazu die bereits Genannten, Liebermann und Slevogt. In den späten Jahren stieß ein junger Lektor dazu, dessen Namen auch im Gedächtnis blieb: Max Tau.

Die Cassirers als Familie waren auf selbstverständliche Weise höchst intellektuell; zu Bruno engerer Verwandtschaft zählte der bedeutende Philosoph Ernst Cassirer. Die große Passion des Privatmanns Bruno Cassirer im bürgerlichen – ja, eher großbürgerlichen – Berlin der wilhelminischen Zeit des Kaiserreiches war indessen der Trabrennsport. Als Herr von Format, als Unternehmer, als Visionär war er Mentor und Ermöglicher einer fast unüberschaubar großen Zahl von Trabrennen über drei Jahrzehnte hinweg; nicht zuletzt verdankt ihm die Berliner Trabrennbahn Mariendorf ihre Rettung vor Bankrott und Abriss. Erst gegen Ende und in einem Kapitel, das gerne eine Spur ausführlicher hätte sein dürfen, schildert der Autor diese faszinierende Seite Cassirers.

Stück für Stück wurde Bruno Cassirer in der Zeit des Nationalsozialismus als Unternehmer verfemt und entrechtet, Robert von Lucius spricht unaufgeregt harte Wahrheiten klar aus, ohne jedoch seinen feinen, immer etwas distanzierten Tonfall zu verlassen. Ja, aus allen ehrenamtlichen Funktionen im Trabrennsport, wo er nicht zuletzt als Finanzier auftreten konnte, wurde Cassirer auf schäbigste Weise hinausgedrängt. 1938 blieb nur noch die Flucht – Großbritannien war für ihn ein rettendes Ufer. Ebenfalls 1938 gründete er bereits einen Verlag in Oxford. Wieder war er erfolgreich, doch er wurde nie heimisch auf der britischen Insel.

1941 starb Bruno Cassirer, und es drängt sich der Eindruck auf, als sei er fast ganz aus Heimweh gestorben. Robert v. Lucius entwickelt diese Nuancen dieser Tragik mit immens viel Feingefühl. Ein Vergleich mit dem im Literaturbetrieb kaum weniger bedeutenden Max Tau, den der Autor persönlich gut kannte, kommt ihm dabei zupasse. Immer wieder finden sich Belege dafür, daß Bruno Cassirer aus einer sehr bedeutenden, jüdischen Intellektuellenfamilie kam. Fast vergleichbar mit den Mendelssohns, die rund ein Jahrhundert früher in Berlin wirkten, zählen die Cassirers zu den wirkmächtigsten Familien der jüngeren deutschen Geistesgeschichte, zu den Baumeistern des deutschen Bürgertums im besten und liberalen Sinne.

Dem Aufkommen des rassisch begründeten Antisemitismus, dem ein Erstarken des Nationalsozialismus und dessen Machtübernahme folgten, begegnete Cassirer mit Sätzen wie diesem, den Robert von Lucius in seinen Aufzeichnungen fand: „Man gewinnt am meisten, wenn man da noch lächeln kenn, wo man eigentlich zuschlagen möchte.“ Bei alledem bescheinigten ihm Freunde und Wegbegleiter einen „Charakter von Intimität und Gediegenheit“.

Mit erzwungenem Exil, eklatanter Entrechtung, entsetzlicher Ermordung erlosch dieses Bürgertum, dem die Cassirers angehörten, durch die Hände sozialistisch – nota bene! – fundierter Akteure des Nationalsozialismus, denen das intellektuelle, philosophisch höchst gebildete, international weitblickende Bürgertum zutiefst verhaßt war. Weil sie es weder ermessen noch verstehen konnten. Wieviel aber Bruno Cassirer verstand, wie weit er blickte, das zeigt Robert v. Lucius mit seinem neuen, sehr gelungen Buch im höchst praktischen Handgepäckformat, das als Nr. 341 der Reihe „Jüdische Miniaturen“ beim renommierten Verlag Hentrich & Hentrich erschienen ist.

Die Rolle von Bruno Cassirer wird demnächst auch in einer Ausstellung gewürdigt, die unter dem Titel steht: „Auf zu neuen Werken! – Max Slevogt und sein Verleger Bruno Cassirer“. Das aktuelle Büchlein ist auch hier eine ideale Lektüre zur Vorbereitung, doch bereits am 27. November 2025 startet diese Kunst-Kultur-Schau, bis zum 8. März 2026 ist sie im Landesmuseum Mainz zu sehen. Erstmals geht es hier intensiv um die einzigartige Zusammenarbeit zwischen dem bedeutendsten deutschen Impressionisten und dem einflussreichsten Verleger Berlins und der Weimarer Republik, Bruno Cassirer.

Grundlage der Cassirer-Slevogt-Ausstellung ist die weitgehend unveröffentlichte Korrespondenz, die zahlreiche neue Erkenntnisse über ihre Erfolgsstory, die Zeitgeschichte, ihr Netzwerk sowie das persönliche Verhältnis dieser beiden herausragenden Persönlichkeiten liefert. Die Ausstellung wandert danach ins Saarlandmuseum Saarbrücken, und schließlich in Liebermanns ehemalige Villa am Wannsee in Berlin – die mit dem Garten. So paßt dieses handliche Buch bestens in die Zeit, es kommt gerade zum richtigen Zeitpunkt, es ist eine so lehrreiche wie amüsante Lektüre; recht viele Leser seien diesem kleinen literarischen Schmuckstück gewünscht.

Robert v. Lucius, Bruno Cassirer – Verleger, Kunsthändler und Mentor des Trabrennsports, Leipzig 2025, 74 Seiten, Broschur, 20 Abbildungen, ISBN 978-3-95565-740-6; 8,90 Euro.

Cover

Robert v. Lucius, Bruno Cassirer – Verleger, Kunsthändler und Mentor des Trabrennsports, Leipzig 2025, 74 Seiten, Broschur, 20 Abbildungen, ISBN 978-3-95565-740-6; 8,90 Euro.

Bruno Cassirer.*oil on canvas.*75 x 56.2 cm..*signe t.r.: M Liebermann 21
Über Sebastian Sigler 120 Artikel
Der Journalist Dr. Sebastian Sigler studierte Geschichte, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Bielefeld, München und Köln. Seit seiner Zeit als Student arbeitet er journalistisch; einige wichtige Stationen sind das ZDF, „Report aus München“ (ARD) sowie Sat.1, ARD aktuell und „Die Welt“. Für „Cicero“, „Focus“ und „Focus Money“ war er als Autor tätig. Er hat mehrere Bücher zu historischen Themen vorgelegt, zuletzt eine Reihe von Studien zum Widerstand im Dritten Reich.