Die Karaganow Doktrin – Russland und China herrschen über die Welt

Sergej Karaganow mit dem russischen Präsidenten Putin (Foto: Karaganow)

Sergej Karaganow ist der Ideologe russischer Großmachtphantasien. Er will eine neue Weltordnung schaffen. Dafür setzt er auf eine enge Allianz mit China. Als entscheidender Berater des russischen Präsidenten Putin. Von Johannes Schütz

„1993 war ich Leiter einer von zwei Gruppen, die eine nationale Idee ausarbeiteten. Heimlich, im Kreml. Meine Gruppe tagte sogar in Stalins ehemaligem Arbeitszimmer“, so das Bekenntnis des führenden russischen Politologen Sergej Karaganow in einem Beitrag für die Wochenzeitung Argumenty i Fakty.

в Кремле … кабинете Сталина

Es ging um die systematische Konzeption einer neuen nationalen Ideologie, von Karaganow als „russische Idee“ vermittelt, in manchen Publikationen seines Landes auch „russischer Traum“ genannt. Ein Programm wurde entwickelt, das „dem sehr ähnlich war, was ich jetzt sage„, betonte Karaganow.  Zwar muss er bedauern, dass damals die russische Elite noch nicht bereit war, diese Vorstellung anzunehmen, doch sei jetzt die Gesellschaft „reif dafür. Vielleicht sogar überreif“.

Das Gespräch mit Karaganow führte Witalij Tsepljaew für Argumenty i Fakty im Juli 2021, somit nur rund sieben Monate vor dem russischen Angriff auf Kiew und Kherson. Der Einblick in die Welt von Karaganow wurde veröffentlicht mit dem Titel:
Trotz Satanisierung. Sergej Karaganow über den neuen Kalten Krieg und die russische Idee.
(Виталий Цепляев, „Сатанизации вопреки. Сергей Караганов о новой холодной войне и русской идее“, Аргументы и Факты,  2021, Nr. 29, 21. 7. 2021, https://aif.ru/politics/world/satanizacii_vopreki_sergey_karaganov_o_novoy_holodnoy_voyne_i_russkoy_idee)

Karaganow will den nächsten Krieg gewinnen

Tsepljaew bezog sich mit seinen Fragen auf einen Text, den Karaganow rund einen Monat zuvor in der „Russischen Zeitung“ ( Rossiyskaya Gazeta) veröffentlichte:
„Russland muss nachdenken, wie der kalte Krieg gewonnen wird“.

Demnach war der Verlust des Imperiums, nach der Auflösung der Sowjetunion, für viele Russen schmerzhaft. Ein erheblicher Teil des Territoriums und der Bevölkerung ging dadurch verloren. „Jeder Patriot unseres Landes betrauert den Verlust der von unseren Vorfahren annektierten Gebiete„, erklärte Karaganow.

Karaganow verglich die aktuelle Situation mit den fünfziger Jahren. Ein neuer kalter Krieg solle entstehen, aus dem Russland als Sieger hevorgehen kann. Das wäre eine „Chance, die man nicht verpassen darf“ (Шанс, который нельзя упустить), so schrieb Karaganow als Einleitung zu einem Nachdruck des Beitrags.

Ein Gespräch von Putin mit dem amerikanischen Präsidenten Biden wurde am 16. Juni 2021 in Genf geführt. Doch nur rund eine Woche später, am 25. Juni, wurde der Beitrag von Karaganow in der Russischen Zeitung veröffentlicht.
(Сергей Караганов, „России надо думать, как победить в холодной войне“, Российской газете, 25. 6. 2021, Федеральный выпуск Nr. 139(8490, www. HYPERLINK „http://www.rg.ru/2021/06/25/karaganov-rossii-nado-dumat-kak-pobedit-v-holodnoj-vojne.html“rg.ru/2021/06/25/karaganov-rossii-nado-dumat-kak-pobedit-v-holodnoj-vojne.html)

Krieg erst am Anfang

Tsepljaew versuchte in dem Interview, die Situation zu beruhigen. Argumenty i Fakty wurde einst als liberale Wochenzeitung konzipiert. Witali Tsepljaew schreibt seit 1997 für Argumenty i Fakty, absolvierte zuvor an der Fakultät für Journalistik der Moskauer Staatlichen Universität. Er verwies auf das Treffen von Putin mit Biden in Genf. Damit wäre doch ein Rückzug vom Rande des Abgrunds geschehen. „Sind Sie nicht dieser Meinung“ (Не согласны?), so lautete die einleitende Frage von Tsepljaew.

Doch Karaganow wollte einer solchen Friedenspolitik nicht folgen und bekräftigte seine Position mit Entschlossenheit:
„Natürlich unterscheidet sich der aktuelle Kalte Krieg vom vorherigen. Aber er steht erst am Anfang“.

Karaganow machte deutlich, es soll folgen der Aufbau einer neuen Weltordnung (нового мирового порядка). Dabei könne es einen Gegenangriff des Westens geben, doch wird dieser seine Position als „Hegemonialmacht“ verlieren, militärisch, politisch, wirtschaftlich und kulturell (что он больше не гегемон — военный, политический, экономический и культурный).

Russland wird Supermacht

Zwei Schlüsselbegriffe in der geistigen Welt von Karaganow sind:
Elite, Supermacht.
Dementsprechend widmet die Politologie von Karaganow bevorzugt sich zwei Fragen:
Wer ist Supermacht? Wie wird Russland Supermacht?

Das Ende der Sowjetunion bewertet Karaganow als eine Niederlage und betrachtet danach sein Land, mit einer pro-westlichen Einstellung und der versuchten Rückkehr nach Europa, „auf den Knien“. Doch wäre in den Jahren von 2000 bis 2010 ein „Aufstehen von den Knien“ gelungen (вставания с колен), dann in den 2010er Jahren  die Wiederherstellung als eine erstklassige Großmacht (статуса первоклассной великой державы). Nach dem „Sieg“ wird die Geschichte sich fortsetzen und es werden weitere Anstrengungen erforderlich sein (Ну, а потом, после «выигрыша»).
(Siehe Karaganow, Rossiyskaya Gazeta, 25. 6. 2021.
auch Sergej Karaganow, „Russian Foreign Policy: Three Historical Stages and Two Future Scenarios“, Russian Politics, 2021, Jg. 6, H. 4, S. 416 – 434)

Der nationale Stolz der Russen wurde durch die Kämpfe in Tschetschenien und Georgien, sowie die Übernahme der Krim bereits geheilt:
„had to be cured by fighting in Chechnya and Georgia, and later by taking over Crimea“.
(Karaganow, Sergej, „Russia and the U.S.: A Long Confrontation?“, Russia in Global Affairs, 2014, No.3, 23. 9. 2014)

In der Betrachtung von Karaganow war eine Eskalation des Konflikts mit dem Westen, auch mit einer militärischen Konfrontation, wahrscheinlicher als Kompromisse:
„The more probable turn of events is an escalation of the confrontation, even up to a military clash“.
(Karaganow, 2014, „Russia and the U.S.: A Long Confrontation?)

Entsprechend führte Russland zu Beginn des Feldzuges in der Ukraine groß angelegte Militärübungen seiner strategischen Nuklearstreitkräfte durch. In diesem Aufsatz befand Karaganow, dass die russische Elite der Sieger ist. Die Krim wurde in die Russische Föderation eingegliedert. Die Nation ist voll des Stolzes:
„Crimea has been incorporated into Russia, the nation is buoyed by feelings of pride and self-esteem“.
(Karaganow, 2014, ebd.)

Neue Weltordnung geplant

Die Überlegenheit des Westens hätte nur eine historische Sekunde gehalten, für ungefähr fünfzehn Jahre, zwischen 1991 und 2007, so meint Karaganow:
„the West seemed to have regained supremacy for a historical second, for about fifteen years or so“.
(Karaganow, Sergej, „The new Cold War and the emerging Greater Eurasia“, Journal of Eurasian Studies, Jg. 9, H. 2, Juli 2018, S. 85 – 93)

Doch waren nach 1991 die Konflikte des kalten Krieges nicht beendet.In einem weiteren Aufsatz, der 2019 veröffentlicht wurde, diagnostiziert Karaganow einen progressiven Zerfall und Kollaps der internationalen Ordnung, die aus der Vergangenheit stammt. Einen solchen Zusammenbruch betrachtet Karaganow als Möglichkeit zu einer neuen Weltordnung:
„A period of collapse opens up possibilities for the creation of a new world order“.
(Karaganow Sergej und Dmitry Suslow, „A New World Order – A View from Russia“, Center for International Relations and Sustainable Development, 2019, H. 13)

Der Westen erscheint demnach bereits 2010 deutlich geschwächt und dieser Abstieg würde sich fortsetzen. Entscheidend für die Wiedergeburt Russlands als „great power“ wäre die Wende nach Asien, die 2008 und 2009 konzipiert wurde, dann 2011 und 2012 mit idelogischer Agitation tatsächlich begann, schließlich 2014 eine dramatische Verstärkung erhielt.

Demnach entwickelte Russland ein militärisches und politisches Potential, um die Grundlagen der internationalen Regeln zu erschüttern, die nach dem 2. Weltkrieg eingerichtet wurden. Die neue Konfrontation mit dem Westen wurde 2017 institutionalisiert:
„Moscow has employed military and political tools with enough success to shake the very foundations of the international rules established after Woirld War II. (…) By the beginning of 2017 the new confrontation was institutionalized and got all the elements of a long-term structural conflict“.
(Karaganow, 2018, „The new Cold War“)

Der Kampf um die Weltherrschaft könnte noch zwanzig Jahre geführt werden. Die neue Weltordnung wird, in der Prognose von Karaganow, eher in den 2030er oder 2040er Jahren sich durchsetzen, denn in den 2020er Jahren:
„The emergence of a new international order is more likely to occur in the 2030s or 2040s, than in the 2020s“.
(Karaganow Sergej und Dmitry Suslow, 2019, „A New World Order“)

Das Beste von Europa nehmen, dann Allianz mit Asien

Nachdem die russische Elite das Beste nahm, das Europa und der Westen bieten konnte, wollte diese nicht mehr dem westlichen Weg folgen. Sie gaben einer Allianz mit asiatischen Nachbarländern den Vorzug, mit der Perspektive von Greater Eurasia:
„But having taken all the best Europe and the West could offer (…) it does not want to keep moving along the Western path anymore and considers it disadvantegous. Instead having teamed up with Asian neighbors, it has started building (…) Greater Eurasian Partnership“.
(Karaganow, 2018, „The new Cold War“)

Musste 2004 noch der Aufstieg der neuen Supermacht organisiert werden, so wurde bereits 2019 der Abstieg der alten Mächte betrieben:
„15 years ago the purpose of the international system was thought to be managing the rise of the new powers, it would now (…) managing the decline of the old powers“.
(Karaganow Sergej und Dmitry Suslow, 2019, „A New World Order“)

Russland gewann den Status als sogenannter „top-level player“ durch die entschlossene Übernahme der Krim („resolutely swift takeover of Crimea„), die Unterstützung der Rebellen im Donbass („support of the rebellion in the Donbass„) und den bemerkenswerten Erfolg seiner Truppen in Syrien:
„The sense of victory (…) nationalized its elites“.
(Karaganow und Suslow, 2019, ebd.)

Russia´s Choice: Russland siegt gemeinsam mit China

Man konnte diese Position bereits erkennen im Beitrag „Russia`s Choice“, den Karaganow im Februar 2010 publizierte. Dabei befand der Berater von Präsident Putin, dass das autoritäre Regime der Volksrepublik China („the ability of its efficient authoritarian government„) dem westlichen Liberalismus überlegen sei:
„to the displeasure of their competitors and the ideologicdal advocates of political liberalism“.

Im militärischen Bereich wäre keine nukleare oder konventionelle Überlegenheit der westlichen Länder mehr vorhanden. Auch würden Social Media neue Möglichkeiten für einen Informationskrieg eröffnen.  Deshalb hätte Russland, zum damaligen Zeitpunkt eine Entscheidung zu treffen.
(Sergej Karaganow, „Russia`s Choice“, Global Politics ans Strategy, 2010, Jg. 52, H. 1, S. 5 -10).

„Russland und China werden gegen einen schwächeren Westen gewinnen“, so lautet das Credo von Sergej Karaganow. Das betonte Russlands führender Politiloge stets in seinen Publikationen seit 2010.
(„A ´New Cold War´ has already started, but Russian & China are winning against a `weakening` West“, Russian  International Affairs Council, 5. 8. 2021).

So erklärte Karaganow im Gespräch mit Argumenty i Fakty:  „Wir stehen einem viel schwächeren Westen gegenüber„. Die heutigen Beziehungen zwischen Russland und der Volksrepublik China wären eine herausragende Errungenschaft der russischen und chinesischen Politik. China steht jetzt auf der Seite Russlands und stelle eine riesige strategische Ressource dar, denn China ziehe einen Großteil der militärischen Macht des Westens auf sich.
(siehe „Сатанизации вопреки: Сергей Караганов“, Аргументы и Факты,  21. 7. 2021)

Greater Eurasia: Kampf um Deutschland

Die Kernaussage von Karaganow lautet: Greater Eurasia statt Greater Europe. Russland wird nicht mit der Europäischen Union kooperieren, sondern will gemeinsam mit China weit nach Europa vordringen, um so die Vorherrschaft am ganzen Kontinent zu übernehmen.

Die neue Weltordnung, die eine Dominanz von Russland und China schafft, soll vorerst bis an die Grenzen Nordwest-Europas reichen. Karaganow betont, dass die militärische Stärke der asiatischen Entente dies ermöglichen wird.

In der Folge wird eine Entscheidung notwendig werden: Entweder steht ein Land auf der Seite eines Greater West oder gehört zu Greater Eurasia. Karaganow betrachtet diesbezüglich mit freundschaftlichen Beziehungen zu Russland auch manche Staaten der Europäischen Union, dazu zählt er Ungarn und Österreich. Die große Frage bleibt für Karaganow, wo wird Deutschland enden:
„auf der einen Seite wird Greater America stehen, die USA mit Nordwesteuropa, auf der anderen Seite Greater Eurasia, zu dem auch einige Länder Mittel- und Südeuropas gehören werden. Die große Frage ist, wo Deutschland in dieser Konstellation stehen wird, um das wird derzeit gekämpft“ (где при таком раскладе окажется Германия, за нее сейчас идет борьба).
(siehe „Сатанизации вопреки: Сергей Караганов“, Аргументы и Факты,  21. 7. 2021)

Feindesland

Als Feinde der Supermacht Russland betrachtet Karaganow selbstverständlich die USA, aber auch Polen, Großbritannien und die baltischen Staaten (конечно, Польша, Британия, прибалты). Tschechien stünde zwar ebenfalls auf einer Liste der „unfreundlichen Staaten“, doch befindet Karaganow, dass man die Tschechen zwar zuerst bestrafen, danach aber ihnen vergeben sollte (чехов примерно наказать, а потом простить).

Vor Hawaii sollte die „glorreiche'“ Marine der Russen bereits ihre Stärke so zeigen, dass Gerüchte über ein neues  Pearl Harbor entstehen:

„Kürzlich hat beispielsweise unsere glorreiche Pazifikflotte vor Hawaii mächtige strategische Manöver durchgeführt. Es war eine brillante Operation, die alle verblüfft hat. Soweit ich weiß, gab es dort einfach nur Staunen und panische Gerüchte, dass ein neues Pearl Harbor vorbereitet werde und so weiter“ (панические разговоры о том, что готовится новый Перл-Харбор и т.п.)

Dabei glaubt Karaganow „nicht wirklich an den langfristigen Fortbestand des derzeitigen ukrainischen Staates“.
(siehe „Сатанизации вопреки: Сергей Караганов“, Аргументы и Факты,  21. 7. 2021)

Europäische Union ist kein Zentrum der Macht

In der Neuen Weltordnung von Karaganow wird die Europäische Union weitgehend ignoriert. Der Iran wird als künftiger Führer von Zentralasien bezeichnet (Karaganow, 2014, „Russia and the U.S.“)  und die Bedeutung der Türkei betont (Karaganow, 2018, „The new Cold War“), zu diesen Ländern will Russland auch enge Beziehungen knüpfen.

Doch die Europäische Union wird, in der Betrachtung von Karaganow, kein Zentrum der Macht sein. So schreibt Karaganow:
„there will hardly be an independent European center. Europe is likely to be part of the other two centers in various configurations“:
(Karaganow, 2018, „The new Cold War“)

Die Europäische Union wäre demnach, wie auch IMF und WTO, schwächer geworden und in der Krise. Karaganow will trilaterale Gespräche über die Zukunft der Welt, diese sollen von den Zentren der Macht geführt werden, dabei in dieser Reihenfolge: von Russland, China und den USA:
„the trilateral dialogue which we advise Russia, China and the U.S. to conduct in order to discuss global issues and international strategic stability“.
(Karaganow, 2018, ebd.)

Das Projekt einer Europäischen Union werde erodieren. Europa wird die Folgen der Transformation der Weltordnung stärker spüren, doch würde man einzelnen europäischen Ländern und der Europäischen Union erlauben, einen Anschluss an das Projekt eines Greater Eurasia zu erhalten, dies würde allerdings auf der Grundlage von Werten und politischen Prinzipien geschehen, die von denen der EU sich unterscheiden:
„would be based on different values and political principles than those the EU is used to (…) facing the increasing risk of the European project`s erosion“.
(Karaganow and Suslow, 2019, A New World Order“).

Eine solche Betrachtung ist nur erklärbar, wenn Karaganow eine Spaltung und Zersplitterung der Europäischen Union beabsichtigt, die diese in die Bedeutungslosigkeit führen soll, vorbereitet zur Übernahme durch die Supermächte eines Greater Eurasia. Es handelt sich dabei auch um eine selbsterfüllte Prophezeiung, da Russland dafür eine Infiltration europäischer Institutionen und Medien deutlich betreibt, indem eine fünfte Kolonne zum Einsatz gebracht wird.

Militärische Überlegenheit

Laut Karaganow bereitete Russland die Möglichkeit eines Krieges vor, mit erfolgreich durchgeführten Reformen des Militärs. Demnach wurde eine exzellent ausgebildete und effiziente Armee geschaffen. Neue Waffensysteme wurden entwickelt und enorme nukleare Kapazitäten geschaffen. Auf dieser Grundlage wurde die neue Runde des kalten Krieges gestartet. Das militärisch-industrielle Potential Russlands ermöglicht die Politik gegen den Westen, der nie wieder eine militärische Überlegenheit erreichen wird:
„make the quest for supremacy a mere pipe dream. It clearly states that the West will never regain its military superiority“.
(Karaganow, 2018, „The new Cold War“)

Dabei will die russische Armee ihre Gefährlichkeit auch zur Schau stellen:
„Wenn unsere U-Boote für alle überraschend das Eis durchbrechen, in der Arktis auftauchen und damit die Flugzeit der Raketen halbieren“.
(siehe „Сатанизации вопреки: Сергей Караганов“, Аргументы и Факты,  21. 7. 2021)

Russland kann mit seiner Militärmaschine, mit der neuesten Generation von  Waffen, führend sein:
„Das bedeutet jedoch nicht, dass unsere Gegner schnell aufgeben werden. Vorerst versuchen sie, sich zu konsolidieren (…) in der Dichotomie „Gold – Stahl“ hat derzeit das Letztere die Oberhand „.
(Karaganow, „России надо думать“, ebd., 25. 6. 2021)

Die russische Elite und die westliche Dekadenz

Karaganow urteilt, dass die intellektuelle Verfassung des Westens grundlegend abgebaut hätte. Die westliche Zivilisation zerbreche moralisch und politisch. Es bestünde ein Werteverlust, der zu  einem value gap führte, so dass die russische Elite der dekadenten Elite des Westens überlegen sei. Zu diesen Werten zählt Karaganow nationale Interessen und Patriotismus.
(Karaganow, 2018, „The new Cold War“)

Dabei bevorzugt Karaganow eine streng autoritäre und restriktive Staatsführung:

„Die politischen Systeme der meisten Länder, die sich entschlossen haben, sich uns und China entgegenzustellen, sind für eine langwierige harte Konfrontation nicht geeignet. Würde uns der Westen mit autoritäreren und effizienteren Regierungen gegenüberstehen, könnte die Situation wesentlich komplexer sein“, befindet Karaganow.
(Karaganow, „России надо думать“, ebd., 25. 6. 2021)

Entscheidend für den den Aufbau der künftigen Ideologie als Supermacht, wäre die Erkenntnis, dass Russland ein Volk von Siegern sei:

„Das Erste und Wichtigste, was wir erkennen müssen, ist, dass wir ein siegreiches Volk sind“.
(siehe „Сатанизации вопреки: Сергей Караганов“, Аргументы и Факты,  21. 7. 2021)

Forschungsprojekt für die Supermacht

Karaganow war Dekan der Fakultät für Weltwirtschaft und Weltpolitik an der Higher School of Economics, der Nationalen Forschungsuniversität in Moskau, er ist seit 2022 Professor Emeritus des Instituts. Karaganow ist der mächtige Berater des russischen Präsidenten und gilt als der Kopf, der die strategischen Ziele der russischen Führung vorgibt, als Ehrenpräsident des Rats für Außen- und Verteidigungspolitik.

Karaganow sorgte für die Ideologie der russischen Wende nach Osten mit dem Ziel eines Greater Eurasia. Dafür leitete er ein umfangreiches Forschungsprojekt, das von 2012 bis 2017 in fünf Studien publiziert wurde:

Toward the Great Ocean – 1: The New Globalization of Russia (2012)
Toward the Great Ocean – 2: Russia’s Breakthrough  to Asia (2014)
Toward the Great Ocean – 3: Creating Central Eurasia (2015)
Toward the Great Ocean – 4: Turn to the East (2016)
Toward the Great Ocean – 5: From the Turn to the East to Greater Eurasia (2017)

Im ersten Band zeigte Karaganow sich 2012 noch vorsichtig. Allerdings behauptete er bereits eine Systemkrise der Europäischen Union, weshalb eine Annäherung von Russland an die EU vorerst unterbleiben werde. Doch analysierte er die potentielle Stärke Russlands.

Post-Europa und Russland als das wahre Europa

Im Abschlußbericht des Forschungsprojekts wird Karaganow 2017 bereits deutlicher. Er diagnostiziert den Zusammenbruch der Weltordnung des Westens. Er erkennt wachsende Probleme in der Europäischen Union, deren Werte er bereits als „post-european“ bestimmen will. Das politische System und die Werte der EU wären irrelevant für die Gesellschaft Russland und werden niemals relevant werden:

„The current European or, should we say, post-European values,coupled with the mission assumed in the late 2000s by Brussels (and Berlin) to spread democracy against the backdrop of growing problems within the EU (…)  the newest post-European values are so far irrelevant for a large part of Russian society, and may never become relevant“.
(Sergej Karaganow: „Introduction. The Accomplished Turn“, Toward the Great Ocean – 5: From the Turn to the East to Greater Eurasia, Ed. Sergej Karaganow, Moskau, 2017, 6f)

Offensichtlich will Karaganow das Ende der Europäischen Union. Demnach erkläre ein Teil der russischen Elite, dass Russland das wahre Europa sei:
„Another part of the elite started saying that Russia is the true Europe, while the EU was not“.
(Ebd., S. 7)

Entsprechend hätte Russland seine Wirtschaftsbeziehungen bereits nach Asien verlagert. Nicht nur Energieressourcen, sondern auch landwirtschaftliche Produkte und Waffen würden in die asiatischen Länder exportiert. Ein Anstieg an Investitionen wäre gegeben, insbesondere aus China:
„Apart from its energy resources, Russia has been increasing eastbound exports of agricultural and other water-intensive products, as well as arms. Investment is growing rapidly, mostly from China so far“.
(Ebd., S. 5)

Doch muss Karaganow in diesem Forschungsbericht, im Unterschied zu seinen sonstigen Schriften, auch die Schwächen des russischen Systems gestehen, dazu zählen die Langsamkeit der Bürokratie, die Korruption der Elite und wirtschaftliche Stagnation:
„the slowness of the Russian bureaucracy, corruption within the elite and most importantly economic stagnation and poor investment climate“.
(Ebd., S. 6)

In seinen aktuellen Arbeiten überlegt Karaganow, wie auch andere Politologen seines Landes, die russische Nuklear-Doktrin. Dazu erschien im Juni 2024 auch ein Interview mit Karaganow:
„Eine nukleare Eskalation würde die Büchse der Pandora öffnen, aber die Welt von 500 Jahren westlicher Vorherrschaft befreien“.
(Анна Черкасова, „Сергей Караганов: Ядерная эскалация откроет ящик Пандоры, но избавит мир от 500-летнего ига Запада“, Украина.ру, 21. 6. 2024)

Der Westen soll einen hohen Preis bezahlen

Die russische Führung nahm in den vergangenen Jahren den ultranationalen Ansatz von Karaganow als Grundlage der Politik. Sein Programm wird in Moskau als „Karaganow Doktrin“ befolgt.  Damit soll die  Epoche von Gorbatschow endgültig beendet werden. Die Lehre von Karaganow bedeutet die Fortsetzung der Breschnew Doktrin von 1968, allerdings mit erweiterten Strategien.

Karaganow gilt als geistiger Vater der russischen Wende nach Osten und bevorzugt eine enge Allianz mit China, die er stark forcieren will, um den Kampf um die Weltherrschaft gegen die Länder eines Greater West zu führen. In diesem Sinne entwickelte Karaganow auch die Leitlinien für den Krieg gegen die Ukraine, als Beginn eines russischen Vormarsches in die Europäische Union. Entsprechend wurde die militärische Operation von der Führung in Moskau bis jetzt auch geführt.

Karaganow, der auf seinen Fotos gerne mit einem Gewehr als Jäger posiert, versprach den feindlichen Ländern des Westens:

„Der Preis wird hoch sein. Wie hoch genau, ist unsere Sache. Sollen sie sich doch quälen und im Ungewissen bleiben“.
(Karaganow im Gespräch mit Arguimenty i Fakty, „Сатанизации вопреки. Сергей Караганов“, 21. 7. 2021)

Links:


Cauchemar für den Westen – durch die Allianz von Putin mit China

Tabula Rasa Magazin, 14. 9. 2025
Die russischen Medien betonen weiter die Bedrohung für die Länder der westlichen Kultur. Gefährliche Waffensysteme wurden dafür entwickelt. Putin, Xi und Kim werden als nukleare Triade präsentiert. Dabei stören die Stellungnahmen des deutschen Kanzlers Merz. www.tabularasamagazin.de/johannes-schuetz-cauchemar-fuer-den-westen-durch-die-allianz-von-putin-mit-china

Sergej Karaganow
Über Johannes Schütz 123 Artikel
Johannes Schütz ist Medienwissenschafter und Publizist. Veröffentlichungen u. a. Tabula Rasa Magazin, The European, Huffington Post, FAZ, Der Standard (Album), Die Presse (Spectrum), Medienfachzeitschrift Extradienst. Projektleiter bei der Konzeption des Community TV Wien, das seit 2005 auf Sendung ist. Projektleiter für ein Twin-City-TV Wien-Bratislava in Kooperation mit dem Institut für Journalistik der Universität Bratislava. War Lehrbeauftragter an der Universitat Wien (Forschungsgebiete: Bibliographie, Recherchetechniken, Medienkompetenz, Community-TV). Schreibt jetzt insbesondere über die Verletzung von Grundrechten. Homepage: www.journalist.tel