Maria, Maria und noch mehr Marien auf dem Freisinger Domberg

Eine Besucherin vor Sandro Botticellis „Madonna mit dem Buch“, Florenz, 1480, Tempera auf Holz, Foto: Hans Gärtner

„Das mir, als Evangelische!“ Die Dame am langen Tisch des in jeder Hinsicht wohltuenden Restaurants im Souterrain des Freisinger Diözesanmuseums ist echt empört: zu viele Marien! Ihre lange Zwischenstopp-Anreise von Dortmund nach Augsburg fordere sie „stark heraus“, wie sie mit Stirnfalten und nach oben gerichteten Augen beklagt. Die Sonderausstellung „Göttlich!“ kann sie – vom Thema her – durchaus als sehenswert, ir„vor allem für Freunde der Renaissance in Italien“ empfehlen. Und da gäbe es, „jede Menge“ Interessierte. Sie brauche dabei nur an ihren gehbehinderten Vater denken, einem Spezialisten für Buchmalerei, der der Tochter das Domberg-Museum „als bedeutungsvoll ans Herz“ gelegt habe.

Mit viel „Bedeutung“ hat Direktor Christoph Kürzeder mit seinen Kuratorinnen

Anna-Laura de la Iglesia y Nikolaus, Lidia Carrion und Antonella Nesi die neue Sonderausstellung aufgeladen. In 14 Stationen aufgeteilt, von den Wegbereitern der Renaissance Dante und Petrarca bis zum Spezial-Thema „Liebe, Beziehung, Mitgefühl“ begegnet man vor allem gemalten Bildwerken, dazu Skulpturen, Büsten, Buchausgaben und Dorsalen (Stadt-Ansichten von Lucca), allesamt selten in unseren Landen zu sehende Juwelen der Kunst des 14. bis 16. Jahrhunderts.

Dabei stehen nicht durchgehend allein Heiligen-Gestalten wie (zugegeben: sehr häufig) die Madonna mit Kind, der gekreuzigte oder der leidende Christus im Blickfeld. Da notiert auch in Dominikanermönch Buchhalterisches in ein Heft, dort schaut man Girolamo della Robbias Ideal-Knabenporträts, von mediterranen Früchten umkränzt, in die leeren Augen oder man dar Jacopo Carucci di Pontormos aus Venedig geliehenes Doppelporträt zweier Freunde bewundern, als „großartiges Beispiel für psychologische Introspektion“. Die Liste der italienischen Leihgeber ist außergewöhnlich lang.

„Fenster in die Landschaft“ heißt eine der Zusatz-Ausstellungen auf dem Freisinger Domberg. Man sollte sie, am besten kurz vor Verlassen des Museums, besuchen. Man freut sich königlich über die originalen Gouachen des 1661 bis 1736 existenten Oberwölzer Künstlers Valentin Gappnigg, die als Kopien 200 Jahre den Fürstengang des Doms zierten. Landschaften und Architekturen sind es auch, die auf den wirklich vielen Marien-Darstellungen ins Auge fallen. Beispiele: die „Madonna della pappa“ von Gerard Davon aus  Brügge, Giovanni Battista Cima da Coneglianos „Madonna mit Kind“ und die von einem Blumen tragenden großen Engel begleitete Maria mit dem splitternackten stehenden Jesusknaben des Florentiners Biagio d`Antonio. Hier geht, so Kuratorin Antonella Nesi, die Landschaft „weit über eine rein dekorative Funktion hinaus. Ruhe, Frieden und Ordnung charakterisieren die Natur- und Kultur-Landschaft und verwandeln sie in einen geistig-spirituellen Raum“.

1435 bis 1437, also in der Frührenaissance, entstand in Arezzo (wo es bis heute museal verwahrt wird) eines der nicht zu übersehenden monumentalen Gemälde dieser Schau: die Schutzmantelmadonna mit den heiligen Laurentius und Pergentinus, geschaffen von Parri di Spinello, fast zwei Meter hoch und 174 Zentimeter breit. Prachtstücke wie dieses von Arezzo/Toskana oder Ambrogio und Nicolao Puccis mächtige, 500 Jahre alte, bewundernswert gut erhaltene Holzintarsien mit Stadtansichten von Lucca nach Freising gebracht zu haben, verdient allein schon unseren hohen Zuspruch.

Öffnungszeiten: Bis 11. Januar Di bis So von 9 bis 17 Uhr. Eintritt: regulär 8, ermäßigt 6 Euro, bis 18 Jahre frei. Individuelle Führungen und Workshops. Infos: www.dimu-freising.de. Großartiger Katalog (28 Euro).

Über Hans Gärtner 538 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.