Der Publizist Martin Lohmann ist heute im Alter von 68 Jahren gestorben

Martin Lohmann, Quelle: privat

Mit ihm verlässt ein Mann diese Welt, der in einer Epoche zunehmender Beliebigkeit jene geistige Haltung bewahrte, die vielen längst abhandengekommen ist: die Überzeugung, dass die menschliche Würde nicht verhandelbar ist. Sein Tod wirkt wie ein abruptes Verstummen in einer ohnehin ausgedünnten Landschaft des Denkens, denn er gehörte zu jenen wenigen, deren Wort nicht nur Widerhall fand, sondern Gewicht hatte. Gewicht, weil es aus innerer Überzeugung sprach – nicht aus taktischem Kalkül, nicht aus Karrieregründen, nicht aus dem Bedürfnis, dem Beifall der Lautesten hinterherzulaufen.

Ein Leben, das aus Verantwortung erwuchs

Martin Lohmann war ein Mensch, der seine Bildung nicht als Zierde, sondern als Verpflichtung begriff. Er studierte Geschichte, Philosophie, katholische Theologie und Erziehungswissenschaft – nicht aus Sammelleidenschaft, sondern aus dem Bedürfnis heraus, den Menschen zu verstehen, bevor er über ihn urteilt. Diese intellektische Weite prägte sein Denken, und sie verlieh seiner Stimme eine Ernsthaftigkeit, die man spürte, bevor man sie hörte.

Er war Redakteur, Chefredakteur, Autor, Moderator, politischer Ratgeber – doch all diese Rollen trafen niemals den Kern dessen, was er war. Er war ein Mahner. Einer, der der Gegenwart den Spiegel hinhielt und ihr zeigte, was sie zu sehen nicht mehr wagte: dass Fortschritt ohne Moral zur kalten Technik verkommt und Freiheit ohne Verantwortung zur Zerstörung der Freiheit selbst führt.

Sein Denken: Der Mensch als Anfang und Ziel

In einer Zeit, in der die Vermessung des Lebens wichtiger zu werden schien als das Leben selbst, beharrte Lohmann darauf, dass die Würde des Menschen nicht vom Zustand seines Körpers, nicht von seiner Leistungsfähigkeit und schon gar nicht von der Urteilskraft anderer abhängt. Er dachte die Welt von ihrem schwächsten Punkt her – vom Embryo, vom Erkrankten, vom Sterbenden, vom übersehenen Einzelnen.

Gerade deshalb war sein Denken nie aggressiv, nie elitär, nie hochmütig. Es war geprägt von einem tief empfundenen Respekt vor dem Menschen, der sich weder von Krankheit noch von gesellschaftlicher Nützlichkeit definieren lässt. Man spürte, dass er nicht über Menschen schrieb, sondern für sie. Dass seine Texte nicht aus der Distanz theoretischer Betrachtung entstanden, sondern aus der Nähe jener Verantwortung, die er als Maßstab für sich selbst gesetzt hatte.

Die Debatte über die Präimplantationsdiagnostik – ein Schlüsselmoment

Kaum ein Thema verdeutlicht seine geistige Kontur so sehr wie seine Auseinandersetzung mit der Präimplantationsdiagnostik. In seinen Überlegungen zu diesem medizinischen Verfahren, bei dem Embryonen vor ihrer Implantation genetisch geprüft und nach Kriterien ausgewählt werden, zeigte er, wie sehr ihm am unverrückbaren Kern menschlicher Gleichwertigkeit lag.

Er sah in der PID nicht ein neutrales diagnostisches Instrument, sondern eine stille, kaum bemerkte Grenzüberschreitung: den Schritt, Leben zu sortieren, bevor es überhaupt begonnen hat. Für ihn war klar, dass bereits im frühesten Stadium des Daseins der ganze Mensch angelegt ist – mit seiner Zukunft, seinen Möglichkeiten, seiner Würde. Alles, was darüber entscheidet, welcher Embryo weiterleben darf und welcher nicht, betrachtete er als eine Art moralische Enthauptung des Menschenrechts auf Existenz.

Diese Haltung war nicht engstirnig, sondern weitblickend. Er wusste, dass eine Gesellschaft, die beginnt, das Entstehen ihres eigenen Nachwuchses nach Kriterien von Perfektion oder genetischer Erwünschtheit zu filtern, nicht nur Menschen selektiert, sondern ihr eigenes Ethos demoliert. Für ihn war Verantwortung nicht ein Gefühl, sondern eine Haltung, die bereits vor der Zeugung beginnt.

Die Politik – und die Frage nach dem moralischen Fundament

Lohmann war kein Politiker, aber er besaß etwas, das vielen Politikern fehlt: ein Gewissen, das nicht nach Umfragen fragt. Wenn er über den Zustand Deutschlands schrieb, tat er es mit einer Mischung aus analytischer Klarheit und leiser Sorge. Er sah eine Gesellschaft, die sich ihrer geistigen Grundlagen entledigt, und er stellte die unbequemen Fragen, die andere längst nicht mehr zu stellen wagten.

Seine Kritik an politischen Parteien entsprang keiner Verbitterung, sondern der Einsicht, dass ohne Prinzipien jede Organisation zu einem formlosen Gebilde wird, das sich nach jedem Windstoß neu ausrichtet. Er hielt den Gedanken fest, dass eine Nation nicht nur durch wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zusammengehalten wird, sondern durch ein gemeinsames Menschenbild – und dass dieses Menschenbild brüchig wird, wenn es nicht mehr von der Würde des Einzelnen getragen ist.

Der Mensch hinter dem öffentlichen Wort

So klar seine publizistischen Sätze waren, so leise war er im direkten Umgang. Freunde und Wegbegleiter berichten von einem Mann, der zuhören konnte, ohne sich selbst in Szene zu setzen; der ernst war, ohne schwer zu werden; der standhaft war, ohne hart zu wirken.

Er besaß eine seltene Fähigkeit: Er konnte zwischen dem Irrtum eines Menschen und dem Menschen selbst unterscheiden. Seine Kritik galt stets der Sache, nie der Person. Das machte ihn zu einem Gesprächspartner, der nicht polarisierte, sondern klärte – selbst dann, wenn er widersprach.

Mit dem Tod von Martin Lohmann verliert Deutschland keinen Mann der Macht, sondern des Maßes. Er war jemand, dessen Wort nicht durch Lautstärke wirkte, sondern durch die Erhabenheit eines Denkens, das immer dem Menschen verpflichtet blieb. Sein Vermächtnis lässt sich nicht in Aktenordnern ablegen, weil es nicht aus Programmen oder Parolen bestand, sondern aus einer geistigen Spur, die weiterleuchtet. Diese Spur leuchtet deshalb, weil sie aus dem Ernst, der Wahrhaftigkeit und der Liebe zum Menschen geboren wurde.

Seine Haltung, und insbesondere seine unbeirrbare Treue zur Würde jedes Einzelnen, wird nun zu einer Aufgabe für jene, die zurückbleiben. Es ist die Aufgabe, den Menschen niemals zum Mittel zu machen. Es ist die Aufgabe, die Schwachen nicht zu übersehen, sondern in ihnen den Prüfstein unserer eigenen Humanität zu erkennen. Es ist die Aufgabe, Freiheit stets mit Verantwortung zu verbinden und Verantwortung mit dem Mut, der ihr innewohnen muss. Und es ist die Aufgabe, das Leben nicht nach seiner Nützlichkeit zu sortieren, sondern seinen Wert in jedem seiner Stadien zu achten.

Wer heute um Martin Lohmann trauert, trauert nicht nur um einen Publizisten. Man trauert um eine jener seltenen Stimmen, die zu unterscheiden wussten zwischen dem Lärm der Gegenwart und der Wahrheit, die Bestand hat. Sein Schweigen wird in den kommenden Jahren deutlicher zu hören sein als so mancher laute Satz, der diese Zeit erfüllt. In diesem Schweigen liegt nun unsere Verpflichtung: das weiterzutragen, was er uns hinterlässt – die unerschütterliche Gewissheit, dass die Würde des Menschen nicht verhandelbar ist und niemals verhandelbar sein darf.

Über Stefan Groß-Lobkowicz 2263 Artikel
Dr. Dr. Stefan Groß-Lobkowicz, Magister und DEA-Master (* 5. Februar 1972 in Jena) ist ein deutscher Philosoph, Journalist, Publizist und Herausgeber. Er war von 2017 bis 2022 Chefredakteur des Debattenmagazins The European. Davor war er stellvertretender Chefredakteur und bis 2022 Chefredakteur des Kulturmagazins „Die Gazette“. Davor arbeitete er als Chef vom Dienst für die WEIMER MEDIA GROUP. Groß studierte Philosophie, Theologie und Kunstgeschichte in Jena und München. Seit 1992 ist er Chefredakteur, Herausgeber und Publizist der von ihm mitbegründeten TABVLA RASA, Jenenser Zeitschrift für kritisches Denken. An der Friedrich-Schiller-Universität Jena arbeitete und dozierte er ab 1993 zunächst in Praktischer und ab 2002 in Antiker Philosophie. Dort promovierte er 2002 mit einer Arbeit zu Karl Christian Friedrich Krause (erschienen 2002 und 2007), in der Groß das Verhältnis von Metaphysik und Transzendentalphilosophie kritisch konstruiert. Eine zweite Promotion folgte an der "Universidad Pontificia Comillas" in Madrid. Groß ist Stiftungsrat und Pressesprecher der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung. Er ist Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Bayerns, Geschäftsführer und Pressesprecher. Er war Pressesprecher des Zentrums für Arbeitnehmerfragen in Bayern (EZAB Bayern). Seit November 2021 ist er Mitglied der Päpstlichen Stiftung Centesimus Annus Pro Pontifice. Ein Teil seiner Aufsätze beschäftigt sich mit kunstästhetischen Reflexionen und einer epistemologischen Bezugnahme auf Wolfgang Cramers rationalistische Metaphysik. Von August 2005 bis September 2006 war er Ressortleiter für Cicero. Groß-Lobkowicz ist Autor mehrerer Bücher und schreibt u.a. für den "Focus", die "Tagespost".