„Serpentinen“, also schwierig gewundene Wege nach oben, nennt der deutsche Philosoph Sebastian Ostritsch sein neues Buch über die fünf Gottesbeweise eines der größten abendländischen Philosophen, des Italieners Thomas von Aquin. Was er auf 195 Seiten behandelt, ist aber vom Stoff her so gut aufbereitet, stilistisch so gut lesbar und sachlich so klar formuliert, dass der fünffache Aufstieg auf den Berg der Erkenntnis der Existenz Gottes so leichtfällt, wie das bei diesem nicht leichten Thema überhaupt nur sein kann. Ostritsch ist, wie schon in seinen Büchern über Hegel und die Zeit, ein Philosoph, der verständlich schreibt und trotzdem der Versuchung entgeht, literarisch zu werden. Rezensent wird deshalb auch nicht die Gottesbeweise bzw. die Argumente Ostritschs nacherzählen, sondern kann das Buch nur wärmstens empfehlen: Wer es liest, wird nicht enttäuscht werden. Die Rede einiger von einem „nachmetapysischen Zeitalter“ war immer schon falsch, denn Metaphysik wurde immer getrieben; wer die Gottesfrage aus der Philosophie ausschließt, begeht ohnehin einen Zirkelschluss.
Ostritsch beginnt mit dem „zersetzenden“ Einfluss, den die Philosophie Immanuel Kants auf die Religiosität vor allem der West-Europäer gehabt hat. Gottes Existenz sei angeblich mit der Vernunft nicht zu erkennen, lautet das „kantianische Dogma“. Das Buch setzt sich mit den diversen Einwänden Kants gegen die Gottesbeweise auseinander und widerlegt sie alle souverän. Dabei verfährt Ostritsch immer noch zu respektvoll mit Kant, der zwar die richtigen Fragen gestellt, aber nicht nur bei den Gottesbeweisen, sondern auch mit seiner Erkenntnistheorie und seiner Pflichtethik falsche Antworten gegeben hat. Fragt man sich zudem, was in Deutschland unter „Aufklärung“ verstanden wird, so wird man kaum um folgende Antwort herumkommen: Es ist die Philosophie Kants. Was also den angeblich aufgeklärten Mut angeht, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, so entpuppt sich dieser in Wahrheit als protrahiertes Unvermögen, sich beim Denken der Anleitung durch Kant zu entziehen. Das Ziel ist also nicht etwa Mündigkeit im Denken, sondern der Wille, nicht an Gott zu glauben und besonders das Christentum mit seinen Ansprüchen für falsch zu halten. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang, dass Rezensent auch gegenüber der Philosophie David Humes skeptisch war, was dessen Argumente für Determinismus und gegen Willensfreiheit anging – Humes schlechtes Argument gegen Kausalität bezeichnet denn auch Ostritsch zurecht als „falschen Weckruf“ für Kant in dessen „dogmatischem Schlummer“.
Ein weiterer erfreulicher Zug des Buches ist die (von Kennern längst anerkannte, aber in der Breite noch nicht durchgesetzte) Revision der Einschätzung des sogenannten „dunklen“ Mittelalters. Tatsächlich handelte es sich bei ihm in Europa um ein glänzendes christliches Jahrtausend. Gerade aber, weil es christlich war, wurde es teilweise schon von einigen Humanisten in der Renaissance, dann durch einflussreiche Gruppen von atheistischen Journalisten und Schriftstellern im 18. und schließlich von protestantisch-antikatholischen Historikern im 19. Jahrhundert als unbedeutende Zwischenzeit diffamiert. Ostritsch verweist bei seiner Argumentation auf eine hervorragende Quellensammlung von Forschungen zum „hellen“ Mittelalter, die der amerikanische Soziologe Rodney Stark zusammengestellt hat (Bearing False Witness. Debunking Centuries of Anti-Catholic History, London 2017). Es ist kein Zufall, dass dieses erhellende Buch noch nicht auf Deutsch übersetzt wurde.
Die „FAZ“ in Gestalt von Bert Rebhandl hat das Werk Ostritschs tatsächlich besprochen („Über den Gott der Philosophen hinaus“), natürlich mit erwartbar herablassender Geste („Schulstunde“) und atheistischem Furor. Auf die üblichen Denunziationen (zum Beispiel „diskriminiere“ der Hinweis auf eine natürliche Familie „queere Menschen“ – wieso? – und sei die katholische Zeitung DIE TAGESPOST „rechts“ – „wie manche sagen“, so der feige Zusatz Rebhandls) gehe ich nicht ein. Da behauptet der „FAZ“-Autor auch, die scheinlobend „imposant“ genannte Scholastik habe mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil geendet – und heute also keine Bedeutung mehr. In Wahrheit ist sie sehr lebendig, aber vor allem in Großbritannien und den USA mit großartigen Philosophen wie Edward Feser und David S. Oderberg, was man in der deutschen Provinz nicht überall weiß. Dass schließlich Rebhandl dem Autor Ostritsch vorwirft, er käme mit den Gottesbeweisen unbegründet auf den christlichen Schöpfergott hinaus, ist ein Strohmann. Erst im letzten Kapitel »Wissen – Glauben – Sehen« geht Ostritsch überhaupt auf die Offenbarung und die daraus abgeleiteten Religionen ein. Davor geht es tatsächlich um den „Gott der Philosophen“, um „natürliche Theologie“. Es ist aber nicht unwichtig, dass der „Gott“ aller fünf Wege letztlich vollkommen gut sein muss, was nur der Katholizismus glaubt, und nicht der Protestantismus/Calvinismus, nicht die übergroße Mehrheit im Islam – und nicht eindeutig das Judentum. Auch „das Universum“, das Rebhandl favorisiert, ist moralisch neutral wie der jeweils als übermoralisch „souverän“ vorgestellte „Gott“. Nur eine Person aber kann mit Gründen gut handeln. Insofern ist es doch erlaubt und wahrscheinlich sogar geboten, an den Gott, dem Thomas von Aquin das „Adoro te devote“ gedichtet hat, zu glauben.
Sebastian Ostritsch: Serpentinen. Die Gottesbeweise des Thomas von Aquin nach dem Zeitalter der Aufklärung. Berlin, Matthes & Seitz, 2025
