Marxistische Denkmalspflege

Karl Marx, Aufnahme E. Dutertre, Algier, Ende April 1882, Wikipedia, Gemeinfrei

Ein Gespenst geht um die Welt und landet zu seinem zweihundertsten Geburtstag als monströser Bronzebrocken, als rocher de bronze ewiggestriger Linksprogressiver mitten in Trier. Zur hellen Freude der heimischen Tourismusindustrie und der chinesischen Gäste, die sich nun in der Heimat des heimatlosen Karl Marx wie zuhause fühlen können. Schon aus ästhetischen Gründen, aus Ekel vor dieser chinesischen Staatskunst meiden empfindsamere Zeitgenossen den An-blick des Denkmals: Nichts als groteske Herrschaftskunst, monumental und imperial. Dieser Brutalismus kennzeichnete freilich den gesamten marxistisch-leninistischen Kunststil, der nicht viel besser war als die Propagandakunst des Dritten Reichs. Hier wie dort beachte man also die politisch-ideologischen Auftragsgeber: Marx gilt in der politischen Diktatur Chinas immer noch als der gro-ße Prophet. Und die kann sich solche Geschenke locker leisten.

Einem Karl Marx, auf dessen „Schultern wir stehen“, wie es seinerzeit Oswald von Nell Breuning SJ allzu naiv zum Ausdruck brachte, können natürlich die millionenfachen Verbrechen, die im 20. Jahrhundert in seinem Namen begangen wurden, „nicht angelastet werden“, wie Malu Dreyer oder auch Jean-Claude Juncker bei einem Festakt in Trier treuherzig behaupteten.

Ach was, diese kolossalen Menschheitsverbrechen hatten sich schon bei Karl Marx himself angekündigt. Bei ihm finden sich viele extremistische Rechtferti-gungen revolutionärer Gewalt. Marx legitimierte den blutigen „antikapitalistischen Klassenkampf“, dem über hundert Millionen Menschen zum Opfer fielen. Natürlich kann sich nicht jedes einzelne dieser Verbrechen, begangen von Lenin, Stalin, Mao, Ho Chi Minh, Pol Pot und Fidel Castro, auf Marx berufen. Leider sind aber die meisten dieser Massenmörder, ihre Helfershelfer und die linken Schreibtischtäter bis heute nicht vor ein ordentliches Gericht gestellt worden. Und den marxistischen Intellektuellen, Journalisten und Politikern blieb eine „Vergangenheitsbewältigung“ weithin erspart. Die Opferverbände, die sich jetzt auch in Trier gemeldet haben, werden leider nicht angehört.

Nach Frau Sarah Wagenknecht war das noble Ziel von Marx „die Demokratie“, weshalb er auch als Vorbild für „junge Menschen“ zu gelten habe. Allerdings spielt „die Demokratie“, wie wir sie heute auch kirchlicherseits verstehen, bei Marx überhaupt keine Rolle. Weder ist sie an das Mehrheitsprinzip noch an einen Rechtsstaat gebunden, der unveräußerliche Menschenrechte als vorstaatli-che Naturrechte garantiert. Rechtsfragen sind bei Marx reine Machtfragen. Und die von ihm angestrebte „Diktatur des Proletariats“ führte nicht in ein „Reich der Freiheit“, sondern in eine kollektive Knechtschaft, wie sie die Weltgeschichte bis dato noch nicht gesehen hatte. Schon deshalb gehören seine Ideen verfassungs-rechtlich unter Beobachtung gestellt. Und was seine Lebensführung, seinen Charakter betrifft, so ist er eher ein zynisches Vorbild für „junge Menschen“: Ermachte Schulden, spekulierte an der Börse, diffamierte seine politischen Gegner und hetzte gegen die Juden. Dabei lebte er parasitär von seinem Kapitalisten-freund Friedrich Engels. Sehr aktuelle Verhaltensmodelle übrigens.

Was seine Wirkungsgeschichte betrifft, so zehrte Marx von seinen eigenen ge-schichtsmetaphysischen Prämissen, wonach seine soziologische Evolutionstheorie mit Notwendigkeit auf ein „Reich der Freiheit“ – ohne Privateigentum und staatliche Herrschaft – hinausläuft. Freilich behält sich die Weltgeschichte die Möglichkeit des nicht prognostizierten Irrtums offen. Nun ja, politisch erfolg-reich war die marxistische Ideologie ganz gewiß. Für eine gewisse Zeit jedenfalls. Darin liegt ja gerade das Problem, vor allem für die Klasse opportunistischer Intellektueller, die sich der jeweiligen Macht willig unterwerfen – und sich nach deren Scheitern nur selten reumütig zeigen und zur Vernunft kommen. Das Rollenspiel „kritischer Intellektueller“ entpuppte sich im letzten Jahrhundert als peinliche Blamage. Und die erstreckt sich bis zur Gegenwart, wenn man die ideologische Zeitgeistaffinität, Erfahrungsresistenz und Geschichtsvergessenheit vermeintlich kritischer Geister betrachtet.

Dabei galten Mehrwert- und Verelendungstheorie wie auch viele weitere An-nahmen von Marx seit langem schon als empirisch falsifiziert. Das schließt nicht aus, daß manche seiner Prognosen von einer erstaunlichen Aktualität geblieben sind. Zur Erhellung der gegenwärtigen „Globalisierung“ eines uneingeschränkten Kapitalismus eignen sich beispielsweise einige Passagen seines „Kommunistischen Manifests“, wenngleich seine Problemlösungsvorschläge eben gerade nicht die Probleme lösten, sondern verstärkten. Seine Analysen, Prognosen und Therapien sind nicht wertfrei, sondern unterliegen weltanschaulichen Implika-tionen und Dogmen, die seinen wissenschaftlichen Anspruch erheblich in Zweifel ziehen. Nicht ablösbar von seiner „wissenschaftlichen“ Theorie ist das ideologische Dogma einer atheistischen Auffassung, die auf die Gebote Gottes, des Glaubens wie der Vernunft verzichtet – und deshalb auch das Recht auf Eigentum negiert. Marx hat sich nie mit Thomas von Aquin auseinandergesetzt, er ignorierte ihn einfach. Geschichtsphilosophisch gebildet war der Hegel-Schüler jedenfalls nicht. Er hat die Welt – als Gesellschaft und Geschichte -, die er verändern wollte, einfach nicht verstanden und deshalb auch falsch interpretiert.

Die 68er Bewegung kulminierte in der terroristischen Baader-Meinhof-Bande, also der RAF, der „Roten Armee Fraktion“. Dazu hat Bettina Röhl, die Tochter der Ulrike Meinhof, aus eigener Anschauung kürzlich ein erschütterndes Buch geschrieben. Hier wird der Zusammenhang zwischen Marxismus und Terrorismus deutlich beschrieben. Davon haben sich die Neomarxisten der „Frankfurter Schule“ bis heute zu wenig distanziert. Und es gibt immer noch viele Kollaborateure dieser Gewaltentwicklung, etwa im Straßenterror der „Antifa“. Formen dieser menschenfeindlichen Revolution zur Herstellung des „neuen Menschen“ finden sich heute besonders im Feminismus, der Gender-Bewegung und dem Multikulturalismus: Neue Gesellschaftsexperimente, die sich leicht in die marxistische Denkmalspflege einfügen und immer neue Opfer hervorbringen.

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Über Wolfgang Ockenfels 43 Artikel
Prof. Dr. Dr. Wolfgang Ockenfels, geboren 1947, studierte Philosophie und Theologie in Bonn und Walberberg. 1985 erhielt er eine Professur für Christliche Sozialwissenschaften mit den Lehrgebieten Politische Ethik und Theologie, Katholische Soziallehre und Sozialethik, Wirtschaftsethik sowie Familie, Medien und Gesellschaft an der Theologischen Fakultät Trier. Ockenfels ist zudem Geistlicher Berater des Bundes Katholischer Unternehmer BKU und Chefredakteur der Zeitschrift "Die Neue Ordnung" in Bonn. Er gehört zum Konvent Heilig Kreuz der Dominikaner in Köln.