Es fehlt an politischem Multitasking – „Die digitale Abhängigkeit Deutschlands ist eine Gefahr“

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Mit der Corona Pandemie und dem russischen Überfall auf die Ukraine hat Autonomie als staatliche Handlungsressource deutlich an Bedeutung gewonnen. Die Katastrophen der jüngsten Vergangenheit haben Europa und Deutschland drastisch aufgezeigt, welche Risiken durch die Verflechtung mit autokratischen und diktatorischen Staaten entstehen können. Die Autonomie rückt in wirtschaftlichen wie in außen- und sicherheitspolitischen Überlegungen für die Zukunft in den Vordergrund. Immer klarer wird, dass Freihandelsromantik ohne eine große Portion Realismus in die Sackgasse führen kann.

Nicht nur im Bereich von Öl und Gas oder von günstigen Konsumgütern besteht eine enge Verflechtung mit teils problematischen Staaten. Auch im Bereich der Digitalisierung ist es weder Deutschland noch der europäischen Gemeinschaft in den zurückliegenden Jahren gelungen, Unabhängigkeit und Innovationsfähigkeit voranzutreiben. Eine aktuelle Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung quantifiziert die digitale Abhängigkeit von Staaten, indem sie inländische Nachfrage und ausländisches Angebot an digitalen Technologien ins Verhältnis zueinander setzt. Anhand verschiedener Indikatoren errechnen die Autoren der Studie den sogenannten Digital Dependenz Index (DDDI) als Bewertungsgröße der digitalen Abhängigkeit von Staaten. In die Betrachtung flossen Handel, Patente und Infrastruktur mit ein. Dabei steht ein DDI Wert von 0 für Autarkie, ein DDI Wert von 1 für vollständige Abhängigkeit von ausländischen digitalen Technologien. Die USA zeigen mit einem DDI-Wert von 0,47 neben China mit 0,58 im Vergleich zu Deutschland mit einem DDI-Wert von 0,82 ein deutlich höheres Maß an digitaler Autonomie. Die Studienautoren kommen für die 23 wirtschaftlich führenden Staaten auf allen Kontinenten in unterschiedlichen Technologiebereichen zu dem Ergebnis, dass insgesamt eine tiefgehende Abhängigkeitsstruktur besteht. In den zurückliegenden zehn Jahren hat sich dabei in Bezug auf die europäischen Länder nichts zum Positiven verändert. Im Gegenteil: Der Abstand zu den USA und China vergrößerte sich in diesem Zeitraum. Deutschland hat den Studienautoren zufolge vor allem im Bereich der Informationsinfrastruktur an Autonomie eingebüßt.

Digitale Autonomie ist aus europäischer Sicht derzeit kaum mehr als eine Illusion. Die digitale Selbstständigkeit Europas schrumpft statt zu wachsen. Auf politischer Ebene fehlen indes Sensibilität und Problembewusstsein. Dabei entscheidet sich an dieser Stelle die Zukunftsfähigkeit des Kontinents insgesamt und Deutschlands. In einem zentralen Bereich des wirtschaftlichen Wachstums sind wir Europäer abgeschlagen und verletzlich. Die Studienautoren bemängeln, Deutschland verfüge zwar noch über vergleichsweise starke Forschungseinrichtungen, die Hochtechnologiestrategie der Bundesregierung bleibe jedoch „vage“ und eine „Sammlung von Willenserklärungen“. Sie scheitere daran, die Integrationsleistung von Forschung, Industrie und Infrastruktur zu erbringen. Ein erhebliches Maß an staatlichen und privaten Investitionen sei erforderlich, um das Ruder endlich herumzureißen.

Nach wie vor fehlt es in Deutschland an einem Digitalisierungsministerium, das die Digitalisierung von zentraler Stelle orchestriert. Die Gesellschaft versteift sich auf die gravierenden Monothemen wie die Pandemie; es fehlt an der Fähigkeit zu politischem Multitasking, um die großen Herausforderungen unserer Zeit in der Breite anzugehen. Wir sind längst in einer Situation, in der die Digitalpolitik aus Bewältigungsstrategien für die Risiken unserer Rückständigkeit besteht – Stichwort Cyberangriffe auf kritische Infrastruktur – statt innovativ voranzuschreiten. Dabei ist Digitalpolitik heute mehr als Wirtschaftspolitik. Sie ist auch Außen- und Sicherheitspolitik.

Hinweis:

Quelle: KAS

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Über Thomas Bippes 4 Artikel
Thomas Bippes ist Professor für Medien- und Kommunikationsmanagement an der SRH Fernhochschule – The Mobile University und Gesellschafter einer Online-Marketing Agentur. Bippes war unter anderem wissenschaftlicher Referent im Landtag Hessen und Pressesprecher von CDU Rheinland-Pfalz und CDU-Landtagsfraktion.