Die Blume Euphorbia ist für die Thailänder ein Glücksbringer. Der in Mexiko geborene französische Digital-Künstler Miguel Chevalier, 66 Jahre alt, gibt dieser spirituellen Blume die Beinamen „Alchimica Veritas of Rousseau“. Er stellt sie in Abwandlungen in eine seiner Serien, die die Kunsthalle München grandios in leuchtenden Farben bespielen und verleiht ihnen den englischen Namen „Fractal Flowers“, etwa: brüchige Blumen. Zu deren Herstellung benötigt Chevalier den 3D-Drucker. Sein berühmter Landsmann Jean Jacques Rousseau, Philosoph und Pädagoge des 18. Jahrhunderts, dachte bereits darüber nach, wie und warum sich der Mensch mehr und mehr von der Natur entfernt. Auf Rousseaus Spuren begibt sich der in München erst jetzt mit dieser einmaligen Performance bekannt werdende zeitgenössische Digital-“Akrobat“ Miguel Chevalier. Er wird nun monatelang als Pionier der virtuellen Kunst gefeiert.
Miguel Chevalier bezieht die Inspiration zu seinen fantastischen Gebilden aus der Vielfalt und Schönheit der den Menschen umgebenden freien Natur. Sie darf sich, künstlich und künstlerisch, Saal für Saal, in der Kunsthalle entfalten. An den in tiefschwarzes Dunkel getauchten Wänden rankt sie sich farbig in die Breite und in die Höhe. Die Besucherschaft dieser Ausstellung ausdrücklich aufgefordert, an ihrer Entfaltung aktiv mitzuwirken. Die erste interaktive, schon am Anfang der ganzen Schau gebotene und fesselnde Installation von 2012 heißt passend „The Origin of the World“. Damit verknüpft Chevalier zum einen die Vergangenheit und die Zukunft, zum anderen die analoge und die digitale Welt: winzige Zellstrukturen des Ökosystems und Pixel, die kleinsten Elemente des digitalen Bildes.
Die von Miguel benützten Baupläne werden wohl von denjenigen am ehesten „begriffen“, die sich in der virtuellen Welt beheimatet fühlen. Die „Laien“ staunen vielleicht nur, welche Möglichkeiten ihnen der Computer eröffnet. Sie sind dabei, sich auf das Schöne und Faszinierende, das ihnen die Schöpfung unter freiem Himmel schenkt, konzentrieren zu können. Und denken an niemanden aus dem Bereich der Bildenden Kunst mehr als an einen anderen Landsmann Chevaliers, den impressionistischen Maler Claude Monet. Vor gut einem Jahrhundert wollte er, dass der Mensch durch die Betrachtung seiner Garten- und Wassergewächse, vor allem seiner legendären Seerosen, in seine Malerei vollkommen eintaucht. Chevalier beabsichtigt mit seiner Kunst, die klassische Ölmalerei in neue, das heißt digitale Dimensionen zu überführen. Ideal sind hierfür die Räumlichkeiten der Kunsthalle München.
Das Neue in der Kunst, das mit Miguel Chevaliers komplexen Konstrukten erstmals in Deutschland Fuß fassen kann, darf überraschen und gleichzeitig in Bann ziehen. Der beim Eintritt auffälligen Installation „Der Ursprung der Welt“ beigegebene rote Januskopf, 2013 im 3D-Drucker erschaffen, schaut mit seinen zwei Gesichtern gleichzeitig in Vergangenheit und Zukunft. Nicht von ungefähr wählte Chevalier dieses „Bild“ aus der römischen Mythologie zum Einstieg in seine Schau „Digital by Nature“. Sie dauert bis 1. März 2026 und kann täglich von 10 bis 20 Uhr besucht werden. Eine Sonderöffnung für Schulklassen (2 Euro pro Person) wird immer mittwochs von 9 bis 10 Uhr angeboten, wozu eine Anmeldung nötig ist: kontakt@kunsthalle-muc.de. Ein Katalog ist im Hirmer-Verlag München erschienen. Er kostet im Museum 25, im Buchhandel knapp 40 Euro.
