Ingo Friedrich über Das Problem der abgehängten Regionen

Zugspitze, Foto: Stefan Groß

Beinahe unmerklich aber unaufhaltsam hat sich ein Problem in den Vordergrund nationaler und internationaler Politik geschoben, dass auf den ersten Blick gar nicht so gefährlich daher kommt: Das Problem der »abgehängten Regionen«.

Wenn man die Wahlen in den USA für Trump oder die Abstimmung über den Brexit in England aber auch die Wahlergebnisse für die AfD in manchen Teilen Ostdeutschlands genauer analysiert, kommt man auf eine erstaunliche Ähnlichkeit: Es sind immer wieder die Wähler in wirtschaftlich zurückgebliebenen Regionen, die sich besonders leicht von vereinfachenden Parolen und dem Versprechen schneller Änderungen und Verbesserungen angesprochen fühlen.

Trump konnte damit punkten, dass er die Importe aus China und insbesondere die Autoimporte aus Europa als schuld an der Misere brandmarken konnte und beim Brexit erklärten Johnson und Gleichgesinnte, Ursache für den Niedergang Großbritanniens sei die EU, weil diese die britische Politik daran hindere, mit niedrigeren Umwelt- und Sozialstandards ein neues blühendes Gemeinwesen a la Singapur zu schaffen. In Ostdeutschland behaupten die Rechtsradikalen, die Überschwemmung mit den Flüchtlingen sei (neben den Fehlern der Treuhand) Hauptursache für die Aufholprobleme der neuen Bundesländer.

Nun ist, wie so häufig, bei all diesen Behauptungen vielleicht sogar ein Körnchen Wahrheit dabei, aber die wirkliche Ursache der offensichtlichen Probleme greift viel tiefer: es zeigt sich, dass in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts immer weniger Staaten und Regionen imstande sind, den Erwartungen der Bürger gerecht zu werden. Ein erfolgreicher Staat muss heute auf so vielen Gebieten Spitzenleistungen erbringen, dass viele Staaten einfach nicht mehr in der Lage sind, dieses Niveau zu erreichen.

Nachdem die Menschen aber durch die Medien auf der ganzen Welt wissen, wie erfolgreiche Staaten »aussehen« (und natürlich ist Deutschland dabei ein besonders oft genanntes Beispiel) erwarten sie von ihrem Staat bzw. in ihrer Region die gleichen Leistungen, also insbesondere:

 

  • eine stabile Währung und keine keine Inflation
  • ein hohes Sozialniveau mit sicheren Renten
  • umwelt- und klimafreundliches Wirtschaften
  • Wirtschaftswachstum, zumindest niedrige Arbeitlosenzahlen
  • ein hohes Bildungsniveau mit Chancen für alle
  • einfaches Steuersystem mit gerechter Verteilungswirkung zwischen arm und reich
  • keine Korruption usw.
  • Pressefreiheit

Wenn man sich dann in der Welt umschaut, wo diese Standards erreicht werden, wird man schnell erkennen, wie dünn die Liste der Staaten ist, die diese Kriterien noch erreichen. Die national und regional zuständigen Politiker in den nicht so erfolgreichen Staaten sagen natürlich nicht, wir sind selbst schuld, wir sind zu wenig innovativ oder wir müssen effizienter arbeiten. Nein, sie sagen: das Ausland, die uns auferlegten Bedingungen, die geographische Lage, frühere Kriege, die Kolonisierung, all diese Faktoren sind schuld an unserem Misserfolg.

Nun gilt auch hier, dass all diese Faktoren auch eine Rolle spielen können, aber entscheidend ist eben, inwieweit die Politik und die Bürger eines Landes bereit und in der Lage sind, die heutigen Herausforderungen ohne Ausreden und Ausflüchte anzunehmen und zu bewältigen.Dies zu erreichen ist objektiv sehr schwer geworden, zumal gerade die agilen Bürger in den abgehängten Regionen von den »boomenden« Regionen magnetisch angezogen werden und dorthin abwandern. Damit machen sie die Lage für die zuhause gebliebenen noch schlimmer.

Um abgehängte Regionen »aufzupäppeln« braucht es ein intelligentes Zusammenwirken vieler Faktoren: insbesondere gute Ideen, kluge Investoren, aber auch staatliches Geld und aktive Bürger vor Ort, die bereit sind, durch eigene Anstrengungen und oftmals unpopuläre Veränderungen den Karren (wieder) flott zu kriegen.

Die erfolgreichen Staaten wie Deutschland sind dabei gut beraten, wenn sie den abgehängten Regionen mit Geld und Ideen (die EU nennt das etwas abgehoben Kohäsions- und Strukturpolitik) zur Seite stehen, denn: wohin wollen wir unsere Exporte denn liefern, wenn die Abgehängten dieser Welt über kein Geld mehr verfügen, um die bei uns produzierten attraktiven Produkte zu kaufen. Fazit: in der klein gewordenen globalisierten Welt reicht das alleinige Konzentrieren auf das Wohl des eigenen Landes nicht mehr aus, um die Zukunft der eigenen Bürger langfristig zu sichern.

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Dr. Ingo Friedrich war von 1979-2009 Abgeordneter des Europäischen Parlaments, von 1992 bis 1999 Vorsitzender der CSU-Europagruppe im Europäischen Parlament. Seit 1996 ist er Schatzmeister der Europäischen Volkspartei (EVP), seit 2001 Präsident der Europäischen Bewegung Bayern, seit 2009 Präsident des Europäischen Wirtschaftssenats. Von 1999-2007 war Friedrich einer der 14 gewählten Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments. 2004 erhielt er das Große Bundesverdienstkreuz. Friedrich ist Ehrenmitglied des Europäischen Parlaments und seit 2015 Präsident der Wilhelm Löhe Hochschule.