Joschka Fischer: Vom Straßenkämpfer zum Chefdiplomaten

Joschka Fischer, Foto: Stefan Groß-Lobkowicz

„Innen grün – außen Minister“, so die treffende Zuschreibung der Grünen Jugend Anfang der 2000er-Jahre über die Entwicklung des Joschka Fischer von Jeans und Turnschuhen hin zum feinen Dreiteiler und Siegelring. Trotz äußerer Veränderung versuchte er innerlich an seinen politischen Überzeugungen festzuhalten, was ihm nicht immer gelang. Wobei die Ökologie anfänglich für ihn nicht die Triebfeder war; sein Interesse galt eher der Machtfrage. Formale Bildungsabschlüsse waren ihm nicht wichtig – er lernte nur das, was ihn interessierte und politisch motivierte. Und das Pensum war enorm. Adorno, Habermas, aber auch Karl Marx trieben ihn an. Als revolutionärer Straßenkämpfer der Studentenbewegung in den 1970er-Jahren war er nicht zimperlich. Später distanzierte er sich von den gewalttätigen Auseinandersetzungen.

Im Vorfeld der Neuwahl zum Bundestag 2002 sollte ihn seine Vergangenheit einholen. Die Opposition im Bundestag versuchte, ihn wegen seines damaligen Steinwurfs auf einen Polizisten in die Enge zu treiben. Da hatte er sich schon mit dem betroffenen Polizisten persönlich ausgesprochen und sein Verhalten erneut als größten Fehler bedauert. So hielt er aus und durch. Dass er selbst durch den Wurf eines Farbbeutels durch einen Gegner seiner Politik am Gehör beschädigt wurde, ist wohl Ironie des Schicksals.

Fischer setzte auf die Kraft der Bilder

Wenn seine verbale Überzeugungskraft nicht ausreichte, setzte Fischer auf die Kraft der Bilder. Mit Kritiker*innen einer militärischen Intervention im Kosovo fuhr er in das Kriegsgebiet, damit sie die Gräueltaten mit eigenen Augen sehen konnten. Damit ebnete er den Weg für den ersten militärischen Einsatz Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Er fügte dem „Nie wieder Krieg“ das „Nie wieder Auschwitz“ hinzu. Die Diskussion über den 2. Auslandseinsatz 2001 in Afghanistan, nachdem die USA aufgrund des Angriffs auf die Twin Towers in New York den Bündnisfall ausgerufen hatten, zerriss Regierung und Parlament.

Die Grünen standen vor der größten Zerreißprobe ihrer Geschichte. Fischer verlangte Bündnistreue. Eine eigene Mehrheit der rot-grünen Koalition war zunächst nicht vorhanden. Sie konnte am Ende ganz knapp durch die Koppelung der Vertrauensfrage von Kanzler Gerhard Schröder an den militärischen Einsatz in Afghanistan erreicht werden.

Fischers politische Sympathiewerte in der Bevölkerung waren hoch

Die Partei hat enorm gelitten unter Joschka Fischer, so wie er unter der Partei gelitten hat. Er hat maßgeblich dazu beigetragen, dass sich aus der Partei der Umwelt-, Friedens- und Frauenbewegung eine Regierungspartei entwickeln konnte. 1997 gelang es ihm, die beiden Strömungen der Grünen, die „Realos“ und die „Linken“, zu einer kooperativen Zusammenarbeit zu bringen. Das war die Voraussetzung für die erste rot-grüne Regierung im Bund im Jahre 1998.

Aber der Preis für die Realpolitik war hoch. Gesellschaftspolitisch wurde zwar viel erreicht, aber Pazifist*innen und Umweltaktivist*innen verließen die Partei. Dennoch konnte zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik der Atomausstieg im Koalitionsvertrag festgelegt werden – auch wenn er in der Praxis mit erheblichen Umsetzungsproblemen behaftet war, was der damalige Umweltminister Jürgen Trittin zu spüren bekam. Mehr Fischer, weniger Trittin forderte der Kanzler. Da biss er aber bei Fischer auf Granit. Der Ausstieg war besiegelt.

Fischers politische Sympathiewerte in der Bevölkerung waren hoch; die Menschen mochten ihn. Sie mochten den dünnen Marathon-Läufer, der den langen Lauf zu sich selbst unternahm, ebenso wie den dicken Fischer, der sich einen Panzer angegessen hatte, um den Dauerdruck zu ertragen.

Der Menschenfischer

Fischer war auch ein Menschenfischer. Wenn er auftrat, füllten sich noch so große Hallen und Marktplätze. Dort redete er, wie ihm der Schnabel gewachsen war. Auf der internationalen Bühne konnte er überzeugend das diplomatische „Bedenkenträgertum“ zelebrieren. Das brachte ihm auch Kritik mancher Journalist*innen ein, die die notwendige professionelle Distanzierung des Außenministers gegenüber den früheren lockeren Informationsrunden nach Parteitagen nicht nachvollziehen wollten. Er warb für Verständnis dafür, dass ein Außenminister nicht für sich spreche, sondern für sein Land.

Als ausgewiesener Europäer mahnte Fischer dringend notwendige Reformen der Europäischen Union an. Dabei dachte er insbesondere an die Stärkung einer europäischen Verteidigungspolitik. Wie notwendig die vor 20 Jahren schon gewesen wäre, erleben wir heute. Als Rot-Grün nach der vorgezogenen Neuwahl zum Bundestag im Jahre 2005 aufgrund eines vom Kanzler konstruierten Misstrauensvotums keine Mehrheit mehr hatte, teilte Fischer der neuen Fraktion lapidar mit, dass er aufhören wolle. Zu viele negative Beispiele ehemaliger Regierungsmitglieder, die danach ihr Dasein als Hinterbänkler fristeten, hatten ihn in seiner Entscheidung bestärkt. Er wolle nicht „wie der Opa aus der Muppet-Show“ aus dem Hintergrund rummäkeln. Und sein Vermächtnis an alle, die nicht loslassen können: „Wenn man seine Zeit hatte ganz oben, dann geht man besser.“

Irmingard Schewe-Gerigk

Quelle:

Deutschlands bedeutendste Politiker nach 1945, Aljoscha Kertesz, Bernd Haunfelder, Engelsdorfer Verlag.
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