Maler des Glücks…

Noch bis zum 12. August 2012 zeigt das Kunstmuseum Basel 50 Frühwerke des gefeierten, aber gern auch auf das Klischee des „Maler des Glücks“ reduzierten Pierre-Auguste Renoir. Aber gerade seine frühe Schaffensperiode ab dem Jahr 1864 – dem Jahr, in dem Renoir sich erstmals mit einem Gemälde am offiziellen Salon beteiligen konnte – offeriert künstlerisch herausragende und in seiner Vielschichtigkeit überraschende Gemälde.
„Die Epoche von etwa Mitte der 1860er- bis zum Ende der 1870er-Jahre war in Frankreich von extremen sozialen, politischen und künstlerischen Umbrüchen geprägt. Renoir erlebte die politischen Wechsel vom konservativen Klima des Zweiten Kaiserreichs über die Revolution der Pariser Kommune bis hin zur Dritten Republik – auch wenn er sich den Auseinandersetzungen nach Möglichkeit entzog.“, ist im Vorwort des die Ausstellung begleitenden Kataloges zu lesen. Und trotzdem steht Renoirs Werk zweifelsohne im unmittelbaren Spannungsfeld zwischen den Milieus der Bohème und der Bourgeoisie, in denen er sich bewegte. Gehörte er doch selbst innerhalb von fünfzehn Jahren den unterschiedlichsten Schichten an. Noch bis Anfang der 1860er Jahre war er als „Arbeitsmaler“ tätig, zuerst in seinem erlernten Beruf des Porzellanmalers, später auch als Bemaler von Sopraporten, Aushängeschildern, Jahrmarktszelten und Cafés. Hernach führte ihn sein Lebensweg von der kleinbürgerlichen Herkunft seiner Eltern ins Zentrum der Bohème und letztendlich gar als gern gesehener Gast in die Salons der Haute Bourgeoisie.
Seinen großen Vorbilder der Anfangszeit – Boucher, Fragonard oder Rubens – blieb Renoir Zeit seines Lebens treu und sie waren auch nie Widerspruch für ihn. Gerade seine Frühwerke – und das verdeutlicht die Basler Ausstellung wunderbar – sind noch von dem typischen Schmelz, dem mythologisch-galanten Sujets und der transparenten Süße von François Bouchers „Diana im Bade“ überzogen, eines der Lieblingsbilder des jungen Renoir. Minutiös werden in seinen Gemälden die äußerlichen Kennzeichen, die sich mit der gesellschaftlichen Rolle seiner Protagonisten verbanden, egal ob gespielt oder real, geschildert: Mode, Frisuren, Schmuck und Accessoires. „Wenn man ein Milieu schildern will“, so sagte Renoir später gegenüber Vollard, „muss man sich, so scheint mir wenigstens, zuerst einmal in die Haut seiner Personen versetzen.“ Und dies hat der Maler mehr als intensiv. Man muss sich nur einmal intensiv mit seinen gemalten Gesichtern auseinandersetzen, diesem fast lebendigen Minenspiel, dieser Ausdrucksstärke derer Augen. Man meint unwillkürlich, in ihnen lesen zu können und ihre Lebensgeschichte zu erahnen.
In sechs Artikeln dieses sehr guten Ausstellungskataloges richten verschiedene Autoren ausführlich und umfassend ihr Augenmerk auf verschiedene Aspekte von Renoirs frühem Schaffen. So wird zum Beispiel der Frage nachgegangen, wie Renoir zum Maler der „immer schon durchschauten, immer schon schuldigen Unschuld“ wurde oder der Rahmen untersucht, innerhalb dessen eine Künstlerkarriere wie diejenige Renoirs möglich war. Ein Artikel beleuchtet die Jugendjahre des Impressionisten im Schatten des Louvre, in dessen unmittelbarer Nähe sich sein Elternhaus befand. Aber auch „Renoirs Schweigen“ wird unter die Lupe genommen: die sieben Jahre andauernde Liebesgeschichte des Malers mit seinem Modell Lise, aus der zwei Kinder hervorgingen. Eine Geschichte, die er später jedoch konsequent verdrängte. Ein weiterer Artikel geht den Künstlerfreundschaften Renoirs mit Frédéric Bazille, Alfred Sisley und Claude Monet nach, ein weiterer der aufkommenden Sehnsucht des Künstlers nach einer vorindustriellen Vergangenheit, die mit den künstlerischen Prinzipien verknüpft ist.
Herzstück des Buches sind allerdings die 50 in Basel gezeigten Werke Renoirs, beginnend mit dem „Bildnis von Marie-Zélie Laporte“ (1864). Es schließen sich u. a. die „Frau in einem Garten (Die Dame mit dem Möwenhütchen) (1868), der titelzierende sehnsuchtsvolle Blick einer jungen Frau „Im Sommer“ (1868) oder aber „Die Dame mit dem Papagei“ (um 1870) an. Bis hin zu den kompliziertesten Verbindungen von Nuancen und Farbtönen, die das Auge des Betrachters im „Blick aufs Meer“ (1879/80) ausmacht, und wo die drei großen Illusionen, nach denen sich die akademischen Maler seinerseits richteten – Linie, Perspektive und Atelierbeleuchtung – aufgegeben werden. Treffend formuliert vom französischen Lyriker Jules Laforgue: „Wo der eine nur die Konturen der Objekte sieht, sieht der andere die wirklich lebendigen Linien, die sich nicht aus geometrischen Formen, sondern aus tausend unregelmäßigen Strichen zusammensetzen, die aus der Entfernung zum Leben erweckt werden. Wo der eine die Dinge auf Grund seiner theoretischen Komposition perspektivisch in regelmäßig gestaffelten Ebenen sieht, sieht der andere, wie die Perspektive aus tausend hingetupften Nuancen und Pinselstrichen und durch den sich wandelnden Zustand der Atmosphäre geboren wird.“
Fazit: Ein wunderbares Begleitbuch zu einer wohl ebenso großartigen Ausstellung. Auf jeden Fall sind die Neugier und der unbedingte Wunsch geweckt, die Werke auch im Original zu betrachten.

„Alle Kunst ist der Freude gewidmet.“ (Friedrich Schiller)

Renoir. Zwischen Bohème und Bourgeoisie: Die frühen Jahre
Verlag Hatje Cantz, Ostfildern (März 2012)
302 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3775732403
ISBN-13: 978-3775732406
Preis: 49,80 EURO

Finanzen

Über Heike Geilen 597 Artikel
Heike Geilen, geboren 1963, studierte Bauingenieurswesen an der Technischen Universität Cottbus. Sie arbeitet als freie Autorin und Rezensentin für verschiedene Literaturportale. Von ihr ist eine Vielzahl von Rezensionen zu unterschiedlichsten Themen im Internet zu finden.

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