Prächtig prangend: Sir Simon Rattles konzertantes Münchner „Rheingold“

Sir Simon Rattles konzertantes Münchner „Rheingold“ glänzte zuerst matt, bis es prunkte
Hoch und hehr. Wonnig wohl und witzig. Richard Wagners Vorabend zur Gold-Gier-Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“ – konzertant im Münchner Herkulessaal mit einer klangkompetenten Hundertschaft des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks unter der Stabführung Sir Simon Rattles könnte noch mehr zur Eloge sich türmenden Wagner`schen Stabreim-Paare vertragen. So hinreißend gestaltete der sich gelassen gebende Noch-Chef der Berliner Philharmoniker sein München-Gastspiel.
„Das Rheingold“ schimmerte anfangs noch matt, als sich die drei Rheintöchter (die beiden Einspringerinnen Mirella Hagen und Stefanie Irányi, dazu Eva Vogel) über den Eindringling aus dem Schwarzalbenreich empörten und Mühe hatten, sich ihm gegenüber, auch stimmlich, durchzusetzen. Bald aber – der Schatzraub aus den Tiefen des Rheins war, die Liebe verfluchend, geglückt – fing es an zu glänzen und immer verführerischer zu blinken und zu blitzen. Immer mehr prunkte und „schimmerte es hell und schön“. Wotans Burg vermisste man als Kulisse nicht eine Sekunde. Man sah sie dank Rattles plastischer Modellierungen „in prächtiger Glut“ als musikalische Metapher prangen. So wie man sich im düsteren Nibelheim ängstigte, ohne hier die zwangsarbeitenden Hort-Schlepper zu sehen. Wie schafft das ein Dirigent ohne Regisseur, ohne Ausstatter?!
Drei intensive Probentage, die Rattle mit den BR-Symphonikern schuftete, zahlten sich aus. Sie brachten dem Sonderkonzert der BR-Symphoniker – so jedenfalls das Resümee der ersten von (leider nur) zwei (Wochenend-)Aufführungen – allen Beteiligten, vom Dirigenten über das Orchester von Weltgeltung, das derzeit einen Schritt weiter kam in Sachen Kampf um den neuen Konzertsaal, bis hin zu den durchwegs sprühenden Sängern jubelnde Ovationen ein.
Dabei spielte Rattle mit der Geduld des Publikums. Er brauchte, bei knapp zweieinhalb Stunden, fast zehn Minuten länger als die meisten seiner Kollegen. Richard Wagners Satz schien Rattle in den Wind geschlagen zu haben: „Wärt ihr nicht so langweilige Kerle, müsste das `Rheingold` in zwei Stunden zu machen sein.“ Rattle ließ sich Zeit. Er kostete jedes tonale Wagner`sche Bonmot aus. Schließlich hatte er die heikle konzertante, das heißt von den singend Agierenden halbszenisch gestaltete Situation der vier nahtlos aufeinander folgenden „Szenen“ zu bedenken. Eine superbe Sonder-Leistung …
… zu der freilich eine Elite gegenwärtiger Wagner-Stimmen und „Ring“-Gestalter einen erklecklichen Teil beitrug. Nicht einmal der zwar intelligent gestaltende, rollensichere, in der Intensität gegen Schluss abfallende Michael Volle als Wotan war der Hauptgewinner, sondern, ohne Abstriche, der junge Bariton Tomasz Konieczny, dessen überaus farbenreicher, beinahe zu „schöner“ Alberich schon diesen Februar unter Kirill Petrenko am Münchner Nationaltheater als große Entdeckung aufgefallen war. Überhaupt: die „Rheingold“-Herren. Sie ließen die Damen (Fricka, zurückhaltend, allzu adelig-überheblich: Elisabeth Kulman; Freia, letztlich doch zu wenig naiv: Annette Dasch; Erda: eher matt als eindringlich dem verbohrten Sohn Wotan ins Gewissen redend: Janina Baechle) beachtlich hinter sich. Ganz der durchtriebene, abgefeimte Ironiker: Burkhard Ulrich als hin und her flitzender Loge. Voll der Hinterhältige: Herwig Pecoraro als gequälte Kreatur Mime. Herrlich zerstritten: die Riesen Fasolt (Peter Rose, der hübsch den tappig Verliebten gab) und Fafner (Eric Halfvarson mit kerniger Basses-Schwärze). Einfach göttlich: Donner (Christian van Horn – bitte, bald sich als Wotan zeigen!) und Froh (Benjamin Bruhns mit Tenor-Schmelz vom Feinsten).
Nur noch eins: Danke dem BR für das Gratis-Textbuch. Den Radiohörern der Life-Übertragung am vergangenen Freitag hätte das auch gefallen. Jörg Handstein, der sich darum besonders verdient machte, ist ihnen von seiner Wagner-Hörbiografie „Feuerzauber. Weltenbrand“ ein Begriff. Sie ist unter den „BR Klassik“-Empfehlungen des April 2015.

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Dirigent Sir Simon Rattle mit den Solisten (v. links) Michael Volle, Tomasz Konieszny, Mirella Hagen und Eva Vogel beim Schlussapplaus für das konzertante „Das Rheingold“ im Münchner Herkulessaal

(Foto: Hans Gärtner)

Über Hans Gärtner 453 Artikel
Prof. Dr. Hans Gärtner, Heimat I: Böhmen (Reichenberg, 1939), Heimat II: Brandenburg (nach Vertreibung, `45 – `48), Heimat III: Südostbayern (nach Flucht, seit `48), Abi in Freising, Studium I (Lehrer, 5 J. Schuldienst), Wiss. Ass. (PH München), Studium II (Päd., Psych., Theo., German., LMU, Dr. phil. `70), PH-Dozent, Univ.-Prof. (seit `80) für Grundschul-Päd., Lehrstuhl Kath. Univ. Eichstätt (bis `97). Publikationen: Schul- u. Fachbücher (Leseerziehung), Kulturgeschichtliche Monographien, Essays, Kindertexte, Feuilletons.

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