Robert Zollitsch: Helmut Kohl hat die Wiedervereinigung Deutschlands erreicht und die Europäische Union aktiv gestaltend vorangebracht

Helmut Kohl – Was bleibt? © Thomas Tröster
Helmut Kohl – Was bleibt? © Thomas Tröster

In Helmut Kohl habe ich eine Persönlichkeit von herausragendem Format sowie einen außergewöhnlichen Politiker und Staatsmann mit einem klaren und überzeugenden Profil erleben dürfen. Er lebte und verkörperte eine faszinierende Vision von einem vereinten Europa und der deutschen Einheit in Frieden und Freiheit. Ich sehe ihn in einer kontinuierlichen Linie mit Konrad Adenauer, dessen erfolgreiche Politik er fortsetzte. Helmut Kohl blickte in die Zukunft und stellte sich den Herausforderungen, die auf ihn zukamen. Er steht vor mir als profilierte Persönlichkeit mit Stehvermögen und Standhaftigkeit. Er widerstand dem Mainstream, soweit er ihn für gefährlich und falsch hielt. Er passte sich nicht an, hatte vielmehr eine wache Sensibilität für die Zeichen der Zeit und nutzte die Chancen, die sich ihm auftaten. Helmut Kohl hatte aus der Geschichte gelernt und wurde zum Brückenbauer in eine neue und gemeinsame Zukunft. Er blieb dem als richtig erkannten Weg treu und überzeugte durch seine klare Linie, für die er sich mit aller Kraft einsetzte. In Helmut Kohl wurde Deutschland und Europa ein Hoffnungsträger geschenkt, der Geschichte gemacht hat.

Helmut Kohl war ein weitschauender Politiker mit klaren Vorstellungen, die in die Zukunft weisen und von denen er sich nicht abbringen ließ. Auch Niederlagen und beißende Kritik konnten ihn nicht entmutigen. Er stand zu seinen Überzeugungen, lebte für sie und bekannte sich als Christ zu den christlichen Werten. Er blieb seinen heimatlichen Wurzeln in der Kurpfalz verbunden und schätzte die barocke Jesuitenkirche in Mannheim wie auch den romanischen Kaiserdom in Speyer als wertvolles Erbe mit einer klaren Botschaft. Helmut Kohl verstand es, fähige und markante Persönlichkeiten als Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zu gewinnen und sie in seine Konzeption einzubinden. Er wurde über Jahre von vielen unterschätzt. Mit Recht genoss er andererseits das Vertrauen Unzähliger. So konnte er Großartiges leisten und Bleibendes in die Gänge bringen. Helmut Kohl ist zweifellos einer der großen Staatsmänner Deutschlands und Europas.

Er hat seinen festen Platz in der Geschichte. Zeitlebens hielt er an der Idee der Einheit Deutschlands fest und ließ sich nicht verunsichern, als andere Politiker wie auch Journalisten davon abrückten. Helmut Kohl hat recht behalten, er griff im richtigen Moment nach dem „Mantel der Geschichte“ und wurde zum „Kanzler der Einheit“. Er bewies Geschick und Augenmaß, Sensibilität und Durchsetzungsvermögen in den „Zwei-plus-Vier-Gesprächen“ und erreichte sein Ziel, die deutsche Einheit, ohne Gewalt und Verwundungen. In gleicher Weise wusste er sich der europäischen Einigung verpflichtet, und setzte den von Konrad Adenauer mitangestoßenen Versöhnungsprozess mit Frankreich sowie unseren anderen Nachbarn aktiv fort und baute Brücken der Versöhnung. Nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ wandte er seinen Blick ebenso nach Osten, nicht zuletzt zu unserem unmittelbaren östlichen Nachbarn Polen. Frieden und Verständigung gehörten zu seinen ihn leitenden Prinzipien jeglichen politischen Handelns.

Bis heute ist mir meine letzte Begegnung mit Helmut Kohl in lebendiger Erinnerung. Vom 22.-25. September 2011 war Papst Benedikt XVI. zu seinem offiziellen Besuch in seinem Heimatland Deutschland. In der Vorbereitung des Besuches hatte ich mit Papst Benedikt abgesprochen, dass er außer den offiziellen Begegnungen mit dem Bundespräsidenten und der Bundeskanzlerin auch den Altbundeskanzler Kohl persönlich treffen sollte. Dieses Treffen fand am Nachmittag des 24. September 2011 im Priesterseminar in Freiburg statt. Helmut Kohl war in Begleitung seiner Frau angereist und war rechtzeitig da. So lud ich ihn in eines der Sprechzimmer ein, um die Zeit bis zur Begegnung mit dem Papst zu überbrücken und sie zum persönlichen Gespräch mit ihm zu nutzen. Ich war erstaunt über die Offenheit, mit der Helmut Kohl mir begegnete. Er machte aus seinem Herzen keine Mördergrube und sprach offen von seinen Empfindungen, seinen Wunden und seinen Enttäuschungen, auch im Blick auf den einen oder anderen Bischof. Seine Verbundenheit mit Kardinal Karl Lehmann stand außer Frage. Auch als gesundheitlich spürbar angeschlagener Exkanzler war Helmut Kohl nach wie vor erfüllt von seinen ihn und seine politische Tätigkeit prägenden Anliegen und Werten. Offensichtlich war es sein Bestreben, mir als dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz bei dieser Begegnung etwas von seinem damaligen Empfinden und sein Handeln bewegenden Werten zu vermitteln. Helmut Kohl war auch im Alter der Vollblutpolitiker und Verständnis suchende Mensch, dem ich nochmals persönlich begegnen durfte.

Diese Begegnung mit Helmut Kohl in Freiburg hat mich innerlich lange beschäftigt. Ich hätte ihm, dem ich stets mit Hochachtung begegnete, gerne geholfen, seine Verbitterungen hinter sich zu lassen und etwas von seinen Enttäuschungen wegzukommen. Gerne hätte ich ihn vor seinem Tod nochmals an das erinnert, was er für unser Land und Europa geleistet hat, um dankbar auf das zurückzuschauen, was er leisten und aufbauen durfte. Denn das wird bleiben.

Helmut Kohl war ein überzeugender und wegweisender Staatsmann, dem Deutschland und Europa nicht dankbar genug sein können. Er hat die Wiedervereinigung Deutschlands erreicht und die Europäische Union aktiv gestaltend vorangebracht.