Seit 2007 am Jakobsplatz – Die Israelitische Kultusgemeinde feiert 10jähriges Jubiläum

Zum zehnten Mal jährte sich im Februar 2017 der Tag des Einzugs der Israelitischen Kultusgemeinde von dem früheren, etwas verborgenen Sitz in der Reichenbachstraße in das neu erbaute Zentrum am Jakobsplatz im Herzen der Münchner Altstadt neben der ebenso neuentstanden Ohel-Jakob- Synagoge. Im Laufe dieses Jahrzehnts hat sich die jüdische Präsenz in München voll etabliert und dank der zahlreichen Initiativen stets nach Außen eröffnet. Durch ein abwechslungsreiches und qualitativ ansprechendes Programmangebot ist vor allem das Jüdische Kulturzentrum zu einer nicht mehr weg denkbaren Institution im städtischen Leben geworden. Ein Verdienst nicht zuletzt von Ellen Presser, die das ursprünglich in der Prinzregentenstrasse angesiedelte Kulturzentrum seit nun 33 Jahren leitet.

Unter Steven Spielbergs Ausspruch „Das Kino ist der Ausdruck unserer Träume“ fand am Jahresanfang die Achte Auflage der „Jüdischen Filmtage“ statt, die – verteilt auf dem Burda-Saal der Gemeinde und dem Gabriel -Kino – eine bunte Palette internationaler filmischer Produkte auf die Leinwand brachte. Der Bogen spannte sich von Borys Lankoszs Thriller „Ein Körnchen Wahrheit“(Polen 2015), der sich mit dem plötzlichen Aufflammen antisemitischer Hysterie in der erzkatholischen Provinz im heutigen Polen befasste, zur unterhaltsam-komischen Minikomödie „Der kleine Diktator“ der Geschwister Nurith und Emanuel Cohn (Israel 2015) bis hin zu Dani Rosenbergs Drama „Beit Avi – Homeland“ (Israel 2008), der die spannungsreiche Begegnung mitten in der Wüste zweier Männer thematisiert, die – beide Holocaust-Überlebende – sich als Soldaten im israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948 gegenüber stehen.

An Opfer der Shoah im ukrainischen Kovel erinnerte der Dokufilm „Á ceux qui viennent après nous“ von Elie Roubah, die die Französin Eva Buchwald bei der Suche ihrer ermordeten Vorfahren begleitete. Eine als Kleiderfabrik umgewandelte Synagoge ist das, was aus einem jüdischen Dasein bleibt, das vor dem Zweiten Weltkrieg die Hälfte der Bevölkerung ausmachte. An der Podiumsdiskussion im Anschluss auf die Vorführung im neuen NS-Dokumentationszentrum nahm auch die ehemalige Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau Barbara Distel teil.

Eine Hommage an die „transformative Kraft der Bewegung“ war der Doku „Mr. Gaga“ (Schweden, Israel, Deutschland, Niederlande 2015) von Tomer Heymann, Regisseur und langjähriger Freund des Tel Aviver Tänzers Ohad Naharin, der mit einem eigenen Ensemble die Bewegungssprache „Gaga“ in New York entwickelte, die den Tanz als „universellen Heilungsprozess“ versteht.

In einer anderer filmischen Dokumentation ging Marcie Begleiter auf die kurze aber bewegte Biografie der Künstlerin Eva Hesse (Eva Hesse, 2015) ein. 1936 in Hamburg geboren und mit ihrer Familie noch rechtzeitig nach New York geflüchtet, wurde Eva Hesse zu einem der herausragendsten Künstlerpersönlichkeiten der amerikanischen Szene der 60er Jahre. Nachhaltig war der Einfluss der innovativen Techniken in den Gemälden und Installationen der zeitweilig mit dem berühmten Bildhauer Tom Doyle verheirateten Künstlerin, die – ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit – ihr Leben ganz der Kunst widmete. In einer mitreißenden Folge von durch Tagebucheintragungen untermauerten Video- und Fotoaufnahmen, zeichnet der aufschlussreiche Film ein lebendiges Portrait einer unvergessenen Protagonistin der zeitgenössischen Kunst.

Ein Highlight der Filmreihe war der tief bewegende Dokumentarfilm von Eric Friedler „Der Clown“ (D 2015), der die Geschichte des gescheiterten Filmprojekts „The Day The Clown Cried“ lebendig schilderte. Der seit 2011 beim NDR als Abteilungsleiter für „Besondere Projekte“ tätige und mehrfach mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Filmemacher hatte sich 2015 auf die Spur eines Filmes gesetzt, den die Hollywood-Legende Jerry Lewis im Jahre 1972 mit einem Staraufgebot in Frankreich und Schweden gedreht hatte. 116 Tage hatten die Dreharbeiten gedauert – für einen „Tatort“ werden etwa 23 benötigt !- , länger als für eine aufwendige Produktion von Ingmar Bergman. Engagiert wurden sehr bekannte schwedische Theaterschauspieler wie Lars Lind. Nachdem Jerry Lewis, der auch den „Clown“ als Hauptdarsteller verkörperte, den letzten Drehort abrupt verlassen hatte, fehlte vom Film jegliche Spur. Gerüchte wurden verbreitet, während sich Jerry Lewis jahrelang in Schweigen hüllte. Es war Erich Friedlers Ehrgeiz, den „Phantom-Film“ wieder zu finden und vor allem Jerry Lewis dazu zu bewegen, sich endlich darüber zu äußern. Dramaturgisch fügte Friedler Bruchstücke des in einem schwedischen Filmarchiv wieder entdeckten Originalmaterials zusammen und ließ von noch lebenden schwedischen Schauspielern, die am Projekt beteiligt gewesen waren, Szenen nachspielen. Mit großem Einfühlungsvermögen beschwor er die Atmosphäre herauf, in der sich die problematischen Filmarbeiten entwickelt hatten. Als besonders problematisch hatte es sich erwiesen, die Balance zwischen Komik und Tragik zu halten. Wo sollte die Comedy sein, wenn die Geschichte so betroffen machte, wenn kein richtiger Abstand zum Thema gefunden wurde? Was für die Schauspieler selbst ein Job war, entpuppte sich für Jerry Lewis, der sich in die Rolle voll eingegangen war, als eine Vision. Die Schauspieler gaben das Beste von sich, um beim Experiment mitzumachen. Denn mit dem Film wurde wirklich Neuland betreten. Aus der Rekonstruktion geht nun klar hervor, dass Jerry Lewis kläglich scheiterte, weil er seiner Zeit voraus gewesen war. 1972 war es für eine Filmgroteske viel zu früh. Dass er selbst die Rolle des Clowns besetzt hatte, erschwerte die Lage. Aus Komik wurde schließlich Tragik. Tragik für ihn selbst, der sich durch seine wachsende Identifikation mit dem Hauptdarsteller immer mehr zur Kategorie der Betroffenen gehörig fühlte. Aus den geretteten Filmszenen sickerte diese tiefe Betroffenheit hindurch, seine Unsicherheit über den Weg, den er hätte gehen sollen. Als er lustig wurde, was seiner Art entsprach, bremste er sich, wie wenn er sich nicht autorisiert fühlen würde, sich lustig über dieses Thema zu machen. Ein Thema, worüber man in den Siebziger Jahren noch wenig sprach. Für das Misslingen des Projekts gab sich Jerry Lewis selbst als Produzent, Regisseur und Schauspieler die ganze Schuld und ließ das Projekt auf sich ruhen. Friedlers Dokumentation ist in all ihrer Dramatik ein Film über das Scheitern und ein Film über den Umgang mit dem Scheitern zugleich. Er betrachtete es als ein großes Glück, dass Jerry Lewis ihm ein Interview gewährte, möglicherweise nachdem er erfahren hatte, dass es im Deutschen Fernsehen hätte laufen sollen. Das Interview als eine Art Testament des großen Stars, der als erster in einem Film Töne der Aussöhnung eingeschlagen hatte. Zum ersten Mal in der Filmgeschichte wurde ein Deutscher – ein „guter“ Deutscher – zum Protagonisten eines Films über den Holocaust. Der Clown, der jüdische Kinder jenseits des Zauns, der politische Häftlinge von jüdischen KZ-Insassen trennte, zum Lachen bringen wollte, war ein deutscher Regimekritiker, der es gewagt hat, sich in einem Wirtshaus lustig über Hitler zu machen. „Ein schlechter Film“, so das unbarmherzige Urteil von Jerry Lewis, der im Jahre 2022 das ganze Filmmaterial der Library of Congress vermachen wird. Material, das vielleicht – so Friedler – für eine Bearbeitung als Bühnenstück verwertet werden könnte. Jerry Lewis‘ beklemmende Unfähigkeit, den Film als „Comedy“ zu realisieren, wirft Fragen auf. Fragen, die sich vielleicht auch Roberto Benigni hätte stellen können, als er seinen Welterfolg „La Vita è bella“ drehte. Denn kann man sich wirklich und in welcher Form auch immer über das tragische Schicksal von Millionen von Menschen lachen? Die Antwort steht nur den Betroffenen zu. Großherzig fand Jerry Lewis am Ende des Interviews Worte des Lobes für Benigni: „Er hat kopiert, aber der Film ist gut!“

 

Weiter geht es am kommenden 6. März im Rahmen der WOCHE DER BRÜDERLICHKEIT mit einer musikalisch-literarischen Hommage an den vor kurzem verstorbenen Leonhard Cohen. Thomas Kraft (Lesung), Laura Wachter (Voice) und Steven Lichtengewinner (Gitarre) lassen im Burda-Saal der IKG die unsterblichen Songs des kanadischen Barden wieder aufleben, der als „schwarzer Romantiker unter den Hippies… dem Schmerz eine Grenze setzte“. Interpretiert werden Songs aus den Sechziger Jahren sowie auch aus dem letzten Album „You want it darker“, die von eigenen Texten des großen Poeten und Fotos aus dem „excessiven Leben“ des „Frauenlieblings“ begleitet werden.

Eintritt 8,- Euro / erm. 5,-Euro, Schüler und Studenten frei

Karten unter (089) 20 24 00 -491karten@ikg-m.de und an der Abendkasse.

In Zusammenarbeit mit dem Kulturzentrum der IKG führt das Orchester Jakobsplatz München OJM das abendfüllende Oratorium „ESTHER“ in hebräischer Sprache des österreichischen Komponisten Cristiano Giuseppe Lidarti. Das Werk ist mit fünf Solisten, Chor und Orchester besetzt. Im Mittelpunkt des 1774 für die jüdische Gemeinde in Amsterdam komponierten Oratoriums steht die mutige Jüdin Esther, die mit ihrem Charme den Persischen König betört und somit ein Genozid an den Juden abwenden kann. Für den OJM-Dirigenten Daniel Grossmann ist die bis vor einigen Jahren verschollene Purim-Geschichte eine musikalische Entdeckung.

Deutsche Erstaufführung am Sonntag, den 19.03.2017 –

IKG – Burda-Saal um 19: 00 Uhr

Karten zu € 36 / 30 / 26 (15 ermäßigt)

OJM-Büro (ohne VVK-Gebühren):

Online – Tel.: 089 15909750

info@o-j-m.de

 

 

Über Anna Zanco-Prestel 178 Artikel
Dr. Anna Zanco-Prestel, hat Literaturwissenschaften (Deutsch, Französisch und Italienisch) und Kunstgeschichte in Venedig, Heidelberg und München studiert. Publizistin und Herausgeberin mit Schwerpunkt Exilforschung. U.d. Publikationen: Erika Mann, Briefe und Antworten 1922 – 69 (Ellermann/DTV/Mondadori). Seit 1990 auch als Kulturkoordinatorin tätig und ab 2000 Vorsitzende des von ihr in München gegründeten Kulturvereins Pro Arte e.V.

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