Wolgang Kubicki: Darum habe ich dem Selbstbestimmungsgesetz nicht zugestimmt

Persönliche Erklärung zur Abstimmung über das Selbstbestimmungsgesetz

Stolz, Lgbtq, Gleichberechtigung, Quelle: susan-lu4esm, Pixabay License Freie kommerzielle Nutzung, Kein Bildnachweis nötig
Diese sexualpolitische Reform unterscheidet sich von anderen historischen Vorgängern: Vollzog der Gesetzgeber bisher zum Beispiel bei der „Ehe für alle“ oder bei der Streichung von § 175 StGB eine längerfristige gesellschaftliche Entwicklung nach und befriedete die Gesellschaft, so wird diesem Gesetz vielfach das Gegenteil bescheinigt. Die dahinterstehende Idee einer proaktiven Gesellschaftsgestaltung entspricht nicht meinem Bild einer verantwortungsvollen Politik in der freiheitlichen Gesellschaft.“

Wolfgang Kubicki erläutert in seiner persönlichen Erklärung, die er zur Abstimmung zu Protokoll gegeben hat, warum er dem Selbstbestimmungsgesetz heute nicht zugestimmt hat.

Persönliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zum Abstimmungsverhalten zum ZP 14 „Entwurf eines Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“, Drucksache 20/9049:

Ich anerkenne, dass das Transsexuellengesetz in der aktuellen Fassung verfassungswidrig ist und einer zeitgemäßen Anpassung bedarf. Der vorliegende Gesetzentwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) versucht diesen Umstand zu heilen, trifft jedoch aus meiner Sicht nicht den zu regelnden Kern. Zugleich zieht er eine Reihe von rechtlichen, politischen, sozialen und gesellschaftlichen Folgefragen nach sich, die im parlamentarischen Prozess nicht überzeugend beantwortet wurden.

Zum einen ist zur Beschlussfassung unklar, in welchem Verhältnis das SBGG zum Strafgesetzbuch steht. Gelten Straftaten mit einem eindeutig geschlechtlich determinierten Täterbegriff (§ 183 StGB) auch für Personen, die in Ansehung der Strafverfolgung ihren Geschlechtseintrag ändern lassen? Könnte sich also ein Exhibitionist einer Bestrafung durch eine rechtzeitige Anpassung des Personenstandseintrages entziehen? Ist die „weibliche Brust“ gem. § 184k StGB auch dann weiblich, wenn sie einem biologischen Mann gehört? Oder baut der Gesetzgeber hiermit eine zweite Geschlechtsdefinition auf, die mit seiner bisherigen – aber weiterhin gültigen – nichts zu tun hat? Wäre es dann nicht sinnhafter und der Normenklarheit dienlicher, die Notwendigkeit eines Geschlechtseintrages im Personenstandsregister gänzlich zu verneinen, wenn dieser in den meisten Situationen für den Rechtsstaat keine größere Aussagekraft hat?

Denn aus dieser Änderung erwachsen grundlegende Fragestellungen, die nicht aufträten, würde die Legislative im Rahmen einer großen Reform, die auch eine Änderung des Art. 3 Abs. 2 GG einbezöge, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen als erfüllt definieren. Ich teile die Einschätzung des Verfassungsrechtlers Florian Becker, der bereits in der vergangenen Legislaturperiode darauf aufmerksam machte, dass der sich aus Art. 3 Abs. 2 GG ableitende verfassungsmäßige Auftrag eine entsprechende Dauerhaftigkeit, Verlässlichkeit und Objektivierbarkeit der Beurkundung im Personenstandsregister voraussetzt. Dies ist mit dem vorliegenden Entwurf nicht gegeben. Vielmehr steht zu befürchten, dass biologische Frauen mit Inkraftsetzung dieses Gesetzes weniger Rechte haben als zuvor. Frühere Forderungen nach einem – verfassungsrechtlich allerdings zweifelhaften – Paritätsgesetz werden hierdurch im Übrigen obsolet.

Nicht vermittelbar ist ferner der Umstand, dass der Gesetzgeber bei deutlich weniger einschneidenden Vorgängen härtere Nachweispflichten vorsieht als bei einer Veränderung des Geschlechtseintrags bei Minderjährigen. Während eine Beratungspflicht beim neuen Einbau einer Heizung gesetzlich verlangt wird, wird in § 3 SBGG lediglich die Behauptung einer Beratung eingefordert. Ob die Person eine entsprechende Beratung erhalten hat, soll hier – im Gegensatz zum Gebäudeenergiegesetz – nicht überprüft werden.

Hinzu kommt, dass eine aktuelle wissenschaftliche Studie aus den Niederlanden („Development of Gender Non‑Contentedness During Adolescence and Early Adulthood“) zu dem Schluss kommt, dass Verunsicherungen mit dem eigenen Geschlecht in der Pubertät deutlich häufiger vorkommen als vorher gedacht. Eine vergleichbare gesetzliche Regelung in den Niederlanden wird im Lichte dieser Erkenntnisse wahrscheinlich deshalb nicht kommen, um Heranwachsende vor potenziellen, unwiderruflichen Schäden zu bewahren.

Diese sexualpolitische Reform unterscheidet sich von anderen historischen Vorgängern: Vollzog der Gesetzgeber bisher zum Beispiel bei der „Ehe für alle“ oder bei der Streichung von § 175 StGB eine längerfristige gesellschaftliche Entwicklung nach und befriedete die Gesellschaft, so wird diesem Gesetz vielfach das Gegenteil bescheinigt. Die dahinterstehende Idee einer proaktiven Gesellschaftsgestaltung entspricht nicht meinem Bild einer verantwortungsvollen Politik in der freiheitlichen Gesellschaft.

Ich habe mich bereits in der vergangenen Legislaturperiode bei einem vergleichbaren Gesetzentwurf der FDP-Fraktion (Drs. 19/20048) enthalten. Ich habe bisher kein überzeugendes Argument gehört, das mich zum Umdenken bringen könnte. Daher stimme ich zur Drs. 20/9049 ebenfalls mit Enthaltung und mit Enthaltung zur entsprechenden Beschlussempfehlung.

Quelle:  Wolfgang Kubicki MdB

 

Finanzen