Zur Missbrauchsstudie der Deutschen Bischofskonferenz – Stellungnahme zu wichtigen Fragen – Erzbistum München legte unabhängiges Gutachten im Jahr 2010 vor

Kinderwagen, Foto: Stefan Groß

Bei der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda wurde am Dienstag, 25. September, eine wissenschaftliche Studie vorgestellt, die den Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs in der Zeit von 1946 bis 2014 in der katholischen Kirche in Deutschland untersucht. Das Erzbistum München und Freising hatte bereits im Jahr 2010 ein eigenes Gutachten vorgelegt, für das mehr als 13.200 Akten aus den Jahren 1945 bis 2009 untersucht wurden. Im Folgenden beantworten wir häufig gestellte Fragen zu diesem Thema.

Wie bewertet das Erzbistum die aktuelle Studie?

Die Ergebnisse der Studie zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland sind erschütternd. Das Erzbistum München und Freising nimmt sie sehr ernst. Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof von München und Freising,  sieht die katholische Kirche angesichts des Missbrauchsskandals an einem Wendepunkt. Es gehe um den Umgang mit den Opfern, aber auch um die Zukunft und die Strukturen der Kirche, sagte Marx, der auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ist, am 24. September in Fulda zum Auftakt der Herbstvollversammlung der Bischöfe. Marx rief die deutschen Bischöfe zu einem gemeinsamen und konsequenten Vorgehen als Antwort auf die Studie über sexuellen Missbrauch durch Geistliche auf: „Hier geht es nicht um Stimmung und persönliche Befindlichkeiten, es geht um die Opfer und um die Zukunft der Kirche. Die Menschen glauben uns nicht mehr. Wir müssen handeln und dann hoffen, dass man uns wieder vertraut.“ Kardinal Marx forderte weitergehende Schritte, insbesondere mit Blick auf den Umgang mit Macht in der Kirche und die Klärung von Verantwortlichkeiten.

Die Studie bestätigt in weiten Teilen das bereits im Jahr 2010 veröffentlichte unabhängige Gutachten einer externen Rechtsanwaltskanzlei über Fälle sexuellen Missbrauchs im Erzbistum München und Freising. Dafür wurden mehr als 13.200 Akten des Erzbistums München und Freising aus dem Zeitraum 1945 bis 2009 gesichtet und Verantwortungsträger befragt. Schon seinerzeit sind als Mechanismen Vertuschung, Versetzung von Beschuldigten auf andere Stellen und ein Versagen des Verwaltungshandelns dokumentiert worden. Zudem wurde eine lückenhafte Aktenführung moniert.

Das Erzbistum hat seit 2010 Konsequenzen aus diesem Gutachten gezogen und kontinuierlich in den Bereichen Prävention, Intervention und Aufarbeitung gehandelt. Es steht für eine Null-Toleranz-Politik gegenüber den Tätern, eine konsequente Unterstützung der Opfer und eine bestmögliche Prävention. So werden alle Priester, Diakone und pastoralen Mitarbeiter, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, in Prävention geschult. Jede Einrichtung, die mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, muss ein Schutzkonzept erarbeiten. Fälle von sexuellem Missbrauch werden zur Anzeige gebracht und dienst- sowie kirchenrechtlich geahndet.

Auf dem Weg zum Ziel eines bestmöglichen Schutzes von Kindern und Jugendlichen im Bereich der Kirche sind aber noch viele weitere Schritte zu gehen, sowohl für das Erzbistum München und Freising als auch für die ganze Kirche. Hier geht es auch darum, Haltungen zu ändern und eine neue Perspektive auf die Thematik des sexuellen Missbrauchs einzunehmen.

Welche Konsequenzen zieht das Erzbistum München und Freising aus der aktuellen Studie?

Die Ergebnisse bestätigen in weiten Teilen die der eigenen Untersuchung aus dem Jahr 2010. Das Erzbistum München und Freising hält an dem begonnenen Kurs der Aufarbeitung, Anerkennung und Prävention fest. Darüber hinaus gilt es, genau zu analysieren, wie weitere Konsequenzen aussehen müssen, insbesondere mit Blick auf Strukturen und den Umgang mit Sexualität

Warum durften die Forscher die Akten nicht direkt einsehen?

Die Forscher haben bei der aktuellen Studie bundesweit einheitlich mit Fragebögen gearbeitet.

Das Erzbistum München und Freising hat bei seiner eigenen Aufarbeitung im Jahr 2010 der beauftragten unabhängigen Rechtsanwaltskanzlei alle Akten vorgelegt, die auch nur den kleinsten Hinweis auf Taten sexuellen Missbrauchs und körperlicher Gewalt enthielten. Dazu wurden 13.200 Akten von Mitarbeitern des Erzbistums gesichtet. Diese Mitarbeiter mussten sich rechtsverbindlich verpflichten, alle relevanten Hinweise weiterzuleiten. Die Auswertung der Akten erfolgte durch zur strafrechtlich bewehrten Berufsverschwiegenheit verpflichtete Rechtsanwälte mit einschlägiger Berufserfahrung. Auf Verlangen der Gutachter wurden Ordinariatsverantwortliche, in deren Zuständigkeitsbereich Missbrauchsfälle erstmals bekannt geworden sein könnten, anwaltlich zu möglichen Kenntnissen einschlägiger Sachverhalte und deren aktenmäßiger Behandlung befragt und von diesen Negativatteste betreffend die Vollständigkeit der übergebenen Aktenbestände gefordert; bis hin zu den noch lebenden Generalvikaren und dem Erzbischof emeritus. Zudem wurden weitere Aktenbestände, die nach den erlangten Erkenntnissen Hinweise auf Fälle sexuellen Missbrauchs geben könnten, in die Untersuchung einbezogen, vor allem Geheimarchive, Akten des Konsistoriums und des Missbrauchsbeauftragten. Dadurch wurde unter Berücksichtigung individueller Gegebenheiten ein Höchstmaß an Vollständigkeit der Untersuchung erzielt. Die Auswertung der Akten erfolgte unmittelbar durch die Gutachter selbst und ohne Bindung an ein starres Auswertungsschema. Mögliche Missverständnisse im Zusammenhang mit der Auswertung, also sowohl betreffend die Fragestellung als auch deren Beantwortung, die sich auf das Bewertungsergebnis auswirken, waren damit ausgeschlossen. Art und Umfang der durchgeführten Untersuchung waren nur den (wenigen) daran unmittelbar beteiligten Personen bekannt, so dass jegliche Einwirkung Ordinariatsverantwortlicher auf die Erlangung von Ergebnissen und deren Bewertung ausgeschlossen war. Die Kernaussagen des Gutachtens von 2010 sind auf unserer Website zu finden unter https://www.erzbistum-muenchen.de/cms-media/media-14418720.PDF.

Wie viele Priester haben im Erzbistum München und Freising Kinder missbraucht?

Das lässt sich leider nicht mehr genau feststellen, weil etwa Akten gezielt vernichtet oder manipuliert wurden, betroffene Personen bereits verstorben sind, Übergriffe nicht gemeldet wurden. Ein unabhängiges Gutachten von 2010, das sich mit sexuellem Missbrauch und anderen körperlichen Übergriffen befasste, hat ergeben, dass im Zeitraum von 1945 bis 2009 159 Priester, 15 Diakone, 96 Religionslehrer und sechs Personen aus der Gruppe der Pastoralreferenten, Gemeindereferenten, Seelsorgehelfer und Jugendpfleger auffällig geworden sind. Für die aktuelle Studie, bei der es nur um Übergriffe sexueller Art ging, wurden Akten von 1946 bis 2014 durchgesehen, hier ergaben sich bei 94 Priestern und vier Diakonen Hinweise auf Beschuldigungen sexuellen Missbrauch. Dabei wurden alle Auffälligkeiten erfasst, unabhängig davon, ob die Vorwürfe näher geprüft wurden, so dass auch Falschbeschuldigungen erfasst wurden. Gleichzeitig ist aber sowohl bei dem Gutachten von 2010 als auch bei der aktuellen Studie von einer erheblichen Dunkelziffer auszugehen, so dass die tatsächlichen Zahlen deutlich höher liegen dürften.

Gibt es auch aktuelle Taten?

Ja. Die Missbrauchsbeauftragten des Erzbistums München und Freising nennen in ihrem Bericht für die Jahre 2015 bis 2017 acht Fälle, in denen ein Verdacht auf Straftaten bestand. In keinem dieser Fälle waren Priester oder Diakone Beschuldigte. In sechs Fällen wurde das Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft eingestellt. In einem Fall gab es eine Verurteilung eines ehrenamtlichen Mitarbeiters nach Jugendstrafrecht, in einem weiteren Fall hat das Erzbistum das Ergebnis nicht mehr erfahren, weil das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Verfahrensabschlusses bereits beendet war. Die Mehrzahl der Meldungen an die Missbrauchsbeauftragten bezieht sich allerdings auf Grenzverletzungen im Umgang mit Kindern und Jugendlichen, die zwar keine Straftat im Sinne des Strafgesetzbuches darstellen, aber dennoch nicht akzeptabel sind. Das Erzbistum zieht auch bei solchen Grenzverletzungen die entsprechenden Konsequenzen, die von der Verpflichtung zu Schulungen über Auflagen für die Tätigkeit bis hin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses reichen können. Insgesamt gingen seit 2010 rund 120 Meldungen bei den Missbrauchsbeauftragten ein, die sich nach gründlicher Prüfung als substanzhaltig erwiesen. Rund 20 davon betrafen Priester, Diakone und Ordensleute. Die weiteren Meldungen betrafen unter anderem Lehrer, Mesner, Kirchenmusiker, Erzieher und Ehrenamtliche. Die hohe Zahl der Meldungen kann auch ein Hinweis darauf sein, dass es mittlerweile eine größere Wachsamkeit gegenüber sexuellem Missbrauch und Grenzüberschreitungen gibt.

Was ist in der Vergangenheit mit den Tätern passiert?

Das unabhängige Gutachten im Erzbistum München und Freising von 2010 ergab, dass es bis zum Jahr 2002 gravierende Aufklärungsmängel gab, einhergehend mit Desinteresse gegenüber dem Opferschicksal und der fehlenden Bereitschaft, sich den damit einhergehenden Konflikten zu stellen. Auffällig gewordene Priester wurden an andere Stellen versetzt, dabei wurden die Hintergründe verschwiegen, so dass weitere Opfer in Kauf genommen wurden. In der überwiegenden Zahl der Fälle gab es keine innerkirchlichen Sanktionen.

Was passiert heute mit Missbrauchstätern?

Falls ein Verdacht auf eine Straftat nach weltlichem Recht vorliegt, wird immer Anzeige erstattet. Zwischen 2015 und 2017 erstattete das Erzbistum in sechs Fällen Anzeige, in einem dieser Fälle gab es eine Verurteilung eines Ehrenamtlichen nach Jugendstrafrecht, in den anderen fünf Fällen wurden die Verfahren durch die Staatsanwaltschaft eingestellt. In zwei weiteren Fällen waren die Ermittlungsbehörden bereits tätig, als das Erzbistum von den Vorwürfen erfuhr. Unabhängig davon werden bei Mitarbeitern arbeitsrechtliche und kirchenrechtliche Konsequenzen geprüft wie die Beendigung des Dienstverhältnisses oder der Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis. Bei Ehrenamtlichen kann die Tätigkeit untersagt oder es können Auflagen gemacht werden. Die betreffende Person wird nicht mehr in der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Schutzbefohlenen im kirchlichen Bereich eingesetzt. Kleriker können nicht mehr in der Seelsorge arbeiten, wenn dadurch eine Gefahr für Minderjährige oder erwachsene Schutzbefohlene entstehen würde.

Wurden im Erzbistum Missbrauchsfälle vertuscht?

Ja. Ein unabhängiges Gutachten aus dem Jahr 2010 ergab, dass Aktenvernichtungen in erheblichem Umfang stattgefunden haben, dass weitreichende Aktenbestände in Privatwohnungen eingelagert wurden und dass die Akten im Erzbischöflichen Ordinariat nicht gegen Zugriff durch Nichtbefugte gesichert waren. Auch deshalb muss man davon ausgehen, dass es in Bezug auf sexuellen Missbrauch eine erhebliche Dunkelziffer gibt.

Wie stellt das Erzbistum sicher, dass Missbrauchsfälle nicht mehr vertuscht werden können?

Bei den Missbrauchsbeauftragten des Erzbistums handelt es sich um zwei unabhängige Rechtsanwälte, gegenüber denen das Erzbistum nicht weisungsbefugt ist. Alle Mitarbeiter und Ehrenamtlichen des Erzbistums und der Pfarreien sind dazu verpflichtet, jeden Verdachtsfall auf sexuellen Missbrauch oder sexuelle Grenzüberschreitung sofort an die Missbrauchsbeauftragten zu melden. Die Ergebnisse der Untersuchung von 2010 waren unmittelbarer Anlass für grundlegende Reformen in der Verwaltung. Ziel war es, Verwaltungsprozesse transparent und nachvollziehbar zu gestalten und ein rechtskonformes Handeln zu gewährleisten. Eine Vertuschung von Missbrauchsfällen und die Manipulation von Akten wurden nach menschlichem Ermessen nahezu unmöglich gemacht.  Personalakten werden heute elektronisch geführt und sind so vor Diebstahl und Manipulation geschützt. Festgelegte Prozesse stellen unter anderem sicher, dass Missbrauchsfälle richtig bearbeitet werden und dass das Handeln der Verwaltung im Nachhinein nachvollziehbar ist.

Wie hat das Erzbistum die Missbrauchsfälle aufgearbeitet?

Das Erzbistum hat bereits im April 2010 eine externe Rechtsanwaltskanzlei mit der Erstellung eines unabhängigen Gutachtens beauftragt. Missbrauchsfälle von 1945 bis 2009 wurden erfasst, analysiert und bewertet. Ausdrücklich ging es darum, auch strukturelle Mängel aufzudecken und zu analysieren. Dazu wurden mehr als 13.200 Akten des Erzbischöflichen Ordinariats gesichtet, zusätzlich wurden Verantwortungsträger befragt. Das Gutachten wurde im Dezember 2010 vorgestellt und hat wichtige Impulse für das Handeln des Erzbistums in den Bereichen Prävention und Intervention gegeben.

Wie viel Geld in Anerkennung des Leids hat das Erzbistum an Opfer ausgezahlt?

Seit 2010 gingen 39 Anträge auf finanzielle Leistungen ein. In 37 Fällen wurden „Leistungen in Anerkennung des Leids“ ausgezahlt, jeweils der von der Deutschen Bischofskonferenz festgelegte Regelbetrag von 5.000 Euro. In zwei Fällen wurde die Plausibilität des Tatvorwurfs verneint, weil beispielsweise Opfer und Beschuldigter nicht zur selben Zeit am selben Ort gewesen sein konnten. Insgesamt wurden seit 2010 etwa 200.000 Euro an „Leistungen in Anerkennung des Leids“ ausgezahlt. Zusätzlich wurde in zwölf Fällen die Übernahme von Therapiekosten zugesagt, ausgezahlt wurden rund 50.000 Euro.

Wie schützt das Erzbistum Kinder und Jugendliche heute?

Das Erzbistum schützt Kinder und Jugendliche durch eine Vielzahl von Maßnahmen, die ineinandergreifen und sich ergänzen. Ziel ist es, das Risiko für sexuellen Missbrauch so weit wie möglich zu senken. In zahlreichen Schulungen setzen sich Mitarbeiter, die mit Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Schutzbefohlenen arbeiten, mit der Thematik auseinander. Sie sollen in ihrem Bereich dazu beitragen, dass es nicht zu sexuellem Missbrauch kommt, und sie sollen lernen, Anzeichen auf sexuellen Missbrauch oder Grenzüberschreitungen zu erkennen und entsprechend zu handeln. Einrichtungen, die mit Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Schutzbefohlenen arbeiten, müssen ein Schutzkonzept erstellen, in dem zum Beispiel Regeln für den Umgang mit Kindern und Jugendlichen festgelegt werden. Das Erzbistum arbeitet in der Prävention auch mit Betroffenen zusammen, die beispielsweise bei Schulungen mitwirken oder beratend tätig sind. Zusätzlich gibt es eine verstärkte Kontrolle der Mitarbeiter, so muss jeder, der mit Kindern, Jugendlichen oder erwachsenen Schutzbefohlenen arbeitet, ein erweitertes Führungszeugnis einreichen.

Wie werden Priester und andere Mitarbeiter in Prävention geschult?

Die wichtigste Schulung ist das E-Learning, ein Kurs, der überwiegend online stattfindet. Er beginnt und endet mit einer Präsenzveranstaltung und umfasst die Module „Wissen und Vorbeugen“, „Die Theologie befragen“, „Erkennen und Handeln“, „Helfen und Aufarbeiten“. Die Teilnehmer können das E-Learning nach ihrem individuellen Zeitplan absolvieren und werden dabei durch Lernbegleiter unterstützt. Das E-Learning ist verpflichtend für alle pastoralen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, also Priester, Diakone, Pastoralreferenten und -referentinnen, Gemeindereferenten und -referentinnen. Das E-Learning wurde vom Centre for Child Protection der Päpstlichen Universität Gregoriana entwickelt. Das Centre wurde vom Erzbistum München und Freising mitgegründet und in der Entwicklung des E-Learning maßgeblich finanziell unterstützt. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Schulungen zur Thematik für Mitarbeiter in verschiedenen Bereichen.

Wie wird das Thema Prävention in der Ausbildung berücksichtigt?

Die bestehenden Maßnahmen sehen vor, dass alle pastoralen Mitarbeiter, also Priester, Diakone, Pastoralreferenten und -referentinnen, Gemeindereferenten und -referentinnen, sich in der Ausbildung mit der Thematik des sexuellen Missbrauchs und der Prävention befassen. Dazu gehören ein Schulungstag zum Grundwissen, ein halber Schulungstag zur Umsetzung der Präventionsarbeit sowie eine Schulungswoche zu „Nähe und Distanz“. Der Generalvikar des Erzbischofs, Peter Beer, hat bei einer Mitarbeiterveranstaltung am 24. September 2018 angekündigt, diese Maßnahmen auszubauen und zu intensivieren – insbesondere mit Blick auf die individuelle Reife und sexuelle Integrität angehender Kleriker.

Wie werden Kinder und Jugendliche in kirchlichen Einrichtungen geschützt?

Alle Einrichtungen und Organisationen, die mit Kindern, Jugendlichen und erwachsenen Schutzbefohlenen arbeiten, müssen ein Schutzkonzept erstellen und Präventionsbeauftragte benennen, zum Beispiel Schulen, Kindertageseinrichtungen, Einrichtungen der Jugendseelsorge, Jugendverbände, Kinderkrankenhäuser oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderung. In dem Schutzkonzept ist beispielsweise festgelegt, wie die Mitarbeiter der Einrichtung oder Organisation geschult werden, wie Situationen vermieden werden, in denen Grenzverletzungen stattfinden könnten, oder was passiert, wenn es einen Verdacht auf einen sexuellen  Missbrauch oder eine Grenzüberschreitung gibt.

Was passiert, wenn ein aktueller Missbrauchsfall gemeldet wird?

Die Missbrauchsbeauftragten des Erzbistums, zwei unabhängige Rechtsanwälte, sprechen mit dem mutmaßlichen Opfer oder, wenn es sich um ein Kind oder einen Jugendlichen handelt, mit dessen Erziehungsberechtigten, und gehen dem Vorwurf nach. Wenn die Gefahr besteht, dass ein weiterer Missbrauch geschieht, werden Sofortmaßnahmen ergriffen, beispielsweise kann der Beschuldigte ein sofortiges Tätigkeitsverbot erhalten. Wenn ein Verdacht auf eine Straftat vorliegt, wird der Beschuldigte angezeigt. Unabhängig davon werden arbeitsrechtliche Konsequenzen geprüft, zum Beispiel eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sowie kirchenrechtliche Konsequenzen, wie der Entzug der Lehrerlaubnis oder bei Klerikern die Suspendierung.

Welche Hilfe und Unterstützung bekommen Missbrauchsopfer durch das Erzbistum?

Missbrauchsopfer können sich an die unabhängigen Missbrauchsbeauftragten des Erzbistums München und Freising wenden. Die Missbrauchsbeauftragten führen mit dem Opfer ein ausführliches Gespräch, zu dem das Opfer eine Vertrauensperson mitbringen kann. Auch ein Vertreter des Erzbischöflichen Ordinariats nimmt an dem Gespräch teil. Das Opfer kann sich sicher sein, dass es mit seinem Anliegen gehört wird, dass es von den oft schrecklichen Erlebnissen, die ihm widerfahren sind, berichten kann, dass man ihm Glauben schenkt und Unterstützung anbietet. Gerade bei Fällen, die länger zurückliegen, haben die Opfer in der Vergangenheit oft die Erfahrung gemacht, dass sie nicht gehört wurden oder ihnen nicht geglaubt wurde. Wenn es sich um einen Fall aus der Vergangenheit handelt, kann das Opfer einen Antrag auf eine Zahlung in Anerkennung des Leids stellen. In fast allen Fällen wird der von der Deutschen Bischofskonferenz festgelegte Regelbetrag von 5.000 Euro ausgezahlt. Außerdem können die Opfer die Übernahme von Therapiekosten beantragen. Auch in aktuellen Fällen werden den Opfern weitergehende Gesprächsangebote mit Therapeuten oder Psychologen gemacht. Manche Opfer halten auch nach dem Abschluss des offiziellen Verfahrens und ihrer Therapien einen nachsorgenden Gesprächskontakt zu Mitarbeitern des Erzbischöflichen Ordinariats oder zu Seelsorgern.

Was tut das Erzbistum gegen Klerikalismus?

Klerikalismus meint ein hierarchisch-autoritäres System, das auf Seiten des Priesters zu einer Haltung führen kann, nicht geweihte Personen in Interaktionen zu dominieren – in der vermeintlichen Annahme, dass er qua Amt und Weihe eine übergeordnete Position innehabe. Der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, hat ausdrücklich vor klerikalem Gehabe, Machtmissbrauch und Unachtsamkeit gewarnt und gefordert, Haltungen zu überprüfen.  Er erinnerte bei einer Predigt zum Priestertag in der Erzdiözese am 18. September daran, dass Priester an Christi statt eingesetzt seien, was ein „riesiger Anspruch“ sei. Priester seien aber nicht die „Herren des Glaubens der Menschen“, sondern die „Diener ihrer Freude, die sie ermutigen sollen“. Der Kardinal sagte, die Kirche müsse die Begabungen der Laien „noch mehr wertschätzen als bisher“. Das Volk Gottes mit seinen unterschiedlichen Begabungen sei ein „großer Reichtum“. In der Verwaltung des Erzbistums, dem Erzbischöflichen Ordinariat München, sind sechs von acht Direktoren keine Kleriker, vier sind Frauen. Priester sind lediglich der Generalvikar als Verwaltungschef, der Personalchef und der Leiter der Seelsorge. Derzeit erprobt das Erzbistums neue Leitungsmodelle für Pfarreien, bei denen der Priester Teil eines Teams, aber nicht der Dienstvorgesetzte ist.

Welche Rolle spielt Homosexualität?

Die Studie stellt klar fest, dass Homosexualität an sich keine Ursache für sexuellen Missbrauch von Minderjährigen ist. Als mögliche Risikofaktoren werden jedoch ambivalente Aussagen und Haltungen der katholischen Sexualmoral zur Homosexualität genannt. Die katholische Kirche steht insgesamt vor der Herausforderung, bei ihrer Personalauswahl, insbesondere bei den Priestern, auf sexuelle Reife und persönliche Eignung noch stärker zu achten und Haltungen beim Thema Sexualität zu überdenken. Konkret hat das Erzbistum schon Veranstaltungen gefördert, die das offene Gespräch und den Abbau von Diskriminierung zum Ziel haben. Im Erzbischöflichen Ordinariat gibt es eine regelmäßige Gesprächsrunde für schwule und lesbische Mitarbeiter, die auch im Austausch mit dem Generalvikar steht. Ziel ist es, Tabuisierungen und Diskriminierung zu überwinden.

Wie werden Priester auf das Leben im Zölibat vorbereitet?

Die Studie stellt klar fest, dass der Zölibat an sich keine Ursache für sexuellen Missbrauch von Minderjährigen ist. Sie legt jedoch nahe, sich mit der Frage zu befassen, in welcher Weise der Zölibat für bestimmte Personengruppen in spezifischen Konstellationen ein möglicher Risikofaktor für sexuelle Missbrauchshandlungen sein kann. Die ehelose Lebensform und der Verzicht auf das Ausleben der Sexualität stellen einen gewaltigen Anspruch an die Priester. Viele berichten davon, dass sie dieser Anspruch überfordert und sie sich allein gelassen fühlen. Diese Sorgen gilt es ernst zu nehmen und offen zu thematisieren. Bereits während der Ausbildung braucht es eine vertrauensvolle geistliche Begleitung, den Austausch mit anderen Priestern, aber auch die offene persönliche Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität und dem Bedürfnis nach Nähe und Beziehung. Darüber hinaus muss sich die Kirche der Debatte stellen, wie die priesterliche Lebensform weiterentwickelt werden kann.

Wo gibt es für das Erzbistum München und Freising noch Handlungsbedarf?

Es muss auf allen Ebenen noch intensiver und offen über den Umgang mit Sexualität gesprochen werden. Bei der Auswahl von Personal muss noch stärker auf die persönliche Eignung gesehen werden. Über allem steht die Notwendigkeit, die Bestrebungen weiter zu intensivieren und bei den bereits begonnenen Schritten nicht nachzulassen – insbesondere in der Sorge für die Opfer und den Schutz für Kinder und Jugendliche. Es gibt Überlegungen, allen Opfern nach dem Abschluss des offiziellen Verfahrens und ihrer Therapien einen nachsorgenden Gesprächskontakt zu Mitarbeitern des Erzbischöflichen Ordinariats oder zu Seelsorgern anzubieten. Zudem gibt es Überlegungen zu einem angemessenen Gedenken, beispielsweise im Rahmen eines Weltgebetstags für die Opfer sexuellen Missbrauchs oder an einem besonderen Gedenkort.