Lou Andreas-Salomé zum 80. Todestag

Sonnenuntergang am Bodensee, Foto: Stefan Groß

Lou Andreas-Salomé (1861 – 1937) galt zu ihrer Zeit als eine der begehrenswertesten und klügsten Frauen Europas. In ihren geistigen und weiblichen Fähigkeiten hatte sie Außergewöhnliches zu bieten. Bereits als Jugendliche las sie gemeinsam mit ihrem Religionslehrer Hendrik Gillot philosophische Texte von Immanuel Kant, Arthur Schopenhauer, Sören Kierkegaard und Baruch de Spinoza. Als sie 1879 ihr Studium der Theologie, Philosophie und Kunstgeschichte in Zürich begann, war sie eine der ersten Frauen Europas, die dies erreichten. Ihr zuständiger Professor, der Theologe Biedermann, lobte sie in höchsten Tönen. In einem Brief an Lou‘s Mutter schrieb er: „Ihr Fräulein Tochter ist ein Wesen ganz ungewöhnlicher Art: Von kindlicher Reinheit und Lauterkeit des Sinns und zugleich wieder von unkindlicher, ja unweiblicher Richtung des Geistes und Selbständigkeit des Willens und in beidem ein Diamant.“ Bei einer Rom-Reise lernte die 21-jährige Lou zwei Philosophen kennen, die ihrem weiteren Lebensweg eine große Rolle spielten: Friedrich Nietzsche und Paul Rée. Nietzsche war von Anfang an von ihr fasziniert. Sie sei „das begabteste, nachdenkendste Geschöpf, das man sich denken kann.“ In einem Brief an seinen Mitarbeiter Peter Gast schrieb er: „Lou ist scharfsinnig wie ein Adler und mutig wie ein Löwe.“ Um die einzigartige Kongenialität auszudrücken, die er zwischen sich und Lou wahrnahm, nannte er sie „mein Geschwistergehirn“. Bald kam es jedoch zu einem dramatischen Gesinnungswandel, nachdem Lou zwei Heiratsanträge von Nietzsche abgelehnt hatte. Er war zutiefst gekränkt. In einem Brief an den Bruder Georg seines Freundes Paul Rée schrieb er: „Diese dürre, schmutzige, übelriechende Äffin mit ihren falschen Brüsten – ein Verhängnis!“ Einen Heiratsantrag von Paul Rée wies Lou ebenfalls zurück. Dieser blieb jedoch noch einige Jahre ihr „platonischer“ Weggefährte.

Der Riss in der Beziehung zu Friedrich Nietzsche jedoch blieb nach der letzten Begegnung in Leipzig im Jahre 1882 radikal bestehen. Nietzsche wollte nichts mehr von ihr wissen. Lou ging mit dem Zerwürfnis anders um. Zum 50. Geburtstag von Friedrich Nietzsche schrieb sie im Jahre 1894 das Buch „Friedrich Nietzsche in seinen Werken“. Nietzsche selbst lebte zu dieser Zeit bereits in „geistiger Umnachtung“. Das Buch von Lou Andreas-Salomé über Friedrich Nietzsche wurde von der Fachwelt einhellig gelobt. Es war die erste umfassende Darstellung des philosophischen und literarischen Werkes von Friedrich Nietzsche. Auch der enge Nietzsche-Vertraute, Freund und Sekretär Peter Gast schätzte das Werk als gelungen ein. In einem Brief an eine Freundin schrieb Peter Gast über Lou: „Sie ist wirklich ein Genie, und von Charakter ganz heroisch.“

Im Jahre 1897 lernte die jetzt 36 Jahre alte Lou Andreas-Salomé den 14 Jahre jüngeren Dichter Rainer Maria Rilke kennen. Sie waren drei Jahre lang ein Liebespaar und anschließend verband sie eine lebenslange Freundschaft, die bis zum Tod von Rilke im Jahre 1926 andauerte. Im Jahre 1911 kam es zu der ersten Begegnung mit Sigmund Freud und sie wurde seine Schülerin. In zwei Werken legte sie ihre Beziehung zu Sigmund Freud nieder: „Mein Dank an Freud“ (1931) und „In der Schule bei Freud“ (posthum erschienen 1958). Von 1913 an bis kurz vor ihrem Tod arbeitete Lou Andreas-Salomé als niedergelassene Psychoanalytikerin in Göttingen. Sie schrieb wichtige psychoanalytische Abhandlungen zur Mann-Frau-Beziehung, zur Erotik, zur Sexualität und zum Narzissmus-Problem. Mit Anna Freud, der Tochter von Sigmund Freud, verband sie eine intensive und lange Freundschaft. Der umfangreiche Briefwechsel zwischen beiden aus den Jahren 1919 – 1937 wurde 2001 im Wallstein-Verlag veröffentlicht. Er umfasst zwei Bände mit mehr als 900 Seiten.

Bereits dieser kurze Überblick verdeutlicht den ersten Satz dieses Beitrags: Lou Andreas-Salomé war Wegbegleiterin, Vertraute und Mitdenkerin drei sehr berühmter Männer: Friedrich Nietzsche als einer der wichtigsten Philosophen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Sigmund Freud als der Begründer der Psychoanalyse und Rainer Maria Rilke als einer der größten Lyriker der europäischen Moderne.

Die überragende Bedeutung von Lou Andreas-Salomé für die Philosophie und Psychologie ist unbestritten. Sie hatte aber zusätzlich noch eine intensive „zweite Existenz“ als eigenständige Schriftstellerin. Sie verfasste zu Lebzeiten dreizehn literarische Werke in Buchform, überwiegend Romane und Novellen. Zusätzlich erschienen von ihr in Zeitschriften und Sammelbänden weit mehr als 100 Artikel, Rezensionen und Essays.

Am 5. Februar 1937 ist Lou Andreas-Salomé in Göttingen gestorben. Ihr umfangreiches Lebenswerk und ihre faszinierende Persönlichkeit verdienen Wertschätzung und Anerkennung. Deshalb sollten wir uns zu ihrem 80. Todestag an sie erinnern!

 

Autor:

Prof. Dr. med. Herbert Csef

Professor für Psychosomatik, Psychoanalytiker

Universitätsklinik Würzburg

Oberdürrbacher Straße 6

97080 Würzburg

Über Herbert Csef 136 Artikel
Prof. Dr. Herbert Csef, geb. 1951, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker. Studium der Psychologie und Humanmedizin an der Universität Würzburg, 1987 Habilitation. Seit 1988 Professor für Psychosomatik an der Universität Würzburg und Leiter des Schwerpunktes Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Medizinischen Klinik und Poliklinik II des Universitätsklinikums. Seit 2009 zusätzlich Leiter der Interdisziplinären Psychosomatischen Tagesklinik des Universitätsklinikums. Seit 2013 Vorstandsmitglied der Dr.-Gerhardt-Nissen-Stiftung und Vorsitzender im Kuratorium für den Forschungspreis „Psychotherapie in der Medizin“. Viele Texte zur Literatur.

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